Walther Siegfried
Tino Moralt
Walther Siegfried

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Er hatte den Schwestern versprochen, sie am Nachmittag des folgenden Tages in die Galerie Schack zu begleiten. Doch fand er um zwei Uhr, zur verabredeten Zeit, nur Irene bei ihrer Mutter zu Hause, während Gertrud von einem Gang zu Einkäufen noch nicht zurückgekehrt war. Sie abzuwarten, setzten sich Alle in den kleinen Ecksalon, den sich Frau von Hauser zu ihrem Wohnzimmer eingerichtet hatte, und plauderten von gleichgültigen Dingen.

Tino fühlte sich heute kaum mehr fähig, in Irenes Nähe seine volle Ruhe im Gespräch zu bewahren. Ein drängendes, fieberndes Verlangen durchglühte ihn jetzt unaufhörlich: Gewißheit! vor allem Gewißheit! Seit Irenes gestrigen herzlichen Worten im Walde und jenem gleichzeitigen, unveränderlich ruhigen Blick hielt er es nicht mehr aus, Rätsel zu raten. Es mußte jetzt etwas geschehen, ein Schritt, ein Wort, das fühlte er klar, – aber was und wie, das fand er noch nicht. Zerstreut nur vermochte er zu plaudern; er war froh, daß die Damen so wenig verlangten. Sein ganzes Denken und Fühlen galt ihr.

Sie hatte auf einem niedrigen Polsterstuhl Platz 46 genommen, im Licht von zwei Fenstern, und da des grellen Widerscheines einer Häuserwand wegen die faltenreichen Stoffstoren herniedergelassen waren, erschien Irenes Gesicht in einem gedämpften Ton, ruhig, weich und schön, während nur auf jedem Auge ein mächtiges Glanzlicht spielte, das durch eine Spalte der Store hereindrang.

Moralt sah wie gebannt auf diese eigentümliche Erscheinung. Des Mädchens ganze Seele schien ihm konzentriert in dem leuchtenden Ausdruck dieses Auges. Und diese Seele – hatte auch gelitten! – das offenbarte Moralt diese Minute. Etwas ruhte in der Tiefe dieser Augen, was nur der erkannte, der es selber in sich trug: das heilige Wissen eines Menschenherzens, der stumme Adel der Läuterung durch Kämpfe.

Er glaubte auch zu bemerken, daß Irene heute weniger unbefangen sei, als bisher. Sie sprach wenig, ließ ihre Mutter reden. Und er selber vermochte die Zerstreuung in seinen Antworten immer schlechter zu verdecken.

Ahnte sie nun? Sprach vielleicht sein eigenes Auge in dieser Minute ebenso stark? Und wenn, – bewirkte es bei ihr nun wirklich, was er zitternd erharrte: das Emporschlagen der Gegenneigung?

Sie hatte nie so ihren Blick auf ihm ruhen lassen, 47 wenn er mit einem Andern sprach, wie er es jetzt mehr spürte als sah; ihn nie so erregt, wie in zarter Bangigkeit, angesehen, wenn er sich an sie gewendet hatte. Daß etwas in ihr vorging, fühlte er mit wachsender Bestimmtheit, und die Ungewißheit, was, machte ihm das Dasitzen qualvoll. Gertrud kam noch immer nicht.

Da schlug es an einer Uhr halb Drei. Irene und ihre Mutter sahen gleichzeitig hinüber – »halb Drei?«

»Ich fürchte, Sie könnten noch länger vergeblich warten,« sagte Frau von Hauser. »Wenn Gertrud jetzt noch nicht da ist, muß sie eine Zurückhaltung haben, die sie nicht voraussehen konnte; ich möchte Sie nicht veranlassen, die Zeit für die Galerie Schack noch mehr zu kürzen. Mach dich bereit, Kind!«

»Dann müssen Sie eben zweimal mit uns gehen!« bemerkte Irene gegen Tino und erhob sich.

Nach einem Augenblick war sie wieder da, ihren großen, schwarzen Federnhut auf dem Kopf, eine kurze, dunkelgrüne Tuchjacke an, die langen Rehlederhandschuhe anstreifend.

