Walther Siegfried
Tino Moralt
Walther Siegfried

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Er saß jetzt wieder in seinem Atelier – es mochte fünf Uhr sein – und überlegte, womit er zu räumen, zu packen beginnen sollte. Er hatte den Flügel aufgemacht, ein paar Akkorde gegriffen, war wieder weggegangen, indem er das Instrument offen ließ, hatte sich schließlich in den Kirchenstuhl gesetzt und ließ die Augen den Wänden entlang gehen.

Es herrschte eine angenehme Frische im Atelier, und der blühende Magnolienstock und die grünen Pflanzen, die oben dem ganzen Gesims des Fensters entlang standen, bewegten sich leicht im Hauche des Luftzuges, der durch die geöffneten Scheiben des hohen Glasvierecks hereinströmte. Weiches Licht des Spätnachmittags webte durch den Raum.

Da glaubte Moralt ein Geräusch wie von Frauenkleidern dicht vor der Tür zu vernehmen. Er horchte hin. Gleich darauf wurde wirklich geklopft. Ohne sich erklären zu können, wer das sein mochte, öffnete er und sah vor sich eine große, schwarze Dame, dahinter zwei junge Mädchen. Eine Sekunde stutzte er.

»Frau von Hauser!« rief er dann, die langjährige Gutsnachbarin seiner Eltern in Heidelberg und Freundin seiner Mutter erkennend. Eine warme Freude 13 über diesen unverhofften Besuch glänzte in seinen Augen.

»Wir haben zwei Tage gebraucht, lieber Herr Moralt, bis wir Sie fanden,« sagte Frau von Hauser, – »und bis wir nun dazu kommen, zu sehen, was aus Ihnen geworden ist!«

Moralt hatte die Mutter zum Diwan geleitet, den Töchtern die zwei roten »Salzburger« angeboten und rollte sich einen Kissensitz herbei.

»Wir wissen ja seit einem Jahre nichts Anderes mehr von Ihnen, als was uns Ihre Karte zu Neujahr gesagt hat!«

»Und das war nicht viel!« unterstützte Gertrud, die ältere Tochter, den Vorwurf der Mutter. »Einzig, daß Sie noch am Leben seien, erfuhren wir dadurch, und daß Sie damals eben tief in einer Arbeit steckten.«

Der Maler lächelte verlegen. Er hatte bisher Frau von Hauser hie und da Nachrichten von sich gegeben, aber diese Rücksicht seit dem Herbst, wie so manches Andere, außer Acht gelassen.

Das Atelier und seine Einrichtung, welche die Damen inzwischen zu betrachten begonnen hatten, half aber schnell über diesen Punkt hinweg, und mit der Sicherheit und Behaglichkeit des Tons, welche alte Beziehungen auch nach langer Trennung sogleich wieder finden lassen, waren sie Alle bald in 14 herzlichem Austausch über die Erlebnisse der paar Jahre, in denen man sich nicht gesehen hatte.

Gertrud, eine stolze Gestalt wie die Mutter, mit etwas großen, kühnen Gesichtszügen und glattem, blondem Haar, mochte jetzt vierundzwanzigjährig sein, während ihre jüngere Schwester Irene, die Moralt seit ihrer Schulzeit, seit mindestens fünf Jahren, nicht mehr gesehen hatte, zu einem ebenso interessanten als anmutvollen Mädchen von bald zwanzig Jahren herangewachsen war.

Eine mittelgroße Figur von sehr schönen Linien, an welcher dem Blick des Malers sofort die edle Zeichnung des Halses und der Schultern auffiel, ein imponierender dunkler Kopf, aus dessen lebhaften, ein wenig energischen, aber dennoch durchaus mädchenhaften Zügen ein paar große, inhaltvolle Augen von tiefem, weichem Braun dem alten Kameraden entgegenschimmerten.

Überrascht von dem eigenartigen Reiz dieser Erscheinung, von dem bedeutenden geistigen Ausdruck, mußte Moralt von der Mutter und Schwester weg seinen Blick immer wieder Irene zuwenden, um sich zurechtzufinden in diesen Zügen, die ihm an der kleinen, einst sehr kecken Nachbarin wohlbekannt gewesen, sich nun aber so erstaunlich ins Weibliche und ins Geistige entwickelt hatten. 15

Ihr schien auch Moralt stark verändert. Er war mit zweiundzwanzig Jahren noch nicht so stattlich gewesen und nicht so fesselnd durch den Ausdruck des Kopfes. Und doch, in seinem Antlitz lag etwas, – Irene versuchte auch ihrerseits, sich zurechtzufinden. Was war denn darin so anders geworden? Hatte er gelitten? Er schien ihr bei aller kräftigen Haltung so blaß unter seinem dunkeln Haar. Sie betrachtete ihn aufmerksam, während er mit den Andern sprach.

