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Siebzehntes Kapitel

»Wie gesagt, lieber Kollega, mein Vater war ein Pastor, mein Großvater, ja was sage ich: meine beiden Großväter waren Pastoren, denn meine Mutter war eine Pfarrerstochter; mein Urgroßvater väterlicherseits war wenigstens ein Küster, der die Tochter eines Schäfers, also auch eines Pastors heiratete. Weiter habe ich meinen Stammbaum nicht verfolgen können – aber ex ungue leonem! Sie sehen, daß bis auf mich herab das eigentliche Geschäft meiner Vorfahren das Weiden von Herden – Menschen- oder Schafherden – gewesen ist. Auch auf mir scheint der Geist meiner Ahnen zu ruhen. Tiere auf die Weide bringen, war von jeher meine Leidenschaft, und noch jetzt kann ich stundenlang an das Gatter einer Koppel gelehnt stehen und den Kälbern und Füllen zusehen – es ist ohne Zweifel etwas Paradiesisches in diesem Zustand behaglichen Genusses, der uns an die Urzeit der Menschen, mich zum wenigsten sehr lebhaft an meine Jugendzeit erinnert. Denn mein erster Freund war ein Gänsejunge, später war ein kleiner Schweinehirt mein Pylades, und der vertraute Umgang mit diesem Eumaeus postumus hat mich aus der Lektüre gewisser Gesänge der Odyssee einen Genuß schöpfen lassen, der anderen, welche ohne meine gründliche Vorbildung darangehen, ganz unerklärlich sein muß. Als mein Pylades zum Rinderhirten avancierte, verließ ich weinend mein Heimatdorf, um nach Grünwald aufs Gymnasium zu gehen, wo ich sogleich in die Tertia eintrat und von Lehrern und Schülern als ein kleines Ungeheuer angestaunt wurde, von letzteren in Anbetracht meiner fabelhaften Toilette, in der ein Paar Hosen, die bis zum Knie hinauf aus gutem Rindsleder bestanden, noch nicht das merkwürdigste Stück war – von ersteren wegen meiner nicht weniger fabelhaften Gelehrsamkeit. Ich wußte den halben Virgil auswendig, las das neue Testament in der Ursprache so fließend wie meine Mitschüler Luthers Übersetzung – und das alles mit dreizehn Jahren! Mir graut jetzt selbst, wenn ich daran denke. Damals indessen kam mir das alles sehr zustatten; denn mein Vater, der eine zahlreiche Familie zu ernähren hatte und so arm war wie die Mäuse in seiner Kirche, konnte mir außer seinem Segen und sechs Empfehlungsbriefen an ebensoviele mitleidige Familien, die sich jede zu einem Freitisch wöchentlich verstanden – den siebenten Tag, an welchem ich keinen Freitisch hatte, setzte ich notgedrungen zum Fasttage ein für allemal ein –, so gut wie nichts mit in die Stadt geben. Ich war also gänzlich auf mich angewiesen; aber ich hatte durchaus keine kostbaren Gewohnheiten, statt dessen aber das Talent, von einem Butterbrote satt zu werden, bei einem Tranlämpchen lesen und mit zugespitzten Schwefelhölzern schreiben, meine sechs Schulstunden absitzen und noch ebensoviele Privatstunden geben zu können, so daß ich nicht nur die Miete für mein Dachstübchen und alles unumgänglich Notwendige pünktlich bezahlte, sondern auch schon nach zwei Monaten meine ledernen Hosen mit einem Paar von städtischerem Stoff und Schnitt vertauschen durfte. Den Spitznamen Lederstrumpf indessen, den meine Mitschüler mir gegeben hatten und den bei dieser Gelegenheit loszuwerden, meine stille Hoffnung und die eigentliche Veranlassung meines Luxus gewesen war, behielt ich nach wie vor; und das war meine gerechte Strafe. Daß mir es im übrigen in der Schule gut ging, verdankte ich besonders einer nicht ungeschickten Politik, die ich unausgesetzt verfolgte. Ich hatte nämlich bald herausgefunden, daß die Stärksten und Größten in der Klasse auch zugleich immer die Dümmsten und Faulsten waren. Ich verfehlte also niemals, mit ihnen ein Schutz- und Trutzbündnis abzuschließen, das hauptsächlich auf folgende zwei Bedingungen basiert war: Ich mache dir deine Arbeiten, und dafür prügelst du mich weder selbst, noch gibst du zu, daß mich ein anderer prügelt; und ich muß gestehen, daß dieser Vertrag stets unverbrüchlich gehalten wurde. Als ich siebzehn Jahre alt