Willy Seidel
Der Buschhahn
Willy Seidel

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Preisung der Matten von TanumalētoSiehe Krämer über Stellung und Bedeutung der Matten. Meine Schilderung baut sich auf mündlichen Berichten auf. Vom samoanischen Text einer solchen »Mattenpreisung« habe ich eine freie Übertragung verwendet.

Hier liegt Tufu-Gautaivai, durch einen Alia, ein kristallklares Bergflüßchen, von Tufu-Gataivai getrennt, das als spitzer Vorsprung, von silberner Brandung bestürmt, ins Meer ragt: ein sanfter Hügel, auf dessen geschützter Platte Dach an Dach sich drängt, durchsetzt von lichtgrünen, sternartig strahlenden Wedeln.

Es herrscht Sonntagsstille in Tufu-Gataivai. Ein mäßig großes Schwein, schieferschwarz und rosa gefleckt, belebte den breiten Platz in der Mitte des Dorfes. Es sucht leise grunzend nach Abfällen; dabei hat es sich, vermöge einer sprungfederhaften Bewegung des Rückens, mit einem zerschlissenen Palmblatt bekränzt und schleift es weiter, einsam und festlich. Plötzlich gibt es ein lautes Gedröhn: eine leere Cornedbeefbüchse wird in die Luft geschleudert. Dann wieder rasselt es, wie die Fruchthülsenklappern an den Füßen tonganischer Tänzer: der Rüssel macht Tumult mit ausgebohrten Nußschalen. Das Schwein ist keine plumpe Walze aus Fett – – es ist ein regsam trippelndes Haustier. Es hat die Schlankheit und die pfeilschnelle Zielbewußtheit seiner schwarzen Brüder im Busch.

Die windstille Luft ist von einem vibrierenden Klang erfüllt . . . Der Klang steigt und fällt; zuweilen bohrt er sich korkzieherartig in die Höhe. Ist es das Gezeter einer gepeinigten Seele? – – Nein; der Londoner Pastor predigt. Der Klang ist stärker als das metallische Poltern der Brandung, die die Höhlungen der Lavafelsen mit Echo füllt. Feierliches liegt im Schoß der nächsten Zukunft. Das Gekeif aus dem weißgekalkten Kirchlein schallt herüber bis nach Tufu-Gautaivai, bis zu dem Hügel, auf dessen Spitze das Bungalow von »Sale Kuka« liegt . . .

Das Schwein gerät jetzt an eine Stelle, wo Gewohnheit es zurückprallen läßt. Spürt es einen Hagel kleiner Steine, von geisterhafter Hand geschleudert? – – Doch solchen 197 Empfang träumt es nur; ohne Widerstand zu finden, betritt es das große Häuptlingshaus des Leituala . . .

Seine Klauen trommeln rhythmisch auf den Matten. In ruckweisen Vorstößen beschnopert es die roten Wolltroddeln und die achtzehnfüßige Kawabowle; es windet sich durch Eimer, Kisten, geflochtene Körbe . . . In halber Höhe der Mittelpfeiler, mit Kokusseilen befestigt, hängen Querbalken, von denen aus dicke Bambusstäbe über den Radius des Daches reichen; auf diesen aufgestapelt liegen tausend Sachen, verführerisch dazu geeignet, mit dem Rüssel in die Luft geschleudert zu werden – – wenn man sie nur erreichen könnte! – – Welch ein Reichtum, in unscheinbare Maulbeermatten geschlagen, läßt sich da oben noch vermuten! – – Da gibt es Reihen von Tabakwürsten, in Pandanusblätter gerollt; und Schlafschemelchen gibt es – kleine klotzige für Kinder, und lange elastische für Erwachsene und schnäbelnde Paare . . .

Das Schwein steht lautlos in der großen Hütte. Seine Augen mit der gelben Iris starren ins Leere. Der Boden der Hütte ist so glatt und weit, und dennoch begrenzt: denn sechsundvierzig Tragepfeiler, mit Bastgirlanden geschmückt, stehen drohend und stumm am Horizont. Es grunzt und wirft vier bauchige Zinklampen um; dann erschüttert es den Tisch. Der Spiegel der Taupou kommt ins Wanken und klirrt leise. Es ist plötzlich sehr still geworden; es herrscht die Stille, die dem Schicksal vorangeht. Der Londoner Pastor draußen hat seine Predigt beendet und schweigt gleichsam durch die Kirchenmauer hindurch . . .

Was nun folgt, ist jäh; ist überrumpelnd grausam. Schauerlich dröhnend und schrill wütet Gebrüll durchs Dorf. Eine Minute lang wütet es; dann schnappt es ächzend ab. Man erkennt Tigilau und Fagalele, die jüngeren Söhne Leitualas, wie sie sich in der Nähe des Samoa-Ofens an der offenen Feuerstelle munter schwatzend mit dem kaum gemordeten Kadaver des Schweinchens befassen . . .

198 Eine festliche Woche steht dem Dorf bevor; eine Woche schwer und saftig gleich einer Traube von sieben vollreifen Königsbananen: jede rotgelb, dick und eine Last für den Magen. Denn heute beginnen die Zeremonien vor der kirchlichen Trauung des Vave, des ältesten Sohnes Leitualas und Manaias von Tufu-Gataivai – –, mit der Manumā, der Taupou von Tanumaleto.

Leituala tritt aus der Kirche. Er steigt etwas gebückt heraus, etwa wie man ein schweißtreibendes Bad verläßt. Dabei ist es drinnen aber keineswegs heiß gewesen, sondern angenehm kühl; – – man hat jedoch für anderthalb Stunden auf ihn eingeschrien, ohne Distanz und Respekt; hat seine Seele geknetet und unliebsame Bilder aus einer wohlassortierten Pa‘alagi-Hölle vor ihm aufgerollt. Solange diese Kur dauert, pflegt seine sonst gesunde Skepsis zu versagen; denn das Geschütz der Schwarzröcke ist etwas, gegen dessen Wucht selbst die feinsten samoanischen Argumente den kürzeren ziehen . . . Doch wenn er freie Luft atmet, hat er die Gabe, sich innerlich der lästigen Begleiterscheinung – der Kirche – durchaus zu entledigen; sich sozusagen sechs Tage breit daraufzusetzen, bis wieder die nächste Verpflichtung kommt.

