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10

Sie näherten sich Levua mit abflauendem Winde. An den vorgeschobenen Felsenriffen brandeten die Wellen. Le Moan, die noch nie eine bergige Insel gesehen hatte, starrte auf die vielen, vielen Bäume. Sie sah Kokosnuß- und Arekapalmen, daneben Brotfruchtbäume, große Farne und Sandelholzhaine. Hier gab es keine Freiheit; die weiten, offenen Räume des Meeres waren verschwunden.

In Karolin konnte man die Sonne vom Aufgang bis zum Niedergang und den gestirnten Himmel von einem Horizont bis zum anderen sehen. Das Korallenriff an der Küste erhob sich höchstens zu der doppelten Größe eines Mannes, und das Meer erglänzte bis in weite Ferne. Aber schlimmer als die bedrückende Höhe der bergigen Insel, die merkwürdigen Täler und die düsteren Wälder waren der Geruch der dichtlaubigen Sandelholzbäume, der schwüle Duft unbekannter Blumen und der Atem feuchtsumpfiger Erde.

Der Anker fiel in einer Tiefe von zwölf Fuß, und als das Rasseln der Kette verstummte, fuhr ein Boot vom Ufer ab. Sanders saß darin, der weiße Händler, der hier seit Jahren allein lebte und Zoll von den gefällten Sandelholzbäumen erhob. Er war abgeschnitten von der Welt, aber er kannte auch keine anderen Interessen als diese Insel, die vom Meer umgeben war, und sein Bankkonto in Kalifornien, das ständig wuchs.

Das hagere Gesicht des Mannes war ausdruckslos, als er über die Reling kletterte und zu Petersons Kabine ging, um dort die Geschäfte mit ihm abzuwickeln.

Rantan und Carlin beobachteten die Kanakas, die unten im Boot saßen und sich mit der Mannschaft des Schoners unterhielten.

Die Küste war nur eine bis zwei Kabellängen vom Schiff entfernt. Am Ufer lagen ein paar Fischer-Kanus, die auf der sandigen Küste hochgezogen waren. Kein Haus war zu sehen; das Dorf zog sich entfernt zwischen den Bäumen hin. Kaum ein Laut drang aus dieser üppigen Pracht von Tropengrün, nur das Rauschen eines Flusses mischte sich mit der unaufhörlichen Brandung der Küste.

»Haben Sie den Kerl gesehen?« fragte Carlin. Er sah starr geradeaus, als ob er Opium geraucht hätte. »Der muß eine Menge Geld geschluckt haben, wenn er hier der einzige Händler ist. Wie fein der aussieht in dem weißen Tropenanzug und dem eleganten Sonnenhut. Aber die gräßliche Fratze darunter! Ich kenne die Sorte. Und so ein Mensch sitzt nun hier auf der Insel und scheffelt das Geld.«

»Andere Leute können auch Geld verdienen, wenn sie nur den nötigen Mut haben«, entgegnete Rantan. »Haben Sie inzwischen einmal über die Perleninsel nachgedacht?«

»Und über den Kahn, den Sie nehmen wollen, um hinzukommen? Bringen Sie mich an Deck Ihres Schiffes, dann fahre ich mit und helfe Ihnen.«

»Gut.«

Carlin lachte.

Er kannte Rantans Absicht genau und durchschaute dieses merkwürdige Versteckspielen. Im Mittelpunkt ihres Gesprächs stand eigentlich nicht die Kermadec, sondern eine Frage, über die sie nicht zu sprechen wagten: Was sollte aus Peterson werden?

»Ich verstehe nur noch nicht, wie Sie das Ding drehen wollen«, sagte Carlin schließlich. »Dabei kann ich Ihnen allerdings nicht helfen.«

»Überlassen Sie das nur mir. Ich brauche Sie erst, wenn ich das Schiff übernommen habe.«

»Sie wissen genau, daß Sanders der einzige weiße Mann hier auf der Insel ist?«

»Das hat mir Peterson selbst gesagt.«

»Ein weißer Mann genügt, um gegen uns als Zeuge aufzutreten.«

»Das wird nie geschehen«, erwiderte Rantan grimmig.

Carlin warf ihm einen Seitenblick zu, und plötzlich stieg der Gedanke in ihm auf, ob es nicht gefährlich wäre, sich mit Rantan einzulassen. Aber er war ein Mensch, der überall seinen Vorteil wahrnahm.

»Und was ist mit Sru? Er ist doch der Vormann der Schiffsbesatzung und der einzige, der einen Kopf hat und denken kann. Nehmen wir einmal an ...«

»Lassen Sie sich darüber keine grauen Haare wachsen. Der ist auf meiner Seite.«

Sie schwiegen, und die Stille wurde nur durch die Brandung unterbrochen. Ab und zu hörten sie gedämpft die Stimmen des Kapitäns und des Händlers, die durch die Luken des Salons zu ihnen heraufschallten. Die beiden sprachen über Preise und Frachten, und jeder hatte nur eine Absicht: möglichst viel auf Kosten des anderen zu profitieren.


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