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4

Drei Wochen dauerte es, bis die zerstörten Häuser neuerrichtet waren. Auch der Gott Nan hatte sich wiedergefunden. Ein kleiner Junge hatte ihn im Ufersand entdeckt, nahe beim Tor des Morgens. Ein neuer Pfosten wurde für Nan geschnitzt, und die Insel Karolin war nicht länger ohne Gott. Das Leben ging wieder seinen gewohnten Gang. Aber Aioma war nicht glücklich.

Als die Wogen über Karolin wegfegten, hatten sie die großen Bäume nicht fortgeschwemmt, die in Kriegskanus umgewandelt werden sollten, und die zum Teil schon ihre neue Gestalt angenommen hatten. Sie waren nur ein wenig aus ihrer Lage gebracht worden und warteten nun darauf, daß die Arbeit von neuem beginnen sollte. Aber Aioma hatte die Lust dazu verloren. Er war zu der Überzeugung gekommen, daß ein Schoner besser war als eine ganze Flotte von Kanus. All seine Sehnsucht galt nur noch dem großen, stolzen Segelschiff.

Und doch trieb ihn eine innere Stimme dazu an, die Kanus zu bauen, wie jede unvollendete Arbeit einen wirklichen Werkmann stets mahnt und quält. Aber Aioma konnte sich nicht dazu entschließen. Der Schoner hatte es ihm angetan und ihn verzaubert. So wurde er zwischen widerstrebenden Gefühlen hin- und hergerissen, und das machte ihn unglücklich. Es ist schwer, den Beruf eines langen Lebens aufzugeben, selbst wenn man zu besseren Dingen bestimmt wird. Manchmal kauerte Aioma im Sand und starrte zu dem Schoner hinüber, dann wieder wandte er sich zu den großen Bäumen, wo die unvollendeten Kanus lagen.

Und während er unentschlossen schwankte, packten ihn allmählich große Neugierde und großer Ehrgeiz.

Die Schlacht der Möwen hatte die Neugierde in ihm geweckt.

»Was mag aus Marua geworden sein?« fragte er sich selbst. Er kannte die Insel der Palmbäume; vor vielen, vielen Jahren hatte er in der großen Schlacht mitgekämpft, als die Männer der Nordküste von Karolin den südlichen Stamm zur Insel der Palmbäume verfolgten und dort schlugen. Er hatte das Riff gesehen, und sein Instinkt sagte ihm, daß die anstürmenden Möwen vor drei Wochen von dorther gekommen sein mußten.

Sie suchten eine neue Heimat – warum? Was war aus Marua geworden? Was hatte die Vögel von dort vertrieben?

Hatten die drei großen Wogen, an deren Glanz und sprühende Pracht er sich immer erinnern würde, die Insel im Norden zerstört? Aber wie sollte das möglich sein, da sie doch Karolin verschont hatten? Es war ein Geheimnis für Aioma, das seine Wißbegierde weckte. Aber außerdem erfüllte mehr und mehr ein großer Ehrgeiz seinen Geist – er wollte mit dem Schoner auf das offene Meer hinaussegeln, um sich Gewißheit zu verschaffen.

Die Lagune mochte groß und ausgedehnt sein, aber sie war zu klein für das stolze Schiff. Und es war auch zu gefährlich, dort zu segeln, da im Westen Sandbänke und Untiefen drohten.

Nein, das Meer draußen war der Platz für den Schoner. Aber wenn er ihn dorthin bringen wollte, mußte er erst ein großes Hindernis besiegen – Katafa.

Sie fürchtete sich vor dem Segelschiff. Sie würde nicht an Bord gehen, und ohne sie würde Taori nicht weit von Karolin wegsegeln. Und Aioma wollte doch eine kühne Fahrt auf das weite Meer unternehmen. Zum mindesten wollte er bis zu der Insel Marua kommen und sehen, was mit ihr geschehen war.

Um trotz des Hindernisses sein Ziel zu erreichen, begann er zu planen.

Katafa würde nichts dagegen einwenden, wenn Taori eine kleine Strecke auf das Meer hinausfahren wollte. Und ebenfalls würde Taori nichts darin finden, Katafa auf kurze Zeit zu verlassen. Listig und schlau dachte Aioma weiter: »Wenn wir erst einmal draußen auf dem großen Meer sind, werde ich ihm sagen, was ich über die Möwen denke. Dann wird er auch nach Marua segeln wollen. Es liegt nicht allzu weit, und die Farbe der Meeresströmung wird uns als Führer dienen wie früher unseren Kriegskanus. Und das helle Licht von Karolin, das wir am Himmel sehen, wird uns zurückführen. Außerdem will ich Le Moan mitnehmen, die ihren Weg zur Heimat findet, ohne daß sie die Augen öffnet.«

Aioma sagte einige Tage nichts, während dieser Plan in ihm reifte. Als er dann eines Abends allein mit Taori und Katafa war, sprach er darüber, die ayat ein wenig aufs Meer hinauszusteuern. Zu seinem größten Erstaunen widersprach Katafa nicht.