Obschon also nur ein armer Heide von trauriger Gemütsflachheit, fühlt sich Leituala in Harmonie mit seiner Umgebung, besonders weil er gegen etwaige Unstimmigkeiten im Himmel – seine Seele betreffend – pünktlich Jahr für Jahr an das »«Der Name stammt von den Prüfungen, die meist im Monat Mai (May) abgehalten wurden, verbunden mit einer Geldkollekte unter den Eingebornen für die übrigen Missionen. Die London Mission fischt dabei sehr beträchtliche Summen für sich heraus; so ist ein Fall bekannt, wo der Bezirk von Falaelili allein 4425 Mark aufbrachte, als Zuschuß zur »Bekehrung der armen unerleuchteten Brüder in Neu-Guinea«. eine beträchtliche Zahlung leistet. Er ist fett und so hell olivbraun, daß er aus der Entfernung gut für weiß gelten kann. Die Tätowierung sticht grell gegen das weiße Polster der Kniee ab und gemahnt fast an eine feingeflochtene Garnitur von blauen Spitzen . . . Er trägt ein violettes Lavalava und eine offene schwarze Alpakajacke, unter der seine haarlose Brust beim Gehen schüttert wie die eines Weibes. Ein Fliegenwedel pendelt in seiner Rechten; mit der Linken streicht er zuweilen den weißen 199 Schnurrbart, dessen Spitzen nach unten deuten, oder kraut sich in der kompakten weißen Haardecke, die seinen schönen schläfrigen Kopf verziert . . . Er geht sehr langsam; die Füße so nach außen, daß die fetten Waden leicht geknickt erscheinen. In der Hütte angelangt, setzt er sich an den ihm zustehenden Pfosten; da sitzt er, die Füße unter den Schenkeln; sitzt, wie selten ein Mensch sitzt –: hingepflanzt für ungezählte kommende Stunden. Seine schwarzen samtenen ausdruckslosen Augen beherrschen das Haus.

Wer ist das große Frauenzimmer dort von fürstlicher Haltung, die hinter ihm eintritt? Le‘uta ist's, auffallend mit allen Merkmalen reifster Weiblichkeit ausgestattet. Sie trägt ein weites braunes Kattunkleid ohne Ärmel; zwischen den Brüsten baumelt, vierfach geschlungen, eine rote Korallenkette in Gemeinschaft eines silbernen Kreuzchens an einem schwarzen Schuhsenkel. Ihr Haar ist stark mit Grau durchschossen; doch wiewohl über die Vierzig, zeigt sie kein Fältchen, weder im vollen Gesicht noch an den gutgepolsterten Armen. Elastisches Lebensgefühl strafft ihren strotzenden Körper. Steht sie aufrecht, so hebt sich im Rhythmus ihrer tiefen Atemzüge das Kattunkleid vorn in die Höhe, während es hinten glatt herabfällt und in eine kleine Schleppe endigt. Mit greller Stimme Befehle entsendend, die an niemand und alle gerichtet sind, wirft sie schwere Matten zurecht wie Spielzeug, räumt mit dem Fuß verirrten Lavasand auf die Seite und sinkt dann – am mittleren Häuptlingspfosten, der dem Leitualas gerade gegenübersteht – federnd in den Hocksitz. Sie kennt ihren Platz . . .

Was treibt aber Vave, der Bräutigam –? –

Angetan mit einem weißen Lavalava – das sich bei näherem Zusehen als Badetuch entpuppt, erstanden für sechs Pfund Kopra im Laden von »Sale-Kuka« – begibt er sich mit anderen »Bullen« und Knaben in die Pflanzung, um ein paar Brotfrüchte zu holen nebst Reisig, denn das ist nötig, um dem Schweinchen nunmehr und einem halben 200 Dutzend Hühner einzuheizen. Sie sind nicht gerade fieberhaft geschäftig; es wird viel gelacht, geschrien, mehrstimmig gesungen; doch ist genug Methode darin, um die Grundlagen für ein verlängertes Mahl zu legen. Mehrere Großmütter schieben grinsend ihre gekalkten Köpfe zwischen den Pfosten herein. Sie haben nach dem Gottesdienst ihre wuchtigen Bibeln in den umliegenden Hütten deponiert; nun kriechen sie nacheinander herzu. Vier etwas jüngere Weiber, Fapusi, Masagi, Fa‘asua und Eli, gruppieren sich um Le‘uta und bedienen sie mit Tabak; danach heben sie an, eine mächtige Kawawurzel auszukämmen und Wasser hindurchzuseihen, das in gebührenden Mengen in die altersschwarze ehrwürdige achtzehnfüßige Bowle plätschert.

Leituala sieht niemanden an. Seine samtenen Augen schlafen. Zuweilen, seine götzenähnliche Ruhe plötzlich unterbrechend, peitscht er sich die Schultern mit seinem schwarzen Roßhaar-Fliegenwedel; es knallt stark auf dem leichten Jackenstoff. Er sitzt hoch entrückt ob dieser festlichen Geschäftigkeit; er schenkt der Gegenwart nur verschwommenes Interesse. Indessen lauscht man auf: das längst Erwartete geschieht. Tigilau und Fagalele laufen an den Strand.

Wo der Alia ins Meer mündet, gibt es eine kurze Strecke Sand. Der Fluß ergießt sein Wasser in ein weites Becken von halbkreisförmig vorgelagerten Korallenbänken, die auf einer Seite eine flache Öffnung lassen. Die beiden Jünglinge stürmen hinein, so daß der Schaum silbern an ihren goldbraunen Waden in die Höhe spritzt. Kaum ritzen sie die hornigen Sohlen, als sie über die spitzen Korallenstöcke turnen; dann, wie zwei Fische, schießen sie ins offene Meer.

In einiger Entfernung vom Riff schwankt ein vollbeladenes Samoaboot; da die Dünung mäßig ist, erreichen sie es mit ein paar mächtigen Schwimmstößen und schwingen sich auf entgegengesetzten Seiten hinein. Tigilau stellt sich an das Steuerruder und Fagalele an den Bug. Er wartet die fünf großen Wellen ab; dann schreit er: »Mao!« 201 und vier Ruderpaare peitschen das Wasser. Mit den drei kleinen Wellen saust das Boot wie ein Pfeil in scharfem Winkel durch die enge Einfahrt, knapp an den starrenden Felsen vorbei, deren vielverzweigte Krallen vergebens nach dem flachen Boden greifen . . . So schön gleitet es herein; so glatt! – – Es scheint, vom Land aus betrachtet, als tue das schwere, lustig bemalte Boot einen munteren Satz über den Wall; als schmelze das schwarzgrüne Riff, an dem sich hüttenhohe Wogen ächzend zertrümmern, wie beim Nahen eines Zauberschiffs und gewähre ihm Eingang wider Willen . . .

Der Orgelton des Bootsgesangs, den man vorhin vernommen, scheint noch in der Luft zu schweben; indem man das Boot auf den Strand zieht, summt man ihn leise, bis der Takt in begrüßendes Geschrei und Gelächter zerbricht. Die Großmütter machen sich auf und gehn der Manumā entgegen, um sie ins Haus zu geleiten.

Manumā schüttelt ihre enorme Frisur – ganz bespickt mit Puablüten – so daß feuerrote Blättchen ihren Weg bestreuen. Ihre jungen Brüste durchbohren schier das dünne rote Kattunkleid, über dem sie eine flammend bemalte Matte trägt; das Haar in der Stirn ist peinlich zurückgekämmt. So kommt sie heran, die schiefen Augen zu Schlitzen verengt, unter deren langen Wimpern Verschmitztheit lauert. Die aufgeworfenen Lippen heben sich lüstern lächelnd von schlohweißen Zähnen.

