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Siebenundfünfzigstes Kapitel

Die Unterredung zwischen der Baronin und ihrem Gemahl dauerte eine geraume Zeit, aber Anna-Maria war heute nicht glücklich in ihren diplomatischen Bemühungen. Ebensowenig wie sie imstande gewesen war, den Stolz ihrer Tochter zu beugen, vermochte sie den sonst so fügsamen Gatten diesmal zu ihren Ansichten zu bekehren. Schon öfters in den langen Jahren ihrer Ehe hatte sich in dem Gatten, der ihrer höheren Einsicht sonst so blindlings vertraute, der mit einer Art von abgöttischer Verehrung an ihr hing, ein Geist des Widerspruchs geregt, oft, wo sie es am wenigsten erwartete. Sie hatte durch kluge, rechtzeitige Nachgiebigkeit dann jedesmal dergleichen Meinungsverschiedenheiten zu beseitigen gewußt, was ihr um so leichter geworden war, als es sich meistens um höchst gleichgültige Dinge handelte. Heute aber hatte sie nicht bedacht, daß der Baron ja am Ende doch sein Kind lieben und dann natürlich ihr Glück, ihre Ruhe höher anschlagen könnte als alle weltlichen Vorteile. Und nun geschah wirklich das Unglaubliche. Der alte Herr erklärte mit großer Entschiedenheit, daß er die Vorteile, die allen Beteiligten aus einer Verbindung zwischen Felix und Helene erwachsen könnten, durchaus zu würdigen wisse; daß er sich sehr gefreut haben würde, wäre diese Verbindung zustande gekommen, daß es aber schließlich doch die Ruhe und das Glück Helenens sei, um die es sich handle, und daß, wenn Helene erkläre, Felix nicht lieben zu können, die Sache damit ein für allemal abgemacht sei. Dabei blieb er, mochte Anna-Maria sagen, was sie wollte. Und Anna-Maria ließ es an Worten, ja selbst an Tränen nicht fehlen. Vergebens, daß sie Helenens Trotz, Helenens unkindliches Benehmen in der eben stattgehabten Unterredung mit den schwärzesten Farben schilderte; vergebens, daß sie dem alten Mann mit dem Äußersten drohte, ihm drohte, daß er nur zu wählen habe zwischen seiner treuen Gattin und seiner ungehorsamen Tochter, daß sie in ihrem eigenen Hause nicht die Schmach erleben wolle, ihr eigen Kind über sich triumphieren zu sehen – der alte Herr behauptete die einmal eingenommene Position mit einer zähen Hartnäckigkeit: Helene sei nicht schlecht; sie habe sich in ihrer Heftigkeit vergessen können, aber sie sei nicht schlecht, sie werde die Mutter um Verzeihung bitten, wenn sie sie beleidigt habe; aber gesetzt, sie sei nicht so gut, wie er glaube, gesetzt, sie habe sich gegen ihre Mutter vergangen, so sei das doch immer kein Grund, sie in eine ihr verhaßte Ehe zu zwingen. – Alles, was die Baronin erlangen konnte, war, daß, wenn Helene sich nicht nachgiebig zeigen sollte, sie dies elterliche Haus auf einige Zeit verlassen müsse. Der Baron willigte darein, weil er diese Trennung für das beste Mittel hielt, Mutter und Tochter wieder zusammenzubringen, wenn sich die Leidenschaft nur erst auf beiden Seiten ein wenig gelegt haben würde; und er hatte nichts dagegen, daß man Helene nach Sundin anstatt nach Hamburg schicke, da er so viel öfter Gelegenheit hatte, seine Tochter zu sehen, und er überhaupt in der Stille die ganze Maßregel für ein Provisorium hielt, dessen vermutlich sehr kurze Dauer die lange Reise nach Hamburg gar nicht verlohne. – Anna-Maria ihrerseits mußte sich notgedrungen mit diesem Resultat zufriedengeben, um so mehr, als sie fürchtete, daß Helene, wenn man sie zum Äußersten treibe, die fatale Angelegenheit mit dem Briefe zur Sprache bringen werde. Dieser Gedanke hatte sie überhaupt in der ganzen Unterredung weniger energisch erscheinen lassen, als wohl sonst ihre Gewohnheit war. Das böse Gewissen hatte sie feig gemacht und diese Feigheit dem Baron seinen Sieg wesentlich erleichtert. Er küßte seine Gemahlin auf die Stirn, wie er es nach einer Szene größerer oder kleinerer Uneinigkeit stets zu tun pflegte, dankte ihr für ihre Bereitwilligkeit, sich seinen Ansichten und Wünschen zu akkommodieren, und sprach die Hoffnung aus, daß in kurzer Zeit der gestörte Familienfrieden vollkommen wiederhergestellt sein werde.

