Walther Siegfried
Tino Moralt
Walther Siegfried

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Mehrere Tage schon hatte Moralt damit zugebracht, sich nach einer andern Wohnung umzusehen. Die gänzliche Veränderung seiner Umgebung sollte so schnell geschehen, daß das Abbrechen seines bisherigen Zeltes gar keine Zeit bieten durfte zu neuen Erregungen. Er wollte gleichsam nur noch mit geschlossenen Augen in den alten Räumen bleiben, wollte nichts mehr für sie empfinden; er fühlte wohl, er war jetzt seiner innern Ruhe Alles schuldig, um mutig für die Zukunft zu bleiben.

Wenn er vom Lande zurückkam, mußte das Bisherige abgetan sein und eine neue Wohnung, ein anderes München ihn empfangen. Rolmers hatte ihn nachdrücklich in diesem Vorgehen unterstützt.

Ein großer Schritt war seit gestern über Erwarten erfreulich erledigt: Rahde hatte seinen Entschluß gebilligt, hatte das Menschliche als einen in erster Linie in Betracht fallenden Faktor gelten lassen und Moralt durch die tiefe Achtung vor seiner Aufrichtigkeit eine große Genugtuung und Erleichterung mitgegeben.

Den dringlich geäußerten Wunsch, das Bild zu sehen, hatte der Schüler dem Meister nicht abschlagen 8 können. Und da, angesichts der Leistung, vor der er unverhohlen sein inniges Bedauern ausgesprochen, daß das die erste und letzte Tat einer so großgearteten Malerkraft sein sollte, hatte er Moralt die Hände geschüttelt und ihn in seinem schweren Entschlusse bestärkt mit den Worten: »Sie tun trotzdem recht; über Alles die Ehrlichkeit gegen sich selbst!« Seitdem stand Moralt dem Meister nur noch näher, und mit der beruhigenden Empfindung, als sei jetzt das Geschehene durch höhere Instanz gewissermaßen sanktioniert und habe seinen Abschluß erhalten, hatte er heute seine Wanderung im Nordviertel, wo er mieten wollte, fortgesetzt. Endlich mit Erfolg.

Am Anfang der Heßstraße, der neuen Pinakothek gegenüber, mit dem Blick in die grünen Anlagen, dann auf die Barerstraße, abwärts über die alte Pinakothek und die Türkenkaserne nach dem Obelisken, war in einem eleganten dritten Stockwerk eine Wohnung von zwei Zimmern frei, die seine besten Hoffnungen übertraf. Denn die Vorzüge eines stillen und komfortabeln Hauses an einer so schönen, freien Lage waren in München nur selten für Untermieter zu genießen. Eine alte Dame, die mit ihrer Gesellschafterin und Dienerschaft dies Stockwerk von neun Zimmern innehatte, ließ zwei davon ab. Der Preis war aber so gestellt, daß sie schon dadurch vor einem Mieter 9 gesichert war, der nicht seinerseits die Ruhe und Qualität eines Hauses, wie dieses war, zu schätzen wußte.

Der Wohnraum, welcher abgegeben wurde, war von angenehmer Größe und ruhig vornehmer Ausstattung, das Schlafzimmer behaglich, und beide Räume so hoch, und bei den weitgeöffneten Fenstern, durch die der Palast der neuen Pinakothek in der Sonne herüberglänzte, so luftig und kühl, daß Moralt sogleich entschlossen war, diese Wohnung zu nehmen. Das Aufstellen seines Flügels wurde ohne Schwierigkeiten gestattet.

Sein Flügel! Noch mehr als bisher mußte ihm der fortan Tröster sein. Was war Moralt die Musik in seinem Leben schon gewesen, was gerade in den letzten Monaten!

Es gab in ihm ja Stimmungen, Augenblicke der inneren Überfülle, von denen kein Pinsel, keine Feder, kein gesprochenes Wort – von denen einzig die Musik ihn befreien konnte. Sie, seine innigste Vertraute, mußte ihm die Stunden intimster Aussprache, Stunden weicher, seliger Abspannung geben. An seinem Flügel konnte er am vollständigsten träumen; da konnte er sich verlieren, weithin in die Unendlichkeit des Immateriellen, so weit wie es nur immer das Bedürfnis seiner Künstlernatur, seiner dichtenden Phantasie, seiner heißen Gefühlsfülle war. 10 Da konnte er aufbauen, was in ihm lebte und wogte, ohne langen Kampf mit Materie und Technik, durch welche das unsagbare Wohlgefühl schöpferischen Vermögens sonst so harte Ernüchterungen erleidet.

Der begeisterte Fleiß, den er in jungen Jahren seinem Spiele gewidmet, trug jetzt reichlichen Lohn. Sein Spiel war längst nicht mehr das Spiel eines Dilettanten, es war auch nicht das Spiel eines Virtuosen, – es war die Musik eines ganzen, innerlichen Künstlers, der die technischen Mittel so weit vollkommen beherrscht, als sie zum genußreichen Musizieren nötig sind.

Sie hatten in München zwei Winter lang ein Quartett gehabt, drei Maler und ein Musiker, der sie viel an Bach und Beethoven gehalten. Aber die Einen waren weggezogen, und zu Moralts Bedauern fand sich kein Ersatz. Seither hatte er nur noch Zakácsy zum Zusammenspiel.

War Schumann so recht eigentlich Tinos Träumen, so war slavische Musik seine Leidenschaft. Die ungarische Musik, für welche er die besondere Empfindung durch das viele Spielen mit Zakácsy immer noch mehr in die Nerven bekommen hatte, liebte er wie eine seltsam heißblütige, fremdländische Geliebte, zu der man in Stunden flieht, wo das Herz nach wilder Lust und weichem Ausklagen verlangt. Die 11 Weisen der ungarischen Steppengesänge, diese vollkommenste Melancholie in Tönen, und dann die wilden, tollen, lustigen, traurigen Tänze der Zigeuner, sie schienen ihm ein Ganzes, Vollkommenes, der vollendete Ausdruck des ungezügelten Empfindungslebens einer ursprünglichen Nation.

Diese Synkopen! die ihm vorkamen wie der Zaum, der mühsam und gewaltsam den stampfenden Hengst der Leidenschaft, der wilden, ungebändigten Kraft zurückzuhalten, seine Temperamentswut einzudämmen sucht, um auf einmal zu reißen und in zügelloser, herrlicher Wildheit austoben zu lassen, was an Kraft und Feuer überschäumt.

Und jene Legenden, jene alten Volksweisen, klagend in Wohllaut und dazu bestimmt, von der tiefen Stimme eines Pußtamädchens gesungen, oder von der dunkel klingenden Bratschgeige eines Hirten ertönend, hinzuziehen über die schwankenden Gräser, fern in der Steppe, im Abendwind, – sie vermochten den jungen Künstler einzuwiegen in jene sehnsüchtige, große Empfindung, aus welcher er die herrlichsten Intentionen zur Arbeit schöpfte. 12

 


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