Willy Seidel
Der Buschhahn
Willy Seidel

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Zank mit MosoAusbrüche von Hysterie bei Frauen, wie sie im kritischen Alter zwischen 50 und 60 Jahren vorkommen, werden bei den Samoanern übelwollenden Dämonen zugeschoben. Moso ist ursprünglich der originale Kriegsaitu; seine Bedeutung ist jedoch, in langer Ermanglung solcher Verwendbarkeit, zu der eines Unruhestifters innerhalb der Familie herabgesunken. – »Das Wort Moso dient gleichbedeutend mit der Verwünschung: Hol dich der Teufel! als Fluch und Verwünschung; in dem Ausruf: A-ina o-e a Moso!« (Dr. Reinicke, »Samoa«) – Ebendort heißt es: »Wie bei uns das Volk die bösen Geister fürchtet, ist auch heute noch, besonders des Abends in der Dunkelheit, im Walde und in den Bergen, der Ruf der Samoaner: E Moso, e Sepo etc. als gruselnder Ausruf noch ziemlich häufig.«

Die Hähne krähen auf – – um vier Uhr morgens, in der bleichen toten Frühe  – –; da geschieht es, daß Tai den Kopf von der Bambusstütze hebt, das Leinentuch von sich wirft und sich aufsetzt. Sie ist in der Hütte ihrer Mutter Ta‘ele Ulamamai.

Die Greisin, umringt von ihren schlafenden Hunden, schickt mit klaffendem Mund ihr zittriges Schnarchen zum Hüttendach empor. Die Hunde, je nach ihrer Größe, atmen ihren eigenen Rhythmus. Das Innere der kleinen Hütte ist voll riesiger erstarrter Schatten.

Tai steht auf und zieht eine Jalousie halb in die Höhe. Ein milchiges Grau quillt herein und löst die drohenden Schatten in friedliche Pfosten und Kisten auf. Man kann Grothusens Hütte, auf der anderen Seite der Wiese, unterscheiden. Sie ist leer, und die Totenstille tritt dort aus und ein. Gegen den schwärzlichen Himmel erscheint das runde Dach zackig von den Konturen schlummernder Hühner. Im reglosen Nichts hängen Sterne – –: verblassendes Gewimmel von ersterbenden Nachtgedanken; weißen Gedanken, die zu Grau zergehen . . .

Tai tritt zurück und steckt eine Sului in Brand. Sie richtet sich häuslich ein auf einem Raum, der nicht größer ist als vier Tapamuster, und hüllt sich bis zum Hals in das Linnen. So auf dem Dreieck ruhend, das ihre gekreuzten Beine bilden, versteckt sie ihre Hände, saugt den Qualm ein und speit lautlos mit einer Vogelbewegung über die Schulter 244 auf den Lavakies. Sie gebraucht nicht einmal ihre Hände mehr, um die Sului herabzunehmen, wenn sie sich des Speichels entledigt; sie wälzt sie mit der Zunge in den linken Mundwinkel und hat damit den anderen zur Benützung frei . . .

Während sie die kleinen Handlungen begeht, sind ihre Augen halb geschlossen; ihre Hände wissen ohne Mitwirkung jener sanften Pupillen, was sie tun; finden die Plätze der Gegenstände, ertasten ihre Formen – –: nun sinken die dünnen Ritzen wieder zu, als habe Tai nichts gesehen oder getan; als habe sie seit Äonen auf diesem beschränkten Platz gesessen, von der Größe von vier Tapamustern, und habe der Zeit schlafende Züge gewiesen. So reglos sitzt sie. – Und doch laufen über dieses große hellbraune Gesicht eilige Fältchen, kaum wahrnehmbar, nur wie um Kunde zu geben, daß dies Holzbild lebe . . . Die Fältchen sind letzte Ausläufer von Furchen, die böse Sorge geprägt; letzte Wellchen von dem Aufruhr eines roh gestörten Wasserspiegels. Die winzigen Nerven beben noch nach vom Druck eines wuchtigen Grams, der den dünnen Schleier ihres Morgenschlafes zerrissen; der sie angesprungen durch jenes flaumleichte Fliegennetz, hinter dem sie sich, umringt von ihrem halbanimalischen schlichten Tausenderlei, vor der scharfen Wirklichkeit zu verschanzen suchte . . .