»Es drückt mir das Herz ab, wenn ich sehe, daß die, welche ich am meisten liebe auf Erden, unter sich uneins sind«, sagte der gute alte Mann, und die Tränen standen ihm in den Augen. »Ich habe Gott alle Tage gebeten, er möge mich erleuchten, daß ich in dieser Sache das Rechte tue, wie ich es denn gern in allen Dingen täte. Es schmerzt mich, wenn ich dich gekränkt haben sollte, liebe Anna-Maria, denn ich weiß, zu welcher Dankbarkeit ich dir verpflichtet bin; aber ich habe auch Pflichten gegen meine Tochter und darf nicht zugeben, daß du sie mit dem besten Willen von der Welt unglücklich machst. Gott weiß, daß ich nur euer aller Bestes will; und nun, liebe Anna-Maria, laß uns zu Tisch gelten, denn, wenn ich nicht irre, hat Johann schon zweimal gerufen.«

Die Baronin sollte heute nicht zu Ruhe kommen.

Das melancholische Mittagsmahl, an dem weder Oswald, der Bruno nicht verlassen wollte, noch Helene, die sich mit Kopfschmerzen entschuldigen ließ, teilgenommen hatten, war vorüber, und der Baron eben fortgegangen, um sich mit Helenen auszusprechen und sich nach Brunos Befinden zu erkundigen. Die Baronin war mit Felix allein geblieben und jetzt in der äußerst peinlichen Lage, ihm sagen zu müssen, daß ihr gemeinsames Projekt an dem hartnäckigen Widerstand Helenens und der Unbeugsamkeit des Barons gescheitert sei. Und das sollte sie eingestehen, sie, die sich so viel auf die unbeschränkte Herrschaft, die sie über ihren Gemahl, über alle ihr Näherstehenden ausübte, zugute tat; sie, die diese ganze Unterhandlung nicht nur geleitet, sondern auch den ersten Impuls dazu gegeben, Felix zuerst den Vorschlag gemacht, Felix die Bedingungen gestellt hatte. Bedingungen, denen jener zum Teil schon nachgekommen war!

Wie bereute sie es jetzt, den Brief unterschlagen zu haben! Sie hatte nicht viel mehr daraus gelernt, als was sie so schon wußte, und wieviel hatte sie sich vergeben! Sie durfte jetzt nicht mit voller Strenge gegen Helene auftreten; durfte ihre »unkindliche Gesinnung«, ihre »lächerliche Bevorzugung – um die Sache nicht schlimmer zu bezeichnen – dieses Stein« dem Baron gegenüber nicht zu sehr hervorheben. Sie wußte, daß er – besonders in seiner jetzigen Stimmung – einen solchen Vertrauensbruch niemals sanktionieren würde. Ja, selbst gegen Felix, ihren Vertrauten, durfte sie nicht ganz offen sein. Sie mußte ihm sagen, daß sie die Schlacht verloren habe, und hatte nicht einmal den Trost, ihm beweisen zu können, daß es nur durch einen unglücklichen Zufall geschehen sei.

So mußte also der bittre Kelch geleert werden. Felix traute seinen Ohren kaum. Er, Felix von Grenwitz, ausgeschlagen, zurückgewiesen, mit Verachtung behandelt und in dem einzigen Fall, wo er wirklich ernste Absichten gehabt hatte? Von einem Mädchen, das eben aus der Pension kam? Und möglicherweise wem geopfert? Einem obskuren Menschen, dessen ganzes Verdienst darin bestand, beinahe wie ein Gentleman auszusehen? Felix tat, als ob der Untergang der Welt durch diese Zeichen verkündet sei. Und Helenen zu verlieren – darüber würde sich Felix getröstet haben, aber auch die Aussichten auf Bezahlung seiner Schulden, oder genauer, auf eine so wesentliche Erhöhung seines Kredits – das war das schlimmste, das, worüber Felix von Grenwitz nicht so leicht hinwegkam. Helenens Aussteuer, die Summe, die ihm sein Onkel vorschießen wollte, den zugrunde gewirtschafteten Gütern wieder aufzuhelfen – nein, so konnte man nicht mit ihm spielen wollen. Er hatte alles getan, was in seinen Kräften stand, er hatte seinen Abschied genommen; er war von der Baronin autorisiert worden, vor der Gesellschaft seine Bewerbung um Helene nicht zu verschweigen – jetzt war Dienst, Braut, Ehre – alles verloren.

