Willy Seidel
Der Buschhahn
Willy Seidel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Geheimnis des Buschhahns

Glauben Sie nicht auch, Grothusen, es geht diesen Menschen hier um einen Grad zu gut? – Selbst der Tod kommt hier in heiterer Aufmachung: man nimmt ihn nicht ernst. Seine Besuche werfen keine Schatten voraus; und wenn er da ist, nimmt man ihn für eine Gelegenheit mehr zu tanzen und sich mit einer Doppelmahlzeit vollzustopfen. Mir scheint überhaupt, man kommt ihm hier nicht geziemend entgegen.« Gerhart blickte auf den heftigen Zusammenprall der leuchtenden Farben an der Küste. »Ich stelle mir vor, er sitzt an einem eirunden Regensee in einem nie betretenen Innental und spinnt mürrische Moderträume . . . Das wissen die Menschen hier, und das macht sie verstockt. Ihre Reden sind Lüge und deshalb so melodisch. Ihren Handlungen setzt die Zeit keine Grenze. Sie sind mit allem verschwistert und verwachsen, was wächst und stirbt wie sie. Für jeden, der kämpft, der tiefe Leiden und tiefe Freuden hat, sind sie hassenswürdig. Zum Teufel mit dieser paradiesischen Verantwortungslosigkeit . . . Sie kennen keinen Wettstreit und keine Unbill des Alltags. Sie ererben einander die Maske ihres aufreizenden Lächelns – diese stumpfe Behaglichkeit des ewigen Sommers! Sie hocken sich vor dich hin, locken dich zu Versuchen, hinter die Maske zu spähen, erlauben dir gar, sie lüften zu wollen, 166 und steigen mit gurrender Teilnahme in deine Brust – ha, es ist nichts damit! Du merkst auf einmal, daß sich die Maske um keines Haares Breite gelüftet hat! Daß sie fest vor den braunen Gesichtern sitzt, fester denn je!

Und was tut so ein armer Europamann? Er sitzt da wie ein gerupfter Vogel. Er humpelt kläglich vor ihnen umher, nackt und durchschaut. Eine Belustigung mehr für ihre beerenschwarzen Augen. Was ist deine ganze Tradition? Was sind deine Werte, deine Begriffe? Ein dämmerhafter Witz . . . Es gibt kein Echo!«

Eine seltsame Verwandlung ging mit Grothusen vor. Seine Züge fielen schlaff auseinander, als ob er mit erhobenem Haupt entschlummere: wie ein alter Gaul. Dabei verzog sich seine Stirn zu Falten. Es waren drei dicke, hellziegelfarbene Wülste, drei feiste Gedankenstriche, und sie besagten: ›Hinter uns sitzt ein Kummer‹. Sein übriges Gesicht, von der Hitze rosa gefleckt, erblaßte zu der Farbe von Pergament. Er sah für einen Augenblick alt aus, als schwanke er, halb betäubt, von einem Keulenschlag vor die törichte Stirn getroffen oder plötzlich mit allen Sorgen der Menschheit behängt und belastet . . . Gleichwohl aber blitzte seine Brille scharf wie immer, und die Spiegelung ließ keinen Schluß darüber zu, was hinter ihr vor sich ging. Und ehe Gerhart sich eine Meinung über den vorübergehenden Gesichtsausdruck bilden konnte, saß der alte Grothusen wieder da, um kein Tittelchen verändert, und sprach mit seltsamer Energie:

»Es gibt ein Echo.«

Er blickte sich um, kampfbereit; er wiegte leise den Kopf. Dann nahm er die Brille ab und reinigte sie mit dem Taschentuch. Sein Gesicht war auf einmal nackt. Seine Augen, blaßblau, glotzten Gerhart an. »Ist das Kurzsichtigkeit?« dachte Gerhart; »oder ist es der Blick eines Fanatikers?«

»Es gibt ein Echo,« wiederholte Grothusen mit derselben knarrenden Energie.

167 Dann blinzelte er; sein Blick verlor das forschend Eindringliche. Er setzte die Brille wieder auf. Es war, als habe er ein fremdes Wesen losgelassen, das nun wieder hinter dem Schutz der spiegelnden Gläser verschwand.

