Willy Seidel
Der Buschhahn
Willy Seidel

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Vom ewigen Lächeln

Gerhart erwachte, bevor noch jemand in der Hütte sich regte. Leise stand er auf und ging über die kleine Brücke zum Strand herab. Satoalepai und Fagamalu schliefen noch; hier und da nur sah man ein Feuerchen, flackernd rot im grauen Licht, hinter durchlässigen Jalousien. Die schlaflosen Matronen waren erwacht; oder waren sie noch wach? Das Haus Suisalas lag geschlossen wie eine kalte Zwingburg. Es hauchte Dämmerung aus. Verblaßte Nachtgeschehnisse lagen versteinert umher, hingen tot an den Sträuchern. Da und dort nickte ein Kopf von matten Schultern, ein weißer Kalkkopf, von Erstarrung überrumpelt.

Gerhart entkleidete sich und schritt ins Meer. Und während er sich vorsichtig seinen Weg bahnte, geschah der Morgen, kaum wußte er wie. Der Grund war soeben noch voll grauen kalten Moders, voll toter Korallenstöcke gewesen; jetzt auf einmal glich er einem grün durchblühten Kristallhaus. Farben entwickelten sich auf ihm, weiß, gelb, grün und rostrot; der Sand lachte schimmernd herauf. Bizarre Lagunenfische, zwischen Schwärmen blauer Seestichlinge, stoben davon.

Früheste Morgenfarben glommen. Schatten gliederten sich ab; der Kuß der Sonne streifte weihend, erlösend, pulserweckend die Ufer; finstere Baumgruppen, träge vom Schlaf zusammengekoppelt, traten weich auseinander und wurden gesellig. Die starren Stämme der Palmenhaine schwankten knarzend in erster Brise, und jenes ungeheure Rascheln entstand gleich dem auf der Schwesterinsel. Es lief, tausendblättriges Rieseln, von Fagamalu nach Sasina und rund um die Ostküste; ein Baum weckte den anderen mit der Schnelligkeit des Gedankens.

Das weiche Kullern und Trillern der Vögel drang ohne Ende aus den Pflanzungen, durchbrochen vom scharfgellenden Ruf und Echoruf der Hähne. Das Meer lag rauchend wie ein konkaver Spiegel, wie eine mächtige 157 Linse voll weißen Funkelns. An den Riffen war ein Tanz von keuschem Gischt, eine Kette von hüpfendem Silber. Weiter draußen brannte ein heftiges Rosa, das in Weiß zerflammend die Himmelsgruft erhellte; blaue Glut entstand darüber und als Widerschein ein breiter Ring von Türkis auf den Wassern, deren Kontur horizontklar hervortrat. Das Sausen verstärkte sich; die silbernen Spritzer wurden zu Fontänen, die in lautlosem Spiel emporwankten; zu einem Spiel diamantener Hunde, die mit unerhörter Eile Wache hielten, in meilenweiten Sätzen sich überstürzend und überkugelnd. Plötzlich erkannte das Ohr, daß die Luft voll ihres Kläffens war, voll Siedens und glockenstimmigen Gedröhns.

Wo war das Bollwerk, das sich dort ohne Lücken erstreckte? Wälle von steinernen Blumen blühten starr durch die Zeit. Wann war das gewesen, daß jene Nuß kam, jener Ball Lebenswillens, herschaukelnd aus Tausenden von Meilen? War es gestern? Oder war es, als jener Küstenstrich noch ein siedender Tumult von Lava war, eine Stunde, die jenen Hügelkuppen »gestern« hieß?

Wann war es, daß der grüne Dämon Einzug hielt in seinen unzerstörbar-nachgiebigen Kerker? Daß er nicht mehr – ob sich und unter sich – das Grundlose spürte, sondern Halt? Fiebernd durchbrach er das Keimloch; aus zerfetztem Bast spreizte er drei ungeheuer starke Finger, Ankerfinger, dürstend und bohrend. Und die Palme erwuchs, rührend schlank.

Der Wind haßte sie. Er peitschte, peinigte sie. Doch siehe: das gefiederte Leben, in Neigen und Beugen, gab nach und erklomm Vollendung. Der Wind wurde zum Sturm, grollend warf er sich auf das Leben zum letzten Anprall.