»Ich werde mir eine Kugel durch den Kopf jagen!« rief Felix.

Die Baronin suchte den Aufgeregten zu beruhigen, und es gelang ihr, nachdem sie ihm die feierliche Versicherung gegeben, daß trotz der Erfolglosigkeit seiner Bewerbung die übrigen Verabredungen nicht rückgängig gemacht werden sollten.

Nachdem sie sich über diesen äußerst wichtigen Punkt geeinigt, konnten sie mit größerer Ruhe über einige andre sprechen, vor allem über den eigentlichen Grund von Helenens Weigerung.

Zu Felix' nicht geringem Erstaunen behauptete die Baronin heute geradezu, daß ein geheimes Liebesverhältnis zwischen Oswald und Helene bestehe. Sie wollte nicht sagen, was sie veranlaßte, eine frühere Vermutung jetzt für Gewißheit auszugeben; aber sie blieb bei ihrer Behauptung, bis Felix zugab, daß die Sache freilich lächerlich, aber doch nicht geradezu unmöglich sei. – »Der Mensch ist ein schlauer Intrigant«, sagte er. »Timm hat mich gleich im Anfang vor ihm gewarnt; ich habe nicht viel darauf gegeben, weil die beiden auf einem sehr guten Fuß zu stehen scheinen. Indessen, ich sehe doch ein, Timm hat recht gehabt.«

In diesem Augenblick wurde der Baronin ein expresser Brief aus Sundin eingehändigt.

»Von Herrn Timm«, sagte sie erstaunt, den Brief erbrechend, »ich bin doch neugierig, was mir der zu schreiben hat. Er hat doch sein Geld richtig erhalten. Entschuldigen Sie, lieber Felix.«

Das Erstaunen, die Bestürzung, der Schrecken, der sich, während die Baronin las, auf ihrem Gesicht malten, waren so ausgeprägt, daß Felix nicht umhin konnte, zu sagen:

»Aber Tante, was haben Sie? Sie sind ja wie die Wand so weiß geworden?«

»Oh, es ist schändlich!« sagte die Baronin, »es ist schändlich, diese Buben! Es ist eine abgekartete Sache! Ein gemeines Komplott! Diese Buben!«

»Aber um Himmels willen, was gibt es denn?« rief Felix.

»Hier, lesen Sie!« sagte die Baronin, ihm mit zitternder Hand den Brief hinreichend. Felix nahm den Brief und las:

»Gnädige Frau! Es ist nicht meine Schuld, wenn Ihnen der Inhalt dieses Schreibens mißfallen sollte. Sie wissen, mit wie großer Verehrung ich an Ihnen und Ihrer Familie hänge, mit welchem Eifer ich Ihnen stets meine geringen Dienste gewidmet, wie dankbar ich für die liebenswürdige Gastfreundschaft gewesen bin, die Sie mir stets und besonders in den letzten, so glücklich verlebten Tagen bewiesen haben. Wenn ich daher etwas sage oder tue, was mit diesen Gefühlen im Widerspruch zu stehen scheint, so können Sie mit Bestimmtheit annehmen, daß dieser Widerspruch eben nur scheinbar ist, und daß mich ein höheres Prinzip als persönliche Freundschaft und individuelle Hochachtung zum Handeln zwingt: nämlich die Achtung vor der Gerechtigkeit, die wir allen schuldig sind.

Dieses mir innewohnende Rechtlichkeitsgefühl aber (ein Erbstück ohne Zweifel meines seligen Vaters) will, daß ich Ihnen eine höchst eigentümliche Entdeckung, die ich in diesen Tagen gemacht habe, und die für Sie von einer gewissen Bedeutung sein dürfte, nicht einen Augenblick länger vorenthalte.

