Friedrich Spielhagen
Platt Land
Friedrich Spielhagen

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Viertes Kapitel.

Der Morgen graute durch die Fenster, vor denen die Ranken des wilden Weines schwärzlich auf und nieder schwankten. Die Uhr zeigte drei: so mußte der Tag bald kommen. Er würde, wie die letzten, draußen Sturm und Regen bringen und drinnen Sorge und Kummer, aber es war doch nicht die fürchterliche Nacht mit den Schreckensbildern, aus deren Graus sich das geängstigte Herz endlich losgerungen.

Er hatte sich vollends erhoben, nicht ohne Mühe. Die Glieder waren steifer und schwerer als gestern, und im Kopfe war es so dumpf und wüst: er taumelte, während er in der Dämmerung nach seinen Kleidern tappte. Er wollte nicht wieder zu Bett gehen; vielleicht noch auf dem Sofa eine Stunde ruhen.

Aber er fand keine Ruhe. Sobald er die Augen schloß, huschten durch die Gedanken, die er vergebens festzuhalten suchte, die Spukgestalten seiner Fieberträume; er konnte es nicht länger ertragen; es war ihm, als ob er in der dumpfen Luft des Zimmers ersticken müßte. Er riß das Fenster auf und ließ die kühle, regenschwere Morgenluft um seine heißen, pochenden Schläfen wehen.

Sein starrer Blick war nach Osten gewandt, wo sich über den hin und her wiegenden Wipfeln der Parkbäume in den schwarzgrauen Dunstmassen ein mattrötlicher Streifen abzeichnete.

Dort hinüber lag Kosenow. Seit jener Nacht hatte er die geliebte Gestalt nicht wieder gesehen, hatte er die süße Stimme nicht wieder gehört; seit jener Nacht, die mit dem Ringe, den sie an ihre Lippen drückte, mit dem Kuß, den die keuschen Lippen auf die seinen hauchten, ihren Bund besiegelt! zwei lange trübe Tage! zwei unendlich grausige Nächte für ihn! für sie! wie sollten sie, wie konnten sie die Pfeile und Schleudern des Geschicks ertragen, wenn sie nicht zusammenstanden? Eines aus des anderen Augen Trost und Hoffnung sog?

Eine unendliche Sehnsucht erfaßte ihn: es wäre Verrat gewesen, einen Moment länger zu zögern, sobald ihn nur erst die Glieder wieder trugen. Was Müdigkeit, was Fieber! er war ja jung und stark! wann hatte ihm je der abgehärtete Körper, die vielgeprüfte Kraft der Sehnen und Muskeln den Dienst versagt! draußen, zu Pferde, würde alles besser werden! Der treue Braune hatte sich gewiß schon gewundert, wo nur der Herr so lange blieb.

Indem er sich, so gut es in der Dämmerung gehen wollte – er mochte die verlöschte Lampe nicht wieder entzünden – hastig ankleidete, sah er auf dem kleinen Teppich vor seinem Bette etwas liegen, was, als er es achtlos aufnahm, zu seiner nicht geringen Verwunderung eine Damenschleife war – eine blauseidene Schleife, wenn ihn das matte Licht am Fenster nicht täuschte, bei dem er den seltsamen Fund betrachtete. Wie kam die hierher? es war seines Wissens kein weibliches Wesen in seinem Zimmer, an seinem Bett gewesen! Edith? dem widersprach Antons Bericht! Salchen? er wäre wohl der letzte, an dem sie Samariterdienste übte! – Julie? unmöglich! sie durfte es nicht wagen. – Aber hatte ihr hellgraues seidenes Schlafgewand, in dem er sie vorgestern abend gesehen, nicht ebensolche Schleifen gehabt? Wunderlich! Im Traume hatte er sie in seinen Armen gehalten: der Traum war sehr, sehr deutlich gewesen, deutlicher als die anderen, aber Gott sei Dank ein Traum, und Traumgestalten tragen keine Schleifen! Mochte der Himmel wissen, wie die hierher verschleppt war!

Er hatte das Band in den Kasten der Kommode geworfen, aus der er sich Wäsche genommen; es war wohl besser, wenn er den Kasten verschloß.

