Walther Siegfried
Tino Moralt
Walther Siegfried

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Es schien, als wäre in der Tat mit jener Unterbrechung, welche Nicolos Erkrankung herbeigeführt hatte, das erste, vollvermögende Schaffensfieber Moralts, jenes willige, anhaltende Hergeben des Talents, unwiederbringlich verloren gegangen.

Mysterium der künstlerischen Produktion! Wie unabhängig vom Willen des Individuums gehst du deine unberechenbaren Wege!

Heute plötzlich den ganzen Menschen in heiliges Feuer setzend, sein Bestes von seelischen und geistigen Kräften zu ungeahnter Höhe treibend, ja, ihn über sich selbst hinaussteigernd, das niedere Erdenkind, den Mann, der mit den Füßen im Alltag des realen Lebens wurzelt, großmütig emporhebend, entrückend in Welten, zu denen kein Weg des bloßen Wollens führt, zu Gesichten, zu Wonnen, die kein höchster Fleiß sich verdient, kein männlichstes Ringen erreicht, zu seligen Augenblicken des vollsten, wahrsten Lebensgefühls, des höchsten Glaubens an sich selbst, – du! freigebig, königlich, überschwänglich gewährend am einen Tag – um morgen Leere, grausame, ohnmächtige Leere zu lassen, wo der Trieb erweckt, das 217 Fieber entzündet, die Befriedigung des Bedürfnisses nach der einmal gekannten Luft der Höhe zur Lebensfrage geworden ist!

Als säße in deinen undurchdringlichen Schleiern eine willkürliche parnassische Lenkerin, quälst du den Künstler, ihn durch die Wechsel deiner Launen schleppend, bist du dem Einen immer hold, und hast du Lust, den Andern jetzt zu lieben – dann zu martern.

Oh, nur wer eisernen Willen besitzt von denen, die du einmal in Glut versetzt und dann wieder verlassen hast, wird dich zwingen, ihm schließlich dennoch zu halten, was du versprachst, ihn wirklich zu dem Ziele zu führen, das du ihm zu erschauen vergönnt.

Mysterium der künstlerischen Produktion! rätselvolle, verborgene Kraft! du, dem Sein der Künstlerseele dasselbe, was dem Körper das Mysterium des Lebensprozesses, jenes Göttliche, Geheimnisvolle des Lebensatems, des rollenden Blutes ist, das heute herrliche Kraft verleiht und morgen krank und elend läßt, oder zu der Stunde, da man leben möchte, leben sollte, leben muß – urplötzlich versagt!

Grausames, königliches Geschenk, das verdienstlos und unbegehrt beglückt, das schuldlos straft! Oder, wer hätte dich für sich erbeten? Niemand. Du kommst von selbst und lässest mit deinen ersten 218 heiligen Schauern einen Menschen sich als Künstler erkennen, gleichwie das Leben nicht erbeten wird, sondern aus unbekannten Höhen kommt und mit seinem ersten Hauch ein Menschenwesen sein Dasein fühlen läßt. Künstlergenius! höchste Himmelsgabe, verhängnisvolles Schicksalsangebinde!

– Es war gegen das Ende des Januar, als Moralt eines Morgens verzweifelt vor seiner Leinwand stand. Seit wohl drei Wochen war sein Schaffen abhängig von einem stoßweisen Gewähren und Versagen seiner Kräfte. Ein verzehrendes Hasten, wenn die gute Stunde kam; eine verzweifelte Anstrengung, ein verquältes Pfuschen, wenn jenes Nachlassen der Spannkraft, jene Öde im schöpferischen Vermögen eintrat, welche den Künstler, in plötzlicher Erkenntnis seines Zustandes, vor sich selber zum Handwerker macht.

Er hatte die ganze, vor Weihnacht so glücklich in einem Zug durchgeführte Ferne der Landschaft wieder verdorben, als er sich hatte verleiten lassen, sie in ihrer Lichtwirkung noch zu steigern, einem herrlichen, düster leuchtenden roten Ton zulieb, den er seither für die Gewandung des Jünglings gefunden. Die Unerfahrenheit im Schaffen großer Bilder und der einstweilige Mangel an Vertrauen in sein Können, in den Wert dessen, was er Tag für Tag 219 zustande brachte, hatten ihn verhindert zu erkennen, daß jene Ferne in ihrer kühn und glücklich auf einmal hingesetzten, großzügigen Wirkung von einer Kunst und Kraft sei, die durch jeden weiteren Pinselstrich nur verlieren könne, daß dieses Stück gerade eines jener Ergebnisse der guten Stunde sei, welche unantastbar bewahrt werden müssen, weil sie nicht zweimal zu erreichen sind. Jetzt, da es verdorben war, da es greller und dadurch nüchterner wirkte, erkannte er, was er getan; und was immer er nun versuchte – es war ihm, als sei aus dem Bilde jener leuchtende Glanz, jenes Ahnungsvolle verschwunden, das ihn vorher begeistert, das ihm beglückend genügt hatte.

