Walther Siegfried
Tino Moralt
Walther Siegfried

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In einem Wagen waren sie nach Thalkirchen gefahren und kehrten nun an dem schönen Frühlingsabend zu Fuß durch die Isar-Anlagen gegen München zurück. Frau von Hauser hatte sich diesmal den jungen Leuten angeschlossen und ging an Gertruds Arm langsam hintendrein, während Tino mit Irene absichtlich etwas vorauszukommen und wenigstens eine Strecke weit mit ihr allein zu sein suchte; denn er war mit sich einig geworden, vorderhand Mutter und Schwester nicht von seiner letzten Zeit und von der bevorstehenden Änderung seines Berufes zu sprechen, sondern allein Irene jetzt davon in Kenntnis zu setzen und sie so deutlich fühlen zu lassen, wie nahe sie ihm bereits innerlich stehe.

In diese Sache vertieft, waren die Beiden den Andern weit vorausgelangt und wandelten, vom Hauptweg abgeraten, durch einen dichtumgrünten Seitenpfad, zwischen verwilderten Gebüschen, unter Buchen und Birken dahin. Jetzt hielten sie an. Dort vor ihnen lief dieser kleinere Weg wieder in den größern ein, auf welchem die Andern geblieben.

Er hatte ihr nun die ganze traurige Geschichte 43 seiner Malerlaufbahn erzählt, wie sie sich seit dem Herbst entwickelt hatte; ehrlich, mit allen Hoffnungen und allen Enttäuschungen, dann seinen Entschluß, nie wieder zu malen, Alles, auch was er nun zu beginnen gedachte, und daß er sich auf der neuen Laufbahn mehr zutraue.

Irene hatte ihm zugehört, mit Begeisterung und mit Verzweiflung, wie immer seine Schilderung ihr Empfinden führte. Er hatte gesehen, wie sie unwillkürliche Bewegungen des Schrecks und des Mitgefühls gemacht hatte, als er von Nicolo erzählte und von dem Ausgang der Sache. Mitgelebt hatte sie diesen Kampf, vom heiligen Feuer des Beginns bis zum traurigen, dumpfen Ende. Sie hatte ihn vollkommen verstanden, ihn in Allem begriffen, und ein warmer, dankbarer Stolz regte sich in ihr, daß er sie eines solchen Einblicks in sein Leben, in sein tiefstes künstlerisches Innere würdigte.

Jetzt reichte sie ihm herzlich die Hand und sprach mit überzeugtem Ton: »Wer sich als Künstler durch solche ehrliche Kämpfe selber gefunden hat, dem muß es ja schließlich gelingen; nun gehen Sie aber auch mit Mut in die neue Kunst! Wenn Ihnen das etwas wert sein kann: ich glaube an Sie!«

Da preßte er leidenschaftlich ihre dargebotene Hand, er sah sie groß und flammend an – – und 44 sie – erwiderte herzlich und unbefangen seinen Blick. In ihren tiefen braunen Augen glänzte es klar und lauter wie nie zuvor.

»Ein rätselhaftes Geschöpf!« – zuckte es durch Tinos Seele. »Diese unbeirrbare Natürlichkeit, diese immergleiche Unbefangenheit, wo ich zergehe vor Glut, mich kaum mehr beherrschen kann, nicht sogleich das Äußerste zu wagen!« – Sein Gesicht verriet die Enttäuschung. Er senkte den Blick. Und während sie ihren Gang wieder fortsetzten, ward er schweigsam und ernst.

Betreten schaute Irene in die Bäume.

Als sie in die Allee hinaustraten, erblickten sie in kurzer Entfernung schon die Andern; die Möglichkeit war Tino somit abgeschnitten, den Faden, der für ihn soeben so sonderbar abgerissen, an diesem Abend wieder anzuknüpfen. 45

 


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