war, fand mein Lehrer, daß ich schon seit einem Jahre zur Universität reif sei, wenn darunter nämlich verstanden wird, daß man mit Schulkenntnissen aller Art angefüllt ist wie ein Ei voll Dotter, im übrigen aber so unwissend und hilflos wie ein Küchlein, das eben aus der Schale kroch. Daß ich Theologie studierte, stand natürlich für mich so fest, als daß ich einmal sterben müßte. Söhne von pensionierten Hauptleuten werden ins Kadettenkorps gesteckt, und Söhne von armen Landpastoren ins theologische Seminar geschickt: das ist so selbstredend wie irgendein anderes Stück der Naturgeschichte. – Wohl; ich studierte also Theologie, das heißt, ich ging fleißig ins Kolleg und schrieb ganze Wagenladungen voll der abstrusesten Gelehrsamkeit. Im übrigen setzte ich so ziemlich mein Leben so fort, wie ich es von der Schule gewohnt war, selbst mein Dachstübchen hatte ich behalten, und Privatstundengeben war mein Erwerbsquell nach wie vor, um so mehr, als jetzt einer meiner jüngeren Brüder bei mir lebte, dem ich das kleine Stipendium, das ich von der Universität erhielt – Sie wissen, daß in Grünwald ein Student ohne Stipendium eine rara avis ist –, überließ sowie die Freitische, die ich jetzt entbehren konnte, da die Karawanserei des Konvikts mir ihre gastlichen Tore geöffnet hatte. So verging das Triennium in etwas monotoner, aber nicht unbehaglicher Weise. Ein Tag sah so ziemlich aus wie der andere; nur der Mittwoch hatte für mich eine etwas finstere Physiognomie, weil es an ihm Erbsen mit Schweinefleisch im Konvikt gab, ein Gericht, an das ich mich, trotz meiner liberalen Grundsätze in dieser Beziehung, niemals habe gewöhnen können. Ich mußte jedesmal, wenn die Schüssel zu mir kam, an die schönen Sommermorgen denken, die ich im Eichwalde zugebracht hatte, wenn mein Eumaeus postumus seine Herde weidete und ich die Eklogen des Virgil dazu las; und dann blieb mir der Bissen im Munde stecken. Sie werden das wahrscheinlich sehr sentimental finden, aber es hat ja jeder seine Schwächen. – Vom Leben sah ich während dieser Zeit ungefähr so viel wie ein Kamel in der Menagerie von der Wüste. Mein Umgang war äußerst beschränkt, er richtete sich wesentlich nach meinen Mitteln; wie ich denn überhaupt glaube, daß zwischen diesen beiden eine Art Wechselverhältnis stattfindet; wenigstens bemerkte ich, daß die wohlhabenderen Studenten immer herdenweise angetroffen wurden, während die ärmeren einzeln durch die Gassen schlichen! Ich weiß nicht, ob das im Leben auch so ist. Vor diesen wohlhabenderen Studenten – denn es gibt deren selbst in Grünwald, und in meinen Augen war ein jeder, der einen sicheren Wechsel von fünfzig Talern jährlich hatte, ein Krösus – empfand ich übrigens allen möglichen Respekt. Diese schnurrbärtigen, gestiefelten Kater erschienen mir als sehr absonderliche Geschöpfe Gottes, und ich konnte nie recht begreifen, wie eine doch sonst auf die Ruhe ihrer Untertanen so eifersüchtige Regierung sie in ihrer ganz unzivillsierten Freiheit umherlaufen lassen könne. Ich muß gestehen, daß ich die drei Jahre hindurch in einer beständigen Furcht vor einer Herausforderung lebte. Nicht, als ob es mir an persönlichem Mut gebräche! Ich habe glücklicherweise hernach ein paarmal im Leben Gelegenheit gehabt, mich vom Gegenteil zu überzeugen; ich fürchtete nur die Schiefheit der Lage, in die ich mich bei einer solchen Eventualität versetzt sehen würde. Den ganzen sogenannten Komment hielt ich nämlich von jeher für den abominabelsten Unsinn, verderblich für die Gesundheit, viel verderblicher aber noch für die Moral, denn er zwingt die jungen Gemüter, ihr eigenes Denken und Fühlen heroisch dem Moloch eines barbarischen Ehrbegriffs, der lächerlichsten Karikatur eines Kodex der Moral, der je erfunden ist, zu opfern, und gewöhnt sie auf diese Weise systematisch an jenes blinde katholische Gehorchen, welches mir die eigentliche Sünde gegen den heiligen Geist zu sein scheint. Ich weiß nicht, ob wir hierin einer Ansicht sind, Herr Kollega?«

