Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Mit Melitta schien der gute Genius aus der Gesellschaft gewichen und allen Dämonen freies Spiel gegeben. Immer lauter kreischten die Geigen, immer feuriger wurden die Blicke der Herren, immer frivoler ihre Rede, immer üppiger und leidenschaftlicher die Bewegungen der Tänzerinnen. Und noch immer floß der Champagner in Strömen. Frische Lichter waren während des Abendessens überall auf den Kronleuchtern der Säle und rings in den Zimmern aufgesteckt – es schien, als ob die Lust kein Ende nehmen solle, nehmen könne. Auch die älteren Herrschaften hatten sich wieder an die Spieltische begeben; aus einem kleinen Nebenzimmer, in welches fünf oder sechs Herren sich zurückgezogen hatten, hörte man das Klingen von Goldstücken und ein gelegentliches: Faites votre jeu, messieurs!

Oswald hatte sich vor dem Beginn des zweiten Tanzes nach Herrn und Frau von Grenwitz umgesehen, denn er hatte nicht bemerkt und erfuhr erst jetzt, daß diese die Gesellschaft schon vor dem Abendessen verlassen hatten, und daß der Wagen wiederkommen würde, ihn abzuholen. Er hatte Melitta, da sie nicht in dem Ballsaal erschienen war, in einem der andern Zimmer vermutet. Ein Diener, der mit einem Präsentierbrette voll Weingläser an ihm vorübereilte, antwortete auf seine Frage, ob er Frau von Berkow nicht gesehen habe? »Die gnädige Frau ist soeben fortgefahren. Befehlen Limonade oder Champagner?« Oswald nahm ein Glas Wein und leerte es auf einen Zug. Fortgefahren – ohne Abschied! »Vortrefflich«, murmelte er, indem er sich in den Ballsaal zurückbegab.

Und immer nächtiger wurde es in seiner Seele. Jetzt zürnte er nicht mit sich, daß er die Geliebte so schnöde gekränkt und sie so gekränkt hatte ziehen lassen, sondern ihr, daß sie fortgegangen war, ohne ihm Gelegenheit zu geben, sie um Verzeihung zu bitten. Ihm war zumute, wie einer Seele zumute sein könnte, die in ihren Sünden zur Hölle gefahren ist, weil sie des Priesters Absolution verschmähte, und die nun gegen sich selbst und gegen den unschuldigen Priester wütet. Tolle Gedanken wirbelten durch sein überreiztes Gehirn – es wäre ihm eine Wollust gewesen, wenn einer von diesen jungen Adeligen, durch seinen Übermut beleidigt, ihm feindlich entgegengetreten wäre. Ja, er legte es darauf an, er witzelte und spöttelte auf die übermütigste Weise; aber entweder verstanden die Halbberauschten ihn nicht oder sie hatten noch so viel Verstand behalten, einzusehen, daß ein Duell mit einem Manne, dessen Kugel unfehlbar war, eine Sache sei, die wohl bedacht sein wolle. Er suchte sich zu überreden, daß von den anwesenden Damen mehr als eine vollkommen so schön und liebenswürdig sei wie Melitta – daß es lächerlich sei, sich um die Abwesende zu grämen, da ihn hier mehr wie ein feuriges Auge zu entschädigen versprach... Warum sollte er sich nicht in Emilie von Breesen verlieben? Warum nicht? Sie war eine Knospe, die zu einer wundervollen Rose aufblühen mußte. Warum sollte er nicht den ersten Blick in dieses schwellende Knospenleben tun? Sich nicht zuerst an dem Duft dieser frischen Blume berauschen? Und war sie nicht schlank und geschmeidig wie ein Reh? Und war ihr rosiger Mund nicht schon zu einem wollüstigen Kusse halb geöffnet? Und blickte sie nicht mit so großen, grauen, halb scheuen, halb kecken, halb neugierigen und halb verständnisklaren Augen zu ihm auf, wie er jetzt über die Lehne ihres Stuhles gebeugt mit ihr schwatzte?

»Sie müssen uns ja besuchen, Herr Stein! Ich lade Lisbeth noch dazu, und dann reiten wir zusammen spazieren.«

»Lassen Sie Fräulein von Meyen nur zu Hause. Ich ziehe die Duetts den Terzetts bei weitem vor.«

»Ist das wahr? Aber meine Cousine ist ein sehr hübsches Mädchen. Finden Sie nicht?«

»Fräulein Lisbeth ist ein reizendes Wesen, das nur den einen Fehler hat, Sie zur Cousine zu haben, und nur den einen Fehler begeht, sich zu häufig neben Sie zu stellen.«

»Warten Sie, das sage ich ihr wieder –«

»Sie würden mich dadurch dem Haß der jungen Dame aussetzen und mir dafür eine Entschädigung schuldig sein.«