»So tröste dich halt in deiner töchterverlassenen Einsamkeit!« scherzte sie zur Mutter, – »möge sie nicht zu lange dauern!«

Dann trat sie mit Moralt den Weg nach der Briennerstraße an. 48

Es war ein kühler Nachmittag; die Sonne hatte sich verkrochen. In behaglichem Schritte durchwanderten sie die Stadt. Durch die Erwähnung der Bildereinkäufe kamen sie in ein Gespräch über Tinos Freunde, und er mußte ihr erzählen vom Leben der Einzelnen, von ihrem Schaffen, ihren besonderen Bestrebungen.

Mit feinfühligem Verständnis fand sie sich in diese Atmosphäre hinein, und durch die ganze Art, wie sie manches gar nicht Selbstverständliche schweigend begriff, dagegen manches einem jungen Mädchen durchaus nicht Naheliegende fragte, erwies sie sich ihm auf's Neue selber als eine Künstlernatur. Während er ihr nun den Wechsel von Hoffnungen, Mut und Ruhmesglauben, und dann von urplötzlichen, oft komischen, oft tief traurigen Mutlosigkeiten und Unfähigkeiten bei Vielen unter ihnen schilderte, hörte sie mit sichtlich wachsender Erregung zu. Ihre Augen hingen an ihm, sie nahm ihm förmlich die Worte von den Lippen, da standen sie vor dem Schack'schen Palais.

»Oh, gehen wir vorerst noch ein wenig weiter,« bat sie – »ich muß das zu Ende hören! Wenn Sie wüßten, wie ich das verschlinge! Ha! meine Lebensluft wäre das ja. Solche Menschen um mich, solches Streben und Ringen!« 49

Da gingen sie vorwärts, die Nymphenburgerstraße hinaus, unter den Bäumen dahin, an den Villen vorbei, und weiter und weiter erzählte ihr Moralt von Äbi, von Rolmers, von Zakácsy, von dem, von jenem, wie sie strebten und wuchsen und durch nichts sich aufhalten ließen in ihrem mutigen, kühnen Flug. Er erzählte ihr, wie Rolmers Paris, das ihm so viel geboten, hatte verlassen und hier nun mit geringerer Anregung seine Studien zu Ende führen müssen, wie aber der ganze Mensch dabei gereift und ein Charakter von seltener Geschlossenheit geworden sei; wie Äbi Not gelitten und nun in der endlichen Besserung seiner Lage so glücklich sei; wie der kleine luftige Holleitner, der das Zeug zu einem Spezialisten ersten Ranges in sich trage, bei aller glücklichen Art doch auch sein bißchen Hemmung durch die Verhältnisse spüren müsse; wie ein Künstler wie Lanz im Vollgefühl seiner Kraft stolz trotze, und einer wie Resemann trotz vieler Erfolge um jedes neue Werk einen neuen Kampf mit sich selber und seinem Talent führen müsse; wie daher Einer dem Andern zu Beispiel und Ermunterung diene, und nur der kapitulieren müsse, welcher, wie er selber, zum immer neuen Wagen zu alt und zu kritisch reif sei.

Da brach es bei Irene plötzlich durch, – die hintangehaltene Künstlernatur. Leidenschaftlich, wie er 50 sie noch nicht gesehen. Und als wollte sie sich, da endlich Gelegenheit dazu war, ausschütten, bis auf den Grund ausbeichten, begann sie sich Moralt zu bekennen.

»Oh wie ich Sie beneide!« rief sie – »Sie alle, die Sie da kämpfen und streben nach einem hohen Ziel in der Kunst. Was haben Sie als Männer vor unsereiner voraus! Wenn Sie auch bittere Kämpfe bestehen, dunkle, jämmerliche Zeiten durchmachen müssen, Sie sind doch frei, Sie dürfen! Sie dürfen was Sie wollen, dürfen streben und ringen nach dem, was Ihre Natur ersehnt und verlangt, nach dem Ziel, das Sie sich gesteckt haben aus dem innersten Bedürfnis Ihres Wesens heraus! Aber ich? – ich bin und bleibe nichts Anderes als ein unnützes Mädchen von Familie, und was in mir wäre von künstlerischen Anlagen und ebenso glühend drängt sich zu äußern wie das, was in Ihnen allen, den freien Männern, lebt, – das muß ersticken im Zwang und in den Vorurteilen meines Standes!«

Moralt hatte stolz und lächelnd zugehört. Da lohte ein edles Feuer, das nur der richtigen Lenkung harrte!