»Sie werden sehen . . .« sagte er rauh; fast geheimnisvoll. »Sie werden sehen . . .«

 

Sie überquerten den Hauptplatz des Buschdorfes Samalae‘ulu. Der Boden war mit Korallenkies bestreut; die Hütten mit runden Lavasteinen zierlich garniert. Doch Grothusen schenkte sich keine Muße, das freudige »Talōfa«, das ihm aus allen Hütten entgegenklang, mit einem kleinen Gespräch zu belohnen. Er ging unaufhaltsam weiter. »Wir haben noch sechs Stunden bis Faga,« meinte er. »Es ist eine wüste, unerquickliche Strecke; aber schattig . . . Es ist besser, wir halten uns hier nicht auf; dann haben wir für lange Zeit das schlimmste hinter uns.« – Er bog irgendwo in ein Loch der kompakten Urwaldwand ein; verschwand, vom Grün verschluckt. Es war, als sei er nie gewesen, so durchaus löschte ihn die mächtige Schöpfung aus. Ehe Gerhart ihm nachtauchte, hörte er noch einen durchdringenden Hahnenschrei vom Dorfe her. Es war ein bunter Hahn, der in einem kleinen Tarofeld pickte. Es war ein strammes und häusliches Tier; es war, als ob mit seinem Schrei das letzte Gedächtnis an Menschen verschwinde. Noch als Gerhart tiefer in den Wald gedrungen war, hörte er den fernen Schrei, spitz und schrill, durch die Laubmassen dringen.

Der Weg wand sich ziellos im Zickzack durch den Wald; er bestand lediglich aus einer Betreuung von Lavabrocken und Kieselsteinen. Es war noch kühl; kellerkühl; doch zuweilen strich ein wärmerer Hauch herein, von Feuchte beladen, wie aus einem Treibhaus. Das Licht schwamm droben in breiten Schwaden; es tröpfelte spärlich in die Gründe, und wo es hintraf, erzeugte es ein diamantenes Blitzen.

168 Grothusens weiße Gestalt tauchte auf und ab, verschwand bald und erschien bald plötzlich wieder in der grünen Dämmerung. Er schien nie zu stolpern. Er ging sacht und ruhig wie eine für Stunden angedrehte Maschine, während Gerhart Mühe hatte, seine Schritte auf feste Punkte zu lenken. Auf einmal blieb Grothusen stehen. Die Sonne brach an jener Stelle durch und setzte ihn in eine Glorie, als ob auf einer halbverdunkelten Bühne plötzlich ein bengalischer Strahl auf ihn gerichtet werde.

Gerhart blieb gleichfalls stehen, da Grothusen den Finger hob. »Lauschen Sie,« sprach der Finger. Ein schauerliches Brüllen geschah im Walde, als sitze irgendwo ein Fabeltier und röchele. Es kam aus der Höhe und geschah im Takt mit bestimmten Pausen, die bekannt anmuteten. »Ein Buschhahn,« sprach Grothusen. »Der antwortet auf den Schrei vom Dorfe her. Sie haben ein feines Gehör und eine fabelhafte Eifersucht.« Das »Grru-Grru-Grru« des Buschhahnes röchelte weiter, noch lange hörbar, während sie sich entfernten. In der tröpfelnden Stille, in dem Wirrwarr der mächtigen, schweigsamen, von gigantischen Lianen umketteten Stämme hatte dieser einzelne Laut etwas Gespenstisches. ›Wie seltsam ist es,‹ dachte Gerhart, ›daß hier die abgesonderte Kreatur sitzt und über den meilenfernen Schrei einer zweiten, mit der sie nichts zu tun hat, in eine einsame Entrüstung verfällt. – Oder ist es dieser Hahn hier, der den Handschuh hinwirft, der sich unerreichbar brüstet, und ist es der ferne im Dorf, der die Forderung wütend erwidert?‹

Noch lange folgte ihnen der Schrei des Buschhahns. »Im Dorf hat man längst aufgehört zu krähen,« meinte Grothusen. »Aber das Vieh hier gibt noch immer nicht nach. Sein Ehrgeiz ist angestachelt, und es will sicher gehen, daß ihm das letzte Wort gehört . . . So brüllt es noch eine Weile weiter; es steckt eine ganz gewaltige Hartnäckigkeit darin, was?«

