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6

Drei Männer waren durch Zufall an Bord der Kermadec zusammengekommen wie Bauern in einem Schachspiel, in dem Taori der König, Katafa die Königin und Le Moan vielleicht die Hand des Spielers selbst gewesen wären: Rantan, der Schiffsmaat, Carlin, der Vagabund und Abenteurer, und Sru, der Vormann der Kanakas.

Rantan, ein kleiner Mann mit wetterharten Zügen, braun wie Mahagoni, hatte etwas Geheimnisvolles an sich. Er konnte einen Schoner führen, aber von Navigation verstand er so gut wie nichts. Peterson hatte ihn nur zur Aushilfe mitgenommen, aber als der Schiffsmaat am Fieber starb, trat Rantan an dessen Platz. Er war gewandt und energisch, und seine allgemeine Brauchbarkeit ersetzte den Mangel an höheren Kenntnissen. Er hatte sein Leben auf den Südseeinseln unter den Eingeborenen verbracht, konnte mit Sru in dessen Muttersprache reden und war so begabt, daß er in einer Woche den fremden Dialekt einer Insel erlernte. Nur in Englisch wußte er nicht viel zu sagen. Er war ein schweigsamer Mann, trank niemals, rauchte nicht und fluchte nicht.

Peterson konnte ihn nicht leiden, obwohl er kaum einen Grund für seine Abneigung hätte angeben können. Er hätte ihn entlassen können, aber das tat er nicht. Nüchterne Leute sind eine Seltenheit in der Südsee, besonders wenn es sich um Schiffsmaate handelt.

Der große Carlin mit dem roten Gesicht war kurz vor der Abfahrt von Soma an Bord gekommen. Peterson hatte ihn ebenso wie Le Moan aus reiner Freundlichkeit und Gutmütigkeit mitgenommen. Er ließ ihn arbeiten, gab ihm aber eine Schlafstelle im Hinterschiff und machte ihn dadurch in gewisser Weise zu einem der Schiffsoffiziere.

Carlin gehörte zu den bedauernswerten Leuten, die einen Riesendurst haben, aber glücklicherweise zeigte sich die Gier nur an Land. An Bord konnte er sich zurückhalten, aber an Land trank er sinnlos.

Sru, der letzte dieser drei Männer, war sehr groß und ging fast nackt. Er war ein primitiver Mann mit allen Fähigkeiten eines Eingeborenen und konnte einen Speer fünfzig Meter weit schleudern. Seine Nase war plattgedrückt, und seine Backenknochen traten hervor. Wenn er in die Ferne blickte, nahmen seine Züge einen wilden Ausdruck an, in dem jedoch keine Bosheit oder Schlechtigkeit lag. Le Moan hatte keine Angst vor ihm.

Nach zwei Tagen fürchtete sie überhaupt niemand mehr an Bord. Ihr Instinkt sagte ihr, daß diese Leute ihr nicht feindlich gesinnt waren. Zum Glück erkannte sie nicht, wie vollkommen unnötig ihr Opfer gewesen war. Sie wußte nicht, daß Colin Peterson Dick nichts getan hätte, ja sogar sein Freund geworden wäre. Sonst hätte sie sich vielleicht über Bord gestürzt, denn ihre Trauer und ihr Schmerz waren schon so groß, daß sie keinen neuen Kummer mehr hätte ertragen können.

Peterson hatte Sru beauftragt, für sie zu sorgen, und der Vormann hatte ihr ein Notlager in dem langen Boot gemacht. Sie aß mit der Besatzung von Kanakas, die ihre Mahlzeiten an Deck einnahmen, und wurde schließlich ein Mitglied der großen Schiffsfamilie. Aber sie ging nicht in das Mannschaftsquartier, und sie sträubte sich auch, das Innere des Schiffes zu betreten. Die Löcher im Deck, die nach unten führten, erschienen ihr geheimnisvoll und fürchterlich. Als sie die Treppe hinunterschaute, die zum Speisezimmer führte, war es ihr, als ob sie in einen tiefen Brunnen blickte. Das polierte Handgeländer und ein Licht, das auf die Bodenmatte schien, erregten ihr Erstaunen, und sie betrachtete es mit dem Entzücken, das die alltäglichsten Dinge manchmal in kleinen Kindern hervorrufen. Aber in ihre Bewunderung mischte sich leise Furcht.