Die Sului steht wagerecht aus den zusammengepreßten Zähnen; nach ächzenden Pausen füllt sich die Lunge, und Qualm tritt aus dem Mund. Die Welt mit ihrer lärmenden kreischenden Tätigkeit, ihrer Angst vor dem Heute und ihrer Wut auf das Heute –: die Welt hinter dem Rand des ungeheuren Wassertrichters dreht sich mit langgezogenem Gesamtschrei – dem schwachen Sausen in den Ohren Tais– ganz fern und nichtig um sie herum. Was sich mit Masten und Hügelgruppen hinter den Horizont vergräbt, dient ihr und kreist fern, ohne ihr zu nahen. Denn sie sitzt im Mittelpunkt und löscht es aus. Jenseits einer bestimmten Strecke 245 gibt es gar nichts mehr; ihr Hirn ist nicht mehr fähig, es zu erschaffen. Was aber da drinnen zur Form gerinnen darf, was ihr vertraut ist, geschieht und hat glühendes Leben. Wo ist ihr irrendes Gesicht; wohin ist es gewandert?

Sie sitzt vollkommen steinern da. Pakali erwacht; geht, mit den Klauen hart auf die Matten pochend, herüber und beschnuppert sie. Zwinkernden Auges geht er dreimal um sie herum, reibt sich an ihr und legt sich dann mit einem Seufzer der Enttäuschung vor ihr nieder. Eine kleine Rolle heißer Tabakasche fällt ihm auf die Schnauzenspitze; er grunzt auf. Doch nichts geschieht, was einem Kampfe gleicht. Es ist wie der Angriff eines Baumes, der einen Zweig herabschleudert . . . In der Folge erkaltet die Sului und hängt tot herab. Auch der Atem wird lautlos; scheint es nicht, als sei er ganz erloschen? – – Ist das noch Tai, die lebende Tai? – –

An diesem Morgen ereignet sich Außerordentliches. Farben kriechen herauf, Vögel kullern, Hähne singen ihren schmetternden Sonnensang, Leute gehen hin und wieder – aber in der Hütte der »Weichen Pandanusfrucht« bleibt es still.

 

Was ist das Weiße, das vor dem Dunkel der Wälder dahineilt in silberner Wellenlinie, die Küste von Upolu herab?

Es ist ein Tropikvogel. Die beiden Schmuckfedern seines Fächerschwanzes wimpeln. Er steuert über das tröpfelnde Schweigen der Wälder, hoch dahin über strotzenden Riesenschwämmen, deren Poren smaragden schimmern. Weiße Straßen krümmen sich unter ihm, an den Rändern besät mit braunen Eiern: Hüttenhauben. Die Küstenlagunen wandern mit wie eine ungleiche Ader von Lapislazuli; bald füllen sie Buchten aus, prächtig spiegelnd, bald verengen sie sich – gleich den Steinpfaden, in denen die Straße halberstickt weiterrinnt – zu leuchtenden Schnüren, die längs der schwarzen zerfressenen Lavasäume laufen. Dann kommt ein grünblauer Teller, in dem zwei 246 Felsenschiffe schwimmen, gesprenkelt von Palmen: Apolima und Manono. Sawaii kommt in Sicht: eine zweite Welt.

Der Tropikvogel hält sich nach Westen und folgt der Küste noch kurze Zeit; späht in das Geschmeide der Farben, in den Schmuck, der dort in der Mitte des graugrünen Meerestrichters unzerstörbar schimmert. Dann wendet er sich dem Wasser zu. – – –

 

Tai sieht Meer unter sich; gekräuseltes Meer; einen weiten Bereich von rosa durchfunkeltem Grau. Gefühl köstlicher Leichtigkeit treibt sie dahin. Sie sieht, in dem Funkeln, einen schwarzen Punkt den Wellen entgegenlaufen und sie durchschneiden; und doch scheint der Punkt immer schräg unter ihr an derselben Stelle zu bleiben; wiewohl er zu hüpfen und zu eilen scheint. Ist das ihr Schatten? –

Plötzlich sieht sie ein silbernes Ungetüm mit zwei schiefen Schloten; pechschwarze Qualmfetzen segeln ihr entgegen und unter ihr weg. Möwen treten neben sie, die knarzend und heftig mit den Flügeln rudern. Albatrosse mit senkrecht nach unten gedrehten Köpfen und halbgeöffneten Schnäbeln, die schwarzen Füße locker hängend, treiben vorbei gleich herangewehten Schirmen aus weißen Daunen; ihre Augen tauchen, unabhängig voneinander bewegt, scharf und lüstern in die Tiefe. Und das graue Ungetüm wird farbig, wächst und wandert ihr entgegen. Es blitzt von Metall; und die Sonne saugt schwankende flüssige Funkenbündel aus den Messinggeländern.

