Walther Siegfried
Tino Moralt
Walther Siegfried

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Als es Abend war, stand er auf der Höhe eines Berges im Hochwald unter düstern Tannen, vereinzelten Buchen und uralten Ahornen, und schaute zwischen den Stämmen hinaus, nieder in das feuchte, tiefgrüne Tal, hinüber an die dunkelblauen, regenschweren Bergwände, an denen die letzten, streifigen Wolken eines vorübergezogenen Unwetters langsam zergingen.

Weit im Westen hinter den dunkeln Häuptern glomm es in einem Winkel des Himmelsgewölbes noch einmal gelblich auf, wie ein Nachleuchten des Tages, oder wie das Aufheitern zu einer späten goldenen Abendstunde.

Die Ermüdung des Steigens, des Hochwalds stummer Friede und des Abends kühle Luft nach den Regenschauern hatten eine gewisse Ruhe in den Unglücklichen gebracht. Und seine Gedanken begannen sich, während er so dastand, bleichen Angesichts, mit untergeschlagenen Armen, und hinausschaute, zum erstenmal ein wenig dem zuzuwenden, was nun noch vor ihm lag im Leben, ein wenig auf die Überbrückung des Gewesenen und des Kommenden zu richten. 83 Einem mählich Erwachenden gleich fing er an, sich dem schweren, bösen Traume seines menschlichen Teils langsam zu entwinden, und sich an das Künstlertum in ihm zu erinnern.

Verwirrt, wie angstvoll, biß er sich einen Augenblick auf die Lippen: war das nun auch zerstört, wie sein Menschenglück? – – Nein! – nein, nein! War er nicht durch den erlebten Schlag in sein tiefstes menschliches Lieben im Gegenteil nun erst recht in die heilige Liebe zur Kunst gewiesen, erst recht in ihre Arme gedrängt worden? Hatte er nun nicht erst recht Zuflucht zu suchen bei ihr, die einem armen Menschen mit einem übervollen Herzen dieselbe Trösterin und Erlöserin zu sein vermag, wie zu andern Stunden die Religion?

Er blieb eine Weile gedankenverloren so stehen, die Schulter gegen einen Stamm gelehnt, und blickte dorthinüber, wo der helle Streif zwischen den düstern Kuppen stand, als spähte er aus des Augenblicks dunklem Leid in eine mögliche Zukunft.

»Vielleicht« – sagte er sich – »gibt ein Erlebnis wie dieses, welches mein Innerstes aufgewühlt, meine letzte Ader in seliger Glut, in wildem Schmerz hat fiebern machen, den Impuls zu einem Werk? So grausam kann doch das Geschick nicht um der bloßen Freude an der Grausamkeit willen mit mir verfahren 84 sein? Mein gesunder Verstand schon müßte sich sträuben, an ein solch' sinnloses Walten einer höheren Macht zu glauben. Nie, nie ertrüge ich das, daß gegen den Ruin meines menschlichen Glückes nicht wenigstens meine Kunst das Höchste gewänne: die Weihe und Kraft, welche sie nur aus heiligem Schmerze schöpft.«

Eine Wallung flutete plötzlich in ihm empor, als wäre es unwürdig, sich seiner Verzweiflung länger zu überlassen. Er schüttelte sich. Sein Blick hatte sich abgewandt von der Ferne; er schaute jetzt vor sich hin in das dunkle, stille Innere des feuchtduftenden Waldes, in dem er geborgen, versteckt vor Welt und Menschen, allein war mit seinen wogenden Gedanken.

»Nein, nein!« rief er – »der Mann darf nicht untergehen in den Stürmen seines Herzens, an der Liebe zum Weibe! Er kann niedergeworfen werden zur Erde im Übermaß des Schmerzes, aber er muß sich erheben und muß weiterzuleben verstehn!

Wie stehen da vor dir die Bäume des Waldes! Sieh sie an!

Der Sturm braust auch über sie dahin. Stöhnend, krachend beugen sie ihre Wipfel, und mit wütenden Schlägen fährt der Hagel durch ihr Geäst. Sie seufzen, sie klagen; traurig zerfetzt verflattern ihre schönsten Blätter im Wind; – sie glauben zu brechen, 85 zu fallen. Aber wer Mark hat von ihnen, kämpft trotzig dagegen und richtet sich immer wieder auf. Und dann – – dann kommt die dunkle, stille Nacht, und durch den still gewordenen Wald tropfen schwer und langsam die Tränen der Bäume. Ein weites, stummes, großes Leid. Aber sie tropfen langsamer und langsamer – und wenn der Morgenwind kommt, dann findet er die tausend Blätteraugen halb getrocknet und trocknet sie ganz. Und die Morgensonne steigt über die Berge und schenkt der Welt einen neuen Tag. Das Alte ist vergangen – Neues ist da.

Da steht auch der Baum des Waldes wieder hochaufgerichtet und stark, zu neuem Leben gerüstet. Viel liebliches Blattwerk ist freilich verflogen in grausiger Nacht. Aber Stamm und Äste stehen unversehrt da, sturmgeprüft und in alter Kraft, und herrlicher nur scheint ihr Laub zu glänzen; denn das Beste ist es ja, was noch übriggeblieben.

Dem Baume gleich möcht' ich es tun,« – sagte sich Moralt. »Aber die Kraft, die Kraft! Ihr seid von härterem Holze als ich, Ihr, die Männer des Waldes! Warum habe ich diese Seele bekommen, das saitenklingende, zerbrechliche Ding? Warum nicht Kraft, trotzige, unbändige Kraft zum Leben und einen starren Sinn!« –

Es war tiefe Dämmerung geworden. Vom Tal 86 her rauschte das Wasser. Der Heimweg war dunkel und weit. Zwischen den alten Stämmen, auf felsigen Pfaden, hin über Nadelstreu und wuchernde Kräuter schritt er langsam bergab. Und über den Zacken der Bergwand, hoch im weiten schwarzblauen Himmel schwamm einsam, wie tränenfeucht schimmernd, ein Stern. 87

 


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