In dem stillen Hause, wo in den Korridoren, auf der Treppe noch das Dunkel brütete, knarrten die verzogenen Dielen, die steilen Stufen unter seinen leisen Schritten; die heisere Schelle an der unverschlossenen Haustür hatte einen seltsam lauten Klang. Auf dem Hofe regte sich nichts; vereinzeltes Krähen der Hähne klang dumpf hervor aus entlegenen Winkeln; auf dem Dache des Herrenhauses kreischte die Wetterfahne; Gerhard knöpfte sich schaudernd dichter in den Überrock, während er nach dem Stalle schritt.

Ein Mann kam ihm entgegen: es war der Unterinspektor, der sehr verwundert war, daß der Herr Baron schon auf sei: er habe gestern gehört, es stünde mit dem Herrn Baron sehr schlimm. Aber das sei denn um so besser, wenn er sich so schnell wieder herausgemacht; er wisse sowieso nicht, was heute vorgenommen werden solle, und von Herrn Zempin erfahre man nichts. Viel sei freilich nicht zu tun; die fremden Leute hätten sich sämtlich, der größere Teil noch gestern, der andere während der Nacht, davongemacht. Sie fürchteten sich vor der Untersuchung; im Laufe des Nachmittages sei auch schon der Amtsschreiber dagewesen und habe Protokoll aufgenommen. Einige würden wohl schlecht wegkommen; sie verdienten es; aber die Hauptschuld trage der Herr Klempe, der ein Faß Branntwein von Grünwald mitgebracht, eigens, um die Leute betrunken zu machen, denn, was er sonst hier gewollt, habe kein Mensch herausbringen können, nur daß er auf den Herrn wütend gewesen, dem er die schlechtesten Dinge nachgesagt; aber das habe er auch wohl schon früher getan, wenn er seinen Quartalsrausch gehabt, und diesmal habe es so schlimm mit ihm gestanden, wie nie vorher.

Herr Wenhak war sehr dienstfertig und wollte durchaus nicht leiden, daß der Herr Baron den Braunen selber sattle. Die Anordnungen des Herrn Barons sollten pünktlich ausgeführt werden; daß der Herr, wenn er zum Vorschein komme, andere Anordnungen träfe, sei nicht anzunehmen. Der Herr könne auch gar nichts Besseres tun, als den Herrn Baron gewähren lassen.

Der Braune war gesattelt; Gerhard sagte, er werde in höchstens einer Stunde zurück sein, und ritt davon. An dem Parkwäldchen gabelte sich der Feldweg: geradeaus nach Kosenow, links ab nach Retzow. Gerhard hatte, sich im Sattel wendend, bemerkt, daß Herr Wenhak ihm nachblickte: er schlug den Retzower Weg ein; dann wollte er über die Felder und hernach durch den Wald nach Kosenow reiten.

Es war mittlerweile ein wenig heller geworden, trotzdem sich graublaue Wolkenmassen immer dichter vom Osten heraufwälzten und den Morgenstreif am Horizont, der sich jetzt aus einem trüben Rot in trübes Gelb verwandelt hatte, ganz auszulöschen drohten. Es regnete nicht, aber die Luft war naß und schwer; der Wind rauschte in unregelmäßigen Stößen über die Felder, deren zusammengeregnete Hocken den trübseligsten Anblick gewährten. Hie und da schritt ein Storch zwischen den Hocken, langsam, wie verdrießlich über das böse Wetter, und verdrießlich klang das Krächzen der Krähen, die, in unregelmäßigen Scharen vom Walde herziehend, in der schweren Luft von dem Winde hin und her geworfen wurden. Der Braune schüttelte im Trabe die Ohren: er mochte nicht wohl begreifen, was sein Herr eigentlich hier draußen wollte, wo es so viel unbehaglicher war, als in dem warmen Stalle.

Auch Gerhard fand die Erquickung des Leibes und der Seele nicht, die er suchte. Er mußte die Zügel anziehen, sein Kopf konnte die heftigere Erschütterung nicht ertragen: es fröstelte ihn, trotzdem es ihn manchmal mit fliegender Hitze überlief. Sollte er kränker sein, als er Wort haben wollte? sollte er umkehren, bevor er seinen Zustand verschlimmerte? würde Edith nicht erschrecken, wenn er so vor sie trat, mit dem schlimmen Aussehen nach der schlimmen Nacht? Und es war ja unmöglich, jetzt schon in Kosenow zu erscheinen. Sie würde ihn zu jeder Stunde empfangen, gewiß; aber vielleicht hatte sie die Nacht wachend bei dem kranken Vater verbracht und suchte jetzt in einem kurzen Morgenschlummer Kraft für den nächsten Tag.