Es drängt Tai zu dem Schiffe; das Schiff wächst immer mehr; und sie sieht hellgekleidete Gestalten, Gruppen von Pa‘alagis, die andauernd in unverständlichen Zungen schwatzen und dabei heftige und sinnlose Bewegungen machen . . . Ein weißes Kindergesicht blickt herauf; ein Mund, rot wie eine Puablüte, entsendet einen hellen erstaunten Schrei in die Höhe. Es ist zum Betasten schön; doch schiebt sie es von sich in die Tiefe; späht weiter in die 247 Löcher und Irrgänge, die voll hin- und hereilender Pa‘alagis sind . . .

Sie blickt in eine Vertiefung zwischen Mitte und Bug des Schiffes. Dort, um die eisernen Winden für die Löschkräne herum, hocken Leute aus Suva; die Pa‘alagi lehnen über ihnen am Geländer und blicken herab; und die Leute von Fiji grinsen herauf. Es sind Umlader; sie haben Kisten voll von bunten Blechbüchsen, roten Lavalavas und weißen Mousselingewändern, wie man sie zur Kirche anzieht, aus dem Bauch des Schiffes hervorgeholt und auf die Werft der Hamburger Firma gebracht . . . Sie haben eckige Waden – keine runden, sanftgepolsterten Samoawaden, sondern harte, eisengraue Muskeltürme, die bei den Schritten angriffslustig schüttern. – Mittlerweile fahren sie nach ihrer Heimat zurück und glupen unter bösen Brauen herauf wie Kinder der Tiefe; kleine Augen, glänzend aus Schächten von brauner und schwarzer Kohle, regen sich unter überhängenden kugelrunden Wollfrisuren, überwimpelt von Kränzen aus farbigen Sägespänen. Sie rauchen Pfeifen aus Maiskolben, – spucken weit, wo sie auch sitzen mögen, über die Köpfe der anderen hinweg ins Meer, johlen, singen zu zweit und kochen sich Kartoffeln in einem kleinen Ofen, in den sie abwechselnd blasen wie Dämonen, die einen Sünder rösten . . .

Tais Blick irrt weiter durch die Tiefe des Schiffes –: den sie sucht, sieht sie nicht; ja, der, den ihre Seele sucht, ist nicht da! – – »Petina!« – gellt ein Pfiff. Zirpend, krächzend, wimmernd schallt es um das Schiff, aus den Lüften und vom Heck bis zum Bug: – »Petina! . . .« –

Die Albatrosse lassen die Augen wandern und die Köpfe zwischen den Schirmschwingen herabhängen; sie spreizen und schließen die Klauen. Auf einmal gibt es ein Gewimmel in der Luft; ein Zusammenschießen von Schwarz und Silber im Raum; einen Klumpen aus wild hauenden Schwungfederspitzen, der aufs Wasser sinkt . . . Und auf dem Zwischendeck in einem Eckchen, hinter der leeren 248 Schafhürde und getrennt von den Fiji-Leuten, steht er und wirft Überreste von Tellern ins Wasser.

Sein herzförmiges Gesicht ist halb verdeckt durch einen zerfransten Topfhut, den Tai nie zuvor an ihm erblickt. Die Füße kommen aus grauen Drillichhosen hervor. Sie tasten nun unruhig auf dem glatten Boden des Schiffes umher, diese staubigen Füße mit den treuherzig auseinandertretenden Zehen, gewohnt, sich um Steine und Wurzeln zu schmiegen; und sein ganzer Körper steckt in Kleidung, in einer häßlichen Jacke, die viel zu groß ist und an ihm schlottert . . . Was Wunder, daß Tai ihn so spät erkennt!

Jetzt dreht Petina das Gesicht nach der Seite und blickt über die Köpfe der Fiji-Leute hinweg nach dem Bug. Dort, auf der zusammengerollten Ankerkette, die wie eine warme große Schlange ihre Glieder aufeinandertürmt, sieht er einen Tropikvogel sitzen. Der Vogel sitzt still, er scheint ganz zahm zu sein. Oder ist er müde? – Ist er verletzt?