Wieder wunderte sich Gerhart, daß Grothusen so selten 169 stolperte, daß er, nur mit seinem Bambusstock bewaffnet, so unfehlbar die trugvolle Schrift dieses Bodens las. Es war, als sei er hier schon unzählige Male hin und her gelaufen, als sei ihm jeder Stein bekannt. Er strahlte eine schier schlafwandlerische Sicherheit aus, die sich seinem Begleiter unwillkürlich vermittelte. Ja, war es nicht überall, wo sie Eingeborene trafen, so als sei Grothusen der eigentliche Wirt, der gastliche Geist hinter jeder kleinen Gefälligkeit? Und wo die Natur Gerhart zum Aufatmen trieb – war es da nicht gewesen, als husche über Grothusens Züge ein schattenhaftes, halbgeschmeicheltes Lächeln, als wolle er sagen: ›Freut mich, daß Ihnen das kleine Arrangement gefällt!‹ –?

»Ja,« sprach Grothusen vor sich hin, »da kräht ein Hahn von der Pflanzung, einer, der nicht höher kommt als bis aufs Hüttendach; und der andere, vom Urwaldbaum herab, antwortet ihm. Und das domestizierte Vieh empfindet sich als den originalen Singvogel und will dem anderen zeigen, daß sein Kikeriki ein schauerliches Gebrüll ist; es ersehnt einen Wettkampf auf der flachen Tenne, um ihn auszustechen; aber der andere läßt sich auf nichts ein. Er kommt nicht herab. Er kann fliegen; das kann der Dorfhahn nicht. Er wird nie herunterkommen, nie sein Element verleugnen; er hat, vielleicht schon in seinen Vorvätern, Sklaverei durchgekostet und ist gepanzert mit einem kräftigen Erfahrungsinstinkt . . .

Und das ist das Geheimnis des Buschhahns!

 

Doch der Haushahn begreift das nicht. Er sitzt unten an der Leiter, und der andere hoch oben; doch der Haushahn hat eine importierte Begriffsverschiebung im Kopf und glaubt, er könne den anderen herunterlocken . . . Er will singen wie er; doch er kann es nicht und singt falsch. Plötzlich hat er dann die eigenen Noten verlernt, ohne doch die anderen zu beherrschen. Es ist ein trauriges Schauspiel. Der Buschhahn ist tückisch und äfft ihn nach, um ihn 170 in seinem törichten Falsett zu bestärken. Plötzlich fliegt er auf und davon, und das zurückgelassene Vieh hat nur noch einen blassen Begriff vom Echten, nur noch einen gelegentlichen Bewußtseinsblitz. Es bleibt zurück, angewidert von der eigenen Sippschaft, verhöhnt von den Buschhennen, innerlich zerrissen und uneins mit sich selbst . . . Das moralische Niveau sinkt . . . Kenne solche Haushähne, junger Mann! –

Doch es kommt vor,« sagte Grothusen jetzt bedeutungsvoll und bohrte seinen Stock ins Moos, »es kommt vor, daß sie sich auf der halben Leiter treffen . . . Sie zanken sich zunächst, singen ein kriegerisches Duett – doch dann, nach Drücken und Zwängen finden sie Platz auf derselben Sprosse, bleiben vielleicht sogar darauf sitzen, he he . . . Doch dieser Fall ist meines Wissens nur zweimal vorgekommen, nämlich daß sich Haus- und Buschhahn ein Rendezvous auf derselben Sprosse gaben – bei Stevenson, – und bei mir!«

Grothusen wandte sich um. Er blickte seinen Begleiter starr aus seiner spiegelnden Brille an. Es war, als ob sich sein Kopf leise wiege. Weitausholende Wellen feierlicher Teilnahme gingen von ihm aus. ›Seht,‹ sprach seine Haltung. ›Hier stehe ich, alt, aber immer noch ganz rüstig; immer noch großer Eindrücke fähig. Ich habe mich konserviert, den Teufel auch, und habe sie alle in der Tasche . . .‹

 

