Willy Seidel
Der Buschhahn
Willy Seidel

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Der Mann mit dem Schlüssel

Als Gerhart im Schlußexamen der Privatschule Rechenschaft darüber abgelegt, daß ihm ›multum, non multa‹, also eine große Masse von Entbehrlichem, geläufig sei, hatte er eine kurze Audienz bei seiner Mutter, die einen unbegrenzten Universitätsbesuch mit liberalen Bankanweisungen regelte. Deshalb besuchte er in der Folgezeit Freiburg und München, wo ihm die Pflege von Bekanntschaften mit einheimischen und ausländischen Studenten wichtiger erschien als die trockenen Statistiken, die ihm von leberleidenden Männern verabreicht wurden. Eine tiefere Gründlichkeit entfaltete er nur im Studium der Naturwissenschaften und in Literatur – doch auch hier traf er eine fast absurde Auswahl. Von den Klassikern bevorzugte er weniger die mit penibel sauberen Rockaufschlägen, als jene mit weinfleckigen Halsbinden. Urmaßgebliches, Fundamentales – das schreckte ihn ab. Aber die Spätlinge; die tändelnden schrankenlosen Einheimser – die liebte er. Und hier interessierten ihn – peinlich zu bekennen – auch weniger ihre Werke, als ihr Leben; ihre Physiognomie; 27 ihre Herzensaffären und sonstigen rügenswerten Ausgelassenheiten . . . Sachen, die der Literaturbeflissene zwar flüchtig notiert, die ihm aber im Interesse der »Textkritik« belanglos erscheinen.

Ähnlich hielt er sich in der Naturwissenschaft mehr an das Aktuelle. Die Tatsache, daß es fliegende und kletternde Fische gab – und sie erfaßte ihn später wie ein Gebet – kam ihm schier wichtiger vor als deren Verdauungssystem. Das Vorhandensein fressender Pflanzen, der weltabgewandte, einsam-sinnlose Prunk der Victoria Regia, das farbenschwirrende Schwanzgebilde eines Paradiesvogels waren wesentlichere Erkenntnisse für Gerhart Ollendiek als die exakte Anzahl von Staubfäden oder Kiemenlappen. Es fiel auf, daß er die Vorlesungen eines Botanikers, Ehrendoktors dreier Reiche, wissentlich schwänzte; dagegen nie fehlte, wenn ein munterer Österreicher seine wöchentlichen Mitteilungen über – Tiefseefische vorbrachte; impulsive Schilderungen mit Lichtbildern (– ! –), die jener junge Dozent aus eigener Tasche bestritt – wo doch für die Unwissenschaftlichkeit des Mannes schon allein bürgte, daß er sich die Marotte leistete, jeden Abend ohne zwingenden Grund eine schwarze, gleichsam feierliche Tracht – salopp und undeutsch »Smoking« getauft – anzulegen . . .

Ja, hierin hatte Gerhart seine eigenen beklagenswerten Liebhabereien; und besonders unberechenbar wirkte der blonde Jüngling, als er begann, sich plötzlich mit internationalem Recht zu beschäftigen, und seine menschlichen und gesellschaftlichen Qualitäten dem Auswärtigen Amte anbot. – Man machte insofern von ihm Gebrauch, als man ihm einen Attachéposten versprach, wenn er sich zuvor mit dem juristischen Lehrgang abfinde. Er kämpfte sich nach angemessener Zeit durch ein Examen, das schlichteren Köpfen den Rest ihrer Elastizität kostete, mit der zweiten Note. Dies war vorläufig das letzte, was man von ihm hörte. Denn er hatte die Eigenschaft, sich immer da aufzuhalten, wo man ihn nicht vermutete.

28 Er wich einer festen Anstellung noch aus unter dem starken Zwang der Idee: eine Weltreise, in gleichsam wahllosem Zickzack die Brennpunkte aller Kontinente streifend, sei erforderlich zum letzten äußerlichen und noch mehr innerlichen Schliff.

Seine Schwester führte in der Schweiz als Musikschülerin ein unabhängiges Dasein; verschönert durch die Anwesenheit einer sklavisch ergebenen irischen Anstandsdame, die den Kaffeegenuß wie ein Laster betrieb. Er besuchte sie zunächst, tat einen Überblick über ihre Freunde, unter denen er viel sympathische Seelen entdeckte, und traf von dort – zu Anfang Mai – in Genua ein.