Sie hatte gesehen, wie sich Dicks Züge bei diesem Vorschlag aufhellten. Sein Kummer über den Verlust der kleinen Fahrzeuge hatte auch ihr ans Herz gegriffen, als ob sie selbst die Modelle verloren hätte. Deshalb sagte sie kein Wort, um ihm dieses Vergnügen nicht zu schmälern. Sie war sogar bereit, den Haß und die Abneigung gegen den Schoner zu überwinden und Taori zu begleiten, wenn er sie fragte.

Aber er fragte sie nicht. Er kannte ihre Abneigung gegen das Schiff, und der Gedanke, sie mitzunehmen, kam ihm überhaupt nicht.

»Gut«, erklärte Aioma, »dann werde ich morgen alles fertigmachen. Ich will Wasser und Früchte auf das Schiff bringen lassen, denn es ist ein altes Sprichwort auf Karolin, daß kein Kanu auf das Meer hinausfahren darf, ohne daß die Nüsse zum Trinken an das Gestänge gebunden sind – man kann niemals wissen, was geschehen wird.«

»Du hast recht«, erwiderte Katafa, dann wandte sie sich ab, um nicht mehr zu sagen, während Dick und Aioma ihren Plan zu Ende berieten.

Es gab in Karolin mehrere Namen für das Meer, die seinen Zustand im Sturm oder in der Ruhe bezeichneten. Und ein Name schloß viele Bände alter Geschichte in sich, Geschichte von Leiden und Entsagungen, die die Leute in der Südsee seit Menschenaltern auf ihren Kanus erlitten haben. Der Große Durst hieß dieser Name.

Für die Bewohner von Karolin war die See nicht ein einzelnes Wesen, sondern beinahe eine Vielheit. Sie kannten die ruhige See, die stürmische See, die feindliche See, die Kanus in Not und Gefahr brachte, wenn die letzte Kokosnuß ausgetrunken und verzehrt war – den Großen Durst.

Katafa hatte ihr Leben lang davon gewußt. Einmal wäre sie beinahe selbst ins Verderben hineingesegelt. Aiomas Worte, »Man kann niemals wissen, was geschehen wird«, erinnerten sie daran. Sie zitterte und hörte die Stimmen der anderen kaum, die miteinander sprachen. Sie mußte über diesen neuen Schrecken nachdenken, der plötzlich in ihr Dasein trat.

Aber sie schwieg an diesem Abend und auch am nächsten Tag, als die Wasserfässer zum Füllen ans Ufer gebracht wurden. Und sie sagte nichts, als die Frauen Kokosnüsse und Pandanusfrüchte zum Boot trugen.

Aioma hatte mit Poni über die beabsichtigte Fahrt gesprochen, und die frühere Besatzung sagte nicht nur zu, sondern nahm den Plan eifrig auf. Vielleicht waren sie im Augenblick ihrer Weiber überdrüssig, oder sie sehnten sich einfach nach etwas Neuem. Am Abend gingen sie jedenfalls an Bord, um für den nächsten Morgen alles vorzubereiten. Die Weiber ließen sie am Ufer, die konnten ja für sich selbst sorgen. Nur einer blieb an Land – Kanoa.

Er ging nicht auf das Schiff. Er hatte genug von dem Leben dort und wollte den Fuß nicht mehr an Deck setzen. Außerdem wollte er allein zurückbleiben, denn sein Mut war gewachsen, und er war fest entschlossen, Le Moan zu einer Entscheidung zu bringen.

Als die anderen fortruderten, war Kanoa nicht zu finden. Er war die Küste entlang zu den großen Bäumen gegangen, um sich zu verbergen, bis der Schoner aufs Meer gefahren war. Beim Morgengrauen oder etwas später sollte das Schiff bei eintretender Ebbe hinaussegeln. Erst wenn sich die Mastspitzen jenseits der Lagune zeigten, wollte er zum Dorf zurückkehren und Le Moan aufsuchen. Er wollte vorgeben, daß er auf dem Riff gefischt und so die Abfahrt des Schiffes versäumt hätte.

Während er bei den großen, gefällten Bäumen saß, aus denen die Kriegskanus gebaut werden sollten, beobachtete er die Sterne über dem Gischt der hochbrandenden Wogen. Und er sah sich selbst, wie er im Licht der Morgensonne zum Dorf zurückging. Das verhaßte Schiff hatte die Lagune verlassen, und Le Moan wartete auf ihn.

Kanoa dachte in Bildern. Bilder, die er sah, weckten in ihm neue Gesichte und Visionen. Aber in all seinen Träumen ahnte er nicht, daß Aioma sich entschlossen hatte, Le Moan als eine Art Kompaß mit sich auf das Meer zu nehmen, und daß sie sich bereits an Bord des Schoners befand. Sie schlief, wartete auf den Morgen und träumte von Taori.


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