Da schleuderte es, schimmernd vor Trotz, anderes Leben herab. Dumpf knallten sechs Nüsse auf den harten Stein, und das Meer, in kochender Wut, übersprang die Bollwerke. Es begann einen tödlichen Tanz mit den Kindern des Lebens. Es saugte den spärlichen Sand unter den 158 Wurzeln der Mutter hinweg: sie wankte, sank, doch schlammbegraben lächelte sie, mit letzter schwankender Fieder. Und ihre Kinder enteilten höhnend. Sie ließen sich nicht ertränken, nicht zerschmettern; elastisch taumelten sie vom Seichten ins Tiefe und vom Tiefen wieder ins Seichte. Auf einmal, nach einer Spanne Zeit, die den Korallen nicht länger dünkte als ein Windstoß oder der Satz einer Woge, lächelten alle Gestade: grüner Triumph von Tausenden schwankender Wedel.

Keines Fußes Breite, die nicht von Leben trächtig war; keines Schrittes Spanne, die nicht lächelte!

 

Eine Weile noch hielt sich Gerhart nackt am Strande auf; jede Fiber seines jungen, leuchtenden Körpers trank die sonnige Morgenwollust des Seins . . .

Dann zog er sich langsam an und ging zur Hütte zurück. Sie war voll Glanzes und prächtiger Sauberkeit. Grothusen hockte beim Frühstück. Er schwatzte samoanisch, und ein entzückter Kreis von Bengeln in jedem Alter, bis zu Milikini herauf in seiner frisch tätowirten Würde, kicherte Beifall. Sie trugen jetzt Lavalavas, geschmückt mit Tapetenmustern. Im Hintergrunde saß Te‘ula-Eneliko, der Alte, und eine Gruppe junger Weiber. Alle kauten und machten kleine Augen, sooft Grothusen ihnen ein munteres Scherzwort zuwarf.

›Wie wohl fühlt er sich, und wie gut weiß er sie zu behandeln!‹ dachte Gerhart.

»Ha, Doktor!« rief Grothusen, als er seiner ansichtig ward. »Das Bad wird Ihnen Appetit gemacht haben. Schöner Morgen, wie? Ist nichts Besonderes! Haben hier das liebe Jahr hindurch schöne Morgen! Kawa und kaltes Huhn von gestern: das ist das Menü. Versuchen Sie warmen Taro; empfehlenswert. Meine Freunde hier kennen Sie noch nicht alle, wie? Alles Jungens von dem alten Herrn da hinten . . . Und dieser hier ist mein besonderer Freund Milikini. Als ich noch Schulmeister in Falealili war, hatte 159 ich drei Dutzend von solchen Bengeln und sollte sie Deutsch und Englisch lehren! Ich sage Ihnen, das war des Teufels! Aber wenn man sie samoanisch behandelt, hat man sie in der Tasche . . .«

Gerhart sah sich die Gesichter suchend an. Gelächter barst aus der Reihe, als er versuchte, seine Beine in den ungewohnten Hocksitz zu zwängen. Acht schwarzbraune Augenpaare hüllten ihn in einen Dunst von Neugier ein, machten ihn zum Zentrum erbarmungsloser Betrachtung. Diese atmende, o so junge Inselseele! Dieses Urbehagen am selten Geschauten; zögernde Sympathie, scharf und sicher witternd wie die edler Hunde; schneller Haß, oder mit einem Blick für immer erkauftes Besitztum!

Ein bedauernd klingender Zischlaut geschah; Eneliko hatte ihn ausgestoßen. Aufgesperrte Münder schlossen sich, die Neugier der Augen erlosch wie mit einem Zauberschlag, und die jungen Glieder, soeben noch von einer elementaren Heiterkeit aufgelöst, zogen sich stramm zusammen. Milde gesetzte Höflichkeit waltete.

»Man hat hier Lebensart,« sagte Grothusen ernst. Es lag nicht eigentlich Anerkennung in der Bemerkung, sondern einfach Feststellung. »Dies ist eine gute Familie.« – – Und mit einer Bewegung, als bürge er mit seiner ganzen Reputation dafür, reinigte er sich den Schnurrbart mit einem Stück Bananenblatt.