Drei Mädchen ihrer Auluma folgen ihr: – Matasesepa, die stark nach innen schielt; Alisi, mit rostrotem Haar und blassen Augen, und zum Beschluß Emi, der man den Kopf noch unlängst eines Fiebers halber kurz geschoren – so daß sie völlig einem fetten Jungen gleicht, mit dem man sich einen Spaß macht . . . Manumā weiß, warum sie sich gerade diese drei ausgewählt; auf diesem Hintergrund hebt sie sich selbst um so appetitlicher ab.

Schweres Schnaufen ertönt; Folau-Papalii tritt in 202 Erscheinung. Er ist am Ende seiner Mission. Halb gestützt hat man ihn und halb getragen, bis dahin, wo der Weg flach genug ist und man ihn sich selber überlassen kann. Nun arbeiten seine Klumpfüße wie schwere Stampfhämmer; sein Gesicht schwelgt in ekstatischem Grinsen: endlose Stunden werden ihm blühen voll Geschwätz und Labung des Magens! – – Das Boot fährt fort sich zu entleeren. Sich bei den Händen haltend, steigen zwei ehrwürdige Matronen aus: Faga‘afi, das »Feuerrohr«, und das »Ende der Peitsche«, Toieolesāsa. Die Kinderglieder, die ihnen nachpurzeln, gehören Lepeki und Tiatia. Den Beschluß bildet eine schwarze Gestalt, deren Gewandung sich seltsam zu den bunten Rindenmatten und Kattunhängern gesellt: ein dürrer Mensch in einer Soutane, die schaumbenetzt an seine nackten Waden klatscht – –: es zeigt sich das von der Krempe eines Filzhutes beschattete tiefbraune Bulldoggesicht eines Samoaners mit albernem Mund, an dessen Lippen die Löckchen eines gebleichten Kräuselbartes hängen – –; das ist der Misi Etimano, oder – der Mensch nackt und für sich genommen – Sevao, Sprecher in der Familie des »Schwarzen Schweines« . . . Die Hände über dem Bauch gekreuzt, geht er als letzter Effekt ins Haus.

Samusamu, Folaus Neffe, und Piu mit zwei Knaben, die in dumpfer Unterwürfigkeit auf dem Sande hocken, bleiben am Boot zurück. Wo aber ist Tanu? – Wird man ihn nicht vermissen? – Ach, er ist doch nur dekorativ, und so kann er es Piu überlassen, ihn zu vertreten . . . Zudem, – wie man verstehen wird – entschließt sich O Lana Afioga o Malietoa Tanumafili, Lilomaiāva, Gatoaitēle, Tamāsoali‘i, Tafaifā – um ihm wenigstens eine kleine Auslese unter seinen Titeln zuzugestehen – nicht so ohne weiteres und kurzerhand, Besuche zu machen; nun erst gar in Sawaii bei Leituala, der einige zehn Rangstufen unter ihm figuriert . . . Nein; darüber Gedanken zu spinnen verlohnt sich nicht.

203 Das Haus ist gut gefüllt; jeder hockt an seinem Platz. Andächtige Stille herrscht. Eine einzige Stimme spricht leise quäkend; flicht Satz an Satz. Denn ein Herkommen heischt: je bedeutender die Gelegenheit, desto leiser, desto mehr nebenhin geschieht die Eröffnungsrede. Das fette hellfarbene Götzenbild spricht; Leituala trägt Blumen zusammen. Er holt seine Wendungen aus dem dunkelsten Winkel der Hütte; seltsam zuweilen aufbellend, hascht er prächtige Wortfloskeln aus dem Wesenlosen. In Starrkrampf versetzt durch das Gefühl der eigenen Nichtigkeit, betont er fröstelnd, wie sehr er sich freue; wie außergewöhnlich, ja, wie haltlos aufgeräumt, vergnügt und munter er sei.

Die Rede klingt, als halte er Zwiesprache mit seinem Bauch, der durch den Ritz der Jacke hervorschimmert. Es ist, als könnten diese babbelnden Lippen nie zur Ruhe kommen; nie und nimmer. Die Welt wird versinken; das Meer wird dies Eiland zernagen; Grauen der Vernichtung wird wüten –: Leituala wird weiterbabbeln; – – immer leiser und leiser vielleicht; aber man wird es noch hören, wenn man das Ohr ganz nahe an diese zitternden Lippen, diesen wehmütigen Schnurrbart hält . . .

Immerhin; auch dies hat ein Ende. Ein Peitschen des Fliegenwedels geschieht; man murmelt: »Mali‘e!« – – Dann schweigt man wieder allgemein; denn der zweite Teil des Programms muß nun erfolgen.

Der Pulenuu räuspert sich tönend. Wo sitzt er? – Warum findet man ihn nicht am Sprecherpfosten, der ihm zukommt? – – Der Platz dort ist leer; die sechsfach aufeinandergeschichteten Matten würden eine so weiche, so elastische Unterlage bieten für seine Klumpfüße! – –

Nein, Folau sitzt halb draußen; am Rand zwischen zwei Pfosten; und es ist eine förmliche Wanderschaft für Fapusi gewesen, ihm den geschnitzten Kawabecher zu überbringen. Er sitzt auf dem harten Lavakies; es ist, als lege er sich selbst 204 eine Pönitenz auf . . . Seltsam; seltsam . . . . Dabei späht er hinaus.

Sieh da! – – An der Wegbiegung erscheint eine kleine Prozession. Vorn von Piu und Samusamu gestützt, und hinten von den beiden Jungen, die vorhin scheinbar unbeteiligt am Strand gehockt, schwankt ein Gestell aus Bambus heran. Die Jungen sind wahre »Larkins« geworden; vergnügte Tongateufel; statt Hüfttüchern tragen sie jetzt funkelnd neue Maulbeermatten, rotbraun mit gelben, frech darauf geklexten Sternen; die stehen so steif nach den Seiten ab, daß sie sich bei der langsamen Regung der Schenkel knirschend aneinander wetzen. Das Gestell ist mit roten Bastflittern geschmückt, die lustig wimpeln. – – Und was liegt darauf? – Was wird mit so zärtlichem Pomp einhergeschleppt? – Was nähert sich, befördert von behutsamer Andacht, flaumleichten Gewichtes, mit roten und blauen Daunenfedern gesäumt – – so leicht, so ätherisch und kostbar, daß die Last nicht im mindesten auf die blanken samtenen Schultern drückt –? – – Und doch meinen die Schultern einen Druck zu spüren –: Anbetung von Generationen hurtiger oder schläfriger Augen, die je darüber geglitten, ruht auf dem seidenweichen Wunder; Mühe von tausend Tagen rastlosen Knüpfens und von strenger Zeremonie des Feuchtens und Trocknens nach jeder frischvollendeten Phase . . .

Auf dem Platz vor dem Hause angelangt, setzen die vier Träger das Gestell auf den Boden und hocken sich daneben. Ist dies ein Zeichen für den Pulenuu? – – Ja, in der Tat – er sitzt noch nicht im Hause; sitzt auf halbem Wege; ist einer von denen, die dort hocken in Demut – einer von dem Gesindel, das die Stirn hat, in Riechweite dieses erlauchten Kreises herumzulungern . . . Seine hohe Fistelstimme steigt auf.