Sie wissen, daß mein verstorbener Vater die Stellung eines Advokaten in Grünwald bekleidete, daß seine Praxis ebenso groß war wie der Ruf seiner Rechtlichkeit, Gewissenhaftigkeit und Klugheit, und daß die angesehensten Familien des Landes zu seiner Klientel gehörten. Unter anderen stand er auch mit dem verstorbenen Herrn Baron Harald von Grenwitz in steter Geschäftsverbindung, aus der sich, wie mir mein seliger Vater oft erzählt hat, wenn er auf vergangene Zeiten zu sprechen kam, eine Art Freundschaft entwickelte. Wenigstens behauptete mein Vater, daß der verstorbene Baron ihn selbst in den delikatesten Familienangelegenheiten wiederholt konsultiert habe. Die Wahrheit dieser Behauptung wird bestätigt durch die Entdeckung, von der ich eben spreche.

Sie besteht in der ganz zufälligen Auffindung mehrerer Bündel Briefe und Papiere, die sämtlich dem Herrn Baron Harald gehörten und die dieser meinem Vater zu einem Zwecke, der nicht angegeben (denn es befindet sich dabei keine Erläuterung weder von der Hand meines Vaters, noch der des Barons), übermacht hat. Aller Wahrscheinlichkeit nach sollten sie meinem Vater dienen, ihm die Auffindung jenes Kindes, dem der Herr Baron in dem Kodizill seines Testaments das bewußte Legat aussetzte, zu erleichtern oder überhaupt möglich zu machen. Soviel wenigstens steht fest, daß eine solche Recherche nur mit Hilfe dieser Briefe und Papiere angestellt und zu einem glücklichen Resultat gebracht werden kann. Auch bin ich überzeugt, daß nur sein plötzlicher Tod meinen Vater verhindert hat, dieses Resultat herbeizuführen, und daß ein geschickter Jurist noch zu jeder Zeit die Fäden, die der Hand meines Vaters entfielen, wieder aufnehmen könnte.

Die Schriftstücke sind a) ein Bündel Briefe einer gewissen Mademoiselle Marie Montbert an Baron Harald von Grenwitz; b) ein dito des Herrn Barons an Mademoiselle Montbert; c) mehrere Briefe eines gewissen Monsieur d'Estein an Mademoiselle Montbert; d) verschiedene Familienpapiere der Mademoiselle Montbert; e) eine vollständige Abschrift des von dem Herrn Baron Harald hinterlassenen Testaments nebst dem Kodizill, in dem, wie Ihnen bekannt ist, nicht nur die Bedingungen angegeben sind, die der Herr Erblasser an die Auslieferung des Legats geknüpft hat, sondern auch die Mittel und Wege, die am wahrscheinlichsten zu einer Entdeckung des zu jener Zeit noch ungeborenen Kindes resp. dessen Mutter führen können. Sie wissen, daß in diesem Erläuterungsbericht die Namen der Mademoiselle Montbert und des Monsieur d'Estein vorkommen, und es versteht sich von selbst, daß die genannten Personen mit denen, die jene Briefe schrieben, identisch sind.

Bis hierher hat alles, was ich Ihnen berichtete, für den Unbefangenen und Unbeteiligten wenigstens, nichts besonders Überraschendes. Was ich Ihnen aber jetzt zu sagen habe, ist so außerordentlich, daß ich um die Erlaubnis bitten muß, Ihnen darüber mündlichen Bericht erstatten zu dürfen. Ich will nur so viel andeuten, daß in den Briefen des Mr. d'Estein der Name vorkommt, den dieser Herr, nachdem er die Flucht der Mademoiselle Montbert von Grenwitz bewerkstelligt haben würde, für die Zukunft annehmen zu wollen erklärt, und daß dieser Name (Sie brauchen nur das d' und E wegzulassen) mit dem Namen eines Herrn, der seit einiger Zeit in Ihrer Familie lebt, übereinstimmt. Ich füge hinzu, wie ich für mein Teil von der Identität dieser Person mit dem noch immer unbekannten Erben von Stantow und Bärwalde (besonders auch infolge von Mitteilungen, die mir die bewußte Person über ihre Familienverhältnisse und frühesten Erinnerungen machte) durchaus überzeugt bin.

Doch ist diese meine individuelle Überzeugung natürlich noch immer nicht bewiesen, und ich nehme daher Anstand, sie, wie ich wohl müßte, der bewußten Person mitzuteilen, um nicht Hoffnungen in ihr zu erregen, die doch möglicherweise nicht realisiert werden könnten.

Ich breche hier ab, um meinem mündlichen Referat (kommen Sie vielleicht in nächster Zeit nach Sundin? Oder befehlen Sie, daß ich Ihnen in Grenwitz aufwarte?) nicht zu viel vorwegzunehmen und dem Papiere nicht unnötigerweise noch mehr anzuvertrauen.

