Willy Seidel
Der Buschhahn
Willy Seidel

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Beschluß eines Briefes

Der welthistorische Tag war gekommen. Sonnabend morgen erreichte die Panik im Hühnerstall ihren Höhepunkt. Auf der Lotsenstation war ein kleiner Kreuzer gesichtet worden, als er seine Spürnase vorstreckte. Hinter ihm tauchten fünf andere Schiffe und zwei Transportdampfer auf. Darunter war ein alter französischer Blechkasten, die »Montcalm«, mit sieben Metern Zielfläche über dem Wasser; das Geschwader hatte sie in Neukaledonien aufgegabelt. Ich vermute, man brauchte sie nicht zu überreden; sie schloß sich nur allzu gern an – der bewußten sieben Meter wegen.

Es war ein fabelhafter Aufwand für das bißchen bewachsene Lava. – – Die »Schrecklichkeit« unserer Verwandten zweiten Grades war in diesem Winkel der Welt offenbar überschätzt worden; – – eine einzige Breitseite des schmächtigen Kreuzers hätte genügt, um diese Handvoll Teutonen ins Nichts zu blasen – – wodurch die Welt in diesem speziellen Falle nichts Wesentliches verloren hätte. Einige Leute, die mit »Schreckfarben« angetan herumstanden – die dreißigköpfige Verteidigungsmannschaft, von der ich Dir bereits berichtet – wurden gebeten, »abzulegen«. Dies; das Herunterholen der Fahne in Mulinu‘u, in deren Seil man einen kunstreichen Knoten fand, und die 21 Böllerschüsse zu Ehren des amerikanischen und des englischen Konsuls, die an Bord des Kreuzers gingen, waren die ersten militärischen Maßnahmen. – Sie waren mild; das Symbolische überwog.

Weniger symbolisch war, was dann erfolgte: die Requirierung aller Gäule und Fuhrwerke, die Okkupierung der Hotels und »Saloons« und die rüde Behandlung der Leute von der Funkenstation. Diese Station war mit größter Sachkenntnis demoliert worden. Immerhin wurden die Experten nicht erschossen – wie man ihnen zunächst versprach – sondern nach Suva transportiert.

320 . . . Ein schwermütig blickender Mischling, Olfers, der die Angewohnheit hatte, vom Balkon des »International« herabzuspucken – – die Füße auf dem Geländer und nichts als einen schwarzseidenen Kimono zwischen der Welt und seiner Blöße – – erinnerte sich auf einmal gewisser preußischer Methoden, die er erlitten. – Sein Geschäftspartner, ein polnischer Friseur mit der Kraft eines Zirkus-Athleten, hatte sich bisher harmlos damit ergötzt, Fußball mit ihm zu spielen; den Gästen mußte etwas geboten werden. – – Olfers hatte das lächelnd mit sich geschehen lassen; doch saß er wie eine Klette auf seinem Geschäftsanteil und vertrank ihn in pittoresken Posen auf Korbstühlen. – – Nun hatte er einen lichten Moment.

Er sprengte aus, das Hotel sei voller Waffen.

Zu früher Nachtstunde, als der Lärm am höchsten flutete, erscholl draußen ein leises »High up!« – – 150 Gewehre richteten sich klappend in die Höhe . . . Etwa dreißig konsternierte Patrioten, der scherzhafte Athlet an der Spitze, wurden roh in ihren Gesängen gestört und zu Paaren getrieben. Der Mischling, in seinen Kimono geschlungen, eine Zigarette zwischen den feinen Fingern drehend, wohnte wie ein befriedigter Regisseur dieser Szene bei. Man stülpte das ganze Hotel um und fand keine Schrotkugel. – – Der Mann wurde später als unheilbar säuferkrank erklärt; jedoch geriet er unter andere Methoden: nämlich unter die Rauheit der australischen Jungen, in der ein Schatten Gefühl steckt. – Er wandelte umher als Plakat für einen Vater, der ohne Zweifel einen edlen Kopf besessen hat. Mich interessierte der Kerl. – Er war eine vollkommene Schale von einem Gentleman, gleichsam ein Abguß in Braun, aus dem man die innere Füllung herausgeschlagen hat . . . Er soll seitdem ein kindliches Glück zur Schau getragen haben. – Eine erschöpfende Genugtuung wie die seine ist beneidenswert! – – . . . Während all die deutschen Beamten vorläufig suspendiert und die öffentlichen Sitze mit englischem Personal gefüllt wurden, verbreitete sich 321 das Gerücht, daß auch die gewöhnlichen Pflanzer und Kontoristen als Kriegsgefangene abgeführt werden sollten. Man stellte sich so eine Art Prozession mit Ketten und Nackenhölzern vor . . . Die Straße wimmelte von Samoanern, die sich das Schauspiel nicht entgehen lassen wollten. Aus fernsten Dörfern wallten sie herzu, begeistert bereit, tagelang auf dem Strand zu hocken, nur um auf ihre Kosten zu kommen. Sie sind ein undankbares Gesindel; man hatte sie nie schlecht behandelt; doch glaube ich nicht, daß sie ausschließlich aus Schadenfreude kamen. Selbst wenn man eine halbnachsichtige Überlegenheit über Autoritäten als Praxis übt, ist es immer eine Sensation, die man nicht versäumen darf, wenn eine Autorität wechselt. Auch gibt es unendlichen Geschwätzstoff in den Dörfern . . .