Er dämpfte das Rot des Kleides, wie es zuerst gewesen, er versuchte ein Stück weit die alte Leuchtstärke der Ferne wieder herzustellen und ins alte Verhältnis zu der Figur zu stimmen. Umsonst! Er verdarb nur auch noch die Arbeit der Gewandung, die gleichfalls die Frucht eines guten Tages gewesen war.

Seit drei Stunden, obwohl er sich der deutlichen Erkenntnis nicht verschließen konnte, daß er heute absolut leer, schlecht disponiert und nicht glücklich in der Hand sei, hatte er sich in den Trotz verbissen, sein widerwilliges Talent zum Gehorchen zu zwingen. 220 Er hatte fast nie auf Nicolo geschaut, er stimmte und stimmte an seinen Tönen. Jetzt übersah er wieder das Ganze und verglich die bloßen Glieder des Modells vor ihm mit der Wirkung des Fleisches auf dem Bilde. Wie Kreide, trotz der viel dunkleren Färbung, erschien es ihm da neben dem roten Gewand – und immer gleich nüchtern die verdorbene Ferne. Die Werte im Bild überhaupt waren verschoben, außer Richtigkeit geraten, das empfand er deutlich. Und doch sah er nicht, wo es fehlte – wo. Er erkannte nur, wie schlecht, wie elend das war. Er wandte sich ab, in einer Bewegung schmerzlicher Wut. Er sah auf die Uhr: halb Zwölf.

Verzweifelt warf er die Palette auf den Tisch und winkte dem Burschen zu gehen. War er denn heute blind? blödsinnig? verrückt?


Sein Mittagsmahl berührte er kaum. Immer wieder lief er vor das Bild, starrte es an, drehte ihm im nächsten Augenblick den Rücken zu, unglücklich, voll ohnmächtigen Zornes gegen sich selbst als den Verderber des vorhanden gewesenen Guten.

Eine Weile ging er auf und ab, dann warf er sich auf den Diwan und kreuzte die Hände über der Stirn. Zuweilen preßte er seine Schläfen, als wollte er seine Gedanken zwingen, sich zu regen, ihm zu helfen. 221 Sein Blick ging der öden, eintönigen Farbe der Gipsdecke entlang. Leer, wie die unterbrechungslose Fläche da oben, erschien ihm die Aussicht auf sein ferneres Schaffen.

Er drehte sich brüsk herum. Die Augen nun dicht vor den tiefen Farben des persischen Wandteppichs, schaute er da hinein in dies satte Rot, in dies dunkle und hellere, mild verfärbte Blau, in diese bräunlichen Grau, welche die Buntheit beruhigend dazwischenliefen; in all die weiche, unvergleichliche Farbenharmonie eines guten Stückes Ispahan-Teppich. Aber sie ermüdete ihn, diese milde Pracht, lenkte ihn ab; er schloß die Augen.

War es denkbar, daß das, worauf er den meisten Wert in seinem Werke gelegt hatte, dies machtvoll Mitreißende der Gesamtstimmung, durch eine elende technische Ungeschicklichkeit verloren bleiben konnte, daß die ganze, seinem Innersten entsprungene Arbeit für ihn wertlos werden mußte, weil er das Verdorbene nicht wieder herzustellen, das einmal glücklich Gelungene nicht zum zweiten Mal ebenso zu treffen vermochte?

Aber wie, wie, wenn wie heute alles Versuchen nicht imstande war, auch nur handbreit jene vorige Kraft wieder hervortreten zu lassen? In der Erinnerung sah er sie so genau vor sich, jene ganze erste 222 Farbengebung – und auf der Leinwand brachte er sie einfach nicht wieder zustande!

Er erhob sich von seinem Lager und ging unruhig herum. Auf dem blassen Gesicht malte sich ein großer Kummer; er sah in diesem verpfuschten Werk einen Beweis, wie begründet seine Zweifel an seiner Schaffenskraft gewesen seien. Und während er unter dem Fenster im grauen, kühlen Licht des Wintermittags stand und seine Blicke über die verschneiten Dächer und Kamine der großen Stadt hinschweifen ließ, verlor er sich in schwere Gedanken.

Immer dieses glänzende Verheißen und Nichthalten! Herrlich konzipieren und den ersten begeisterten Anlauf nehmen – das also war sein Talent? Aber dann ließ er sich ja durch Alles, was störend in den Weg seines Schaffens trat, aus dem Geleise bringen! Welchem Künstler aber würde es vergönnt sein, je ein größeres Werk ohne zahllose Störungen von der Konzeption bis zur Vollendung zu führen? Es fehlte demnach seiner Künstlerschaft eine Grundbedingung zum Erfolg im Schaffen: die Widerstandsfähigkeit gegen äußere Einflüsse, die Unzerstörbarkeit einer einmal gewonnenen Sammlung zum Werk, oder als Ersatz dafür die Elastizität: nach erlebter Störung zur gebotenen Stunde die alte Kraft und die sichere Hand wenigstens alsbald wiederzufinden. 223

Was alles hatte er sich zugetraut, – nie würde er es erleben!