Noch bevor er auf den Dampfer übersiedelte, in einem Hotel zweiten Grades, begegnete ihm etwas Besonderes; und er war geneigt, es als eine Bestimmung anzusehn.

Er befand sich in einem hohen weißgekalkten Zimmer mit zweischläfrigem Mahagonibett und marmornem Waschtisch. – Das Fenster war halb verhüllt; orangefarbene Glut überschwemmte die enge Gasse, und über die flachen Dächer schossen Tauben. Die Luft war von jenem leisen Duft nach Hammelfett beschwert; jenem stagnierenden Brodem, der von jedem italienischen Pflaster steigt . . . Zirptöne von Musik und gutturales Schwatzen webten darin.

Gerhart zog sich zum Abendessen um; doch während er halbbekleidet auf der Kante des Bettes saß, traf ihn das Leuchten der Tüllgardinen plötzlich wie ein magischer Spuk. Er mußte grübeln.

»Ich sitze hier in einem Hotel zu Genua,« dachte er. »Mir ist, als sei ich hier schon gewesen; als hätte ich schon Bekanntschaft mit dem breiten Bett in diesem gekalkten Raum, mit diesem marmornen Waschständer gemacht. – Ob ich hier bin oder nicht – die Sonne wird jeden Abend, aber auch jeden einzelnen hammelfettdurchschwängerten Abend hier ein kleines Flammennest baun; und dieses ferne albern-melodische Stimmengewirr ist Jahrhunderte alt und wird 29 weiterklingen, wenn ich längst vermodert bin . . . Ich ziehe mich um; ich betreibe meinen kleinen Daseins-Ritus. Ein anderer wird kommen; wird auf seinen Dampfer warten, auf dieser selben Bettkante sitzen . . . Es ist eigentlich schauerlich eintönig.

Aber ich unterscheide mich von den Früheren und Kommenden.

Ich habe nicht vor, die Levante mit Perlmutterkästchen zu überschwemmen oder einen Moselwein in Omdurman heimisch zu machen – das wäre zwar eine Aufgabe; aber jeder Einsichtige mit fertig erstandenem Flanellanzug wäre ihr besser gewachsen. – Auch wäre ich zunächst noch zu einfach, zu stürmisch, um unter der Maske des Lobby-Philosophen den politischen Zwischenträger zu spielen; vielleicht geht das später besser, wenn ich meine – Friedlosigkeit – oder wie ich das verdammte Gefühl taufen soll! – losgeworden bin . . . Nein; ich müßte eine Aufgabe haben, einfach und viereckig wie meinen Kabinenkoffer. Etwa: ›Plaudereien eines Globetrotters, in Form einer Korrespondenz‹? – Ach Gott; was ich sehe und erlebe, steht nicht im Handbuch eines liebenswürdigen Landschafts- und Sittenschilderers; warum soll ich die Unbekümmerten schädigen, die ihr tägliches Brot im Rauchzimmer von Dampfern sammeln, die Teufelskerle der ›Sonntagsausgabe‹, die dem›brausenden Leben die Brust bieten‹? – Nein; alle diese Beschäftigungen sind nichts für mich . . .«

Doch ganz im Hintergrunde seiner Grübelei saß etwas und leuchtete mit der Wärme eines Entschlusses. Was es war, konnte er nicht formulieren; er fühlte viel ungenützte Kraft und Güte in sich. Er sah, wie der Schein in der Gardine schwächer wurde und wie die Silberspuren der Tauben zu schwarzen Strichen erloschen. – Langsam kleidete er sich völlig an und ging hinunter.

Er hatte keinen Appetit; trank aber mehr als er gewohnt war von gutgelagertem Chianti. Dann ging er in ein Volkstheater.