»Und liegt diese Entschädigung in meiner Macht?«

»Nein, in Ihren Augen.«

»Sie Spötter, kommen Sie, die Reihe ist an uns.«

Oswald hatte sich in der folgenden Pause zwecklos in den Zimmern umhergetrieben. Als er in den Ballsaal zurückkam, sah er sich vergeblich nach Emilie von Breesen um. Halb und halb sie suchend und auch wieder ohne Plan, von seinen bösen Gedanken gejagt, weiterirrend, geriet er in eine andere Flucht von Zimmern, die an der den Spielzimmern entgegengesetzten Seite an den Ballsaal stieß und in denen er bis jetzt noch nicht gewesen war. Nur hier und da brannte noch ein halb verlöschendes Licht auf einem Wandleuchter oder vor einem Spiegel und zeigte ihm, wie in einem bösen Traum ein altes gebräuntes Familienporträt oder sein eigenes bleiches Gesicht. Die Stühle standen wirr durcheinander. Die Fenster waren mit Vorhängen verhüllt. Durch die Spalten schimmerte der Mond, der jetzt aufgegangen war, herein und zeichnete hier und da einen hellen Streifen auf die Teppiche des Fußbodens. Oswald trat, um frische Luft zu schöpfen, an eins dieser Fenster. Als er den dunkelroten, schweren Vorhang zurückschlug, fuhr eine weiße Gestalt, die in der tiefen Nische des Fensters auf einem niedrigen Rohrsessel gesessen und den Kopf in die Hand gestützt hatte, scheu empor und stieß einen leisen Schrei der Überraschung aus. Oswald wollte den Vorhang wieder fallen lassen und sich zurückziehen, als die Gestalt einen Schritt auf ihn zutrat und die Hand lebhaft nach ihm ausstreckte. Und ein Paar weiche Arme umschlangen ihn und ein knospender Busen wogte stürmisch an seiner Brust; zwei glühende Lippen preßten sich auf seinen Mund und eine leise Stimme hauchte: »Oswald, o mein Gott, Oswald!«

Ein Knabe, der mit seinem Schwesterchen gespielt und aus Unachtsamkeit das Kind schwer verletzt hat, kann nicht bestürzter und erschrockener sein, wenn er das Blut der Kleinen fließen sieht, wie es Oswald war, als er die Tränen des Mädchens auf seiner Wange fühlte. Sein wahnsinniger Rausch von Liebe und Eifersucht war in einem Augenblicke verflogen. Was hatte er getan? Er hatte die schnöde Rolle des listigen Finklers gespielt; er hatte das arme Vögelchen mit Schmeichelworten und Liebesblicken gelockt, bis es zu ihm herangeflattert kam und sich an seinen Busen schmiegte.

»Mein Fräulein«, flüsterte er, indem er sanft den Kopf des Mädchens, das jetzt leise an seiner Brust schluchzte, emporzuheben suchte, »Emilie, teures Kind, um Gottes willen, beruhigen Sie sich! Bedenken Sie, wenn jemand Sie hier sähe, oder hörte –«

»Was gehen mich die andern an, ich liebe dich«, murmelte das Mädchen.

»Mein bestes Fräulein, ich beschwöre Sie, kommen Sie zu sich, machen Sie sich nicht unglücklich –«

»So lieben Sie mich nicht«, sagte das leidenschaftliche Mädchen, sich schnell emporrichtend, »So lieben Sie mich nicht? Gut, ich gehe.« Sie machte einen Schritt nach dem Vorhang hin, aber die Leidenschaft hatte ihre Kräfte aufgezehrt. Sie schluchzte laut auf und wäre zu Boden gestürzt, hätte Oswald sie nicht in seinen Armen aufgefangen. Seine Lage war so peinlich wie möglich. Zu jedem Augenblick fürchtete er, Stimmen in dem Zimmer zu hören, den Vorhang zurückgeschlagen zu sehen – und wiederum, die Ärmste in diesem Zustand halber Ohnmacht zu verlassen, zumal da er ihr schicklicherweise niemand zu Hilfe senden konnte, war ihm unmöglich. Und doch mußte er sich losreißen, denn er fühlte, wie das für einen Augenblick zurückgedrängte Fieber seiner Sinne, je länger diese wunderliche Situation währte, wieder heiß und immer heißer durch seine Adern zu rieseln begann. – Zärtliche, liebevolle, leidenschaftliche Worte mischten sich, er wußte selbst nicht wie, in seine leisen Bitten; eine unwiderstehliche Gewalt drückte ihm den jugendlichen Leib fester und fester in die Arme, ließ seine Lippen flüchtig die Lippen, die Augen, das Haar des holden Geschöpfes berühren. Mehr als alle Worte es vermocht hätten, brachten diese Zeichen der Liebe das leidenschaftliche Kind wieder zu sich.

»So liebst du mich also doch, Oswald?« flüsterte sie, sich innig an ihn schmiegend.

»Ja, ja, Holde, wer könnte so grausam sein, dich nicht zu lieben. Aber bei Ihrer Liebe beschwöre ich Sie, verlassen Sie mich jetzt, ehe es zu spät ist. Ich sehe Sie im Saale wieder.«

Das Mädchen legte noch einmal ihren Kopf an seine Brust, als ahnte ihr, daß er da zum ersten und zum letzten Male geruht, und hob noch einmal den Mund zum Kusse zu ihm empor, als wüßte sie, daß so süße verstohlene Küsse sie nun und nimmer wieder im Leben geben und empfangen würde. – Die weiße, schlanke Gestalt war verschwunden, und nur der Mondschein flimmerte auf dem dunkelroten Vorhang, der das Fenster von dem Zimmer trennte. Und jetzt, als Oswald die Hand an den Vorhang legte, sich womöglich auf einem Umwege wieder in den Ballsaal zurückzubegeben, hörte er die Stimme zweier Männer, die soeben in das Gemach traten.


 << zurück weiter >>