Die Männer an Bord fürchtete sie nicht, aber sie hatte Angst vor der Treppe und dem Ladekran, bis sie seine Bedeutung erfuhr, und die Winde mit den eisernen Zähnen war ein Rätsel für sie. Die Männer zählten trotz ihrer Kleidung und ihres seltsamen Benehmens für sie zu den menschlichen Wesen, aber das Steuerrad, mit dem der große Schoner regiert wurde, und der Kompaß, auf den der Steuermann hinschaute, während er die Speichen des Rades drehte, waren Geheimnisse für sie, vor denen ihr graute. Sie gehörten zu all dem Unbekannten, das sie umgab. Und unbekannte Dinge betrachten die Eingeborenen mit Scheu und schrecken vor ihnen zurück.

Eines Tages, als Sru am Steuer stand und das Deck sonst leer war, wagte sie es, einen Blick auf den Kompaß zu werfen, und sah unter der blitzenden Glasscheibe die Nadel, zitternd wie ein lebendiges Wesen.

»Was ist dies?« fragte sie den Steuermann. »Und warum siehst du immer darauf?«

»Dieses«, erwiderte Sru und zeigte auf das Steuerrad, für das es in der Eingeborenensprache keinen Ausdruck gab, »bewegt das Steuerruder. Und hierauf schaue ich, um meinen Weg zu finden.«

Als Karolin unter dem Horizont verschwand, hatte Le Moan die Überzeugung, daß sie ihre Heimat nie wiedersehen würde. Ihr Instinkt sagte ihr, wo das Land lag, und hätte sie ein Kanu gehabt, so hätte sie selbst aus dieser großen Entfernung ihren Weg dahin gefunden. Aber sie fand keinen Trost darin, zu wissen, wo die Insel lag. Sie fühlte, daß die Hand des Schicksals sie gepackt hatte und sie nicht wieder freigeben würde, daß sich für immer ein Tor zwischen dieser neuen Welt und der alten geschlossen hatte, in der Taori lebte.

Wieder schaute sie auf den Kompaß, und dann sagte sie wie im Traum: »Auch ohne dieses Ding würde ich meinen Weg durch die Wogen finden, selbst wenn es dunkel wäre und die Sterne nicht am Himmel ständen. Zum Fischfang bin ich in meinem Kanu oft so weit hinausgefahren, daß ich das Land nicht mehr sehen konnte, und doch bin ich immer wieder nach Hause zurückgekehrt.«

Sru wußte, was sie meinte. Viele Eingeborene dieser Inseln waren mehr oder weniger mit diesem absoluten Orientierungssinn begabt, der sich besonders deutlich bei Kindern zeigte.

Die Kanus fuhren auf die hohe See hinaus, wo man sich weder auf die Strömungen noch auf die Winde verlassen konnte, und doch führte der sichere Instinkt die Steuerleute in die Heimat zurück. Sru bat Le Moan, die Augen zu schließen und sich mehrmals um sich selbst zu drehen.

»Wo liegt das Land, das wir verlassen haben?« fragte er dann.

Ohne die Augen zu öffnen, und ohne an Norden, Süden, Osten oder Westen zu denken, zeigte sie mit unbedingter Sicherheit nach Süden.

Sru lachte. Sie hatte die Richtung genau angegeben. Der geheimnisvolle Kompaß in ihrem Gehirn hätte ebenso fehlerlos gearbeitet, wenn sie Tausende von Meilen entfernt gewesen wäre.

Sru drehte das Steuerrad, da die Kermadec zwei Punkte von ihrem Kurs abgewichen war. Le Moan ging auf das vordere Deck, und er vergaß sie. Aber er vergaß nicht, was sie ihm gesagt hatte. Es haftete zäh in seinem Gehirn wie ein kleiner Stein im Teer. Und drei Tage später, als er abends an Deck mit den anderen aß, hatte Sru zum erstenmal in seinem Leben eine große Idee. Er faßte einen Plan, der ihm Tabak und Rum, Frauen, Dolchmesser, Tonpfeifen, Lederschuhe, Fischkonserven und Brausepulver einbringen sollte.

Sru hatte in Soma nach Perlen getaucht, bevor die Bänke dort erschöpft waren, und er kannte den Wert der kleinen, weißen Kugeln.


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