Walther Siegfried
Tino Moralt
Walther Siegfried

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In seinem jetzigen Leben als Schriftsteller wurde Tino bald ein Umstand für sein Schaffen hinderlich und für sein persönliches Wohlsein als ernstliche Störung empfindlich: Das Gezwungensein eines Junggesellen, außer dem Hause zu speisen und draußen seine Gesellschaft zu suchen. War es ihm als Maler möglich gewesen, ganze Tage im Atelier zu bleiben und auch seine Freunde dort zu versammeln, sobald er Abneigung empfand, in den Gasthäusern herumzusitzen, so fiel die Möglichkeit, zeitweilig solchen eigenen Haushalt zu führen, in der Privatwohnung weg. Die Zimmer boten dazu weder genügend Raum, noch stand zum Abhalten von Gesellschaften die Bedienung zur Verfügung. Wenn er also einerseits für sein Schaffen den großen Vorzug der Ruhe eines vornehmen Hauses genoß, so hatte er andererseits den Nachteil, in dieser Wohnung Rücksichten nehmen zu müssen, welche ein Zusammensein mit den Freunden, wie er es bisher gepflogen, ausschloß. Der Eine und Andere kam vielleicht zur Teestunde in der Dämmerung, mit ihm zu plaudern, aber das ungezwungene Beisammensein der ganzen Schar, wie es in der 109 Findlingstraße Brauch gewesen, hatte ein Ende. Dieser schöne Vorteil der früheren Einrichtung begann Tino von Monat zu Monat empfindlicher zu fehlen.

Jetzt erst recht, da er nötig hatte, tageweis mit dem Stoff seiner Arbeit abgeschlossen zu leben, bedurfte er ein Heim, darin er sich einschließen konnte, solange es ihm wünschbar blieb. Wie fatal also der Zwang, täglich hinauszugehen, hinaus in das ungemütliche Treiben der Restaurants, sich seiner Stimmung entreißen zu lassen, gewaltsam zu stören, was mühsam erreicht war: Die Sammlung zum Arbeiten! War ein Maler als Junggeselle eine mögliche Existenz, so erschien Tino ein Schriftsteller in solchen Lebensumständen ein Unding. Daneben fühlte er deutlich, daß er auch menschlich auf jenem Punkte angekommen sei, wo dem jungen Manne selbst die anregendste Freundesgesellschaft das tiefe Bedürfnis nach einem eigenen, in Berücksichtigung der feineren individuellen Bedürfnisse geleiteten Daheim nicht mehr hintanzuhalten vermag.

Schmerzlich rief ihm diese Erkenntnis immer wieder wach, was alles neben dem Innerlichen er auch äußerlich durch den unglückseligen Ausgang seiner Liebe verloren und wohl auf immer verloren hatte. Denn – konnte er voraussehen, daß jemals eine Andere an die Stelle treten könnte, welche Irene 110 einzunehmen berufen gewesen wäre? Undenkbar! Was die Gattin eines Dichters sein muß, um sein Leben zu verstehen und ihn nicht zu hemmen, lernte er immer noch klarer einsehen, je mehr er die Bedingungen zu seinem neuen Schaffen in ihrer ganzen, unberechenbaren Sonderlichkeit erfuhr.

So floß dieser erste Winter dahin, ohne daß er sich an die Mißstände gewöhnen, ohne daß er Abhülfe schaffen konnte. Er beschloß, seinem ersten Buche zulieb in den jetzigen Verhältnissen auszuharren, dann aber auf eine andere Gestaltung der Dinge zu denken.

Den Kopf voll von den hundert Gedanken an sein Werk, die ihn vom Morgen bis zur Nacht und selbst im Traum oft nicht verließen, ging er manchmal mit dem Unbehagen eines Menschen umher, der nirgends zu Hause ist. Und das gerade um so mehr, je besser es eben um seine Tätigkeit stand. An guten Tagen hatte er dann das Bedürfnis, eine Welt für sich zu haben, so stark, daß er oft das Mittagessen opferte und seine Kräfte bis zum Abend anspannte, bloß um sich vor Störung zu bewahren, daß er sogar in der Dämmerung, statt in Gesellschaft zu gehen, in die äußern Quartiere schlich, um in einer obskuren Wirtschaft zu speisen, wo ihn Niemand kannte und er auf keine Fragen Antwort zu geben brauchte. Das alte Bedürfnis der Flucht vor den Menschen, des 111 doppelten und dreifachen Abgesperrtseins, das er als Maler während der strengen Arbeitszeiten gehabt, stellte sich auch jetzt wieder ein und ließ ihn an einzelnen Tagen alle erfindlichen Mittel zur Isolierung benützen.

Die ärmern äußeren Viertel der Stadt wurden seine bevorzugten Spaziergänge. Zumal der lange Weg mit den Arbeiterhütten und den kleinen verlotterten Vorgärtchen, welcher sich vom Nordende der Barerstraße, hinter dem alten Türkengraben, durch Wiesen und durch brachliegende Territorien weit ins Land hinaus bis gegen Schwabing zieht. Die melancholischen Gemäuerhaufen, die fahlen Farben der angestrichenen Fensterrahmen, Türen, und Läden an den schmutziggelben Häuschen, das Durcheinander von kahlen Bäumen, Holzstößen, überwintertem Kohl und verfrorenem Gestäud in den Gärten, von rostigen Eisenhaufen, Wasserpfützen und Backsteinwänden in den Höfchen, die armselig gekleideten Gestalten, zerlumpten Kinder, die vielen gelben und rotgedunsenen Proletariergesichter, unter denen ihn da und dort ein Paar gaunerhaft freche Augen verdächtig betrachteten, – das Alles regte seine Phantasie fruchtbar an zu dem, was er eben brauchte: zu den Entwürfen der Kapitel, welche seinen Freund in der Zeit schilderten, da er, schon tief mit sich zerfallen, auf 112 den boulevards extérieurs von Paris seine friedlose Existenz weiterführte, um bloß den Quartieren fern zu sein, wo ihn jede Viertelstunde ein Bekannter anstieß, ein Freund nach seinem Ergehen fragte.

Und wenn Moralt sich nach solchen Wanderungen, nach solch' einem Abendbrot in einer der geringen Schenken jener letzten Straßen Münchens wieder nach Hause begab, ohne an diesem Tage und an den vorhergehenden einen einzigen Menschen seiner Bekanntschaft gesehen zu haben, so fühlte er sich dermaßen in eine andere Welt versetzt, war seine Phantasie so voll, so reich, daß selbst nach mehrstündiger Arbeit sein Geist nicht zur Ruhe kam, auf seinem Kopfkissen noch die Arbeit im Gehirn fortdauerte, vor seinen geschlossenen Augen die Bilder weiter und weiter erstanden, und seine Gedanken, heller und kräftiger als am Tage, ihn nicht einschlafen ließen, sondern mehr als einmal zwangen, aus dem Bett zu springen und beim flackernden Licht seines Leuchters noch eine Seite Notizen aufs Papier zu werfen. 113

 


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