»Vollkommen«, antwortete Oswald. »Und nun rechnen Sie zu den Übelständen dieses modern-mittelalterlichen Studentenlebens, daß die Jünglinge gerade in einer Zeit, wo der Mensch am empfänglichsten ist für die Eindrücke der Außenwelt, sich hermetisch in ihrer leidigen Kneipe abschließen, anstatt die gute Gesellschaft aufzusuchen, die ihnen den Schliff geben könnte, der ihnen wahrhaftig so sehr fehlt, daß sie in den Jahren, wo selbst später sehr bornierte Aristokraten für Freiheit schwärmen, sich der exklusivsten Exklusivität befleißigen, und in dem Glanz ihrer bunten Kappen und kindischen Troddeln noch verächtlicher auf den Philister herabsehen als der Gardeleutnant auf den Zivilisten; daß sie in der Periode, wo sie anfangen sollten, sich als Mitglied eines großen Ganzen, als angehende Bürger zu fühlen, anfangen, einen Staat im Staate zu errichten: so haben Sie wahrlich beisammen, was einem nur halbwegs verständigen Jüngling den Geschmack an solchem albernen Studentenleben gründlich verleiden könnte.«

»Ja«, sagte Bemperlein, »und es ist ganz auffallend, wie lange der Rausch, den sich die jungen Leute während ihrer glorreichen Studentenzeit trinken, anhält. Da ist hier in der Nähe unser Landrat – ein Herr von Sylow, ein Mann von vierzig Jahren –, der seit mindestens zehn Jahren verheiratet ist. Gestern nun, als ich mit Julius dort meinen Abschiedsbesuch machte – die Kinder sind von jeher sehr viel zusammen gewesen –, kam der Landrat nach dem Abendessen auf seine Universitätszeit zu sprechen, und gab uns, das heißt seinem Hauslehrer und mir, einen Abriß seiner studentischen Heldentaten. Glücklicherweise war mein Kollege seinerzeit ein flotter Bursch in Halle gewesen, und konnte dem Landrat auf seine Fragen über den heutigen Stand des Komments die nötige Auskunft geben. Und nun hätten Sie den edlen Herrn sich sollen ereifern hören über die Versunkenheit des heutigen Studentenlebens, über die geringe Zahl der Paukereien, die unwürdig kleine Quantität Biers, so während eines Abends vertilgt würde, und so weiter und so weiter. Dabei glänzten seine Augen bei der bloßen Erinnerung an die versunkene Herrlichkeit, und er sprach sich in solche Rührung hinein, daß er schließlich den sentimentalen Wunsch äußerte, alle die rheinischen Demokraten, wie er sie nennt, die auf dem letzten Provinzial-Landtage wiederum die alten gotteslästerlichen Petitionen um Preßfreiheit, Freizügigkeit usw. eingebracht hätten, möchten nur einen Hals haben, damit – er machte eine bezeichnende Handbewegung – des Geschreies endlich einmal ein Ende würde.«

»Natürlich«, sagte Oswald, »wenn die Herren jung sind, singen sie: ›Freiheit, die ich meine‹, das klingt sehr poetisch, wenn man es hört, und sie selbst singen sich dabei in eine gelinde Rührung hinein, in der sie halb und halb glauben, sie hätten in der Tat eine Meinung. Das ist aber eine reine Einbildung, oder im Falle ja einmal einer wirklich etwas meint, so ist es die Freiheit, den Philister verhöhnen, Fenster einwerfen, die öffentlichen Lokale unsicher machen und andere Heldentaten ungestraft verrichten zu können, und dann die spätere Freiheit, als ganz gehorsamster Endesunterzeichneter in tiefuntertänigster Demut zu ersterben, wenn man es nur bis zum Subalternbeamten, und die Subalternbeamten und die ganze übrige Menschheit en canaille behandeln zu können, wenn man es bis zum Verwaltungschef gebracht hat. Aber wir sind von unserem Thema abgekommen. Die böse Alternative, entweder gegen Ihre persönliche Ehre oder gegen die Standesehre verstoßen zu müssen, wurde Ihnen hoffentlich erspart?«

