Walther Siegfried
Tino Moralt
Walther Siegfried

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An einem Novemberabend dieses zweiten Winters, da er ohne Licht, trotzdem die Dunkelheit sich schon über die Stadt niedersenkte, zu Hause am Fenster saß und tatlos in die Anlagen, in die Straße, in das Treiben der Menschen hinabsah, trat unvermutet Rolmers bei ihm ein.

Der Norweger fühlte längst, daß nach der ruhigen Zeit wieder neue Gärung in Moralts Innerem sei. Die dunkel gebliebene Stube bot ihm willkommenen Anlaß, des Freundes Stimmung heute genauer zu ergründen.

Er warf seinen Mantel auf einen Stuhl und setzte sich, wie er zu tun pflegte, wenn er ein gutes Stündchen zu bleiben gedachte, auf den Diwan, Moralt an seine Seite ziehend. Nach dem ersten Austausch der Mitteilungen vom Tage rückte er der Sache näher, und Tino, der fühlte, wohin der Freund das Gespräch zu lenken trachtete, ging ohne Widerstand darauf ein. Er war des geheimen Herumtragens seiner Last müde; er beichtete Rolmers seine schwarzen Bedenken über den Wert seiner dichterischen Kraft.

»Aber Freund!« hielt ihm dieser ruhig entgegen, 119 – »willst du abermals jene ungestümen Anforderungen an dich zu stellen anfangen, mit denen du dir dein Leben als Maler verbittert hast? Muß man dir hier neuerdings klarmachen, wie unrecht solch' ein vorzeitiges Verlangen von Früchten ist?«

»Aber bedenke doch,«– erwiderte Moralt – »mehr als ein Jahr schon, – ein paar Entwürfe mit einigen Bogen voll Gedanken dazu, – ein längst angefangenes Werk, und seither dieses Steckenbleiben ohne Möglichkeit fortzufahren!«

Der Norweger schüttelte den Kopf. »So betrachte doch jenen Anfang als etwas Verfrühtes, als einen bloßen glänzenden Zufall, wie wir Künstler alle ihn erleben können, der dich unglücklicherweise zu der Ungeduld verführte, zu verlangen, daß das nun gleich so weitergehe, – und nimm die seitherige Pause mit ihren verschiedenartigen Erzeugnissen, ihren Aufsätzen, Plänen und Ideen ruhig als das hinterher wiedereingetretene normale, langsame Hineinwachsen in deinen Beruf! Warte das Reifen eines größeren Werkes in aller Gelassenheit ab, mag es dauern so lange es will! Sieh, Alles was ein Mensch wie du treibt mit seinem intensiven Empfinden, mit seinem künstlerischen Beobachten, jeder Tag Leben, ob du sichtbarlich auch keinen Strich arbeitest, ist ja für deine Kunst ein Vorwärtsschreiten. Ja, wenn du mir selbst sagen 120 würdest: ich werde noch ein Jahr, noch zwei Jahre lang überhaupt keine Feder zu einer definitiven Arbeit anrühren, ich werde nur leben und beobachten und so lange allen Katzenjammer zum Kuckuck schicken, so würde ich dir aus voller Überzeugung antworten: jetzt hast du das Rechte getroffen. Statt dessen plagst du dich allbereits Tag für Tag damit ab, Rechnung über deine Produktion oder deine Unfruchtbarkeit zu halten, und zerstörst dir dadurch nur die Frische. Es ist ein Fluch!« rief er – »daß du zuerst jahrelang in eine Lebensweise gewöhnt worden bist, welche von jedem Tag seine sichtlich absolvierte Aufgabe verlangte, um später dieses Leben zu führen, in welchem gerade solche Rechnerei das Unmöglichste ist. Aus diesem Zwiespalt in dir entspringt dein ganzer neuer Kummer; denn dein Talent braucht dir wahrlich keinen zu verursachen! So wenig Schreiberseele du von Natur bist, das schreibstubenhaft regelmäßige Leben von einst hat dennoch vermocht, dir diesen Zug philiströser Gewissenhaftigkeit einzuimpfen und die Fähigkeit zu lähmen, mit kaltem Blut die Entfaltung eines Talentes abzuwarten, das unbemessene Freiheit heischt.«

»Du hast recht!« sagte Moralt, seine Hand auf des Freundes Schulter lehnend. Dann blieben sie eine Weile stumm. 121

Die Dämmerung war allmählich in Nacht übergegangen. Aus dem tiefen Dunkel des Zimmers schimmerten einzig mit mattsilbernen Reflexen die Blätter eines schlanken Lorbeerstockes auf, welcher am Fenster stehend, von einer Laterne drunten einen hellen Lichtschein empfing und an die gleichfalls beschienene Decke in edlen Formen seinen Schatten zeichnete. Durch die Stille des Raumes ging gedämpft das Geräusch der Wagen auf der Straße.