Die Chinesen waren es nun, die ihnen alles verdarben; denn diese kamen von den Pflanzungen herunter, und es wurde ihrer eine unheimliche Menge. Der Reis war wegen Knappheit der Furagezufuhr wochenlang ausgeblieben; es war eine Reisnot ausgebrochen. – – Alles, Mangel an Weibern und Opium, läßt sich vertragen; nur das nicht. – Sie glaubten jetzt, die Zeit zu einer Revolution sei gekommen; so stellten sie sich hin und machten ein stereotypes Geschrei vor dem Bezirksgericht. Da wurden die »Leoleos« beauftragt, die Gelben wegzuschaffen. Es war sehenswert, wie sie die dürren Kerle, die nichts wogen, an ihren blauen Kitteln packten – bündelweise, hätt' ich fast gesagt – und sie über den Zaun schmissen; sie direkt im Schoß der Vergeltung landen ließen. Nichts erinnert mehr an das Geschrei von Truthühnern, wie Angst- und Wutausbrüche von Chinesen . . . Die Samoaner fühlten ihre Würde bedroht und wallten wiederum heimwärts – – zu »vague« jedoch, um enttäuscht zu sein . . .

 

. . . Am Montag ging ich zum Provost-Marshal, namens Tottenham, um meinen Reisepaß zu holen. Er hatte den Lagerraum des Postgebäudes – eines grasgrün lackierten 322 Bungalows noch aus den Tagen des »Bloody Eagle« – für sich und seinen Stab für die Dienststunden belegt. Als ich eintrat, hatte ich den Eindruck eines großen und allgemeinen Transpirierens.

– Du mußt nämlich wissen, daß all diese Leute für eine Reise ins nördliche Frankreich und für den Herbst ausgestattet waren: mit dicken Stoffen, dicken Gamaschen, mächtigen wassersicheren Stiefeln und Wollshawls aus dickstem Homespun, gegen die eine Boa constrictor um den Hals – im Moment des Erdrosselns – noch ein Aufatmen bedeutet hätte. Order, die Südsee zu erobern, war erst im letzten Augenblick gegeben worden; und die guten Jungen, konserviert in neuseeländischer Kühle, langten mit krebsroten Gesichtern an . . .

Selbst ihr Maori-Schlachtgesang:

»Komati komati kaura kaura...«

sowie ihr trillernder Liebes-Lockruf:

»Come down the W-a-n-g-a-n-u-i,
floating in my c-a-n-o-e-i...
«

hatten keinen rechten Zug hier; ich verstehe den Verdruß.

Man kam in der besten Absicht, das »Tier von Potsdam« mit Kugeln zu durchlöchern, wenigstens seine Abbilder, in effigie sozusagen – und geriet statt dessen auf ein Häuflein eingeschüchterter Weißer, gegen die ein bescheidener Straßenauflauf zu Hause wie Umsturz alles Bestehenden gewirkt hätte. – Und unter diesen Weißen waren noch dazu Neutrale, die McGrew oder Van der Gracht hießen, oder sogar mit halbspanischen Namen herumliefen (wie der Verfasser dieses Berichts); Leute, denen man nicht einmal mit gutem Gewissen versichern konnte, »Bill« sei mit einer Mine in die Höhe geflogen . . . Die übrige Armee, mit der man fertig zu werden hatte, waren dreißigtausend wohlgenährte Samoaner, die nichts mehr schätzten, als daß man sie in Ruhe ließ. Und die Maschinengewehre? – – Was fing man nun mit den Maschinengewehren an? – – Man schoß die Korallenriffe kaputt und wettete. Dabei 323 war es warm; scheußlich und unveränderlich warm. – – Wahrhaftig; ich verstehe ihren Verdruß. –