»Bei der Frau ist das anders als bei uns, liebes Fräulein Irene,« entgegnete er mit Festigkeit, – »stellen Sie sich nur richtig zu Ihrer Künstlernatur; 51 – denn eine solche sind Sie unzweifelhaft, das fühlte ich seit der ersten Stunde. Lassen Sie sich diese Veranlagung doch zur Verschönerung und nicht zur Zersplitterung Ihres Lebens dienen, dann werden Sie reich in ihr sein vor vielen Andern, statt daß Sie sich durch sie arm und unglücklich machen lassen! Dazu aber sind Sie mit Ihren jetzigen Anschauungen auf dem gefährlichsten Wege.«

Sie gingen mehrere Schritte, ohne daß Irene etwas erwiderte. Sie schien sich das erst zurechtzulegen. Er trachtete noch bestimmter zu sein.

»Wenn die künstlerische Begabung beim Manne mit Recht zur Ausübung im Beruf drängt,« – sagte er – »bei der Frau darf sie ohne Bedauern bloße Verschönerung des Lebens bleiben! Da haben Sie nun meine ehrliche, volle Überzeugung, und ich bin doch ein Künstler, der die Kunst über Alles im Leben stellt!«

Sie sah ihn erstaunt, wie zweifelnd an.

»Aber wenn es so mächtig in mir drängt, mich zu betätigen, daß ich nicht Herr werde?«

»Die Sache würde für Ihr Empfinden eine Änderung erfahren, an welche Sie jetzt gar nicht glauben, wenn Ihnen Ihre geliebte Kunst plötzlich zum Beruf würde;« antwortete er, – »glauben Sie mir das; ich habe es an mir und an Andern erlebt! Folgen Sie 52 mir getrost! Ändern Sie Ihre ganze Auffassung; an Ihnen einzig liegt es, sich so zu dieser Veranlagung zu stellen, daß sie Ihnen eine schöne Mitgift bedeutet und nicht einen nagenden Wurm der Unzufriedenheit.«

Sie stieß mit ihrem Schirm im Takt vor sich her auf die Steine. Es war viel, was er da von Resignation verlangte.

– – »Und dann« – fuhr er plötzlich fort, und sein Ton ward leiser – »das Leben könnte Sie ja eines Tages in den durchaus richtigen Kreis stellen, wo Sie voll mit Ihrer Persönlichkeit wirken können!«

Irene bewegte zu dieser Bemerkung stumm den Kopf.

Was bedeutete das?

Die Wahrnehmung dieses Nickens reizte ihn, ihr jetzt sogleich deutlicher hinzustellen, was bisher nur heimlich in seinem Innern sich als Bild von Irenes Zukunft geformt hatte.

»Könnten Sie nicht berufen sein,« – fragte er – »einst als Gattin eines Künstlers mit Ihrem feinen Verständnis für ihn und seine Kunst eine Aufgabe zu erfüllen, zu welcher tausend andere Mädchen nicht berufen, nicht fähig wären?«

Sie lächelte und schüttelte abermals den Kopf.

Traute sie sich nicht zu, daß sie erwählt werden 53 könnte von einem ganzen Künstler, der auch ihr zu imponieren vermöchte, oder, – – – ein drängendes Prickeln schoß Tino in alle Nerven. Der Moment spitzte sich zu, er fühlte es.

»Jetzt schon?« – zitterte eine Frage in seinem Innern empor. »Ist jetzt schon der Augenblick da, wo ich reden soll?«

Was die nächsten Tage hätten reifen sollen, schien sich ihm nun im Fluge von Minuten zu klären: das Was und das Wie. Ja, die Stunde war da! Schneller allerdings, als er erwartet; aber er fühlte, jetzt war sie da, wo es natürlich, wo es geboten war, mehr zu sagen – Alles zu sagen.

Er suchte nach den Worten, um einzuleiten; da kam sie ihm zuvor. Sie hatte sich sichtlich gesammelt, sie war zu einem Schluß gekommen über das, was er als Verzicht von ihr als einem Mädchen verlangt hatte.