Die schneeigen Schwanzfedern streicheln das harte Eisen mit zarter Liebkosung. Petina wird magisch von dem Vogel angezogen; ein unwiderstehliches Verlangen erfaßt ihn, ihn zu haschen.

Ein seltsam brennendes, schier törichtes Heimweh kommt ihn an; ein Drang, aus diesem lärmerfüllten Schiffsgefängnis zurückzueilen; mit dem Wind sind es wohl nur zwei Tagereisen! – – Oh – – sich unter die Brücke verkriechen zu dürfen, hineinzuschlüpfen in den warmen Tümpel des Vaisigano und der Welt zu vergessen! – – Nackt dort zu liegen, wo er die Zeit nach der Höhe der Sonnenkringel an den Pfosten bemißt und der duftumsponnene Va‘ea-Berg wie ein ferner Magnet seine Gedanken schluckt – – in einem Mantel von Frieden und schwarzblauer Blätterfülle! – – Doch plötzlich taucht ein Kopf vor seinem inneren Auge auf –: rothaarig, wachsam und bedacht darauf, ihn zu verjagen; ein Kopf mit 249 dreieckig gespaltenem Mund, der auf jener Brücke ist und auf allen Stellen des Ufers zugleich.

Grübelnd hockt er sich hin, durch den Topfhut geschützt vor dem Anprall der Blicke vom Geländer herab –: nackter Blicke aus grauen, aus blauen Augen in weißen Gesichtern. Sein Herz ist voll dumpfer Erwartung, was mit ihm geschehen soll . . .

Als er aufsieht, ist die Ankerkette unheimlich leer und feindlich gleißend, und der Tropikvogel ist fort.

 

Es ist Mittag, Strand- und Wellenmittag; Apia liegt unter seinem weißen Bann. Hier und da wirft ein Buggy Staubwölkchen auf, die sich am selben Fleck wieder legen. Fauliger Dunst dringt von den Abfallstellen der Strandhäuser und Firmen. Zwei Dampfer liegen reglos im Hafen; das Knarzen der Löschkräne tönt gleich rasselnden Atemzügen aus gepreßter Brust. Tropenhelme bewegen sich schläfrig schmale Schattenbänder entlang. Allerhand Ladenbesitzer hocken auf den Eingangstreppen ihrer Veranden. Geklapper von Küchengeräten kommt aus den Hotels. Zuweilen schwimmt Gebrüll durch die Luft, durch ein krachendes Geräusch oder heulendes Gähnen beschlossen. Es sind deutsche Pflanzer, in Siestagesprächen begriffen.

Tai schrickt auf.

Blind starrt sie eine Zeitlang vor sich hin. Dann erkennt sie Ta‘ele, die wach in ihrer Nähe sitzt und an einer Brotfrucht kaut.

Die Greisin hat sich leise gerührt, die Jalousien aufgezogen und die Hunde, dürr und emsig, mit dem Fuß hinausgejagt. Eine Viertelstunde lang hat sie mit einer Bambusstange nach der Brotfrucht geangelt, die sie jetzt gebacken verzehrt. Sie kaut langsam; die Hautfalten ihres Halses regen sich träge durcheinander. Mit ihren Knochenfingern bricht sie zuweilen ein Stück ab und stopft sich die Backentasche voll; seltsame Verschiebungen gehen dabei in ihrem scharfen Gesicht vor.

250 Als Tai erwacht, zieht Ta‘ele die noch schwarzen Brauen so in die Höhe, daß ihre Stirnhaut tiefe Rinnen schlägt und die ganze kurzgeschnittene schneeweiße Haardecke herabschiebt. Sie will ihr Erstaunen bezeigen, daß Tai solange geschlafen hat – wenn man jenes im Tiefsten tätige Versunkensein Schlaf nennen will.

Tai schüttelt ihre bleischwere Befangenheit ab und öffnet sich die Haare. Sie zieht das rosa Bändchen aus dem Rattenschwanz.

Als sie zu Grothusens Hütte herübergeht, um sich den Kamm zu holen, wird sie angerufen. Sie späht den Weg hinab: zwei Frauen wandern langsam heran, begleitet von einer schwarzen Gestalt. Es sind das »Feuerrohr« und das »Ende der Peitsche«, mit dem Misi Etimano; gefolgt von den beiden Kindern.

