Friedrich Spielhagen
Platt Land
Friedrich Spielhagen

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Sechstes Kapitel.

Der Graf war mit einem der Leiterwagen und den nötigen Leuten zurückgeblieben; die Baronin hatte Gerhard in ihre Kutsche genommen; sie fuhren, den übrigen Wagen vorauf, was die Pferde laufen konnten, durch den Wald, in dem es von Sekunde zu Sekunde heller wurde.

Die Baronin war voll mütterlicher Sorge für Gerhard, der kaum noch hörte, was die Dame sprach.

»Wir sahen das Feuer, als ich eben von Teschen abfahren wollte – Maggie und Lafing waren schon seit einer Stunde weg – Maggie hatte Migräne, und ich wollte dem Grafen noch mal über die Geschichte meine Meinung sagen. Na, und wie er mir vor der Tür begleitet, sehen wir das Feuer. Es mochte eben aufgehen, denn der Schein war man noch schwach, und so denken wir: es ist in Basselitz, das von Teschen in dieselbe Linie wie Kosenow liegt. Der Graf will mir begleiten, na – meinswegen, obgleich ich mit solche Sachen schon selber fertig werde. Wir fahren über Retzow und Bulitz, sage ich, das ist weiter, brauchen aber nicht durch den Wald, wo es grundlos ist. – Kommen gegen Retzow, rückt das Feuer immer weiter rechts, konnte nicht Basselitz sein; ist Kosenow, sage ich. Der Graf wollte es nicht glauben; aber was weiß der davon! Das sind wir auch schon mitten mang die Retzower Wagen. Aber Sie hören mir nicht?«

Die Baronin nahm Gerhards Hand.

»Ihre Hand ist eiskalt, und Ihre Stirne brennt; ich sagte Sie ja schon heut nachmittags Sie sollten sich nicht zuviel zumuten! Na, Sie haben es sich nicht eingebrockt, das weiß der liebe Gott; und der Garloff, sehen Sie, der arme Kerl, für dem ist's ein rechtes Glück, daß er all das schwere Leid vom Herzen hat; er konnt's ja lange schon nicht mehr tragen; und Zempin – na, er ist tot, und Gott weiß am besten, warum er solche Menschen macht, und ein Prachtmensch war's trotz alledem, und – i, schämen Sie sich doch nicht vor mich – ich könnte gut und gern Ihre Mutter sein, und mir sitzen die Tränen auch nah genug!«

Die gute Frau brach in lautes Weinen aus, indem sie Gerhards Hals umschlang und seinen Kopf an ihren Busen legte.

»Wir beide haben ihnen beiden lieb gehabt«, schluchzte sie, »und vor ihnen getan, was wir tun konnten, und mehr kann kein Mensch nicht; damit müssen wir uns trösten und für das andere den lieben Gott sorgen lassen, daß der auch ein bißchen zu tun behält. Und passen Sie Achtung: vor Ihnen kommen jetzt bessere Tage, wenn das hier auch mal wieder verteufelt schlimm aussieht. Habe ich es nicht gesagt: der ganze Hof brennt von einem Ende bis zum anderen! und vom Herrenhaus ist's ausgegangen, das ist ja schon beinahe ganz nieder; bloß das alte Inspektorenhaus steht noch! natürlich, das ist weit genug abgelegen, und was gar nicht mehr zu brauchen ist, läßt das Feuer immer stehen. Friedrich, fahre Er da man gleich vor! – Sie sollen sehen: da finden wir ihnen. Und nun tun Sie mich die einzigste Liebe und lassen Sie brennen, was brennen will, und mir das Kommando führen! Was zuviel ist, ist zuviel, und was Sie heute schon durchgemacht haben, das hätte kein Pferd ausgehalten, geschweige denn ein Mensch.«

Gerhard will erwidern, daß er sich noch kräftig genug fühle, aber die Zunge versagt ihm den Dienst; er bringt es nur zu einem Gemurmel, auf das die Baronin, deren sachkundiger Blick das grausige Schauspiel vor ihr beobachtet, nicht hinhört, und das sie auch vor dem Sausen der Flammen, vor dem Geprassel der einstürzenden Giebel und Balkendecken nicht wohl verstehen könnte. Dann hält der Wagen vor einem kleinen Hause, das Gerhard bereits früher gesehen, aber nicht beachtet hat, und das ihm doch wahrlich merkwürdig genug hätte sein sollen, denn es ist ja das alte Verwalterhaus, aus dem der Knabe in das Schloß verbannt war mitsamt seinem Papageien. Was ist aus dem geworden? mit verbrannt? er war bereits im Sterben. War es kein Trugbild, was durch die Tapetentür trat, während er an dem Sekretär saß? War es Ediths Vater, der mit dem Lichte in der Hand nach den Papieren suchte? hatte er sie gefunden? weiß es Edith nun doch?

Ihm schießt das alles durch den Kopf, während er der Baronin, die aus dem Wagen gesprungen, mühsam folgt.

In der niedrigen Tür steht Edith, übergossen von der roten Glut, wie das kleine Haus und alles ringsumher von roter Glut übergossen ist; und doch erscheint sie ihm so bleich, und sie blickt ihn an mit so wundersam großen, traurigen Augen: ich weiß es!

Wer hat es gesagt? Ediths Mund? oder ihre Augen? oder eine Stimme in ihm?