Wie seine Züge zwischen dem Lächeln manchmal plötzlich eine ernste, fast traurige Ruhe annahmen! Jetzt gerade! während er ihrer Mutter zuhörte, – fast wie Resignation eines Mannes, der viel erlebt hat. Und doch war der ganze Mensch noch so jugendlich. Wie aber Moralt jetzt lachte und lustig seine frischen Zähne sehen ließ, wie er lebhaft erzählte, da wurde er doch vollkommen wieder der Alte. Das Warme, Herzgewinnende des Tino von ehedem war wieder in seiner Rede, im ganzen Wesen. Nur war an Stelle des Quecksilbers von damals eine sichere Männlichkeit getreten, etwas behaglich Vornehmes, mit der zwanglosen Art des Künstlers gewürzt.

Frau von Hauser empfand mit Freuden, je länger sie sich unterhielten, desto deutlicher am Sohn ihrer Freundin dieses Selbständige, seinem inneren Wesen getreu Ausgereifte. 16

Sie hatte den Jungen mit seiner besondern Veranlagung immer wohl verstanden und liebgehabt und für seine Pläne und Liebhabereien bei den Eltern manch gutes Wort gesprochen. Tino war in ihrem Landhause, wo er neben bedeutenden deutschen Gemälden zum erstenmal einen Millet, mehrere Corot und einen Diaz gesehen hatte, ebenso heimisch gewesen, wie die beiden Mädchen bei seinen Eltern. Seit einigen Jahren Witwe, hatte sie ihre Besitzung in Heidelberg aufgegeben und ein Landgut im Taunus bezogen. Da der dortige Aufenthalt sie und ihre Töchter aber fast vollständig vom gesellschaftlichen Verkehr abschloß, so verbrachten die Damen jährlich mehrere Monate auf Reisen und gedachten jetzt einen Aufenthalt von zwei Wochen in München zu machen. Wenn Tinos Zeit also nicht durch seine Arbeiten allzusehr in Anspruch genommen wäre, hofften sie ihn öfters zu sehen.

»Meine Arbeit?« lächelte er, als sie auf diese Fährte kamen, unschlüssig, was er sagen, was er verschweigen sollte. Da sah er Irenes Augen auf sich gerichtet, als erwartete sie sein Anerbieten: ihnen nun einen Einblick in sein Schaffen zu gewähren.

»Meine eine Arbeit,« sagte er, »ist soeben fertig geworden, und bevor ich an Weiteres denke, werde ich überhaupt Pause machen.« 17

Die Mutter hatte inzwischen das Bild bemerkt, das dort seine Rückseite zeigte; Moralt stand auf und drehte die Staffelei herum.

»Ein Bild? Schon Ihr erstes Bild?«

Tino nickte und rollte das Gemälde in's Licht.

Über Irenes Gesicht ging mit dem ersten Überblicken eine Bewegung.

Keine der drei Damen sprach ein Wort, aber Moralt konnte sich nicht täuschen: auch diesen Beschauern machte das Werk Eindruck.

»Welchen Namen geben Sie ihm?« fragte schließlich Frau von Hauser, noch bevor sie ihren Empfindungen Ausdruck gab, – »haben Sie einen bestimmten Vorwurf gehabt, oder soll es bloß eine Stimmung sein?«

»Bloß eine Stimmung.«

Gertrud war vorgetreten und prüfte Einzelheiten. Sie bewunderte an Gemälden die Arbeit mehr, als den künstlerischen Gehalt, für den sie nur mäßiges Verständnis besaß. Sie war eine positive Natur, malte und musizierte nicht, liebte Pferde und kühne Ritte, liebte Meerfahrten und Gebirgswanderungen, liebte Alles, was körperliche Übung hieß und war daneben bestrebt, ihrem Leben Zweck zu geben, indem sie in ihrer Stellung als reiches Mädchen sich an der Armen- und Krankenpflege in der Umgegend ihres 18 Gutes beteiligte, und zwar nicht bloß mit Geld, sondern mit derselben Anstrengung ihrer Person, die sie in ihren Vergnügungen an den Tag legte.

