Walther Siegfried
Tino Moralt
Walther Siegfried

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Anderthalb Jahre, ein Dutzend Anfänge, das Buch noch immer nicht weiter gediehen, ein paar kleine Erfolge als Lückenbüßer, – poetische Bagatellen, – aber kein Kunstwerk! Da vermochten alle noch so logisch zurechtgedachten Entschuldigungen Moralts ungeduldiges Temperament nicht länger zu beschwichtigen. Angst faßte ihn, Trübsinn schlich in seine Seele.

Was er in einzelnen Stunden schuf, blieb regelmäßig Stückwerk; wenn er es fortführen wollte, versagte die Phantasie, und auf eine neue gute Stunde wartend, lief er von der Arbeit weg, entsetzt über die Unzuverlässigkeit seines Talents.

Da er sich von allem Verkehr mit Fachgenossen fernhielt, ja sogar ängstlich vermied, sich irgendwo als Schriftsteller auszugeben, bevor er mit einem Werk diesen Titel gerechtfertigt hätte, war für ihn auch die Möglichkeit ausgeschlossen, von Andern, welche Erfahrung besaßen, darüber aufgeklärt zu werden, daß die Art des Hervorbringens bei jedem produktiv veranlagten Individuum eine andere sei, oft unbegreiflich, seltsam bis zur Schrullenhaftigkeit des Gehirns, 126 und daß jeder bei sich erst herausfinden müsse, wie er seinen dichterischen Geist zur anhaltenden Arbeit zwinge. Er aber, der das von selber einstweilen nicht fand, zerquälte sich in zunehmender Verdüsterung über seine vermeintliche Impotenz, überhaupt regelrecht zu schaffen. Je mehr er aber sinnierte und den halbfertigen Roman zum beständigen Gegenstand seiner Ängste machte, desto energieloser und unfähiger wurde er, sich auf ein paar Stunden gezwungen hinzusetzen. Er bildete sich ein, die Werke anderer Autoren seien das Ergebnis von lauter solchen guten Stunden, deren er nur vereinzelte erlebe, während doch ohne ausdauernde, strenge Arbeit beim Begabtesten kein Kunstwerk zustande kommt. So wenig, als im Sprühen von lauter augenblicksgeborenen, leuchtenden Funken je ein edles Goldgerät geformt worden ist. Die Funken haben zu langanhaltendem Feuer geschürt und mit Mühe unterhalten werden müssen.

So stellte sich denn gegen Ende des zweiten Winters eine Gemütsverfassung bei Moralt ein, welche den schwärzesten Stimmungen seiner Malerzeit nicht nachstand. Er war überzeugt, daß er auf unbestimmte Zeit außer Stande sein werde, etwas Größeres durchzuführen, und lebte darum in brütender Ergebung Tag für Tag dahin, eingeschlossen in seine Wohnung, ohne die Fähigkeit, sich inzwischen wenigstens das 127 mannigfaltige Leben Münchens mit seinen Anregungen zunutze zu machen. Was konnten ihm die schönsten Dinge sagen, wenn seiner schaffensbedürftigen Natur das Fundament aller Genußfähigkeit fehlte: die innere Ruhe und das Selbstgefühl, welche nur die Arbeit gibt.

Rolmers sah mit Besorgnis zu. Er fühlte kommen, was er gefürchtet hatte: ein Martyrium der Kunst in diesem edeln, hochbegabten Menschen. Er von Allen einzig kannte ja auch die tieferen menschlichen Gründe dieser betrübenden Erscheinungen und vermochte zu seinem Schmerz doch nichts Anderes zur Besserung beizutragen, als daß er den Freund möglichst oft in Gesellschaft holte.

Der Kreis der Intimen wäre jetzt gestimmt gewesen, das Leben froh zu genießen; denn die drei Maler fingen an, die Früchte ihrer harten Jahre immer schöner zu sehen. Rolmers' Bild, das er nach Paris gesandt hatte, war, vielbeachtet, von dem bekannten nordischen Kunstmäzen Thomassen angekauft worden, und der gute Preis erlaubte ihm, auf geraume Zeit sorglos weiter zu schaffen. Er gedachte mit dem Erlös seines zweiten Bildes im nächsten Jahre dauernd nach Paris überzusiedeln.

Auch der kleine Holleitner machte seinen Weg in sicheren Schritten, und Äbi plante mit seinem 128 reichlichen Ersparten im Sommer in der Schweiz ein größeres Genrebild nationalen Charakters auszuführen, wozu er seinen Aufenthalt während mehrerer Monate im Berner Oberland nehmen wollte.