Genehmigen Sie, gnädige Frau, den Ausdruck usw.«

»Hier ist noch ein Verte!« sagte Felix, das Blatt umwendend.

»P. S. Ich habe die Absicht, sämtliche Papiere, da sie mir in meiner Wohnung nicht sicher genug verwahrt scheinen, einem Advokaten zu übergeben, im Falle Sie nicht (was aber schleunigst geschehen müßte) anders darüber verfügen sollten.«

»Da schaut der Fuchs zum Loche heraus!« sagte Felix. »Im Falle Sie nicht anders darüber verfügen sollten, unterstrichen; d. h. haben Sie die Güte, mir die Summe zu nennen, die Sie für diese Papiere zahlen zu können glauben, und die Sache bleibt unter uns. – Ja, ja, der Timm ist ein geriebener Bursche, das habe ich schon vor heute gewußt!«

»Also glauben Sie, daß er wirklich diese Papiere gefunden hat?« fragte die Baronin erstaunt.

»Warum nicht?« sagte Felix. »Ich finde das Ding äußerst wahrscheinlich und rate Ihnen, sich die Papiere in aller Eile zu kaufen, ehe sie im Preise steigen.«

»Und glauben Sie auch, daß dieser – daß dieser Mensch – ich kann es kaum über die Lippen bringen, daß dieser Stein wirklich Haralds Sohn ist?«

»Möglich ist es immer!« sagte Felix.

»Nein, es ist nicht möglich«, rief die Baronin mit großer Heftigkeit, »es ist alles ein höllischer Lug und Trug, ein abgekartetes Spiel zwischen den beiden Gaunern. Die Briefe sind gefälscht, sind von beiden, während sie hier die Köpfe zusammensteckten, geschmiedet und geschrieben worden. Es ist eine pure Erfindung, um uns einen Schrecken einzujagen und Geld abzuschwindeln – oder gar! Jetzt hab ich's! Sehen Sie denn nicht Felix, wo das alles hinaus will? Auf Helene haben sie es abgesehen! Dem einen Geld, dem andern das Mädchen! Wahrhaftig! Trefflich, trefflich! Schade, daß Helene nicht auch darüber an Mary Burton geschrieben hat, denn ich wette, sie ist mit im Komplott! Aber nichts sollen sie haben! Nichts, nichts, nicht einen Taler – keinen Groschen!«

»Nehmen Sie die Sache nicht zu leicht, Tante!« sagte Felix. »Timm ist ein sehr gewitzter Bursche, und wenn die Briefe wirklich gefälscht sind, so können Sie sich darauf verlassen, daß es keine Stümperarbeit ist und uns sehr viel zu schaffen machen kann. Wollen Sie meinen Rat hören?«

»Nun?«

»Lassen Sie mich morgen oder wann es ist, nach Sundin gehen und mit Timm sprechen. Ich habe in früheren Zeiten schon manche absonderliche Unterhandlungen mit ihm geführt; er weiß, daß er mir kein X für ein U machen kann. Ohne Geld kommen wir freilich nicht los; aber ich kriege die Papiere billiger als Sie oder ein anderer.«

»Und was soll mit Herrn Stein geschehen?«

»Den jagen wir mit Schimpf und Schande fort. Wollen Sie mir auch dies Geschäft überlassen?«

»Ja, tun Sie, was Sie wollen, aber befreien Sie mich von diesem Menschen!«

»Ich will es schon machen. Es findet sich heute abend wohl eine Gelegenheit. Mit je mehr Eklat es geschieht, desto besser. Es soll ihm schon die Lust vergehen, mit uns noch einmal anzubinden. Sie werden doch dem Onkel nichts von alldem sagen?«

»Um Himmels willen nicht!« rief die Baronin. »Er wäre imstande, heute noch Herrn Stein als unsern lieben Verwandten der Gesellschaft vorzustellen. Er ist ja schon beinahe kindisch! Ich kann mich von heute an in nichts mehr auf ihn verlassen.«

»Nun denn«, sagte Felix, seiner Tante die Hand küssend, »so verlassen Sie sich auf mich. Wir wollen die Sache schon glücklich zu Ende bringen. – Aber ich glaube, liebe Tante, es ist die höchste Zeit, daß wir Toilette machen. Um Himmels willen! Fünf Uhr! Und um sechs fängt die Gesellschaft an – wie soll ich in einer Stunde fertig werden!«


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