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12

Als das Boot aufgewunden war, begann die Kermadec ihre Fahrt wie ein ängstlicher Vogel. Sie entfaltete alle ihre Flügel; Hauptsegel und Vorsegel füllten sich mit dem Wind vom Westen. Der Kiel schnitt durch das ruhige Wasser der Lagune, in dem sich die Sterne spiegelten, und der hintere Teil des Schiffes drehte sich langsam der Insel Levua zu. Zwei weiße Männer lagen ermordet im Haus des Händlers, aber Tahuku und seine Kanakas schliefen fest und ahnten nicht, welche Verbrechen in ihrem Namen von zivilisierten Leuten begangen worden waren.

Rancan steuerte das Schiff glücklich durch die Ausfahrt, wo im Sternenlicht der weiße Gischt der Brandung gespenstisch aufleuchtete. Das Schiff hob und senkte sich in der Dünung, und der Wind setzte stärker ein, als es den schützenden Hafen verließ und Kurs nach Süden nahm.

Rantan übergab jetzt Sru das Steuer und ging an Bord entlang. Er sah Carlin in den Speigatten liegen. Der Betrunkene schlief fest und schnarchte. Der Schiffsmaat stieß ihn mit dem Fuß an, wandte sich dann ab und stieg die Treppe hinunter.

Er entdeckte die eingeschlagene Schranktür und die zerbrochene Whiskyflasche. Kurz entschlossen öffnete er eine Schiffsluke und warf sie ins Meer hinaus. Als er den Schrank durchsuchte, fand er noch zwei weitere Flaschen und schleuderte sie auch ins Wasser. Dann schloß er die Luke und setzte sich an den Tisch unter die schwingende Lampe.

Die Kermadec, die Ladung, die Mannschaft und die Schiffskasse gehörten nun ihm. Die Kanakas wußten weiter nichts, als daß Tahuku Peterson und den weißen Händler ermordet hatte. Nur Sru war ein Zeuge, aber der wagte nichts zu sagen. Und Carlin wußte nichts Bestimmtes. Zu gegebener Zeit sollten auch diese beiden stumm gemacht werden, und dann würde er folgende Geschichte von der Kermadec erzählen:

Die Eingeborenen von Levua hatten den Kapitän ermordet; infolgedessen mußte er die Führung des Schiffes übernehmen. Er verstand nichts von Navigation, hatte aber versucht, nach Soma zurückzufahren, die Insel jedoch nicht gefunden. Statt dessen war er nach Karolin gekommen, das nicht auf der Karte verzeichnet war. Dort starben Sru, der Vormann der Kanakas, und Carlin, ein Weißer, an Fischvergiftung, und dort hatte das Schiff ein Jahr lang im Hafen gelegen ...

Vor dem Seegericht würde man ihn fragen: »Und was haben Sie während dieser Zeit getan, Mr. Rantan?« Unmöglich konnte er darauf antworten: »Ich habe Perlen gefischt.« Denn in diesem Fall würde Petersons Partner sofort seinen Anteil verlangen und – was noch schlimmer war – die Mannschaft ausfragen.

Erst jetzt, da alles vorüber und das Schiff in seinen Händen war, trat die Forderung an ihn heran, auch diesen letzten Punkt zu lösen. Bis dahin hatte der Beginn des Abenteuers all seine Aufmerksamkeit und Energie in Anspruch genommen.

Aber die Kermadec konnte doch leicht an irgendeiner Küste stranden. Alles wäre sehr einfach zu erklären gewesen, wenn er nicht dieses verdammte Jahr in Karolin hätte zubringen müssen. Und soviel Zeit brauchte er mindestens, um genügend Perlen zu sammeln.

Nein, die Kermadec durfte nicht wieder in zivilisierte Länder kommen. Wenn er sich erst davon überzeugt hatte, daß sich ein Abbau der Perlenbank lohnte, dann mußte das Schiff versenkt werden. Mit dem langen Boot konnte er vielleicht nach Soma oder einer der Paumotu-Inseln kommen – vielleicht.

Seine mangelnden Kenntnisse in der Navigation, die den Anfang seiner Geschichte glaubwürdig gemacht hatten, wurden ihm nun auf der anderen Seite zum Verhängnis. Vor einer Handelskammer mochte ihm diese Tatsache nützen, aber was sollte er anfangen, wenn er Wind und Wellen hilflos preisgegeben war?

Er ging an Deck. Nachdem sie der Gefahr entronnen waren, hatte sich die Mannschaft zur Ruhe gelegt, nur der Wachtposten war oben. Sru stand noch am Steuer. Le Moan, die mit ihm gesprochen hatte, ging zum Vorderschiff, als der Maat auftauchte, und schaute nach dem Land hinüber, das langsam verschwand.

Carlin schlief noch. Er lag mit offenem Mund auf dem Rücken und hatte eine Hand ausgestreckt. Sein unangenehmes Schnarchen mischte sich mit dem Rauschen der Wellen und den Geräuschen der Segel und Rahen.

Rantan sah auf den Kompaß, warf Carlin noch einen Blick zu und wandte sich dann an Sru.

Der Paumotu sprach nicht; er schien den Maat nicht zu sehen. Das Weiße in seinen Augen leuchtete im Sternenlicht auf, und während er scharfen Kurs steuerte, bewegten sich seine Lippen, als ob er mit sich selbst spräche.

Er mußte erschreckt und beunruhigt sein. Nur die Tätigkeit am Steuer half ihm über den Schock weg, den er erhalten hatte. Rantan war im Augenblick vollkommen allein und isoliert, und die Kermadec erschien ihm plötzlich wie ein verlassenes Schiff, auf dem nur noch der Steuermann das Rad regierte.

Sru war verstört und steuerte rein mechanisch, seine Gedanken waren immer noch an Land, und er sah Peterson in einer Blutlache vor sich. Den Kapitän hatte er immer gefürchtet, und doch hatte er ihn jetzt ermordet. Die außerordentliche Energie und Stärke, die dazu notwendig waren, hatten ihn verlassen, und jetzt dachte er nicht mehr an Tabak, schwedische Streichhölzer, Messer, Alkohol und Brausepulver. Der Geist Petersons verfolgte ihn, saß ihm im Nacken und hatte ihn angefallen wie ein schwarzer Hund. Sru stieß den Kopf von einer Seite zur anderen wie ein Betrunkener und begann zu singen und zu schwätzen. Rantan stand neben ihm und beobachtete ihn. Er kannte die Paumotus. Im nächsten Augenblick würde der Mann das Steuer loslassen und Amok laufen.

Rantan hob sich auf die Zehen und schlug dann mit der Faust zu. Er legte alle Kraft in den wuchtigen Hieb, und während der Kanaka zu Boden stürzte, packte der Maat das Steuerrad und brachte das Schiff wieder auf den richtigen Kurs.

Sru lag nun an Deck wie Carlin. Die Leute von der Besatzung vorne hatten nichts gesehen. Der Schoner setzte seine Fahrt ruhig fort. Die starke Brise blieb gleichmäßig und trieb die Kermadec dauernd weiter nach Süden. Das Schiff ließ eine lange, weiße Spur auf dem Meer zurück, die im Sternenlicht glänzte.

Nach einer Weile richtete sich Sru wieder auf und erhob sich. Er konnte sich auf nichts besinnen, weder auf den Schrecken, der ihn gepackt hatte, noch auf den furchtbaren Faustschlag. Es war ihm, als ob ihn der Schlaf am Steuerrad übermannt und Rantan ihn abgelöst hätte.


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