Tai vergißt den Kamm zu holen. Sie ahnt, daß etwas im Anzug ist. Die Basen wiederzusehen, ist erfreulich und verspricht Neuigkeiten; doch der Anblick Sevaos bringt ihr Peinliches ins Gedächtnis zurück, das sich vor einer Woche ereignet . . .

Man begrüßt sich und setzt sich im Kreis in der Hütte nieder. Zunächst klopft Lepeki die Kawa; nachdem diese herumgegangen ist – gefolgt von einem frugalen Mahl, das man den Hunden noch rechtzeitig vor den Nasen wegschnappt – beginnen die Hirne langsam zu arbeiten und Berichte zu formulieren. Tai versteckt ihre Ungeduld vollkommen. Man schweigt sich lächelnd, spuckend und besinnlich an. Dann nimmt man Anläufe, mit Umwegen von der Entlegenheit des Mondes. Irgendwann im Laufe des Nachmittags, dessen ist man sicher, wird man zur Sache kommen. Nichts läuft der samoanischen Seele so grundzuwider, als mit Peinlichem ins Haus zu fallen. Man schleicht lieber sechsmal ums Haus herum und drückt sich dann verstohlen zur Hintertür herein.

Besonders Sevao überlegt sich gründlich, was er sagen will. Er lächelt deshalb stereotyp und albern und wickelt sich 251 die Löckchen seines Kräuselbarts um die Finger. Er ist höheren Orts, von Malua aus, instruiert, was er zu tun hat. Die Angelegenheit, mit der man ihn betraut, ist kirchenpolitisch; er ist sich dessen brünstig bewußt. In Grothusens Abwesenheit hat er freies Spiel; welcher Umstand wäre besser geeignet, um die kitzlichen Beziehungen zwischen dem Schwarzen und dem Braunen Schwein wieder einzurenken?

Die London Mission ist mächtig und Sevao einer ihrer verschmitztesten Spione. Der farbige Viertels-Gottesmann hat genügend Intelligenz, um sich zur Intrige gebrauchen zu lassen; das hat er schon früher bewiesen. In diesem Fall steckt auch ein handfester Gewinn dahinter, neben Erleichterungen im Jenseits – mit denen jene zu seiner Genugtuung besonders liberal waren, und womit er durchaus als mit praktischem Vorteil rechnet.

Die Hoffnung, zwischen Grothusen und Tai das Band kirchlich-legitimer Ehe zu schlingen, hat man inzwischen aufgegeben; – – somit sind auch Tais zweihundert Acker Land, die Sevao in solchem Fall erhalten und der London Mission zur Bewirtschaftung überlassen würde, zum schönen Traum verblaßt. Was nützt es, Grothusen gütlich zuzureden? – – Er weiß »schwer Bescheid«. – – Heran also jetzt, hinter seinem Rücken, und einen anderen Plan ins Werk gesetzt . . .

Kaum hat Sevao davon Wind bekommen, welches Entsetzen Grothusen mit seiner Drohung hervorruft, Petina nach Hamburg zu verbannen, so ist er geeilt und in den Chorus eingefallen. Hat das warme Eisen mächtig geschmiedet. Voll Mitleid hat er Tai Geld geboten, um den Jungen zu flüchten; sie hat es zu Wucherzinsen unterschrieben . . . Wußte sie denn, die gute Seele, daß sie eine Hypothek aufnahm auf ein verwildertes Gebiet, aus dem sie bisher nur den Lebensunterhalt für ihre engste Familie hatte quetschen können?

Doch Grothusen wird es wissen; wird erkennen, daß 252 vielleicht schon nach Ablauf von zehn Jahren das Braune Schwein nicht mehr sein eigen nennen wird als ein Stück fragwürdiger Pflanzung, über das man eine Whiskyflasche schleudern kann. Nichts wird er retten können; gar nichts. Sevao wird triumphieren; chinesische Kulis werden geschäftig sein, und die Pfaffen werden sich die Taschen füllen . . .