»Amata le solo...« beginnt es vibrierend. »Etwas Dummes ist's, das wir gesammelt; etwas Graues!Es beginnt die wörtliche Wiedergabe einer »Mattenpreisung« und ihres Antwort-Gesanges.

205 Ach – wie verächtlich ist das Gestell da mit seinem Inhalt; das Zeug – – wer bin ich überhaupt, es euch anzubieten in meiner Keckheit! – –

Umsonst geben wir des Fischzugs Fische weg . . .«

Folaus Augen werden klein. Es ist klar; der Fischzug ist elend. Auswurf wie wir kann zwar froh darum sein; Leute wie euch wird er höchstens zum Niesen reizen – – habt Nachsicht! – Ah, man könnte sich selbst zerreißen, weil man nichts Besseres bringen kann . . .

»Blickt hin – –« geht das Näseln weiter »– auf die Toitoipflanze; – sie stirbt ab!« – – Sein Blick gleitet zu Piu hinüber. Und doch – ist es nicht eine Schmeichelei für das Kraut, das sich so kümmerlich fortfristet auf der Lava zwischen Aopo und Asau, mit dem wohlgenährten Piu verglichen zu werden? – – »Blickt hin auf den Pandanus, wie welk seine Blätter hängen!« – – Hier streift sein Blick Samusamu . . . »Kommt es vom Spritzschaum des Seewassers? – Kommt es vom kalten Nachtwind, der darüberfährt? Oder . . .« (hier wird Folaus Stimme vollends verzagt) »sind vielleicht die Pflänzchen immer traurig und sehnen sich nach dem Urwald zurück und seiner fetten Erde –?«

Ja, eine so erbärmliche, so ärmliche Gesellschaft wie sie – der Sänger seufzt – muß sich gut mit erlauchten Personen stellen! –

»Des Fischzugs Fische – wir schenken sie euch! – – Warum kamen wir nicht schneller? – Ach, wer sind wir! – Blutarm ist unsere Familie; dem Aussterben nahe! – Doch: so läppisch die – Matten da auch sind –: wir mußten weit laufen!«

Ein nachträglich beklemmendes Erstaunen über die Strapazen, die sie erlitten, scheint den Sänger zu erfassen; seine Augen wandern wie nach stärkeren Vergleichen dürstend . . .

»Wie Fischer mühten wir uns ab, die mittags einen Schwarm von Bonitos fangen wollen!«

Man murmelt Beifall. Am Mittag spielen die Bonitos 206 brünstig an der Oberfläche und denken nicht an die Köder. Folau, ermutigt, verfällt in steigende Wut über die Matten.

»Wie schlecht sind sie!« – fährt er höhnend fort. »Wie wenig euch angemessen! – Ein allzu kurzer Graslendenschurz für eine mannbare Jungfrau! – Ein viel zu kleines Muschel-Stirnband!«

Der Beifall verstärkt sich. Daß die Matten eine Zumutung sind – und welch eine Zumutung! – ist klar genug erwiesen. Und doch – es ist ein Schimmer von guter Absicht dabei, der nach Anerkennung seufzt; den muß man gelten lassen . . . Wenn der Sprecher auch für eine Familie das Wort führt, die nicht wert ist, sich in die Leitualas zu drängen, – – er meint es gut! Veredeln will sich die Sippschaft von Tanumalēto durch das Blut, dem sie bittet sich verschwägern zu dürfen! Und ist die Angelegenheit nicht reif genug? – Hat man nicht schon vorher Monate hindurch Reden gehalten und Geschenke hin und her geschickt? – Haben sich nicht die Sprecher beider Familien zur Genüge in den Ohren gelegen? – Darum beschließt Folau in einer Kaskade von Versen, in einem Strudel von Worten mit einem langen Triller auf jedem Reim:

»Nimmt man dem alten Palmbaum die Wurzeln und flicht Körbe daraus für Fische: so braucht ein neuer Zeit, um zu wachsen! – Und es nimmt Zeit, ihn zu pflegen und zu düngen! – Solche Zeit hat es gekostet, diese Matten zu sammeln!

Klein, erbärmlich sind die Nüsse des schlechtgedüngten Baumes! – Doch gibt es nicht Reihen von Stapelstöcken, gut gefüllten, wenn man ihn gut pflegt und seiner acht hat?

Darum, ihr Herren – laßt uns in Eintracht beisammen sitzen! – Es gefällt uns bei unserer neuen Familie! Wir dürfen hier bleiben, bis man unserer überdrüssig ist! – Kommt nun; wir wollen der Reihenfolge nach die Hütte betreten!« – –

Folau schweigt. – »Tu‘ulagi ane! – Sing weiter!« – 207 dröhnt es heraus. Doch dieser Aufforderung folgt man nicht. Auch bleiben noch alle sitzen, wie vorher; Piu mit seinen Trägern draußen und Folau im Rahmen der Pfosten . . . Und als das »Mali‘e!«, laut und leise, sich gelegt hat, entsteht eine Pause, während der die Erwiderung im Schoß des Hauses sich vorbereitet. Dann steigt eine näselnde Stimme drinnen in die Höhe; sie ähnelt der Leitualas . . .

»Sa tutūli taliga...« beginnt es. »Wir waren taub; kaum konnten wir hören!«

Und während die Betonung steigt, geht ein langsames Erwachen aus dem bestrickenden Traum vonstatten.

»Jetzt können wir plötzlich wieder hören! – Es war wie liebliches Vogelgezwitscher! – Ihr seid uns angenehm; schenkt ihr uns nicht eine vollreife Jungfrau aus feiner Familie? – Schande über uns, wenn wir solche Gäste schlecht bewirteten! – Schande über alle, deren Querholz leer steht! – Leider haben wir nichts, aber auch gar nichts anzubieten an diesem herrlichen Morgen!«

Als diese fabelhafte Wendung geschieht, von trauernder Überzeugung gesättigt, erschallt draußen der Todesschrei des sechsten Huhnes, das an einem Palmstrunk enthauptet wird; und bläulicher Rauch aus dem Backofen schwängert die Luft . . .

»Ihr seid kein schlechter Besuch für uns! – Wir kennen den Besuch! – Wir wissen, daß der Besuch Matten bringt! – Es ist kein Kriegsbesuch – –« wiederholt die Stimme und kann sich nicht genugtun – – »es ist ein Besuch, der köstliche Matten bringt! – Oh; welch eine Pracht an Matten! – Ja, sie sind so kostbar, daß ihretwegen, bei der Verteilung in Mali‘e, zwischen Pule und Tomua, Blut geflossen ist! Ah – – die schönen, die ausgesucht kostbaren Matten!

