Walther Siegfried
Tino Moralt
Walther Siegfried

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Aber die Pausen, – diese erschreckenden Pausen, die seine Produktionskraft nach einiger Zeit zu machen begann! Mochte er sich noch so energisch zwingen, an der Arbeit zu bleiben, mochten heute ein paar gute Seiten entstehen und mit eiserner Beharrlichkeit durchgearbeitet werden, morgen konnte eine dieser Pausen eintreten, die zwei Tage, eine Woche, ja es war schon vorgekommen, fast einen Monat dauerten, und in denen der Geist einfach nichts hergab als vage Gedanken, unbestimmte Empfindungen, die wohl dem Ganzen förderlich blieben, aber keine Möglichkeit zum Fortfahren im Schreiben boten.

Dann saß Moralt seine Tage aus einer Art nutzloser Gewissenhaftigkeit am Schreibtisch ab, ohne etwas zu tun, was für ihn Wert hatte. Selbst Lesen war unersprießlich, weil er nicht mit Gemütsruhe las, weil die Erscheinung dieser Leerheiten ihn zu ängstigen begann.

– Als der zweite Winter nahte, stand es um die Ruhe des jungen Schriftstellers schlimm. Er war nicht mehr imstande, vertrauend abzuwarten, was jetzt nicht kommen wollte; das alte Fieber, entscheidende 114 Leistungen vor sich zu sehen, zehrte wieder an ihm. Und seit einem halben Jahre war nichts entstanden, was ihm volle Beruhigung zu geben vermochte.

Welch' ein Gefühl der Sicherheit hatte er im Frühling jene Wochen hindurch erlebt, da ihm, wie vom Himmel geschneit, die Fähigkeit zu produzieren zugefallen war, und er, früher als er selber erwartet, mehrere Wochen lang Kapitel auf Kapitel an seinem Roman zu schreiben vermocht hatte, weit über ein Drittel des Werkes hinaus; – als er die dichterische Kraft wirklich in sich vorhanden hatte sehen dürfen, die er sich zugetraut.

Und jetzt! – keine Möglichkeit weiterzukommen. Er war wie aus der Stimmung gefallen, wie ein Anderer geworden, vernagelt, nüchtern. Und was die Möglichkeit erst recht untergrub, die fruchtbare Stimmung wiederzuerlangen, war eben diese Ungerechtigkeit gegen sich selbst, dieses trotzige Heischen vom Talent, wo ruhiges Abwarten das einzig Richtige war.

»Welche Qual, diese Geistesleere,« seufzte er, als er eines Morgens wieder verzweifelt in seinem großen Zimmer auf und nieder ging, unfähig, ernstlich zu arbeiten, und unfähig, mit bloßen Nebenbeschäftigungen länger seine Zeit zu töten, – »welch ein Gefühl der Nichtigkeit, der Wertlosigkeit meines Talents! – – Meines Talents? – – meines 115 Mannescharakters wohl eher, der der Energie nicht fähig ist, das launische menschliche Teil zu zwingen, wenn es nachlassen will? Und dessen bewußt sein und dennoch sich nicht aufraffen können, – o Stümper!«

Aber er konnte in der Tat nicht. Es war ein Zustand nervöser Erschlaffung als Folge all der erlebten Schläge über ihn gekommen, ein physischer Zustand, gegen den alles Aufbäumen seiner edlen seelischen Kräfte nichts auszurichten vermochte.

Eine Stunde am Flügel konnte ihm zwar auch jetzt wieder zu einem Aufschwung werden, zu einer augenblicklichen Hebung der Lebensempfindung, in der er dann neuen Mut faßte. Aber ein anderes Mal, als er nach langem Spielen während der Dämmerung begeistert vom Instrument aufgestanden war, sank er plötzlich laß aus einen Sessel nieder und ließ die Arme, die er wie verlangend in's Leere gereckt hatte, mutlos fallen: Niemand und nichts, was er lieben, was er umfassen, was er an sich pressen konnte, und ihm mit ersticktem Schrei ins Ohr knirschen: »so! so lieb' ich dich!« Oh, einen Strahl Liebe und Glück, einen einzigen, in sein armes Leben voll Kampf, in sein grenzenloses Bedürfnis nach Liebe!

Wie ein Schemen, wie ein aufrechter Dunststreif, der vorbeihuschte und zerfloß, erschien ihm in dem dunkeln Raum, in dem soeben die letzten Töne 116 verklungen waren, das Bild Irenes. Er sprang auf, schüttelte entsetzt, unwillig über sich selbst den Kopf, ergriff Hut und Mantel und rannte hinaus auf die Straße, hinein in die Stadt, in die belebtesten, lautesten Gassen, sah die erleuchteten Schaufenster an, die wandernde Menge, die wechselnden Gesichter. »Nur an Jenes nicht denken – nur das nicht!« sagte er sich klopfenden Herzens.

Des Nachts zuweilen, wenn er aus seiner Gesellschaft nach Hause ging, allein, durch die langen, stillen, schlafenden Straßen, wollte die Kraft zum Schaffen plötzlich erwachen. Da gärte es von Ideen, da erstanden ihm Bilder und Bilder; sein Roman begann wieder zu wachsen, sein Held stand vor ihm und lebte. Aus den Steinen des Pflasters am dunkeln Boden schwebten sie empor, von den Mauern der Häuser herab, aus dem Flackern der Laternenflammen und dem leisen Singen des Windes, der sein Haupt umwehte, stiegen sie heran, die Gedanken, in wogendem, drängendem Chaos. Er begann zu fiebern, zu dichten. Er lief dahin; nichts draußen existierte mehr für ihn. Er kreiste über einer werdenden Welt. Noch war's dunkel und wirr; aber er wollte warten – warten – dann löste es sich heraus! – Aber es klärte sich nichts; es löste sich nichts heraus zu deutlichen Gebilden; es wogte nur und drängte und machte ihn düster und toll. 117

Eines Nachts gingen zwei Männer an ihm vorüber, die sangen. Da warf er wie aus einem Traum erwachend den Kopf empor. Die sangen! – sangen? wo er eine Welt gebar, – als wäre nichts. Aber – natürlich! Da hörte er es ja: die Welt ging weiter ohne ihn. Hatten die nicht recht zu singen? War er nicht ein Narr, so eine düstere eigene Welt in sich zu wälzen? 118

 


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