Er war bis zu der Stelle gelangt, wo der Weg, der von Retzow kam, in den Wald und an den Hünengräbern vorüber nach Kosenow führte. Er lenkte an dem Wege vorbei am Rande des Waldes hin, um, die große Wiese halb umkreisend, auf den Pfad zu treffen, den ihm der Förster an jenem Vormittage gezeigt, und der, nach vielen Wendungen, beinahe vor dem Hoftore von Kosenow mündete.

Da war die große Wiese schon. Sie hatte neulich in dem grellen, durch keinen Schatten gemilderten heißen Sonnenlicht einen melancholischen Anblick gewährt, der aber doch nicht ohne alle Poesie war: die Poesie der Verlassenheit und Öde, des lautlosen Schweigens über dem von weißen Schmetterlingen mystisch umflatterten Grabe des Pan. Dies hier war aller Poesie bar, wie aller Farbe: in schmutziges Grau gehüllte Prosa des Landes, die nur an regenschwere Überröcke und kotige Stulpstiefel denken läßt. Selbst das Gras, das seitdem üppig emporgeschossen und jetzt von dem unendlichen Regen und dem Sturme glattgedrückt war, hatte ein schleimiges Ansehen, wie ein Kleid, das am Leibe des Ertrunkenen klebt. Unwillkürlich richtete Gerhard den schaudernden Blick auf den Wiesensee, von dessen in kurzen, krausen Wellen gefurchter Oberfläche er zwischen einer Lücke in den hohen Uferbinsen ein ziemlich großes Stück und einen kleinen Teil des entgegengesetzten Ufers sehen konnte. Gerade den Teil, wo die verkrüppelten Weiden hart an dem flachen, sandigen Ufer standen, über welches bis an die bloßgelegten Wurzeln der weiße Schaum der Wellen hinaufleckte. Um die windzerzausten Köpfe der Weiden flatterten mit lauten Gekrächze ein paar Krähen, angelockt, wie es schien, durch etwas, das da in dem weißen Schaume lag und sich bewegte; oder war es nur das An- und Abrinnen der Wellen?

Und wie er so hinstarrte, glaubte er zu sehen, sah er, was ihm das Blut in den Adern gerinnen und das Haar sträuben machte.

Heiliger Gott! konnte es sein? Nein, nein! es war ein Spuk der überreizten Sinne! es war nur, weil er eben an das arme Mädchen dachte!

Und während die bange Seele noch das Gräßliche von sich abzuwälzen suchte, hatte er bereits dem Braunen die Sporen in die Flanken gestoßen. Ein paar Sätze – und das Tier versank bis über die Fesseln in den aufgeweichten Grund; mit äußerster Anstrengung vermochte Gerhard sich herauszuarbeiten und den festen Boden wiederzugewinnen. Nun jagte er an dem Rande des Moores zurück, die Stelle zu suchen, von wo aus er neulich sicher bis zu den Weiden geritten. Da war der Distelstrauch; hier und da bezeichnete ein Stein die Linie des sonst unsichtbaren Weges. Der Boden schwankte; ein paarmal schlugen die Hufe durch die Rasennarbe; er achtete nicht darauf – die Weiden! die Weiden! jetzt war er daran! noch die Binsen, die sich dazwischenschoben –

Er war vom Pferde gesprungen und kniete in dem nassen Sande neben dem Körper der Ärmsten, den er nun völlig aus dem Wasser gezogen. Sein erster Blick hatte ihm gesagt, daß keine Rettung mehr sei. Das war nicht die Kälte des Wassers in den kleinen Händen, auf der kindlichen Stirn – das war die Kälte des Todes; es war der Tod, der unter den halbgeschlossenen Lidern aus den verglasten Augen starrte, der auf den fahlen Wangen, auf den bläulichen Lippen lag!