Seid gepriesen, ihr Herren und Familienhäupter nebst euren Schößlingen; gepriesen, ihr Titelträger, und bedankt, ihr titellosen Alten! Unser Herzenswunsch ist – und es ist kein schlechter Wunsch –: gesellt sich Bein zu Bein im 208 Dunklen . . .« Entzücktes Prusten, mühsam unterdrückt, entsteht im Haus . . . »und trägt es Frucht, so ist die Freude groß. Merkt auf, ihr alle, laßt die Kunde in große und kleine Häuser dringen: wir haben Besuch, der sich unsere Gegend betrachten will. Unsere Herzen sind erfreut, und eure Rede klingt für uns wie das herrliche Zirpen der Ligo Ligo

Beifallstrommeln bricht los. Der Pulenuu erhebt sich und kriecht ächzend an seinen leeren Platz am Sprecherpfosten, an die Seite Le‘utas. Vave und Manumā hocken sich gegenüber und blinzeln sich an. Sie schätzen sich gegenseitig ab. Da es auf beiden Seiten – dank der Art der Bekleidung – für das Vorstellungsvermögen wenig zu ergänzen gibt, sind sie bereits in schönem Einverständnis. Vave schiebt verschmitzt seinen Fuß herüber und tritt seiner Braut an das Knie, worauf sie den Kopf vor Albernheit so weit nach hinten wirft, daß die kaffeebraune Kehle, geschwollen von verschlucktem Kichern, reizend hervortritt und die seidige Last ihrer Haare fast den Boden peitscht . . .

Le‘uta betrachtet das Paar.– Auf einmal stößt sie gellend hervor: »Fe‘epō klatscht in die Hände! – Hört den Fe‘epō!«Wie Dr. Schulz anläßlich des von ihm gebrachten Sprichworts: ›Ua patipati ta-oto le Fe-epō‹ (F. klatscht liegend in die Hände) bemerkt, spielt der blinde Aitu Fe-epō eine bedeutende Rolle in der samoanischen Mythologie als Ahnherr der Malietoafamilie. Die zugrunde liegende Märchenversion dort ähnelt der von mir gebrachten.

Alle wenden sich um. Ein heißes Lüftchen scheint ins Haus zu fächeln, das die Pulse beschleunigt. Und in aller Hirne tritt ein Bild, gleich einem Blitz, der eine Gruppe beleuchtet. Die Unterhaltung verstummt für ein, zwei Minuten. Leituala, mit schwachem Lächeln, knarrt ein fettes: »O lele‘i« denn der Einfall Le‘utas gefällt ihm . . . Wer aber ist Fe‘epō? – Und warum hat er in die Hände geklatscht?

Das Inselhirn hat ihn geboren, und er ist so lebendig wie ich und du! – Man berichtet, daß er – ein verkleideter Teufel – mit seiner Frau Tauvasa‘i-Upolu in der Dorfschaft Tomua lebte . . . Andauernder Trockenheit halber gab es eine gewaltige Hungersnot; und zur selben Zeit entzweite Fe‘epō sich mit seiner Frau. Sie verließ ihn, 209 doch ihr einziger Sohn, der Knabe Ati‘ati‘oni‘e, folgte ihr nach . . .

Sie sagte: »Kehr um und geh zu deinem Vater zurück!« – Doch der Sohn verfolgte sie weiter, bis er auf eine wilde Batatenwurzel traf. Sofort begann er, sie auszugraben; sechs große Knollen waren daran und eine Handvoll kleinerer Sprossen. Die Mutter sprach: »Jetzt geh zurück!« Der Junge nahm die Bataten und kehrte um.

Fe‘epō war blind; doch als sein Sohn zurückkam, erkannte er ihn am Schritt. Er rief: »Bist du da?« – »Ja,« erwiderte Ati‘ati‘oni‘e. – »Wo hast du deine Mutter gelassen?« – »Sie ist weitergegangen.« – – »Was hast du mitgebracht?« – – »Batatenwurzeln.« – – »Bring sie mir.« – –

Fe‘epō zählte mit den Fingern; es waren sechs Wurzeln und ein Säckchen aus Blätterknollen. – »Bereite sie zu.« Der Sohn ging zum Samoa-Ofen; doch buk er die Wurzeln nicht auf einmal, sondern sparsam einzeln an jedem Tag, bis Fe‘epō die sechs verzehrt hatte; nachträglich buk er für sich selbst die ganz kleinen Knollen. Da dachte der Vater: »Jetzt habe ich alles gegessen; was hat der arme Junge gegessen?« – – und ließ ihn kommen.

Er sprach: »Mein Sohn: ich sehe nun, daß du mich liebst; bereite dich vor; von jetzt ab sollst du mein Erbe sein; es ist Zeit, daß du eine Frau nimmst und daß ich Enkel bekomme . . . Hole mir Wasser.«

Der Junge nahm die Kokusflasche, beschmierte sich im Kochhaus mit Asche und ging an die Seeseite, wo die Quelle war. Dort wohnte die Taupou Telesa. Der Junge, anstatt seinem Vater das Wasser zu bringen, ging zu ihr ins Haus. Ihre Auluma war dort, und sie trieben verliebte Scherze . . . Telesa fand Gefallen an Ati‘ati‘oni‘e und sagte zu ihren Mädchen: »Greift mir diesen Knaben; er ist ein Häuptlingssohn.« – Sie haschten und ergriffen ihn; und weil er so schmutzig von Asche war, wuschen sie ihn sauber im Badeloch. Da sah die Taupou, daß er ein herrlicher Junge war.

Der Teufel Fe‘epō, wenn auch blind, konnte doch alles 210 genau aus der Entfernung erkennen. Und als die Taupou mit seinem Sohn ihre Liebesspiele trieb, saß Fe‘epō allein in seinem Hause und klatschte in die Hände.

Von diesem Tag an hörte die Hungersnot auf. Die beiden bekamen viele Kinder; und als die Sippschaft das hörte, kam man von weit her und brachte der Malietoa-Familie Matten . . .

Geht Fe‘epō noch heute um? – Hat Le‘uta sein Klatschen vernommen? – – Hört man nicht ein fernes geisterhaftes Zusammenklappen zweier mächtiger Hände, warmer Handteller, aus denen Segen gequollen ist von Urzeiten her? – – Oder ist es nur das Bersten der Brandung, das herüberklingt?

Gewiß, Fe‘epō sitzt allein in seinem Haus und freut sich des Vave und der Manumā; freut sich der beiden, die sich mit täppischem Scherz betasten und aus deren Lebenskraft neue Geschlechter von reinstem Blut entsprießen sollen.

Doch das Haus Fe‘epōs ist größer als dieses. Sein Dach ist der Himmel; und seine Pfosten beschützen, fern und groß, die ganze samoanische Welt.

 

Eßmättchen werden verteilt, und Segen ergießt sich darauf; zwiefach und dreifach. Denn es hat an zwei Stunden gedauert, die Matten zu bewundern und die Verschmelzung der beiden Familien herbeizuführen. Die Mägen beginnen zu knurren; man ist gerüstet. Alles erscheint gebacken –: Brotfrucht, Taro, Yams, Bananen, Esi, Huhn und Ferkel. Für Liebhaber gibt es Büchsenlachs und Cornedbeef.