30 Ein gepudertes Mädchen sang kreischende Lieder im Dialekt. Sie schien populär zu sein, was Gerhart daraus schloß, daß sofort ein Strom von flüssigen Augen seinen Tisch umringte, als sie nach der Vorstellung zu ihm herunterkam. »Ich sitze in einer Menagerie,« mußte er denken, als er die Halbseelen mit ihren bunten Krawatten sah, die in gestikulierende Klumpen zerteilt die Halle erfüllten. »Nur Schicklichkeitsregeln verhindern sie, herüberzusteigen und dieses Weib in ihren Dunst zurückzutragen, aus dem sie sich unbewußt verirrt.« –Sie sei aus der Lombardei, teilte sie ihm mit; das fiel ihm nicht auf, weil sie aschblond war und blaue Augen hatte. »Du bist wenigstens aus Europa, und noch dazu aus Italien,« dachte er. »Ich aber habe eine Mischung in mir, einen Zusatz aus Chile; und das ist viel abenteuerlicher, als du dir ausmalen kannst . . . Doch das findest du nie heraus; das geht nicht in deinen Kopf. Übrigens: wer weiß, ob du überhaupt eine Ahnung davon hast, wo Chile liegt . . .«

Er sah ihren Bemühungen zu mit jener freundlichen Gleichgültigkeit, wie man irgendein Tier betrachtet. – Sie starrte ihn plötzlich an, hörte auf, sich anzubieten; war es der Blick, den er auf sie richtete? – Seine Augen waren von einer unzuverlässigen Farbe; beinahe grün. Sie zog sich zurück, schob sich tändelnd zwischen den nächsten Tischen umher und verschwand im Hintergrund . . . Dort stand ein Junge und bot mit tonloser, wüster Stimme Zigaretten zum Kauf. Er war mißbraucht, umhergestoßen, zerlumpt; er paßte überall hin. Er glich dem kleinen Niklas.

Gerhart, im Hinausgehen, nahm ihm ein Päckchen ab und gab ihm ein größeres Geldstück. Der Junge lächelte, und ganz Genua lächelte mit. Es war wie das Blitzen von Quarzstückchen auf holprigen Pflastersteinen; Licht, das den Dunst von versteckten Küchen mit dem des Abfalls auf steile Straßen drückt; es war das ermüdende stechende Blau, das auf jeder Hafeneinfahrt zittert . . .

Als Gerhart heraustrat, war es dunkel, und er begab sich 31 durch enge Gassen in sein Hotel zurück. Flüchtig wunderte er sich darüber, was wohl das Mädchen so plötzlich von ihm vertrieben haben mochte. »Vielleicht habe ich den Bösen Blick!« – meinte er zu sich selbst. »So gibt es auch gewisse Halbedelsteine, vor denen einfache Gemüter ein unüberwindliches Grauen haben.« – In seinem Zimmer angelangt, verfiel er wieder, statt sich energisch auszukleiden und ins Bett zu gehn, in jenen halbapathischen Zustand, der weder Schlaf noch Wachen ist. Ein Buch, das er begann, sagte ihm nicht zu; so legte er sich endlich, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, auf das Kissen zurück.

 

Nach einer Weile Grübelns kam es ihm so vor, als sitze er mit seiner Mutter und Dolores am gedeckten Tisch. Man war bereit zu beginnen, aber es fehlte jemand, auf den man mit einer leisen Spannung wartete. Es war, als habe das Gong schon zweimal vergeblich getönt; worauf die Mutter sprach – und es mehrmals wiederholte –: »Enrique kommt nicht; aber ich weiß, er ist da; ich weiß bestimmt, er ist im Hause . . .;« darob er, Gerhart, und Dolores, eine große und süße Erleichterung spürten. Denn sie hatten beide, sie wußten nicht warum, das Gefühl, dem Vater sei irgend etwas Unheimliches zugestoßen . . .

Gerhart ging nun auf die Suche nach ihm und sah hierbei ohne Verwunderung, daß das Haus gläsern war. Humus dunstete; Tau sammelte sich und kehrte netzartig zurück wie ein lebendes Gitter. Und in einem Winkel lag der, nach dem ihn verlangte; große Blattgewächse, zierlich zerteilte Farne und eine vielgestaltige Menge anderer fremdartiger Pflanzen breiteten ihre Schirme über ihn gleich pomphaften Wedeln über einem Paradebett.

Er schien zu leben; doch eine magische Fessel schien ihn zu binden. Sein Gesicht ruhte streng und knöchern mit gekrauster Stirn und halbgeöffnetem Mund auf einem gelben Kissen. Sein graumelierter kurzgehaltener Kinnbart bohrte sich in das gewellte Hemd. Die mageren Hände ruhten 32 friedlich gekreuzt . . . Seine Kleidung war makellos weißes Linnen; eine dünne Goldkette schlängelte sich aus seinem Gürtel. – Er schlief einen bekümmerten Schlaf; einen Schlaf der Sorge.