Armes, armes Kind! so wußtest du dir keinen Ausweg aus dem dunkeln Labyrinth deiner Qualen, als in den finsteren Tod? War es gestern schon beschlossen von dem gepreßten Herzen, als du das Medaillon von dem Busen nahmst? oder mußte erst ein brutales Wort des elenden Trunkenboldes dir das Todesurteil sprechen? Ach! und es stirbt sich so schwer, wenn man so jung ist! Armes erwürgtes Vögelchen, du sehntest dich nach Luft und Licht! arme geknickte Blume: du schmachtetest nach Sonne! du wolltest ja nicht viel! wärst mit so wenigem zufrieden gewesen, hättest dein bescheidenes Blumendasein so hingeblüht, dein harmloses Vogelleben so verzwitschert – es sollte nicht sein!

Er hatte die erkälteten Hände aus den seinen gleiten lassen; er hatte die Lider über die starren Augen gedrückt. Der Anblick des stillen, bleichen Mädchens erweckte in ihm nichts von dem Grausen, das sonst der Tod um sich breitet, nur unendliches, herzschwellendes, atembeklemmendes, tränengieriges Mitleid.

»Ich bin bald wieder hier«, sagte er, als ob das tote Kind ihn hätte vernehmen können, als ob die Krähen es beherzigen sollten, die jetzt über dem jenseitigen Ufer flatterten.

Er hatte den Braunen, der mit fliegenden Flanken schnaubend dagestanden, wieder bestiegen und jagte über das Moor, dann rechts auf den Weg nach Retzow, auf dem er einen Wagen erblickte, der ihm entgegenkam. Es war eines der Retzower Gespanne, das leer nach Gartendamm fuhr, reparierte Teile einer Häckselmaschine zu holen. Gerhard sagte dem Manne mit wenig Worten, welchen Dienst er von ihm verlange. Es war ein gutmütiger Mensch, der sofort bereit war. »Ich will ein paar Schütten Weizenstroh auf den Wagen tun«, sagte er, »es ist durch und durch naß, aber das arme Mamselling wird auch nicht trocken sein, und es stößt dann doch nicht so. Ne, wo ist es möglich! Vor einer Stunde habe ich Mamselling noch gesehen. Ich hatte eben die Pferde gefüttert, da kam sie aus dem Hause und guckte nach dem Wetter, dachte ich, und daß da heute nicht viel zu sehen sei; und dann ging sie wieder hinein und muß dann auch gleich durch den Garten hierher gelaufen sein. Das arme Mamselling! ne, wo ist es möglich!«

»Wissen Sie, ob Herr Klempe gestern in Retzow gewesen ist?« fragte Gerhard.

»Ja, der ist dagewesen, aber man so ein paar Minuten. Er hielt vor dem Hause und schalt und schimpfte immerzu; Vadder Deep stand dabei und lachte so vor sich hin. Ich und die anderen Knechte, wir haben auch gelacht über den betrunkenen Kerl. Du lieber Gott! wenn wir gewußt hätten, daß Mamselling sich darüber das Leben nehmen würde – das arme Mamselling!«

Der Knecht saß wieder im Sattel; im scharfen Trabe ging's nach dem See. – Er kenne die Wisch ganz genau, sagte der Knecht, und seine Pferde wüßten auch Bescheid; er könne ganz gut mit dem Wagen bis zu den Weiden.

Der Knecht fuhr vorauf. Die Binsen schoben sich auf die Seite. Der Knecht wandte sich im Sattel:

»Mein Gott, der Herr Förster ist schon da«, sagte er.

Jetzt sah ihn auch Gerhard: auf eben dem Platze, in eben der Stellung, in welcher er ihn neulich hatte sitzen sehen, nur daß er jetzt, statt der Flinte, zwischen den Knien den Leib des toten Kindes hielt, dessen Kopf auf seinem Schoße ruhte. Das tiefgebeugte Haupt richtete sich langsam auf, als Gerhard herantrat. Das Gesicht war fahl, versteinert; die tiefliegenden Augen blickten gläsern, fast wie vorhin bei der Toten, und die tiefe Stimme konnte so hohl nur aus einer Brust kommen, in der das Herz es müde war, zu schlagen:

»Ich habe erst gestern abend spät von Deep erfahren, daß Klempe sie verlassen, und wer ihr Verführer ist. Ich habe die ganze Nacht mit mir gerungen, ob ich meinem Kinde vergeben dürfte. Jetzt war ich auf dem Wege zu ihr; ich wollte ihr sagen, daß ich es auf meine Rechnung nähme, daß sie versuchen solle, weiterzuleben. Sie hat nicht auf mich gewartet, sie hat die Rechnung ohne mich ausgeglichen.«

Er beugte sich nieder auf die Tote und küßte ihr die Stirn, von der er das nasse Haar zurückstrich; blickte dann wieder zu Gerhard auf und sagte, nach dem Walde deutend:

»Ich sah Sie von dort aus, wie Sie mit Lebensgefahr hierher ritten; ich konnte nicht sehen, was es war; ich wußte es doch. Der alte Fluch ist aufgewacht und geht um; es wird ihn keiner bannen; auch Sie nicht, so gut Sie es meinen. Ich möchte Ihnen so gern für Ihre Guttat danken, ich kann es nur durch die Bitte: eilen Sie fort aus diesem verfluchten Lande, aus der Nähe verfluchter Menschen, bevor die Unschuldigen mit den Schuldigen getroffen werden! – Nun, Karl Clas, willst du mich und meine Tochter fahren?«

Er hatte die dumpfe Stimme, die kaum für Gerhard vernehmbar gewesen, erhoben zu Karl Clas, der erst so bereitwillig und mutig gewesen, und jetzt bei seinen Pferden stand, einen Strohhalm zerkauend und scheue Blicke auf die Gruppe werfend.

»Wenn ich man keine Ungelegenheit davon habe«, sagte er, »ich soll nach Gartendamm, wir brauchen die Maschine morgen, und Vadder Deep ist nicht sauber, wenn einer nicht tut, was er sagt.«

»Ich werde mit vorreiten und Sie entschuldigen«, sagte Gerhard. – »Lassen Sie mich Ihnen helfen, Herr Förster!«

Sie hatten das tote Kind auf den Wagen gehoben und mit Halmen leicht bedeckt. Gerhard reichte dem unglücklichen Vater seine Hand hin, die dieser zögernd nahm. »Ich bin so tief in Ihrer Schuld«, sagte er, »das könnte kein volles Menschenleben abtragen, und wer weiß, wie lange ich noch zu leben habe. Gehen Sie von hier, so schnell wie möglich!«

»Mein Fortgehen war bereits beschlossen«, erwiderte Gerhard; »für einen der nächsten Tage.«

Der Förster blickte vor sich nieder, ganz wie damals auf der Schneise, einem völlig Abwesenden gleich. Nach einer Weile hob er das gesenkte Haupt und sagte: »Ich möchte Sie gar gern vorher noch einmal sehen.«

»Ich besuche Sie jedenfalls. Und jetzt – kann ich für Sie, für das arme Kind –«

Er warf einen Blick nach der in den Garben Gebetteten.

»Da werde ich selber wohl den Totengräber und Küster und Pfarrer machen müssen«, erwiderte der Förster mit schwermütigem Lächeln. »Man ist in diesem Punkte hier etwas streng. Glücklicherweise habe ich ein Stück Land, das mir zu eigen gehört. Der Herr Landrat und der Herr Pfarrer werden es wohl erlauben, daß ich sie da begrabe.«

»Ich will Ihnen diese Erlaubnis verschaffen, wenn Sie es wünschen. Darf ich zugegen sein?«

»Ich nehme es dankbar an; – heute abend – ich denke, es ist nicht zu früh: sie hat es ja auch so eilig gehabt. Einen Sarg besitze ich seit Jahren; ich wollte den Leuten möglichst wenige Umstände machen, wenn ich einmal plötzlich aus der Welt müßte; aber da sie mir zuvorgekommen, mag sie ihn haben.«

Er hatte jetzt aus freien Stücken Gerhards Hand ergriffen und, ehe sich der junge Mann dessen erwehren konnte, geküßt, war dann rasch auf den Wagen gestiegen, wo er sich zu Häupten der Toten setzte.

Die Pferde zogen an – im Galopp: ein schauerlicher Anblick für Gerhard; aber es war die einzige Möglichkeit, über den Sumpf zu kommen. Erst am festen Rande wurde die Eile vermindert.

Der Wagen mit seiner traurigen Last verschwand im Walde, Gerhard spornte den Braunen auf den Weg nach Retzow.


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