Leituala spricht einer Tasse Kaffee zu; vielmehr einem schleimigen Absud aus grünen Bohnen, den er aus einem enormen Steingutbehälter schlürft. Auf diesem Topf prangt ein goldenes, mit Dornen zierlich umwundenes Kreuz nebst der deutschen Inschrift: Zum Gedächtnis an den Tag deiner Konfirmation. Malua.

Leituala kann viel verzehren. Er hat ein Hühnerbein mit seinen prächtigen Zähnen glatt abgenagt; während der 211 Erholungspausen kratzt er sich damit im Haar und stößt kräftig auf. Jedesmal, wenn er das Gefäß mit der sinnigen Inschrift beansprucht, tränkt er den weißen Schnurrbart und zieht ihn in der Folge durch ein Bananenblatt. – – Auch das Brautpaar gibt sich dem Essen mit so ungeteilter Andacht hin, daß alle anderen fleischlichen Gelüste für den Augenblick in den Hintergrund treten.

Inzwischen verfließen weitere zwei Stunden, und der Schmaus erreicht sein mähliches Ende. Zunächst beginnt man einzeln und dann allgemeiner im Kreise zu schwatzen. Da fällt es auf, daß wohl das »Feuerrohr« zur Stelle ist, nicht aber Tai‘afi‘afi, deren Base, mit ihren Kindern. – Warum sei Tai nicht mitgekommen? – Habe sie etwa Angst? – Und wenn ja, wovor habe sie Angst?

Das »Feuerrohr« wickelt sich recht umständlich eine Sului, bedient sich mit einem Streichholz – die Schachtel wird ihr von Leituala über zehn Köpfe hinweg zugeschleudert – und saugt heftig, indem sie scharf auf das brennende Ende schielt.

»Kotūsa,« sagt sie endlich mit ihrer knarrenden Männerstimme. Dies und nichts mehr. Man denkt ringsum nach; endlich, aus Höflichkeit, überläßt man es dem Zufall, das Problem zu lösen. Tai ist von Vaters Seite Cousine ersten Grades des Häuptlings von Saluafata, und mütterlicherseits gehört sie nach Faleasiu zu der Familie Laaupepe; und wenn es in diesen erhabenen Häusern ein Skelett gibt, so muß es von hinten herum und mit der äußersten Diskretion ausgegraben werden. Leituala ist keiner, der plump darauflos frägt. Da er gern einen Skandal hört, so zwickt ihn Neugier. Trotzdem drückt er sich lediglich dahin aus, daß er von Herzen traurig sei; daß der Kummer, Tai heute nicht zu sehen, sein Wohlbefinden langsam untergraben und ihm ein verfrühtes Grab bereiten werde . . .

Leituala hat immer zu Kotūsa gehalten, wenn er es diesem auch zu verdanken hatte, daß er sich mit Tufu-Tafoi überwarf, eines Koprahandels halber, und um der 212 Seelenruhe willen eine Frau aus Tufu-Gataivai nahm und dorthin übersiedelte . . .

Das »Feuerrohr« fühlt, sie müsse sich zu Aufklärungen bequemen.

Warum Tai nicht mitgekommen sei? – – Eh? – – Sie wendet sich an den ganzen Kreis; an das weit offene Riesenohr des Hauses. –

»Kotūa ist hier in Sawaii! –Kotūa ist auf dem Weg! – Er nähert sich, er kommt! – Er wird bei Sale-Kuka wohnen; plötzlich ist er da! – Hier in Tufu!« – – Wiederum beweist das »Feuerrohr«, daß sie voll tiefen Wissens ist und unerschöpflich wie ein Brunnen. Die alte Sybille gebärdet sich schier erregt und stößt ihre Sätze kurz und heiser hervor. – Kotūa, fährt sie fort, habe Petina an den Schiffsherrn verkaufen wollen, nach Ambuka in Siamani. – Dies Vorhaben ist geradezu schwanger von Mysteriösem und erhebt sich in der Schilderung Faga‘afis zur Bedeutung eines verzwickten Mordanschlags auf den armen Knaben. – Warum habe er ihn verkaufen wollen? Natürlich um viele Sisipenis für Whisky zu bekommen . . .

»T-k, t-k, t-k,« erklingt es. Die Runde ist ganz voll von diesen leisen »t-k, t-k's«, so als ob sich ein Dutzend Kokusflaschen entleere.

Vor einer Woche nun sei Kotūa von Mata‘utu nach Sawaii gefahren. Der Kovana Aligano habe ihm einen Brief geschickt, und zwei Leoleos im Va‘amotoa Kaisalika hätten ihn abgeholt. Er habe sich stolz in das Boot gesetzt und habe zum Abschied noch sehr kränkend mit Tai gesprochen und seine Absicht wiederholt, daß er Petina nach Ambuka schicken wolle. Dann sei er – das habe man erfahren – mit einem jungen Pa‘alagi auf die Wanderschaft gegangen. Der Pa‘alagi sei sehr weiß und jung und habe große Augen. –Faga‘afi deutet mit einer Kreisbewegung der Handflächen an, wie groß die Augen des jungen Pa‘alagi seien. – 213 War verschwommene Kunde davon aus Safotulafai zu ihr gedrungen –?

Dann sei das große Dampfschiff Navua nach Apia gekommen, auf dem Weg nach Ausetalia; und Tai habe Petina auf das Dampfschiff gesetzt, und der Misi Etimano habe es gutgeheißen – hier nickt Sevao innig bestätigend und nimmt den Hut herab – und das Reisegeld für Petina gezahlt. Und Petina sei nach Fiji gefahren, nach Levuka, zu Laumata, einer Base Tais, die dort mit einem Händler verheiratet sei. Und Kotūsa wisse das nicht, und sein Zorn würde keine Grenzen kennen, wenn er es erfahre. Und bald werde er hierher nach Tufu kommen; deshalb habe man Tai widerraten, nach Tufu zu gehen. Er werde fragen: Wo ist Petina? – Und Tai werde sagen: Kein Petina! – Petina ist weg! – Ist auf und davon! – In Fiji! – Und Kotūsa werde sie töten; stracks ermorden ohne Federlesen! – – Das sei Ta‘eles Ansicht; und es sei ihre eigene, Faga‘afis, Ansicht; und auch das »Ende der Peitsche« zweifle nicht daran; zu dritt hätten sie Tai ausgeredet, nach Tufu zu kommen; und das sei die Geschichte; und es sei eine traurige Geschichte – ja! –«

Soweit das »Feuerrohr«.

Die Mitteilung macht großen Eindruck. Die erste, die sich hören läßt, ist Le‘uta; und sie bringt Grothusen sofort in Gedankenverbindung mit dem längst verblichenen Paape.

»Leaga le pa‘alagi!« zischte sie. – Ja, man kann die Weißen betrachten, von welchem Gesichtswinkel man will – sie sind nichts wert. An ihre beiden Söhne denkt sie nicht einmal – über Bord damit! – Was die Freuden des Liebeslebens anlangt, so gibt sich Le‘uta seit Paape überhaupt nicht mehr mit Weißen ab . . .