»Ja, dank der Vorsicht, die ich anwandte, vor den gestiefelten Katern meine Mauseexistenz möglichst geheimzuhalten. Als das Triennium vorbei war, und ich mein erstes theologisches Examen bestanden hatte, war es mit meiner Besorgnis ohnedies vorbei, denn einem ehrsamen Kandidaten des Predigeramtes verdenkt es schon niemand, wenn er nichts von Terzen und Quarten wissen will. Ich hätte jetzt am liebsten sogleich auf dem Lande eine Stelle als Hauslehrer angenommen, aber mein Bruder war erst nach Prima gekommen, und ich wollte ihn die zwei Jahre, die er noch auf dem Gymnasium bleiben mußte, nicht allein lassen, da ich ihn in der Kunst, mit Schwefelhölzern zu schreiben und in den übrigen Geheimnissen des Lebens eines Dorfpfarrersohnes in der Stadt nicht so perfekt sah, wie es im Interesse der Familie wünschenswert schien. Denn dieser zweite Bruder sollte an seinem jüngeren Bruder die Stelle vertreten, die ich an ihm vertreten hatte, und dieser jüngere Bruder mußte um dieselbe Zeit auf die Tertia des Gymnasiums kommen, wenn jener die Universität bezog; ebenso wie ich anfing zu studieren, als er nach Tertia kam.«

»Aber wie ist denn das möglich«, sagte Oswald erstaunt.

»Ja, sehen Sie, Wertgeschätzter«, antwortete Herr Bemperlein, »wie es möglich ist, kann ich Ihnen nicht sagen, daß es aber der Fall ist, kann ich beschwören. Ich bin der älteste meiner Geschwister, und am zweiundzwanzigsten März geboren; dann kommt eine Schwester genau zwei Jahre jünger, denn sie ist am einundzwanzigsten März geboren, darauf ein Bruder, darauf wieder eine Schwester, darauf wieder ein Bruder und wieder eine Schwester. Wieviel sind das?«

»Ein halbes Dutzend, sollte ich meinen«, sagte Oswald lächelnd.

»Ganz richtig, ein halbes Dutzend, alle zwei Jahre auseinander und alle im März geboren, mit Ausnahme meiner jüngsten Schwester, die am ersten April zur Welt kam. Sie ist aber auch eine kometenhafte Erscheinung in unserem Planetensystem und sozusagen das Wunderkind der Familie. Denken Sie sich, sie ist erst achtzehn Jahre und schon verlobt.«

»Ich sehe bei der ohne Zweifel großen Liebenswürdigkeit Ihres Fräulein Schwester nichts Außerordentliches darin«, bemerkte Oswald.

»Nichts Außerordentliches«, rief Herr Bemperlein, »nichts Außerordentliches? Ein solches Kind? Heiraten! Mit achtzehn Jahren! Ich weiß wirklich nicht einmal, ob das überhaupt psychologisch und physiologisch zulässig ist; – Sie lachen? Mag sein: ich habe mich auf die Weiber nie verstanden und wüßte auch nicht, wie ich zu dieser Kenntnis gelangt sein sollte; der Herr müßte sie mir denn, von wegen meiner absonderlichen Einfalt, im Traum geschenkt haben. Also ich blieb noch fast zwei Jahre in Grünwald, gab Privatstunden, hielt Repetitorien mit jungen Studenten, die vor dem Examen standen und im Kommersbuche besser Bescheid wußten als in den Kirchenvätern, und verdiente so viel, daß ich nicht nur selbst sehr gut leben konnte – den Fasttag hatte ich aus reiner Gewohnheit beibehalten –, sondern auch meinen Bruder pflichtschuldig unterstützte. Dieser Bruder machte mir damals einigermaßen Sorge – die sich hernach als unnötig erwiesen hat, denn er ist jetzt in seinem vierundzwanzigsten Jahre schon wohlbestallter Hilfsprediger, aber er lernte etwas schwer, hatte schwache Augen und war gegen Hunger und Kälte auf eine mir unbegreifliche Weise empfindlich. Ich sah deshalb ein, daß es eine Barbarei sein würde, ihm die Sorge für meinen jüngsten Bruder, der jetzt auf die Schule kam, zuzumuten, zumal dieser ein sehr schwächlicher Knabe war – er ist jetzt ein kräftiger Bursche von zwanzig Jahren, ein braver, fleißiger Junge, der nächstens sein erstes theologisches Examen machen wird – ja, was wollte ich sagen: richtig, er war damals ein schwächlicher, kränklicher Knabe und bedurfte größerer Pflege. Für beide aber das Nötige herbeizuschaffen –«

»Und für Sie selber«, schaltete Oswald ein.