»Jetzt gehen wir,« meinte er. »Stehen Sie beileibe nicht auf, bevor ich dem Alten das Signal gegeben.« Und er hielt eine kleine Rede. Es war viel Untröstlichkeit darin, viel Beteuerung, viel blumige Wiederholung. Eneliko nickte mehrmals Beifall, und nach einer höflich durchgelächelten Pause erhob er sich plötzlich mit Milikini; er gab dadurch den Gästen die Erlaubnis, ebenfalls aufzustehen. Die ganze Hütte blieb sitzen und rief: »Tofā! Tofā Kotūsa!« – Und die Weiber, den tiefen Brustton des Alten hell überschreiend: »Ja manuia le malaga!«

160 Gerhart wandte den Kopf noch einmal zurück: Welch ein Schlag von Menschen! Welch schöner Wendungen waren diese Hälse fähig! Wie spielten die Muskeln unter samtener Haut; wie strafften sich die Rücken! Und wie schlank und elastisch ruhten die Kniee auf den schön geformten Waden! Und dort hinten entdeckte er noch, mit letztem Blick, ein Brüstepaar; Arme, die sich hinter einer seidenen Mähne wie ein Rahmen verschränkten, zogen es empor, so daß die beiden blühenden Bälle wie eine sanfte unwiderstehliche Verlockung für alles Unmündige prunkhaft zitterten . . .

Grothusen war ihm schon vorangegangen. Er folgte der weißen dürren Gestalt, die in der Weise, wie sie ausschritt, etwas vom Wesen einer Maschine zeigte. Grothusen überquerte jetzt das Brückchen über den Bach, ein hübsches und sorgsames Werk aus Palmstämmen. »Eine von Mr. Harrigans Ideen,« meinte er und schlug lobend auf das Geländer. – Sie kamen noch an mehreren Hütten vorüber; in allen Häusern nahm man jetzt die Fliegennetze herab. Überall, in der halben Dämmerung unter den Haubendächern, schwammen jetzt Gesichter, die ausdruckslos unter Polstern verfilzter Haare vom Schlummer erschlaffte Züge herauswandten, zuweilen grell erweckt blinzelnd, wenn die Sonne sie traf.

 

Als sie eine Viertelstunde gegangen waren, veränderte sich die Szene mit sprunghafter Plötzlichkeit. Als der Urwald sie freigab, waren sie zwei winzige weiße Milben, die am Rand einer kohlschwarzen Wüste krochen. Der Teertod brütete sie an. Er dehnte sich vor ihnen, plump, erloschen; er hatte sich inmitten der schwellenden Üppigkeit ein Loch gefressen; einen geräumigen Tummelplatz von Meilen im Umfang.

Der Wind brachte den immerwährenden, den weiten Schrei des erwürgten Lebens: eine sausende Stille. Das Summen und Sieden des lebendigen, unablässig schöpferischen Pflanzentums verlosch wie mit einem Seufzer; wie 161 abgehackt in einer mächtigen Kurve unter einem schwarzen Alpdruck.

Und doch: auch diese toten Massen von Lava sind einst lebendig gewesen, von wüsteren und primitiveren Kräften gereizt als den zartstarken, die Zelle an Zelle gliedern. Die Tonnenlasten von Zement sind gewandert, von fernem, feuerfauchendem Antrieb befördert; sie haben geschwankt, knirschend, ätzend, zermalmend, an Hindernissen sich türmend; haben sich ein riesiges Bett gegraben; und in diesem Bett quoll das trübe Verderben herab, zäh und unaufhaltsam im Schwefeldunst fürchterlichen Triumphes.

Da stehen Hütten, Palmen: die kochende Lava rückt auf sie zu, langsam, langsam, als eine Wand, eine schwarze Woge, die von ihrem eigenen Gewicht gebändigt statt Schaumes träg platzende Blasen wirft, und die statt vom Tang der Tiefe von glühenden Schlacken schillert . . .