Grothusens Benehmen vollends in Sawaii gibt einen wundervollen Schlußstein zu dieser Intrige ab. Sevao gedenkt der Verabreichung der Nachricht beizuwohnen wie ein Künstler, der ein vielleicht gerade noch erwünschtes Glanzlicht auf ein Gemälde setzt. Er kennt seine Base Tai. Es wird eine Szene geben . . . Aber zu dritt wird es ihnen schon gelingen, sie ganz von Grothusen abspenstig zu machen. Sein Haß gegen diesen und die gemeinsame Entrüstung der Weiber wird schon für die richtigen Ausdrücke sorgen. Daß er Grothusen haßt, ist er sich klar; spricht nicht dieser immer von »untergeordneter« Familie? Obwohl er doch wissen muß, daß die Linien sich aufs Haar gleich stehen? – Und hat er nicht Petina damals mit Strafandrohungen verboten, bei ihm, dem Misi Etimano, und bei Samusamu nächtlicherweise geistliche Erbauung zu schöpfen? – –

Man geht sehr sangsam zu Werk. Tai und ihre Mutter hocken dicht zusammen. Daß Tai auf einem Folterstuhl von Spannung sitzt, erkennt man daran, daß ihre Hände in steter zielloser Unruhe sind. Doch Ta‘eles Augen, vergilbt, blinzeln diesmal kaum; sie gleichen Bernsteinknöpfen, in deren stumpfem Glanz die Geschehnisse einen Spiegel suchen. Tais Blicke, sonst sanft und still, hüpfen hurtig von einem Gesicht zum anderen; sie stellt hastige Fragen nach der Hochzeitszeremonie in Sawaii.

Faga‘afi, in treffender Sprache, zaubert ein Bild der verflossenen Woche hervor; weist ihr im Geist jene Traube aus sieben vollreifen Königsbananen, die man gleichsam wieder einzeln durch die Finger gleiten läßt, sehr streichelt 253 und lobt . . . Leituala schicke seine Grüße; Gram darüber, daß er Tai nicht habe begrüßen dürfen, werfe ihn aufs Siechenbett. – – Die beiden Matronen lächeln starr; Leituala ist sehr höflich.

Danach zeigt Tai das tiefste Interesse an den Matten. Sie werden ihr geschildert; nie zuvor, so alt man ist, hat man solche Matten gesehen. Faga‘afi zeigt sich nur äußerlich davon geblendet; Toieolesāsa hingegen weiß Bedeutsameres; weiß über den Stammbaum der Matten Bescheid. Sie liest ihn eintönig aus ihrem Gedächtnis herunter; nach jeder Ahnenstufe, die das Familiensymbol in die Jahrhunderte zurücksinkt, stößt Tai ein bewunderndes »O lele‘i« hervor, und die Greisin schnalzt mit der Zunge. Und als man gar die Speisenfolge zum besten gibt und den Scherz vom Fe‘epō wiederholt, scheint die Genugtuung kein Ende zu finden . . .

Suluis werden verteilt; man raucht.

Im Qualm geht, trotz allen harmlosen Geschwätzes, eine üble schwere Frage um wie ein dunkles drohendes Tier. Alle wissen das; und alle werfen farbige Schleier darüber. Keiner scheint es zu beachten.

Nur eine Hand, ein leiser Ausdruck braucht es anzutasten; plötzlich wird es da sein . . . wird sich fauchend in die Höhe richten und die Schleier zerfetzen . . . Es wird nichts helfen, daß man ihm fünf lächelnde Zahnreihen entgegensetzt . . .

Wer wird es zuerst wagen, die Hand auszustrecken?

Es ist Tai. Sie fragt leise – und sieht dabei aus, als dächte sie an Nebensächliches –: »Und Kotūsa –? – – Habt ihr von Kotūsa gehört? – – Weiß er . . .?«

 

Am Mittag ist man gekommen; und jetzt ist es hoher Nachmittag. Vier Stunden lang hat man geschwatzt, obwohl man wußte, daß man wegen dieses Themas, und nur dieses einen Themas kam. Nun ist die Frage gefallen; sie ist nicht mehr zu umgehen; nackt hängt sie in der Luft. Man bereitet sich sehr zögernd auf die Antwort vor.

254 So heißt es denn zunächst –: ja, man habe von Kotūsa gehört. Er gehe mit einem jungen Pa‘alagi, der Augen habe groß wie Baummelonen, um Sawaii herum. Zu welchem Zweck er diese äußerst atemraubende und schwierige Reise unternehme, sei dunkel. Ebenso unverständlich sei das Gehaben des jungen Pa‘alagi. Er schaue alles aus der Entfernung an, verteile überall Geld und sei äußerst unwissend und stumm wie ein Fisch. Ein Mormone sei er nicht, weil er nie bettele. Er habe sich nackt in den Fluß gelegt; mindestens zwanzig Weiber könnten dies aus eigenem Augenschein bekräftigen. Er sei verrückt. Und Kotūsa sei auch verrückt; vollkommen verrückt.