Tottenham, ein bronzefarbener Hüne in Khaki von über sechs Fuß, wischte sich gerade sein großes gutgeschnittenes Gesicht mit einem seidenen Taschentuch von der Ausdehnung eines Frottiertuchs, als ich eintrat. Er hat eisengraues Haar, natürlich gehalten; es war eine Erholung nach all den Bürsten- oder Pomadestrukturen, die mir die andere Rasse geboten . . . Ich vermute, er ist Schotte. Die Augen liegen etwas tief, sind stahlgrau und schwarzbewimpert. Zuerst blinzelte er teilnahmlos herüber; dann aber, nach kurzer Überlegung in diesen tiefliegenden schottischen Augen, erhob er sich – es dauerte beträchtlich, bis er stand – und reichte mir ohne weitere Vorstellung eine mächtige Hand, in der die meine fast verschwand. Hierauf befahl er einen Stuhl und drückte mich mit einer Gebärde hinein; höflich lächelnd; – worauf er selbst zurücksank.

»Sie brauchen einen Dolmetsch?«

»Nein.«

»Dachte das . . .« meinte er, und ließ mir Zeit, darüber nachzudenken, warum er das dachte. – – Als er fragend die Brauen hob – er hatte mich inzwischen wohlwollend betrachtet – erklärte ich ihm, ich wolle einen Paß nach Santiago, mit der »Navua«. – – »Ich bin Chilene,« fügte ich bei; – »ich bin nicht deutsch.«

Er nickte langsam.

»You don't quite look it –« bestätigte er ebenso unvermittelt wie unsachlich. Hierauf ließ er mir wieder etwas Zeit darüber nachzudenken, ob er eine Schmeichelei beabsichtige oder sein Bedauern ausdrücken wolle. – Ich neige jetzt der ersten Annahme zu. –

Papiere hätte ich keine zur Hand; erklärte ich weiter. Mein Name sei meine einzige Legitimation.

Die Wirkung dieser letzteren Erklärung war selbst für mich verblüffend. Ich hatte keinen preußischen Bureaukraten erwartet, das ist wahr; aber auch keinen, dem schon die 324 bloße Erwähnung von Papieren Heiterkeit verursachen würde.

»Higgins!« – – rief er gedämpft. – Ein Jüngling erschien und deutete Salut an.

»Stellen Sie Herrn . . . Ollendiek-Velez? . . . einen Erlaubnisschein aus . . . nach Santiago? . . . Santiago zu fahren. Mit der ›Navua‹, ja.«

Ich mußte es mir mit der größten Mühe verkneifen, nicht albern zu werden; aber diesmal aus einem anderen Grund wie während meines Interviews mit dem Geheimrat . . . Ich konnte nicht umhin, Tottenham eine kurze Schilderung jener Schwierigkeit zu entwerfen. – Er zuckte die Achseln; dann sagte er: »Mein lieber Herr, wir haben kein Interesse daran, Sie mit Gewalt hier festzuhalten. Erstens sind Sie Chilene; es würde uns mehr Mühe machen, die Beweise dafür zu bekommen, als Sie nach Sydney zu transportieren. – – Zweitens . . .«

In diesem Augenblick drang ein Geräusch herein. Es kam aus dem »Zentral-Hotel«; es war »Donnerhall«, von Klappern untermischt . . . Der Gedanke schoß mir durch den Kopf, daß es sich eigentlich um Dinge handele, die man besser mit schweigendem Widerstand, schweigender Selbsterkenntnis und Kraft vertrete, als mit aufreizendem Gebrüll unter den Ohren einer bis dahin leidlich toleranten Kriegsbesatzung.

Tottenham unterbrach sich und lauschte. – Dann näherte er sein Gesicht dem meinen, sah mich mit stahlgrauen erfahrenen Augen an und fuhr in gleichem Tonfall fort:

». . . Zweitens sind Sie nicht der Typus, der eine Gefälligkeit mißbraucht. – Wünsche angenehme Reise!«

Er reichte mir den Paß, nahm meine Hand noch einmal in seine ungeheure Flosse und begleitete mich zur Tür. 325


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