Von Zeit zu Zeit öffnete sich der Wald. Der Weg schlängelte sich halsbrecherisch bis ans Meer. Von der Kante der schwarzen Lavaküste herab, die mit bizarren Brücken, mit scharf gezackten Türmen unter dem Humus hervorbrach, sah man durch die äußersten lichten Stämme ein blaues Leuchten. Trat man näher, schob man den letzten Blättervorhang hinweg, so blickte man in einen Tumult von silbernem Gischt. Zehn Meter steil unter dem Fuß sah man das gefangene Wasser rasen, in Gefängnissen kochen, aus Löchern sprudeln und schießen: einen Hain von 171 funkelnden Fontänen, die für eines Augenschlusses Dauer ihre Form behielten. Ein paar Schritte weiter, und ein Regen fiel in den Wald. Er kam nicht vom Himmel. Ein Brandungsgeiser in der Nähe, wachsend und verblühend in siedendem Takt, stob mit einem gewaltig hohen Schaumfächer durch die Bäume; quellendes Wachstum folgte dem Schritt des Schauers.

Die Wanderer eilten hindurch; der Wald verschlang sie wieder wie ein grüner Kerker. Das kristallene Poltern der Brandung verklang wie traumferne Erregung. Hier war es kühl, innerlich und still; die Dinge lagen oder hingen in dunkelgrünen Gruppen. Stein bettete sich an Stein; Lianenstränge wurden zu Hängematten, in denen die tiefe Pflanzenruhe sich schläfrig dehnte und tönende Tropfen, einsilbige Schreie kleiner Vögel zählte . . . Fikusstämme auf zahllosen Wurzelsäulen schoben graue, drohende Kulissen hinter eine Fülle zierlicher Farne; mannshohe Tore taten sich auf zu Andachtsplätzen aus lebendem Holz. Wie mächtige Krallen, wie im Krampf versteinte Tentakeln von enormem Umfang, drangen die kantigen Wurzeln aus dem Stamm, diametrisch sich ausbreitend; sie schickten neue gierige Sauger aus, die sich senkrecht in den Humus bohrten; Kolonien knorriger Rüssel, deren Kanäle schluckten, schluckten . . . Und dies ganze Säulenhaus lüftete mit tauschwitzendem Ächzen das maßlos kraftbeschwerte Gebilde aus Stammholz, Ästen und lederblankem Laub: so daß die Krone hoch mit den Schichten ihres fabelhaften Doppelschirms über dem Urwald hing! . . . Tief unter ihr regte sich das geringere Bemühen, schwach und vergewaltigt . . .

 

Auf einem Stück bleicher Wurzel, einem natürlichen Stuhl, von Blättern geschmückt, ließ Gerhart sich nieder. – – Grothusen zog es vor, sich kreuzbeinig auf den Boden zu setzen; er klappte zusammen wie ein Meßinstrument. Zunächst sah Gerhart nur einen manierlichen, etwas umständlichen Schulmeister da am Boden sitzen. Plötzlich fiel ihm 172 auf, wie Grothusen dasaß. Seine fragwürdigen Stiefel standen unter dem dürren Gesäß hervor in die Luft . . . Es war etwas ungeheuer Selbstverständliches in dieser Sitzmethode; – schien es nicht, als vermittle die Stellung ihm irgendeine mystische Bedeutsamkeit? – – Wie vom Himmel gefallen saß er vor einem Hintergrund von edelgeschweiften Bergbananenblättern, halb zerfaulten Baumstrünken und einem Blau darüber von fast schwermütiger Leuchtkraft.

Wiederum – zum zweiten Mal – schoß es Gerhart durch den Kopf: Wo habe ich dich schon gesehen? . . .

»Ja, ich habe sie alle in der Tasche . . .« schrie Grothusen plötzlich mit schier bösartiger Fröhlichkeit. – »Sehn Sie sich einmal das Volk an, Herr Ollendiek, das jetzt herüberkommt! Das kommt mit Vorsätzen Kolonialarbeit zu betreiben und Geld mitzunehmen . . . Die richtige Idee haben sie ja und behandeln den Samoaner als ›gleichgestellt‹; wäre auch verdammt verkehrt, wenn sie's anders vorhätten . . . Dabei verlangen sie aber, er solle ihre Töne krähen, statt daß sie seine krähten. Der Samoaner hat ein subtiles Gefühl dafür, wenn jemand aus dem Rahmen fällt. Natürlich wird er da tückisch und kräht absichtlich nach ihrer Weise – aber nur aus Schauspielerei; – denn ein Eingeborener denkt trotz Englisch und Deutsch immer samoanisch! – Das macht die Sache gefährlich. Praktische Psychologen wollen sie sein, die weißen Herrschaften, – und treten von einer Fußangel in die andere . . .«