Hinter den großen Blattgewächsen herrschte Gemurmel wie die gedämpfte Unterhaltung versammelter Menschen. Es konnte aber auch das Rieseln von Wasser sein, das sich mit tiefem Glucksen, mit weichem Röcheln durch Röhren preßte: Geräusch gebundener Dämpfe, die vor Befreiungsdrang schwitzten. Unerlöstes, Dumpfes und Schweres plauderte. Auf einmal kam eine Welle von Geschrei von irgendwoher – anscheinend von außen; von jenseits der gläsernen Gruft.

Der Liegende ballte die Fäuste und öffnete die Augen, drehte sie langsam hin und her –: Ein Tier war draußen; groß und schattenhaft. Es konnte nicht herein; es strich längs der Wände. Man sah es plumpe Sprünge machen; eckige Pranken heben und senken: es war unzufrieden. Das Geschrei wuchs; knarrende Tonwellen entstanden. Das Geräusch der Gewässer verstummte, und die Blätter erbebten, in zartesten Pflanzenpulsen getroffen . . .

Da sah Gerhart die Mutter in derselben abwartenden Haltung am Tische sitzen und atmete entsetzt einen wirren Bericht über das Tier und über die Gefahr, in der der Vater schwebe . . . Die Mutter hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu; dann schob sie wie ein nervöses Kind das Silber auf dem Damast hin und her, und ihm war, als hörte er sie sagen, mit hoher und verwöhnter Stimme: »Das ist alles wohl möglich, aber ich will es nicht wissen, verstehst du! – Ich will es nicht wissen; – es regt mich auf! . . .«

Dann befand sich Gerhart außerhalb des Glashauses, wo sich das Pflanzenwesen mit derselben Üppigkeit fortzusetzen schien. Dort sah er einen schwarzen Schatten durch das funkelnde Grün springen. Maßloses Grauen kam ihn an, als drohe auch ihm eine unergründliche Gefahr von diesem 33 Schatten. Er war in ratloser Angst und unfähig zu fliehen . . . Da sagte eine tiefe Stimme neben ihm: »Beruhigen Sie sich. Ich weiß Bescheid.«

Unter zwei mächtigen Bananenblättern hockte kreuzbeinig eine weiße Gestalt. Sie saß wie eine Buddha-Figur; statt des Gesichtes trug sie einen verschwommenen weißen Fleck, der sich hin und her bewegte. »Mit dem Tier haben wir alle zu tun,« klang es weiter. »Aber ich habe es in der Tasche.«

Es lasse den Vater nicht schlafen, klagte Gerhart. Eine brutale Abhilfe sei nötig; aber der Vater könne nicht mehr; er habe zuviel geleistet . . . Sein Kraftüberschuß habe Berge versetzt; nun sickere er in blinde Kanäle . . . Er speise nurmehr jenes Treibhaus; doch das sei nicht genug, denn das Tier müsse dort einbrechen, früher oder später . . .

Da erwiderte das sitzende Orakel in Form eines Menschen: »Er fühlt sich schlecht, wissen Sie. Er ist nämlich nirgendwo zu Hause; hat sich zwischen zwei Stühle gesetzt; nichts Solides, verstehn Sie. Keine Beziehung. Aber er soll das Tier loswerden; und dann sind Sie es auch los; automatisch gewissermaßen . . . Ich bin das Bindeglied. Ich bin der Mann mit dem Schlüssel!« . . . Und er zog einen Schlüssel hervor; groß wie eine Waffe.

Das Tier schrie penetrant und schwoll auf und ab. Dann lief es mit großer Eile herzu; doch trotz wirbelnder Schritte kam es nicht näher, sondern schrumpfte zusammen und verschwand im Boden.

Ein unsägliches Glücksgefühl pulste durch Gerharts Seele. Und anstatt des weißen Menschenphantoms saß dort plötzlich ein nackter Knabe mit goldig brauner Haut und den schwarzen Kopf geneigt . . . Oder war es nur der zersplitterte braune Strunk einer Wurzel –? Und war das ein Windstoß, oder ein mächtiger Atemzug der Erlösung, der aus dem Glashause drang –? Alles schien geordnet, tief und schön.