»Wie ich schwarzseherisch bin!« gestand Tino, durch des Freundes Zuspruch aufgerüttelt, jetzt selber. »Was wird denn dem Künstler ein Jahr der Entwicklung mehr oder weniger bedeuten an jenem Tage, da er, eine Reihe von Werken hinter sich, auf diese Entwicklungszeit mit ihren Zweifeln zurückblickt? Nichts! – eine Spanne Zeit, um die er unter dem Eindruck des schließlich Erreichten nicht mehr die Hand umdrehen wird. Und da bin ich nun im Begriff, über der Notwendigkeit, ein solches Jahr durchzumachen, auf's Neue in jene Melancholie zu verfallen, die schon einmal mein Leben verbitterte, – – – es ist zu unvernünftig!«

»Nicht wahr?« sagte der Andere.

Die Uhr auf dem Schreibtisch kündete Sechs. Fast zu laut hallten ihre Schläge durch das schweigende Gemach. Der silberne Ton verzitterte in der 122 tiefen Stille wie ein fernes und immer ferneres Singen.

»– – – Unser Durchlaufen des Lebens ist doch ein ganz anderes, als das aller übrigen Menschen,« begann Rolmers vor sich hin zu sprechen, als dächte er einen Gedanken laut weiter, den er eine Weile im Stillen gesponnen. »Der Künstler darf eigentlich weder von einer Einteilung, noch von einem Wert, noch von einem Entfliehen der Zeit im Sinne der andern Menschen wissen; ihm müssen Jahre gleich kurzen Monaten gelten können, und verlorene Tage gleich Jahren, je nachdem sein Werk es erheischt. Er darf nur das Eine kennen: das Leben als gleichmäßig fortfließende Folge von Tagen, als unablässiges, stündliches Existieren für seine Kunst; – mögen die draußen die Zeit, welche er dem einzelnen seiner Werke widmet, Monate heißen oder Jahre, ihm darf das im Fieber seines Schaffens nichts bedeuten! Er muß alt werden können, ohne dessen gewahr zu werden, da in seinem Innern das Feuer immer gleich lebendig, das Bedürfnis und die Lust zu neuen Schöpfungen immer jung bleibt. Und kommt der Tod, so muß er ihm das Werkzeug aus der Hand nehmen, und der Künstler muß, vom Werk aufblickend und seinen weißen Bart zum ersten Mal gewahrend, mit Erstaunen fragen können: schon?«

Moralt zuckte leise mit der Hand und legte sie auf 123 eine andere Stelle von des Freundes Schulter, gleichsam um ihm in dem tiefen Dunkel fühlbar zu machen, daß er ihm lausche.

»So, mein Lieber,« – fuhr Rolmers fort – »mußt auch du lernen, Zeit zu verstehen und das Verstreichen deines Lebens aufzufassen! Dann wird der Tag, welcher nichts Sichtliches zeitigt, ohne unnütze Klage zu ertragen sein, weil auch er da sein mußte, gleich der kleinen Welle im ganzen Strom, in diesem großen Dahinfließen der Jahre, in dieser uneingeteilten Lebenszeit, welche in ihrem Gesamtlauf Werke genug hervorbringen wird, Werke, an denen selbst der unscheinbarste Tag ganz still sein Teil mitgewirkt hat.«

Es war vollständig finster geworden. Vor den Scheiben sang leise der Wind, und der heraufdringende Feuerschein der Laterne flackerte ruhelos hin und her, daß nur der Schattenriß des Lorbeerbaumes an der Decke ruhig blieb, das Licht aber unstet, greller und schwächer, drüber hinflog, die schlanken Formen droben bald zu deutlicher Zeichnung erhebend, bald in verschwommene Massen zerlösend. Moralt hatte nichts mehr zu entgegnen. Sie blieben stumm nebeneinander. Und in dem Dunkel des Zimmers sahen ihre zwei Augenpaare zwei Lebensläufe sich vor ihnen aufbauen, von dieser Stunde ab bis zu jener, da der Tod 124 auch ihnen das Werkzeug aus der Hand nehmen würde. Der Eine schaute, hell erglänzend aus der Finsternis, ein Bild um's andere, aufwärts, bis zu dem lichten Schein, der droben zitterte; – des Andern Lebenslauf, im Dunkel sich verlierend, wies ihm Kampf um Kampf. 125

 


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