Der Finger des Todes rührt an die Pfosten. Vierundzwanzig Hartholzstämme, für die Ewigkeit errichtet – an denen Nägel sich krümmen, die der Sonne, des Wassers spotten – sie spüren stumme Wut an ihrem Fuß, die einsickert in ihr zähestes Wesen; flammende Säure, der sie sich beugen müssen. Sie wollen nicht; sie recken sich in krachendem Trotz; die Fasern umarmen sich brünstig im Krampf tödlichen Widerstandes. O Seele des Eisenbaumes: gib nicht nach! Denkst du noch, du behauener Stumpf, der Zeit, da du ganz warst, da Tage um dich schwirrten wie Mücken und Jahre wie Brisen von der Küste, da deine Krone, steil und hoch, einzelner Prachtschirm stand, der seinen Schatten wie ein Spielzeug in ein formloses Gewimmel verächtlichen Grüns warf? Dich niederzuhacken, dich zu vergewaltigen waren zwanzig braune Leiber durch Wochen geschäftig, und weitere Wochen, bis du ächzend gelüftet in böser Arbeit, in Straucheln und Stolpern den Weg zu Tal gefunden . . . und da zerteilten sie dich mühsam, mühsam, denn deine Unzerstörbarkeit sollte ihnen dienen. Du dientest. Und jetzt gibst du nach? jetzt verleugnest du dich?

162 Der Finger des Todes rührt an die Pfosten . . . sie wollen nicht weichen! Doch siehe da: Als der Widerstand sie strafft, ist der Wille, der sie spannt, so ungeheuer, daß er sie wie mit einem Kanonenschuß zerreißt. Das Organische trennt sich unter kreischendem Schmerz. Verklammerte, verschweißte Zellen bersten. Die Seele des Baumes, zur Unzeit befreit, glüht, raucht, kohlt. Ein Zittern pflanzt sich fort; die Füße der Pfosten werden zu Wachs. Sie schmelzen. Die Lava gräbt; sie quillt in alle Spalten; sie macht es sich bequem. Matten schmelzen, auf die sie sich bettet; sie achtet dessen nicht. Sie zischt leise und füllt als böser Gast aus der Tiefe das ganze Oval der Hütte an. Und ihr Zischen lockt das Dach herunter. Das Dach sehnt sich nach der Erde; es sinkt ruckweise herab. Es will Erde werden; es liebt dieses urvertrauliche Zischen. Es taucht in den Werdezirkel fernster Äonen ein. Und in gierigem Prasseln, in einer einzigen Lohe, die plötzlich aufschießt und plötzlich verschwindet, sinkt es dahin. Der Teertod frißt seine Spuren . . .

Den Palmen graut es. Sie neigen sich zueinander und küssen sich mit den Wedeln; und die grünen Fiedern erbleichen vor Entsetzen zu Stroh. Und dann beben sie und fallen in Reihen wie Halme vor einer langsamen tückischen Sense.

Es dauert noch Tage, noch Wochen: plötzlich geschieht etwas an der Küste. Das Meer brüllt auf vor Schmerz: Feuer tastet an die kristallne Kühle. Angegriffen durch das Wesensfremde, durch eine, durch zwei Meilen wütend siedenden Teers, wird die Kühle trüb und sucht die Luft in rasender Zersetzung. Sie krümmt sich unter dem Zwang; sie bedeckt sich mit toten Fischen, mit blauem stinkendem Silber; sie läßt tausend Dampfpfeifen dröhnen durch die Löcher, durch die sie noch atmen kann; und eine riesige weiße, unablässig neu genährte Wolke ballt sich auf, unter der ein Kampf von Sein und Nichtsein brodelt . . .

Und wie ist es heute? Ist der Kampf erloschen? Es ist 163 still. Heftige Bewegung ist erstarrt. Quillt es noch? Nein – es ruht . . . es ruht mit der Maske des Kampfes. Alles hat das geisterhafte Angesicht von Kolonnen, von Klumpen bewegter Scharen, die ein plötzlicher Tod erschütterte und stehen ließ in all ihren wilden Gesten.

Das ist das Drama des Matavānu; das ist das Schicksal von Toapaipai, das unter der Lava liegt . . . Und dies Schicksal, mit dem süßen Zirpen von Schwalben, geistert noch darüber, fernes Gedächtnis von Mattenpreisungen und von Gesängen in Tarofeldern, die tief verschüttet sind.