»Warum?« – – fragt Tai.

Da kommt es heraus.

Er sei in das Haus Leitualas gekommen und habe gescherzt; und man habe sehr gelacht.

Auf einmal habe er gefragt: »Ifea le Tai? Wo ist Tai?«

»Tai ist in Mata‘utu,« habe sie, Fage‘afi, erwidert.

»Warum ist sie nicht mitgekommen?«

»Bitte, sie ist krank.«

»Warum ist sie krank?«

»Bitte, sie hat Angst.«

»Warum hat sie Angst? – Hat sie Angst vor mir?«

»Ja, sie hat Angst vor Kotūsa.«

»Warum hat sie Angst vor mir?«

Maggies wegen, habe man zuerst gesagt. Maggie sei seit seinem Geburtstag nicht mehr in das Haus zu ihrer Mutter gekommen. Maggie sei eine »Taupou Sā«, eine Nonne, geworden und habe sagen lassen, sie bleibe bei den Schwestern.

Daraufhin sei Kotūsa sehr rot geworden und habe etwas gemurmelt, was man nicht verstanden habe. Er habe Fapusi angesehen, und Fapusi und Masagi hätten sich geschämt und den Kopf verborgen. Alle hätten gelacht; aber Kotūsa habe nicht gelacht. Dann habe man Lieder gesungen, und Kotūsa habe sich beteiligt; aber seine Stimme habe geklungen wie Eulengekrächz.

255 Plötzlich habe er weitergefragt:

»Wo ist Petina?«

Die Sului Tais fällt auf den Boden. Ihre Finger tanzen. Das »Feuerrohr« nimmt sich Zeit; sie entfacht ihre Zigarette mit größter Umständlichkeit. Sie tut einige Züge und wiederholt dann, indem sie, ihrer Gewohnheit gemäß, scharf auf das brennende Ende schielt –:

»Wo ist Petina?« – –

Dies habe Kotūsa gefragt. – – Da habe sie, Fage‘afi, erwidert:

»Petina ist weg, ganz weg. Petina ist in Fiji. Tai hat Petina nach Fiji geschickt. Deshalb hat Tai Angst vor dir«

Da sei Kotūa aufgestanden und habe gesagt:

»Sie braucht keine Angst vor mir zu haben. – Ich komme nicht mehr zu ihr. Ich kenne Tai nicht. – Ich kenne Petina nicht. – Ich kenne Maggie nicht. – Uma!« – – Und er habe wiederholt, daß er niemals wiederkommen werde; und habe häßliche Worte gesprochen und sei ohne Abschied aus der Hütte gegangen; er sei sehr unhöflich und verrückt, vollkommen verrückt. Es sei eine traurige Geschichte. – –

 

Alle blicken auf Tai.

Sie hat das rosa Bändchen in der Hand und versucht, sich die ungekämmten Haare damit zu binden; aber es ist, als gehorchten ihr die Finger nicht. Zwischendurch spricht sie leise und seltsam hell: »Uma – –?«

Das Zopfband fällt herab. Sie tastet sich, ohne es zu bemerken, im Haar umher; es ist etwas Blindes in ihrer Bewegung.

Auf einmal steht sie auf und geht aus der Hütte heraus. Man sieht ihr verblüfft und zungenschnalzend nach. Sie geht zu Grothusens Hütte herüber; man folgt ihr mit den Augen, bis sie verschwindet. Man begreift, daß sie allein sein will; der Misi Etimano ahnt, er weiß nicht warum, ein Mißlingen seiner Pläne und gerät in Bedenklichkeit . . .

Stille herrscht.

256 Plötzlich knurren die Hunde.

Die Hütte dort drüben ist leer; man kann jeden Gegenstand und den Umriß Tais deutlich unterscheiden.

Da hört man sie sprechen. Mit leiser, monotoner, dann anschwellender Stimme erwidert sie Fragen, die leise zischend an sie gerichtet werden. Ein seltsamer Laut steigt auf. Kommt er aus der Pflanzung? – Kommt er aus dem Haus? – – Die Hunde ziehen die Schwänze ein; ihre Rückenhaare richten sich auf . . . Das ist nicht Tais Stimme! – – Mit wem redet sie? – Wer ist dort zugegen? – –

Aufs höchste erschrocken blickt man sich an.

»Moso!« fährt es dem »Feuerrohr« heraus. »Sie zankt mit dem Moso!«

Ein Kreischen dringt herüber; das ist keines Menschen Stimme.