 

34 Gerhart erwachte; sein Herz klopfte heftig. An der weißgekalkten Decke gab es noch ein Flimmern wie von Grün. Langsam erinnerte er sich der Einzelheiten des bizarren Traumes.

Oft schon hatte sich jener Tote, dem er das Leben verdankte, aus dem Zwischenreich emporgerichtet, hatte dunkle Handlungen begangen und dann wieder das Pfadlose gesucht . . . Er war gekommen, erhellt von einem dunklen Blitz im Blut, aus Landschaften, deren Prunk verwirrte oder deren zwielichthafte Starre entsetzte; war entstellt gekommen und vermummt in dunklen Symbolen.

Nun war das Rätsel gelöst; der Bann gehoben. Er durfte zurücksinken. Das Scheinleben, das er in den blutvollen Herzensgründen des Sohnes weitergeführt, war beschlossen durch den seltsamen Unerkannten, der den Schlüssel trug; der das Tier, das von Heimatlosigkeit gehetzte, in den Boden hineinverbannte.

So endlich durfte der Vater ganz entschlummern im Anschaun gerippter Blätter, schlanker Stengel und hochzeitlicher Blütentrauben; so durfte er zurücksinken zu zweckvoll-gedankenlosem Schöpfertum von einer Hand in die andere; ins Allgrüne, aus dem wir alle kommen und zu dem wir kehren nach gemessener Zeit.

 

Singen, Johlen und Schwatzen entstand auf der Gasse und zugleich auf dem Korridor vor der Tür. Gerhart schrak auf. Es waren noch drei Stunden bis Tagesanbruch; er ging nicht völlig zu Bett, sondern blieb wach bei einem Kognak, den er seinem Handkoffer entnahm; demselben Koffer, den er von seinem Vater geerbt und der sechsmal von Chile nach England gewandert war . . . Auf die zahllosen Hotelmarken starrend, nahm er in regelmäßigen Abständen einen Schluck, bis die schmutziggelbe Frühe langsam heraufkroch; die alte beklemmende Reisefrühe, bei der er als Knabe – ach wie oft! – einen ganz bestimmten bitteren 35 Geschmack am Gaumen und einen weichen Druck in der Magengrube, dicht unterhalb des Herzens, gespürt.

Und seine Reise ging vonstatten.

Er sah Schwärme von schöngezeichneten Bussarden auf öligen Wassern flattern, inmitten einer unbegrenzten siedenden Kahlheit: Aden.

Er saß in einem Korbstuhl, und zwanzig große Ventilatoren rührten sich über seinem Scheitel wie die nächtlich ermatteten Schwingen gespenstischer Falter –: Colombo.

Die Luft war voller Gase; voll stechender Süße und vom Schweiß von Bäumen und Tieren. Menschen gingen gleich flimmernden Bildern durch einen Schleier von Kopfweh. – Sie gingen behutsam lächelnd langwierigen Geschäften nach, die sich leise abrollten an zeitlosen Spindeln.

Mount-Lavinia: Flußtäler taten sich auf; ein Grün von giftiger Leuchtkraft sprühte aus einer ockerroten Erde.

Puppenhafte Hindufrauen, klirrend von Silber, bewegten sich nacktfüßig an ihm vorbei.

Nächtens hantierten lange Reihen von Schatten vor schwach erhellten Türen; der Atem eines menschlichen Zugtiers röchelte, und ein schweißblankes Rückgrat tauchte wechselnd von einem Laternenbezirk in den nächsten . . .

In der Loftusstreet in Sydney, über einer Bar, saßen zwei grasgrüne Papageien und schrien.

Es drang deutlich in den klirrenden Straßenlärm . . .

Und eines Tages fühlte Gerhart, als habe er ein Ziel erreicht, nach dem ihn dunkel verlangt –: Ein Akkord klang auf wie der einer Orgel; und er wußte, daß er rasten dürfe.

Hügel traten aus blauem Wasser; eine Kuppe, schwarzgrün und smaragden gefleckt, nach der anderen; eine Kette von Kuppen dann, sich gruppierend und still die Weite bevölkernd in rätselhafter Schöpfungsinnigkeit . . . 37


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