Wiewohl sie nun alle mit Zungenschnalzen ihre Mißbilligung, ja ihren Abscheu vor dem Benehmen Grothusens kundgeben, so ist die Sympathie durchaus nicht ungeteilt auf Tais Seite . . . O nein! – Es wird zwar noch nichts 214 gegen sie geäußert, doch in den Herzen der jüngeren Weiber blüht die Schadenfreude üppig auf. Vergeltung für Früheres kommt nicht wie die Landkrabbe, die hurtig im Zickzack rennt, sondern wie die Seekrabbe, die langsam bei Ebbe durch den Schlamm watet –: sieht man sich aber ihren Weg an, so führt er schnurgerade zum Wasser. So kommt die Vergeltung; man kann ihre Spur überblicken: die pfeilgerade Linie über all die verflossenen Jahre hinweg, die hier endet . . .

Fapusi und Masagi klopfen Kawa vor der Hütte, als ihnen das drohende Mißgeschick Tais zu Ohren kommt. Sie ziehen die Köpfe zwischen die Schultern und kichern in den Napf hinein . . .

Das »Feuerrohr« fühlt, daß sie an Boden verliert. Grothusen, der ringsum durch die Hirne stelzt; der Reden webt aus Wendungen, die körperlich behagen wie rieselndes Gefallen an kluger Massage –: er bleibt Sieger; und von den Weibern wird ihm keine ihre Kundschaft entziehen . . . Es ist, als sei jeder Fehltritt des schwächeren Geschlechtes nur üblem Ausgang vorbestimmt. Wurde nicht auch jene sagenhafte Pau‘ila‘ila, die von den verbotenen Früchten des Gogofiafia-Baumes naschte, obwohl sie nur über ein Bein und einen Arm verfügte, trotz dieser Kletterleistung von ihrem Mann auf den Bauch geschlagen, bis sie starb? – Und obwohl der Mann so kümmerlich war, daß man ihn Gape‘i‘le‘ofe, den »Abgestorbenen Bambusstock«, nannte– gab man ihm nicht recht?Das Märchen vom Gogofiafiabaum bringt Anklänge an das Eva-Motiv und wurde mir folgendermaßen berichtet:

Gape-i-le-ofe‹ (Abgestorbener Bambusschößling), war der Name eines Mannes; und der einer Frau ›Pau-ila-ila‹, die ›Heruntergefallene, die alles aus Versehen zeigt‹. Sie lebten friedevoll zusammen. Er trug seiner Frau auf, gut auf das Haus aufzupassen. Er verließ das Haus und ging zur Feldarbeit. Das einzige, was er ihr ans Herz legte, w^ ein Gogofiafiabaum mit roten Früchten, den er selbst gepflanzt hatte. Sie solle aufpassen, daß niemand diese Früchte stehle. Das Weib versprach's. Sie hatte nur einen Arm und ein Bein. Sie war selbst hungrig und kroch zu dem Baum, der die schönen Früchte trug; kletterte hinauf, schüttelte Früchte herab, kletterte wieder hinab und aß sie. Da kehrte ihr Gatte zurück. Die Frau sang ein Klagelied des Inhalts, fünf junge Leute hätten sie gezwungen, ihnen zu Willen zu sein, und die Früchte geraubt.

Der Gatte glaubte seiner Frau und witterte keine Lüge in dieser Erzählung. Nachdem er gegessen hatte, ging er auf die Feldarbeit. Sobald er wieder bei der Arbeit war, bekam die Frau erneutes Gelüsten nach den Früchten des verbotenen Baumes, kletterte wieder hinauf, warf reife Früchte herab und aß sie; die Früchte aber waren fast zu Ende gegangen. Wie der Mann zurückkam, fand er seine Frau hochbefriedigt vor. Sie sang dieselbe Entschuldigung.

Doch diesmal glaubte der Gatte seinem Weibe nicht. Er ärgerte sich, daß sie sich mit den Früchten vollgestopft hatte, während er zweimal zur Arbeit gegangen war und nichts zum Essen gefunden hatte. Die wiederholte Erzählung seiner Frau, fünf junge Leute seien auf der Wanderschaft vorbeigekommen, hätten sich mit ihr belustigt und die Früchte geraubt, kam ihm immer mehr verdächtig vor. Diesmal versteckte er sich hinter den Bananen, um ihr aufzulauern; da fand er heraus, daß seine Frau auf den Baum kletterte und die Früchte herunterschlug. Sie drang sogar bis in die höchste Spitze des Baumes vor und warf die allerletzten Früchte herab. Ihr Bauch war inzwischen so voll geworden, daß sie neben den Früchten herunterfiel. Da hustete der Mann und sagte: »Ich komme gerade von der Feldarbeit.« Als er ins Haus trat, sang ihm seine Frau dasselbe Liedchen ein drittes Mal.

Da sprach er: »Jetzt habe ich dich erkannt, du Schwein. Dreimal belogen, zweimal aufgelauert, jetzt habe ich die Beweise; möchte dich töten.« Er nahm einen großen Stock und schlug das Weib auf den vollen Bauch. Der Bauch platzte, und das Weib starb.

Uma le tala. (Finis.)

– Schreiende Unbill ist's – das fühlt Faga‘afi – doch die ist so alt wie die Welt; es ist hoffnungslos, dagegen ankämpfen zu wollen. Sie blickt nach dem Misi Etimano, der salbungsvoll das Haupt schüttelt, als wolle er sagen: Ich wasche meine Hände . . .

 

Zwei Ameisen, Siloi und Siloata, gingen einst auf die Wanderschaft mit Teve, dem Baum, und Manualii, dem Hahn mit den blauen Federn. Unterwegs zankten sie sich wegen Ebenbürtigkeit und gerieten in großen Streit. Teve 215 drohte, den anderen würden die Mäuler anschwellen vom Gift seiner Früchte; die Ameisen verhießen schmerzhafte Bisse, und Manualii wollte seine mächtige Stimme gebrauchen, um ein Heer ungebundener Vögel mit spitzen Schnäbeln herbeizulocken. Wer aber kam da und stiftete Frieden? – Die Yamswurzel. »Ich bin am mächtigsten von euch,« sprach sie. »Ich habe Knollen und Nebenwurzeln; die will ich ausgraben und euch zu essen gebend Und alle aßen und vergaßen ihren Zank . . .Das Märchen ›O le loi ma le loata‹ lautet vollständig:

Zwei Ameisen machten Freundschaft miteinander. Siloi hieß die eine, die andere Siloata. Sie gingen auf die Reise. Unterwegs sprach ein Baum zu ihnen, der hieß Teve; er rief aus: »Wo geht ihr hin?« – Sie sagten: »Wir gehen auf die Reise.« – »Wie wär's, wenn ich mitginge?« meinte Teve. –»Erzähle uns, woher du stammst; und wenn du ebenbürtig bist, nehmen wir dich mit.« – Teve sprach: »Ich bin euch ebenbürtig; ich komme von dem Baum, von dem ihr stets Früchte pflückt und von dem ihr lebt.« – – Sie nahmen ihn mit und setzten zu dritt die Reise fort. Dann kam ein Manuali-i (wilder Hahn mit blauen Federn) herangeflogen und fragte: »Wohin geht ihr Herren?« – »Wir gehen spazieren.« – »Wie wär's, wenn ich mitginge?« – »Wir wissen nicht, ob du ebenbürtig bist.« – »Wenn ihr wissen wollt, woher ich stamme: auf der Rückkehr werdet ihr's erfahren.« Teve sagte: »Ja,« – und zu den Ameisen: »Wenn wir zurückkommen, finden wir schon heraus, woher er kommt.« – Sie waren's zufrieden und nahmen ihn mit. Unterwegs trafen sie eine Yamspflanze. Sie rief aus: »Wohin geht ihr Herren?« – Sie sagten: »Wir gehen spazieren.« – »Wie wär's, wenn ich mitginge? Laßt uns zu fünfen gehen.« – Die vier sprachen: »Wir wollen uns vergleichen, ob du unserem Rang entsprichst.« – Die Yamspflanze unterbreitete ein Gnadengesuch und wurde mitgenommen; sie reisten weiter zu fünfen. Doch bevor sie weggingen, kam in die Herzen von einigen ein Mißtrauen, und sie sagten: »Wir wollen uns hier zuerst ausruhen.« Die Ameise Loi sagte: »Ich will zuerst sagen, warum ich mitgekommen bin.« Sie stieß einen Stein um und sagte: »Hier habt ihr meine Larven und meine Eier.« – Loata sagte: »Ich will dir nicht zurückstehen; ich beiße euch, daß es euch schmerzt.« – Teve sagte: »Der Biß von Teve ist giftig; den Menschen sollen die Mäuler anschwellen von meinem Gift.« – Der Vogel sagte: »Ich habe eine starke Stimme, und ich werde alle Vögel zusammenrufen, um Frieden unter euch zu stiften.« – Da sprach die Yamswurzel: »Ich bin nicht allein, ich bin die Mächtigste, da ich Nebenwurzeln und Knollen habe; die werde ich ausgraben und euch zu essen geben.« – Darauf gab sie sämtliche Wurzeln her.

Alle aßen. – Gefüllter Magen bringt Frieden.

Uma le tala.

Ja, solchen Zank – den darf man wohl über einer Mahlzeit vergessen. Doch eine Unstimmigkeit wie diese – darf sie unter sommerlichem Geschwätz, bei einer alltäglichen Festlichkeit begraben, zwischen Backenzähnen zerkaut und ausgespien werden wie ein Sandkorn beim Krabbenschmaus?

Jede Teilnahme an dem drohenden Schwert, das über Tais Haupte hängt, ist zwischen all dem Gesottenen und Gebackenen jämmerlich erstickt; es herrscht der faule Frieden vollgestopfter Mägen. Die Ohren, die des »Feuerrohrs« Bericht soeben noch gierig aufgesogen, lassen ihn wieder hinausflattern; man entkräftet ihn durch das flüchtige Lächeln der Schadenfreude; man löscht ihn aus mit Zungenschnalzen. Und doch – hat Faga‘afi nicht erwartet, Brennpunkt großer Erregung, Zielscheibe herabhagelnder Fragen zu werden? – –

 

Der Abend neigt sich hernieder. Das »Feuerrohr« und das »Ende der Peitsche« fühlen sich vom gleichen Kummer zueinander hingezogen; sie hocken sich zusammen. Faga‘afi richtet zuweilen eine leise Bemerkung an ihre Gefährtin. Sie kratzt sich den rostroten Tituskopf, aber nicht aus dem herkömmlichen Grund, sondern um den trägen Fluß der ungewohnten Gedanken zu stacheln, die sich formlos darunter regen und sie dunkel beunruhigen. Dabei schielt sie stärker als gewöhnlich. Toieolesāsa nickt wie eine Pagode. Beide paffen stark. Inmitten der allgemeinen Heiterkeit, 216 die sich mit dem Nahen der Nacht immer zwangloser gebärdet, schaffen sie einen ablehnenden, ja feindlichen Dunst um sich.

Da räuspert man sich ringsum. Von sechs Stimmen getragen und leise von Händepochen auf die Matten begleitet, steigt ein Gesang in der Hütte empor – jener unsterbliche Liebesgesang, dessen Melodie von Hawaii herüberwanderte bis nach Tonga, mit Worten, die in der Bibel heimisch sind und im ganzen Orient:

»Meine Blume im Haar, meine goldene Kette,
Du Edelgestein, das ich versteckt hielt –
Die Worte dein beweg ich im Herzen;
Des wahren Freundes vergeß ich nicht.

Komm zu mir, ach komm, meine Augenweide;
Du meines Busens geheimste Freude;
Wovon ich träume, kann jetzt nicht geschehen;
So harre aus, bis die Lampe erlischt . . .«

Gerade will man den dritten Vers beginnenDie dritte Strophe des Liebesliedes lautet in freier Übersetzung:

»Wir wollen uns vertragen und uns die Hände schütteln;
Und wenn ich schlafe, vergess' ich dich nicht; vergiß du mich auch nicht.
Behalt' du im Herzen, was wir abgemacht haben,
Bis die Stunde kommt, wo ich dir alles gewähre.«

, als ein schriller Ausruf ertönt. Faga‘afi sitzt gekrümmt da, den Kopf lauernd geneigt. Hat sie diese Bewegung den Hunden zu Mata‘utu abgelauscht? Es ist sogar, als ob die schielende Pupille sich heftig mühe, der anderen für einen Augenblick zu folgen . . . Der Zeigefinger sticht wagerecht durch ein Loch zwischen den Pfosten. Alle blicken hinaus.

Nichts ist jenseits des Hügels zu sehen, als das Grün einer kleinen Bananenpflanzung und darüber das Dunkel des Urwalds. Sieht Faga‘afi Gesichte? – Fast scheint es so . . . Doch nein; etwas bewegt sich dort; in der Entfernung nicht größer als eine Spinne. Weiß bewegt es sich, gefolgt von etwas Braunem; das ist ein Mensch, der einen zweiten nach sich zieht.

»Kotūsa!« – spricht das »Feuerrohr« wiederum; doch diesmal mit bösartiger Betonung und mit Triumph in der Stimme.

Die beiden Pa‘alagi indessen kriechen – das ist ersichtlich – 217 geraden Wegs auf das Bungalow von Sale-Kuka los. Eine Begrüßung findet dort oben statt. Oder täuscht man sich? – Ist es das ferne Gekräh eines Hahnes? – Die beiden verschwinden in der Tür. – –

Eine vorübergehende Stille, wie der kaum wahrnehmbare Druck vor einem kommenden Wirbelsturm, zieht im Hause Leitualas ein.

Dann, als ob nichts geschehen sei, singt und plaudert man weiter.


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