»Nun, das war das wenigste, aber ich sah ein, daß es so nicht länger ging, und da kam mir denn die Hauslehrerstelle in Berkow, die mir zu der Zeit angeboten wurde, gerade recht. Vollkommen freie Station, ein fabelhaftes Gehalt – ich war überglücklich. Jetzt hatte ich beide Arme frei und konnte endlich einmal etwas für die Familie tun.«

»Ich dächte, Sie hätten das stets nach Kräften oder über Ihre Kräfte getan«, sagte Oswald.

»Ach, Spaß«, sagte der andere, »die Lust war groß, aber die Kraft gering, und jetzt war die Unterstützung nötiger als je. Meine gute Mutter hatte schon lange gekränkelt, jetzt verfiel auch mein Vater in eine schwere Krankheit, die seine eiserne Natur so untergrub, daß er sich nie wieder ganz vollständig erholte, so daß das Schlimmste zu befürchten stand. Dabei waren meine drei Schwestern noch unversorgt. Welches Glück also, daß ich das prinzliche Einkommen von zweihundert Talern Gold hatte! Ich gab die eine Hälfte meinen Brüdern –«

»Und die andere Hälfte meinen Schwestern«, schaltete Oswald ein.

»Und die andere Hälfte meinen Schwestern –« fuhr Bemperlein fort und rieb sich vergnügt die Hände.

»Aber was behielten Sie denn für sich?«

»Für mich?« erwiderte Bemperlein erstaunt. »Sagte ich Ihnen nicht, daß ich vollkommen freie Station hatte? Und nun hören Sie nur! Ich war ein Jahr auf Berkow gewesen, da läßt mich eines Tages die gnädige Frau zu sich rufen, und nachdem wir über dies und jenes gesprochen, sagte sie:

›Sie sind nun ein Jahr bei uns, lieber Bemperlein, nun sagen Sie einmal aufrichtig, ob es Ihnen bei uns gefällt‹. – ›Das bedarf wohl keiner Frage, gnädige Frau‹, antwortete ich. – ›Nun, das freut mich‹, sagte sie, ›aber haben Sie nicht noch irgendeinen speziellen Wunsch?‹ – ›Daß ich nicht wüßte‹, sagte ich. – ›Aber Ihr Gehalt ist doch offenbar zu gering‹, sagte sie mit dem freundlichsten Lächeln. Ich war so erstaunt über diese Worte, daß ich keine Antwort zu finden wußte.

›Ich will Ihnen nur gestehen‹, fuhr sie mit himmlischer Güte fort, ›daß ich die Zeit, die Sie jetzt hier sind, nur als Probezeit angesehen und Ihren Gehalt danach berechnet habe. Es ist mir niemals eingefallen zu glauben, daß ein Mann, dem ich die Erziehung meines Kindes mit vollkommener Sicherheit anvertrauen kann, überhaupt mit Geld zu bezahlen sei; und wenn ich Sie jetzt bitte, mir zu erlauben, das geringe Gehalt, das Sie bis jetzt bezogen haben, zu verdoppeln, so bemerke ich dabei ausdrücklich, daß ich mich nach wie vor als Ihre Schuldnerin fühle.‹

War ich vorher noch nicht erstaunt gewesen, so war ich es jetzt; oder vielmehr ich war so gerührt – weniger durch das großmütige Geschenk selbst – als über die unbeschreibliche Liebenswürdigkeit, mit der es mir von der edlen Frau geboten wurde, daß mir die Tränen über die Backen liefen. Ich stammelte etwas von unmöglich annehmen können und dergleichen, da aber wurde sie ordentlich zornig, daß ich nur schnell einlenkte und sagte: ›Ich nehme das Geschenk nicht für mich, was unverantwortlich wäre, sondern nur, weil ich für andere sorgen müßte, die für sich selber noch nicht sorgen könnten.‹ – ›Machen Sie damit, was Sie wollen‹, sagte sie schon in der Tür, ›aber bedenken Sie auch, daß Sie gegen sich selbst Verpflichtungen haben.‹ Damit war die Sache zu Ende, aber noch nicht Frau von Berkows Güte, die grenzenlos ist. Doch ich wollte Ihnen eigentlich ganz etwas anderes erzählen; nämlich, wie ich dazu kam, den Fehler zu entdecken, der sich in die Rechnung meines Lebens eingeschlichen hat, und welches dieser Fehler ist.«


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