»Sie haben mir heute viel Klarheit in mein Leben gegeben, Herr Moralt,« sagte sie ruhig, wieder mit dem alten, offenen Klang in ihrer tiefen Stimme. »Ich habe längst nach einer Klärung meines verworrenen Wesens, meiner unbefriedigten, tastenden Sehnsucht gesucht, aber in meiner Umgebung war Niemand, der mir hätte helfen können, sie zu finden. Meine Natur allein aber wurde nicht mit sich fertig. 54 Ich brauche heute Ermutigung und gute Worte, und morgen Zügel und Zurechtweisung; so bin ich nun einmal. Sie endlich haben mir das Rechte gesagt: Verschönerung, nicht Zersplitterung soll mir die Kunst hinfort in meinem Leben sein! Ich will's versuchen, mich daran zu halten!« Und sie schaute ihn an, groß und frei, als sollte in diesem Blick ein Gelöbnis für die Zukunft liegen. Er sah ihr tief in die Augen – – lange –– nun? erriet sie ihn nicht? er war doch in diesem Augenblick loderndes, flammendes Feuer mit seinem ganzen Menschen.

Sie aber schien nicht zu sehen. Oder wich sie aus? Dicht neben ihr gehend, mit einem Ton, der gleichsam bohrend in ihr Inneres dringen sollte, sprach er jetzt: »Ja! ich verstehe Sie besser als Ihre Umgebung, Fräulein Irene; ich glaube sogar, meine Natur, die künstlerische wie die menschliche, versteht die Ihrige ganz; ich glaube auch, ich wüßte sehr wohl, wann die Ermutigungen nötig wären und wann die Zügel. Die Zurechtweisungen« – er lächelte, – »würden wohl nie zu kommen brauchen!« Und sich ganz zu ihr heranbeugend: »bei Ihnen, liebes Kind, liegt es, ob Sie für Ihr ferneres Leben dieses Verstandensein nie wieder entbehren wollen!« Innig und weich klangen diese letzten Worte.

Irenes Atem ward erregt und schwer. Stumm 55 ging sie neben ihm. Gesenkten Hauptes. Viele – unerträglich viele Schritte lang. Endlich blickte sie vor sich empor, mit einem Blick, groß und inhaltsschwer und flehend, als flöge er in die Weite um Hülfe aus dieser Not.

»Ja, Sie verstehen mich, Sie haben mir geholfen, Sie haben mir eine neue Bahn gegeben,« sprach sie mit Anstrengung; – – – »wie soll ich Ihnen danken? – – – ich werde immer Ihre Schuldnerin bleiben.«

Er zuckte enttäuscht zusammen.

»Wenn Sie wüßten, wie weh Sie mir tun mit dieser Antwort!« murmelte er. »Mir ist, als drückten Sie mir ein kaltes Goldstück in die Hand, die auf einen warmen Druck der Ihrigen gerechnet hatte!«

Die Lippen aufeinanderpressend, schlug Irene unwillkürlich einen schnelleren Schritt an; Verwirrung malte sich auf ihren Zügen.

»Was hätten Sie denn davon, wenn ich Ihnen mit dem Händedruck antworten würde, den Sie erwarten?« – brachte sie schließlich hervor. Ihre Stimme war bebend vor innerer Erregung. Schreck und Schmerz zitterten durch die Worte.

»Was ich habe?« rief Moralt – »nun denn, der Augenblick will, daß ich noch deutlicher werde! Irene! Sie müssen seit Tagen schon fühlen, wie ich zu Ihnen 56 stehe!« – Da stockte ihr Schritt, sie legte den Kopf eine Sekunde zurück, die Augen schließend; ihr Gesicht war totenbleich.

»Warum mußten Sie mir das sagen,« lispelte sie tonlos.