Da fiel ihm Resemann ein, der berühmte Resemann, der vor jeder Aufgabe wieder den Zweifel durchmachte, ob er sie auch durchzuführen vermöge, der von sich selber die Worte gebraucht hatte: »was bist du für ein Kerl, was traust du dir denn zu!« – der dennoch weiter malte, und dem schließlich Alles gelang, was er sich einmal vorgenommen. Aber – das war eben Resemann, der Mensch mit der gewaltigen Energie, der dazu seit seinem siebzehnten Jahre malte! Aber er, Moralt, der um Jahre verspätet, jetzt so fieberhaft von sich verlangte, und wenn es nicht gelang, sogleich am Ganzen und an sich selber verzweifelte? Er, der keine derart willenskräftige Natur war, wie jener Kollege, und obendrein den Fluch einer überreifen Kritik in sich herumschleppte, als beständige Untergrabung seines Tuns?

»Und dennoch – ein Feiger, wer im Kampfe die Flinte ins Korn wirft, wenn die ersten scharfen Schüsse fallen!« sagte er sich schließlich. »Jetzt erst, scheint es, geht das Ringen für mich an, jetzt erst kommen die Nöte, die verzweifelten Anstrengungen. Wohl denn, es muß sein, es muß zu Ende geführt werden und kehre auch die erste glückliche Schaffensleichtigkeit bei dieser Aufgabe nicht wieder! Vielleicht 224 ist das die Art, wie mein Talent überhaupt produziert und möglicherweise immer produzieren wird: mit Leichtigkeit, solange die erste Anspannung erhalten werden kann, und dann, einmal gestört, mit tausend Schwierigkeiten.«

Sein Theoretisieren am Fenster hatte ihm einen gewissen Mut, den Mut der Verzweiflung, gegeben. Er wandte sich wieder gegen die Staffelei.

Aber, da er neuerdings vor der Leinwand stand, stutzte er. Wo beginnen mit der Tat? Mußte bei dem augenblicklichen begeisterungslosen Zustande seines Innern, bei diesem bloßen Gewissenhaftigkeits-Schaffen, wie er es heute betreiben würde, nicht jeder neue Pinselstrich nüchtern bleiben? Konnte er heute wirklich etwas bessern? Verdarb er nicht vielleicht bloß noch mehr? Gewiß! Er mußte zuallererst wieder frisch werden; er hatte sich blind gesehen an seinem Bild. Er mußte sich gewaltsam zerstreuen, aus all diesen entmutigenden Gedanken reißen und später unbefangener wieder vor das bisher Geschaffene treten.

– Die folgenden vier Tage zwang er sich, dem Atelier fern zu bleiben. Er trieb sich umher in den Straßen, er wanderte stundenlang durch das Buschwerk und die Waldstände der Isarauen, durch die stille, frische Winternatur. Er vermied alle Kollegen 225 und setzte sich am Abend in eine der gemütlichen alten Bierstuben am Platzl, wo noch die absolute, phlegmatische Sorglosigkeit, das derbe, breite Lebensbehagen seinen Stammsitz hat. Am zweiten Tag fuhr er nach Starnberg zum Eislauf auf dem See; am dritten Abend machte er bei Zakácsy Musik. Dort erfuhr er, daß auf den vierten eine Vorstellung von Tristan und Isolde angekündigt sei.

Mit einer Empfindung, als wäre damit plötzlich sein innerstes, ihm selber noch nicht zum Bewußtsein gekommenes Bedürfnis getroffen, vernahm er das von dem Freund. War das nicht wie eine Fügung für ihn in diesem Augenblick: die Wirkung des letzten Aufzuges von Tristan wieder einmal zu erleben, des Hohenliedes der Sehnsucht, einer rasenden und sterbenden Sehnsucht?

Und die Schwesterkunst Musik half ihm auch diesmal wieder empor in die Erhebung, in das heilige Fieber, das er zum eigenen Schaffen nötig hatte. Nicht nur gehoben, nein, hingerissen, berauscht, schmerzlich berauscht von der Musik und tragischen Größe von Tristans Tod auf seiner Burg in Bretagne, von der todesmüden Sehnsucht jener Zauberklänge, verließ er das Haus. Immer die trübe, traurige Weise des Hirten auf Kareol in der Seele, wanderte er, unfähig zu schlafen, noch lange 226 herum in der Nacht und sang leise vor sich hin, wieder und wieder, die Worte des sterbenden Tristan beim Getön der heimatlichen Hirtenweise:

»Die alte Weise
Sehnsuchtsbang
Die einst mich frug
Und jetzt mich fragt
Zu welchem Los erkoren
Ich damals wohl geboren?
–   –   –   –   –   –   –   –
– Zu welchem Los?
Die alte Weise
Sagt mir's wieder:
Mich sehnen – und sterben!« 227

 


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