 

Die Lava ist schwarz und porös; von gelben Flecken besät. Lange Barrieren von zerbröckeltem Teer stauen sich auf. Zuweilen kommen glatte Stellen, mit großen Platten gepflastert, die porzellanspröd erklirren. Dann öffnen sich zickzackförmige Ritzen; Eingänge zu Labyrinthen, an deren Rändern Schwefel blüht. Turmtiefe Höhlen, domartig überdachte Schächte schrecken den Schritt; und in ihnen hat sich die Stille gefangen: als sei alles lebendige Geräusch gefiltert und steige als kriechender vergänglicher Dampf empor, von Sehnsucht befangen, wieder im Blatt und im Wasser zu flüstern. Gedächtnisse von urtiefen Donnern leben auf als hallendes Echo einsamer Schritte. Und über dem ganzen Gebäude des Todes, über dieser unzerstörbarsten aller Sterbestätten waltet die alte Sonne.

Sie steht jetzt nahe der Hälfte des Morgenumlaufs und flimmert weit auf der zerbröckelten Kruste. Nun wird sie, befreit von Dunstschleiern, zu einer Welt von tanzender Glut. Sie speit Wärme über die Wasser. Sie haucht ihre Hitze aus der Lava und zerbirst in ein Übermaß von Licht. Sie ergreift Besitz vom Leben, erbarmungslosen Besitz. Es ist ihre Domäne, breit wirft sie sich auf die Hügel. Sie umfaßt alles und nagt an den Schatten der Dinge, die zusehends schrumpfen. Die Schwingen der Morgenbrise regen sich matter, erlahmen und schlafen ein . . .

Der Kranz von Urwald, der sich oben zu einem toten 164 weißen Gürtel gebleicht um die Lava zieht, steht dunkel, strotzend und blank. Die Sonne legt sich breit in die grünen Betten, deren Kanäle durchleuchtet schwellen; sie spreizt sich auf geäderten Tellern und häuft sich an. Wollüstig saugt sie den Schweiß der Pflanzen und wird machtvoll und groß. Gerhart entsinnt sich seines Morgenbades, der Entkettungen der Bäume, des sanften Aufglänzens; entsinnt sich des weichen Getrillers der Vögel . . .

Ist das noch jenes Morgenlächeln? Jenes Schöpfungslächeln? Es hat sich verzerrt und prangt gedankenlos. Da haben wir sie, die große polynesische Hure!

Sie ist erwacht und begattet sich mit der Sonne. Sie ist nimmersatt. Sie hat nicht genug am zarten Kuß der Frühe: sie will mehr, mehr. Die ganze lodernde Brunst ist nicht genug für ihren Schoß. Das jungfräuliche Lächeln, mit dem sie dem Weckschrei der Hähne gelauscht, scheint von Sättigung vergiftet. So liegt sie da und starrt blinzelnd vor sich hin. Sie läßt die Sonne über sich ergehen, neuer endloser Schwangerschaften gewärtig . . . Und der Widerschein ihrer unablässigen Empfängnisse glänzt überall auf.

So lächeln auch die Menschen hier, sobald der Strahl sie trifft. – Es ist kein Lächeln der Seele. Es ist der Sonnenkitzel; ein Grinsen, erzeugt von Blau und Grün; vom ewigen Blau und Grün . . .

Ein intensiver Asphaltgeruch quoll Gerhart entgegen. Es flimmerte vor seinem inneren Blick; für einen Augenblick war er ein Knabe, von Schlaf und Hitze betäubt, der durch das Prunkgitter eines Balkons herab nach der leeren Plaza sah . . .

Ein Knabe in blaugestreiften Pyjamas, der aus dem sonnendumpfen Schatten einer träg flatternden Markise hervortrat, um fünf Uhr morgens, und den nackten Fuß an eine Eisenblume stemmte; dessen Nüstern einen leichten Kloakendunst empfanden, den die frühsten Strahlen befreiten mit einem Nelkenparfüm, das dazwischen drang . . . 165 Und der sich sagte: »Ein anderer chilenischer Tag ist da!« – Ein anderer Tag einer seltsam entgleitenden Jugend . . .

 

Über die Lava des Mauga‘afi lugten schon die Haubendächer eines Dorfes aus dem Busch. Unten, wo die Schwärze abrupt ins Meer stürzte, strahlten türkisblaue Lagunen, wie Farbspritzer, die in dunklen Tinten zerlaufen. Das Meer wanderte sanft in die Höhe –: ein grausilberner Riesentrichter.


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