Doch in ihre abendlichen Zusammenkünfte, die bald im traulich abgeschlossenen Stammwinkel eines kleinen Gasthauses, bald in Rolmers' geräumigem Atelier an der Schwindstraße stattfanden, trug außer Moralt auch noch ein Zweiter einen Schatten hinein: Lanz, der seit längerer Zeit fast einzig noch mit dem Moralt-Rolmers'schen Kreis Umgang pflegte und nachgerade das betrübende Beispiel zu bieten begann, wie das Mißvergnügtwerden mit sich und der Welt, aus Mangel an Erfolg, zu peinlicher Veränderung eines ganzen Menschen führen kann. Obwohl durch öftere Verkäufe jetzt auch besser gestellt, hatte es dieser bedeutende Künstler noch immer nicht zu der Anerkennung gebracht, die er zu erwarten berechtigt war, und deren Ausbleiben er um so mehr als eine boshafte Laune des Geschicks empfand, als tatsächlich das allgemeine Interesse sich mehr und mehr der Richtung zuzuwenden begann, die er in so hervorragender Weise vertrat. Als sollte es nicht sein, daß er obenauf komme, trugen Minderwertige, welche eine Mode aus der Sache zu machen verstanden, den Ruhm davon, und er, der seit Jahren konsequent diese Anschauungen 129 in seinen Werken verfochten hatte, blieb unbelohnt und unterschätzt. Je mehr er sich infolgedessen von andern Freundesgesellschaften zurückzog, in denen er das willige Interesse vermißte, das er für sich und seine Angelegenheiten jetzt oft etwas ermüdend beanspruchte, desto enger und wärmer schloß er sich hier an, wo er sich verstanden und von Allen aufrichtig verehrt fühlte. Aber seine Art zu sein nahm selbst da mehr und mehr etwas Verbittertes an. Seine persönlichen Abneigungen legten ihm jetzt oft so herbe Bemerkungen, so giftige Witzeleien auf die Zunge, wie sie früher nie von ihm zu hören gewesen waren. Unverdiente Erfolge Dritter, vom Einen oder Andern unbedachterweise in seiner Gegenwart berührt, wurden Anlaß zum unbarmherzigen Zerreißen der Betreffenden und ihres fadenscheinigen Nimbus, und wenn Lanz einmal einem Gemälde oder seinem Schöpfer einen Übernamen anhängte, so blieb der haften; denn in seine Satire war jene ganze Kraft und Feinheit übergegangen, welche früher im Gegenteil gelegen hatte: in seiner wohlwollenden Art zu beobachten und zu urteilen. Seine Spannkraft war durch die Gleichgültigkeit des Publikums abgenutzt; jetzt warf er der Welt den Sack vor die Füße und malte nach seiner Aussage nur noch für sich, weil er mußte, weil es in ihm war.

Nervös bis zur Unerträglichkeit, gereizt durch jede 130 Kleinigkeit und leicht geneigt, bei Andern als den Allerintimsten, deren er ganz sicher war, in irgend einem unüberlegten Wort eine Anspielung oder eine ablehnende Haltung zu wittern, war er zeitweise eine wahre Geduldsprobe und der Umgang mit ihm ein Tanz auf dem Pulverfaß. Seine Sucht, Andere mit seinen scharfen, erbarmungslos ernüchternden Darlegungen in ihren eigenen begeisterten Anläufen zu entmutigen, wirkte auf Manchen geradezu nachteilig.

Moralt, der selber immer empfindlicher, den alten Freund in seinem schlimmen Zustande so wohl begriff, fühlte sich durch diese Wahrnehmungen so peinlich berührt, daß er sich doppelt bemühte, über seine eigene Person nach bestem Vermögen zu wachen, um nicht seinen Stimmungen ähnlich freien Lauf zu lassen. Aber das blieb ihm nur eine Zeitlang noch möglich. Denn es stellte sich eine körperliche Reizbarkeit ein, die ihn gewisse Widerwärtigkeiten: schlechte Musik, zwecklosen Lärm, eine eintönig schwätzende, näselnde Stimme im Gasthaus, oder das Dozieren eines Menschen, dessen Ansichten ihm unangenehm waren, – geradezu als physischen Schmerz empfinden ließ. Und da diese Reizbarkeit von Woche zu Woche zunahm, gelang es ihm immer weniger, sich zu beherrschen. Es entschlüpfte auch ihm nun hie und da eine 131 ungeduldige Antwort, oder er ließ seine Interesselosigkeit für eine Unterhaltung merken, die ihm nicht paßte; und die Freunde vermochten nichts Besseres zu tun, als ihn nachgerade ebenso zu schonen wie Lanz, den er selber immer noch als himmelweit von sich verschieden und als ein wahres abschreckendes Beispiel betrachtete. 132

 


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