»Wie?« stieß Moralt hervor, – »das erschreckt Sie? – – das wußten Sie nicht?«

»Ah,« seufzte sie gequält und stampfte kurz mit dem Fuß auf, unbekümmert um die offene Straße, auf der sie gingen, – »warum ließen Sie es so weit kommen!«

»Ich verstehe Sie nicht! Was sagen Sie? – so weit kommen?« wiederholte er, als hätte er nicht recht gehört. »Wenn ich Sie liebe mit meiner ganzen heißen, stürmischen Natur, wie sollte es mich nicht Stunde um Stunde unbezwingbarer nach Gewißheit drängen? Und wie kann Sie das überraschen, erschrecken? Sie können doch nach dem zweiten Tag schon nicht mehr geglaubt haben, mein Erscheinen in Ihrer Nähe, so oft es nur immer möglich war, sei ein absichtsloses, bloß freundschaftliches gewesen, das eines tieferen Antriebes entbehrte?«

»Ich glaubte längere Zeit vor mir zu haben, um mich mit Ihnen zu stellen,« warf sie ein – »Sie interessierten mich, – ich verehrte Sie, – wir sollten Freunde werden!« 57

»Freunde!« wiederholte er wie spottend und lachte schmerzlich gell auf; sie aber fuhr, ohne darauf zu achten, fort: »Freunde sollten wir werden, und nun drängen Sie die Dinge zu diesem unglückseligen Augenblick. Ach, wenn Sie wüßten, wie ich heute früh noch gefleht habe, daß nur das nicht geschehen möge!«

»Sie – – haben –.« Die Frage blieb Moralt in der Kehle. Sein ganzer Mensch fieberte. Verwirrt starrte er auf das Mädchen, keines Wortes fähig.

»Es ist unmöglich!« stieß sie hervor, und ihre Hand wies ihn verzweifelt ab. Er erbebte; ein Empfinden wie Lähmung lief langsam seinen Körper abwärts. Es schien Alles um ihn her zu vergehen.

Ohne ein weiteres Wort gingen sie nebeneinander her, eine ganze Strecke.

– – »Unmöglich? So lieben Sie mich nicht? Das ist die einzige Möglichkeit, die ich weiß!« zischte er ihr endlich zu.

Da sah sie ihn an, ehrlich, herzlich, mit ihrem bleichen Angesicht – wie eine Schwester; und sie schüttelte den Kopf, als riete er fehl.

»Wie, – nicht das der Grund?« fragte er hastig – »nur Verhältnisse, nur äußere Hindernisse, – Sie schweigen? Ah, – was können Verhältnisse denn tun gegen die Macht meiner Liebe! Jetzt erst,« rief er 58 mit wieder auflebender Leidenschaftlichkeit – »fange ich an Alles zu wagen, jetzt, wo der Kampf zu drohen scheint! Was sind mir Hindernisse, Irene, wenn sie nicht in Ihnen selbst liegen? Jetzt will ich mehr wissen, ich will, ich muß Sie – –«

»Halten Sie ein!« flehte sie entsetzt; – – »Sie reden Unmöglichkeit. Nach menschlichem Ermessen ist und bleibt es eine vollständige Unmöglichkeit, daß wir Zwei je zusammenkommen!«

Diese Worte waren klar und schonungslos ehrlich.

»So reden Sie doch heraus!« knirschte er jetzt – »so sind Sie nicht mehr frei?«

– – »Sie haben recht,« nickte sie traurig.

»Alles vorbei!« – – – tanzte es in seinem Gehirn; Funken flogen vor seinen Augen. Sie erschrak, als sie seine verstörten Züge gewahrte.

»Haben Sie denn nichts gemerkt?« versuchte sie mit mildem, freundschaftlichem Ton zu trösten, – »ist Ihnen die Unbefangenheit denn nicht aufgefallen, mit der ich Ihnen vom ersten Tage an entgegentrat?«

»Ich fand sie bei Ihnen selbstverständlich,« erwiderte er dumpf und trocken. »Sie sind ein anderes Mädchen als Tausende; die Unbefangenheit mir gegenüber war in meinen Augen die ganz natürliche Sicherheit und Freiheit eines bedeutenden Wesens!«

Sie ward stutzig. »Wie hätte ich so sein dürfen,« 59 rief sie, – »wenn ich eine Ahnung von dem hätte haben können, was ich damit hervorrufe!«

Er zuckte die Achseln. Sie schwiegen Beide.

Die Menschen auf dem Trottoir sahen ihnen nach. Die Zwei liefen ja durch die Straße wie zwei Gehetzte oder wie zwei Narren. Dieser stattliche junge Mann, diese vornehme junge Dame – sie schienen gar nicht zu wissen, wo sie gingen!

Der Stadt eilten sie wieder zu, und ihre bleichen, verstörten Gesichter erschreckten die Vorübergehenden. 60

 


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