Dann ist Edith nicht mehr da; die Baronin führt ihn durch ein weites, niedriges Zimmer, das grauweiße Wände hat, und wo in der einen Ecke ein großer Haufen Korn aufgeschüttet ist. Aber es ist wohl kein Zimmer, sondern eine Küche, denn auf der anderen Seite befindet sich ein halb in die Wand gemauerter, halb offener Herd, auf dem ein großes Feuer flackert, das man entzündet hat, weil der rote Schein draußen durch die kleinen Fenster nicht genug Helligkeit gibt; ein anderes Licht ist nicht da, auch kein Stuhl, kein Tisch, nur ein Bett aus rohem Tannenholz, wo der Vater ausgestreckt liegt, den großen struppigen Kopf auf einem mit blaubuntem Kattun überzogenen Kissen, während über den langen Leib eine rotseidene Steppdecke gebreitet ist. Die Baronin, die von ihm fort an das Bett geeilt, macht ihm Platz, wie er jetzt herantritt. Des guten Mannes Gesicht ist viel kleiner als sonst und sieht in dem Scheine des Herdfeuers wie verklärt aus; er lächelt ihm so liebevoll entgegen aus tief eingesunkenen und doch seltsam hellen Augen, die sich dann von ihm abwenden auf etwas, das jener zwischen den ausgestreckten abgemagerten Händen auf der rotseidenen Bettdecke hält und jetzt mühsam ein wenig emporhebt – ein versiegeltes kleines Paket und dann einen Ring, mit dem das Paket gesiegelt ist: In dem Paket sind die Papiere, die dein Großvater vor der Abfahrt geschrieben, und der Ring ist deines Großvaters Ring. – Es hat das niemand gesagt, denn niemand spricht ein Wort: er weiß es auch ohne das.

Das Bett, auf dem der Kranke liegt, die Gestalt der Baronin, alles um ihn schwankt und wankt. Ihm ist, als ob er selbst hin und her schwanke; als ob, was jetzt der Kranke spricht mit tiefmüder und doch fröhlicher Stimme, weit, weither zu ihm herübertönte:

»Ich hab's gefunden – in dem Sekretär! – hatte überall gesucht im Keller, auf dem Boden – es war ja im Sekretär! – Dein Großvater saß daran und schrieb – wollte ihn nicht stören – machte die Türe wieder zu – war aber gar nicht dein Großvater – der ist ja schon lange tot – hatt's ja mit angesehen, wie sie ihn totschlugen und die anderen und an den Hünengräbern verscharrten – sah alles wieder in der Flamme – und wo ich's hingesteckt in dem Sekretär ganz unten unter die schwedischen Akten – mußte lange suchen – und es knisterte und qualmte – laß brennen, laß brennen – ich fand's endlich doch und den Ring! Werden jetzt sagen, ich habe das Haus und den Hof angesteckt, weil's mir ja doch nicht gehört – nichts – nichts – Gott sei Dank! und ich morgen ins Gefängnis muß und dann die Vögel verhungerten. Das ist ein dummer Schnack – Edith würde sie gefüttert haben und Johann Ewers – als Edith kam, brannte es schon – bin mit dem Lichte zu nah an die Gardine gekommen, im Korridor – weiß ich jetzt – Edith weiß es auch – Edith weiß alles – frag' nur Edith!«

Das Haupt des Todmüden sinkt auf die Seite; er lächelt wie ein Kind in seinem friedlichen Schlummer, und wie ein Kind, das mit seinem Spielzeuge eingeschlafen, streckt er manchmal noch die Riesenhand nach dem Paket, nach dem Ringe aus. Der Ring gleißt und glitzert im Scheine des hell auflodernden Feuers; aber jetzt ist es nicht mehr ein Ring, es sind deren zwei – zwei ganz gleiche Ringe, nur der eine ist ein wenig kleiner, als der andere; und den kleineren hat Edith, die plötzlich ihm gegenüber an der anderen Seite des Bettes steht, langsam vom Finger gestreift und leise zu dem anderen gelegt.

Frag nur Edith!

Und das ist ihre Antwort! Das, und der Blick voll Liebe und Treue und Trauer, den sie auf ihn gerichtet hält! Er liest alles in dem Blicke, alles: ›meine bange Ahnung hat mich nicht betrogen: das Unheil, dessen schwarze Flügel ich rauschen hörte, nun ist es da und trennt uns für immer. Ich danke dir für deine Liebe; ich danke dir, daß du mit allen Kräften gerungen hast, das Unheil von mir abzuwehren – es sollte nicht sein! In dem Buche des Schicksals steht's geschrieben, und da steht's geschrieben von deines Großvaters Hand!‹

Nein! Nein! Nein! In unseren Herzen ist unser Schicksal! In unseren Herzen, die voll reiner, heiliger Liebe sind, und die Liebe ist die größte unter ihnen und sollen ihr alle Dinge zum besten dienen. Und alles sonst ist Lüge, gotteslästerliche Lüge, wo's auch geschrieben steht! Ins Feuer mit der Lüge!

So ruft's, so schreit's in ihm wie mit Posaunenstimme, obschon kein Wort über die bleichen, zuckenden Lippen kommt. Der Wahnsinn des Fiebers hat ihn ergriffen. Er greift in die Luft und reißt das Blatt heraus aus dem Buche des Schicksals und greift nach dem Paket und stößt die Baronin fort, die ihn hindern will, es ins Feuer zu werfen, wohin's gehört. Und lacht triumphierend, wie das Höllenfeuer, aufflammend, die Lüge gierig verschlingt und zusammensinkt und nur noch ein Stern ist – der Stern der Liebe, der in unermeßbarer Ferne funkelt, während schwarze Nacht von oben auf ungeheuren Schwingen herabrauscht. Dunkler und dunkler wird's vor seinen Augen, bleicher und bleicher wird der Stern: Edith! Edith!

Und von dem Sterne tönt's zurück: Gerhard! Gerhard!

Er hebt die schweren Wimpern noch einmal und lächelt den Stern an – das bleiche Angesicht der einzig Geliebten, deren Lippen seine Lippen küssen.


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