Irene hatte sich auf eines von Moralts niederen Taburetts gesetzt und war mit ganzer Seele verloren in die Macht dieses Werkes. Er bemerkte es. Einen heißen Blutwall fühlte er in sich emporschlagen, als er ihr Auge sah.

War sein Bild auch aus ihrer Seele heraus empfunden, daß sie darin verweilte wie in einem bekannten Land?

Ihr Blick blieb unverwandt darauf geheftet. Ihre Mutter war die Erste, die wieder ein Wort sprach:

»Ein schönes, schönes Werk, Herr Tino! Mich hebt es mit sich in die mächtige Stimmung. Wissen Sie, daß es unsereinem, der sich ein wenig altväterisch vorkommt mit seinem Geschmack, ein wenig gar von einer anderen Zeit, ganz wohl tut, etwas Derartiges bei einem jungen Maler zu treffen? Wir waren letzten Herbst in Brüssel und Antwerpen, und da fühlte ich mich ganz ausrangiert aus der Zahl der Leute, die sich an der dortigen modernen Malerei freuen konnten.«

Moralt, seine neugeweckte Traurigkeit niederkämpfend, zeigte sich erfreut und wollte sich eben zu dem Geständnis zwingen, daß ihm dies Urteil das 19 Liebste sei, das er hören konnte – da erklang vom Flügel Musik.

Sie wendeten überrascht die Köpfe und erblickten – Frau von Hauser nicht ohne Verlegenheit – Irene, die sich ohne Bedenken darüber, daß sie zum erstenmal seit Jahren wieder mit dem jungen Manne zusammen war, hingesetzt hatte und jetzt, ohne auf die Andern zu achten, den dunkeln Blick groß vor sich emporgerichtet, in vollständiger Hingabe an ihre Stimmung ein Schumannsches Stück zu spielen begann, – – – das Stück, welches gerade Moralts eigentlichste Herzensmusik war! – zu spielen, wundervoll, wie es nur ein Wesen spielen konnte, das die höchste, die mächtigste Sehnsucht empfindet: die Sehnsucht einer Künstlernatur.

Moralt stand wie gebannt. Stumm nahm Frau von Hauser Platz, Gertrud hielt sich an der Wand. Der Maler blieb stehen, seine Augen auf Irene gerichtet. Sein Herz zitterte in einer schmerzlichen Wonne. Was gab ihm dieses Mädchen da! Die höchste und letzte Anerkennung seines Werkes, den Beweis, daß also Alles wirklich in seinem Bilde lag, was er hineinzulegen einst erträumt hatte. Da! – – da! – – hörte er ja, was Irene davor empfunden hatte. Das, was sie spielte: die namenloseste, unendlichste Sehnsucht; glühend, leidenschaftlich, verzehrend und 20 dann sich lösend – unerfüllt – in schmerzlich süßen, ersterbenden Wohllaut. Regungslos betrachtete er ihr Gesicht, ihre Gestalt, ihre Hände; er hätte auf sie losstürzen mögen, ihr diese Hände zu küssen, ihr zu danken, zu danken für das, was sie tat, zu danken dafür, daß sie seiner wunden Seele, seinem heiligsten Innern so wohlzutun verstand.

Jetzt, da unter ihren Fingern die letzten Akkorde verklangen, weich, als verzitterten sie in weiten Fernen, wandte sie ihr Haupt langsam nach ihm um, und ein großer Blick, halb noch nach innen gekehrt, halb fragend an ihn gerichtet, begegnete dem seinen. Er war einen Augenblick wie im Traum. Das Höchste, was der Künstler erleben kann, war erlebt: ein Verständnis seiner Kunst, das über dem Ausdruck mit Worten stand.

Sie war nun zu Ende. Er nickte nur stumm und schaute sie an. Da neigte sie vor diesem Blick das Haupt und ging, seine dargebotene Hand drückend, schweigend an ihm vorüber zu ihrem Taburett. Es war eine Weihe über dem Augenblick, welche Beide mit einer heiligen Scheu empfanden.

Diese Wirkung von des Mädchens Tat war wohl stärker, als es selber erwartet. Eine gewisse Verlegenheit hatte sich der Mutter und der Schwester bemächtigt, und es dauerte eine geraume Weile, bis der natürliche Ton von zuvor wiedergefunden war. 21

 


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