Quäkend wirft sich die alte Ta‘ele, beide skelettdürren Arme ausgestreckt, über das heilige Buch.

Die Weiber beten heftig, laut, leiernd, und bekreuzigen sich unablässig.

Moso wütet dort drüben hinter den Pfosten; zerrt Tai an den Haaren; zerreißt ihr das Hängekleid; preßt sie zu Boden; zieht sie empor in stetem schauerlichem Auf und Ab . . .

Gegenstände poltern und rollen heraus; eine Zinklampe, ein Waschbecken, ein Schlafschemel . . .

Er faucht und trillert in höchstem Ärger; er schilt mit vollem Hals aus den Lungen Tais heraus . . .

Von sämtlichen Bibeln, die in der Hütte sind, hat man eine Barrikade gebaut; mit ratlosen Fingern reißt man die Blätter auseinander und rezitiert näselnd jeden beliebigen Text, den die gehetzten Augen zufällig erhaschen . . . Da blitzt dem Faifeau ein früheres Erlebnis durch den Kopf.

In Eva hatte er vor Jahren ein Weib besucht, das in 257 einem Zank mit Moso begriffen war; man hatte ihr mit einem Knüppel die Schulter ausgerenkt, und es hatte nichts geholfen. Moso hatte gekichert und ihr befohlen, nackt den Siva zu tanzen. Da hatte er, Misi Etimano, ihr Brüste und Kniekehlen mit glühenden Holzstücken verbrannt, worauf Moso ausfuhr und einen Gestank zurückließ wie von Fliegenden Hunden . . .Bei hohen Fieberfällen, wenn der Mensch deliriert (bei samoanischen Weibern nach der Geburt, wenn Stücke der Nachgeburt zurückbleiben), wird behauptet, daß der Teufel seine Hand im Spiele habe. Es wird dann dazu geschritten, den Teufel, der im Distrikt ansässig oder zugereist sein kann, mit allen Mitteln auszutreiben. – Ein Herr in Apia berichtete mir ans eigener Erfahrung folgendes:

In Eva saß das Weib da und phantasierte in dem Haus, wo sich die Familienmitglieder befanden. Sie riß sich das Zeug vom Leibe, tanzte umher und sprach mit verschiedenen Teufeln, u. a. mit dem Moso. Die Älteren redeten ihr zu, was sehr komisch war –: Teufel, verlaß dies Weib; bist du ein Guter oder Böser? – Sie befragten das Weib nach dem Teufel; oder sie beschimpften ihn und flehten ihn an: Alu ese, o le Aitu – Dies taten sie eine Stunde lang. Als alles nichts half, sprang ein großer Mann herzu mit einem Knüppel und schlug unter fortwährendem Schimpfen auf das schreiende Weib ein, wodurch ihr eine Schulter ausgerenkt wurde. Sie wehrte sich nach Kräften; suchte zu entfliehen. Hierauf trat ein samoanischer Faifeau (Pastor) ein und flehte den Teufel im Namen Jesu Christi und des lieben Gottes an, daß er nach Hause gehen solle. Er ging dann weg; alles war vergebens. Nun wurden glühende Holzstücke geholt, und sie wurde an den Kniekehlen, an den Schenkeln, an den Brüsten und an der Stirn gebrannt. Sie brüllte. Man schalt und flehte dabei. Als sie nicht mehr schreien konnte, fiel sie halbtot auf den Matten zusammen, wurde mit Kräutermedizin eingerieben, verbunden und zugedeckt. Als ich mich am nächsten Morgen nach ihrem Befinden umsah, fand ich, daß sie sehr geschwitzt hatte und auf bestem Wege war; – sie hatte nackt den Siva vor dem Pastor getanzt.

Soll er es tun? – – Soll er es wieder tun? – –

Er greift in den Ofen, wo die Kohlen glühen, und schaufelt sie in ein Bananenblatt. Sie zischen auf. Unter Anrufung Jesu schließt er das Bündel und schreitet, sein silbernes Kreuzchen daraufgelegt, langsam auf die Wiese heraus.

»Alu ese!« singt er dabei. »Alu ese o le A‘ïtu!«

Noch bevor er hinkommt, erfolgt ein Sturz. Das Geschrei erlischt.

Tai liegt besinnungslos auf den Matten.

Das Innere der Hütte sieht aus, als habe ein Sturm darin gehaust.


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