»Merkwürdig gerade in dieser Umgebung . . .« meinte Gerhart. »Man sollte denken, sie müßten Wiegenkinder werden, Ihre Psychologen; – oder als Patriarchen ihre Tage in friedlichem Hocksitz beschließen – vereinfacht und wunschlos. – Statt dessen, was herrscht? – Gereiztheit, Unrast, Zerrissenheit. Die Menschen haben anscheinend keinen Spiegel hier; sonst würden sie sehn, wie planlos und verstümmelt ihr Dasein ist . . . Die Selbstachtung sickert in diese Schwamm-Erde . . . Sie sprachen vorhin vom 173 ›Echo‹. Gibt es denn keins für die andern? – Haben Sie etwa ein Privileg?!«

Grothusen starrte ihn stumm an. –

»Ja!« sagte er schwer. »Das habe ich« –

Er erhob sich. –Spreizbeinig stellte er sich hin; die dürre Faust fuhr wagerecht und beschwörend in die Luft. Seine Stimme, seine Haltung hatten etwas Prophetisches.

»Ich bin weiß und braun; beides in einer Person! – Bin so weiß wie Sie, mein Lieber; brünstig europäisch! – Habe akademische Bildung im Leib und hatte eine große Karriere vor mir; als Opernsänger; straf mich Gott . . . Schwaps! – mache ich mich zu und sperre Europa hinaus; bin braun, Samoaner, Lebenskünstler, und lächle in Gemeinschaft mit all diesen Genußvirtuosen! Sie lieben mich, und ich liebe sie. ›Patuitui,‹ sagen sie zu mir, ›du bist höflich, du verstehst uns!‹ Jede Hütte gehört mir; ich kann mich breitmachen, wo ich will; hier ist die Heimat meiner Sinne!«

Er streckte die Hände in eine Lichtsäule, so daß sie kalkfarben aufschimmerten. »Da, diese Sonne hier . . . sie wärmt mich, die ewige Sonne! Diese unerschöpfliche Behaglichkeit! Sie beliebten etwas zu bemerken von ›gerupftem Vogel‹, von ›kläglicher Durchsichtigkeit‹ vom ›Verblassen aller Werte‹. Dieses Gepäck läßt man überhaupt ganz zu Hause. Natürlich setzen sich unsere weißen Freunde hin und schwatzen samoanisch. Dadurch, denken sie, haben sie sich an den ozeanischen Herzen angeheimelt, an diesen uralten Sonnenherzen, die einen ganz anderen Rhythmus schlagen!

Man zeigt ihnen hier aber nicht, was man von ihnen denkt. Je mehr man verachtet, desto größer wird die heitere Zuvorkommenheit.

Was aber mich betrifft, so bin ich der einzige hier, nach dessen Weggang kein Unmut herrscht, sondern nur das Gefühl: ›Er kommt wieder, es ist schön gewesen, lafaïga! 174 Er ist ein Pa‘alagi, aber das wissen wir nicht, wenn wir die Augen schließen . . .‹

Sehen Sie, ich halte eine Rede. Sie schlafen ringsum ein. Scheinbar, scheinbar! Ich orakele, lüge, trage Blumen zusammen. Ich kenne ihre Titel und erfinde neue dazu. Es geht ihnen wie Butter ein. Sie hören die Seele sprechen; ihre eigene Seele spricht.

Und wenn sie reden, nehmen sie sich zusammen. Andere, verstehen Sie, werden scharf abgeschätzt, ohne daß sie's merken . . . Ich nicht. Sie starren auf einen Punkt im Raum; sie haben sich so an mich gewöhnt, daß meine Brille sie nicht mehr aufregt, als etwa mich der Klumpfuß meines Freundes Folau . . . sie nennen mich Matafā, Vierauge, das ist der ganze Kommentar.. Genau so wie sie Matasesēpa, die »Schieläugige«, sagen . . . Ich bin ein Bestandteil ihrer Phantasie; während die anderen nichts sind als störende Insekten. – Die Missionare sagen Sie? – Denen folgen sie nur aus Trägheit und Aberglauben . . .

Ich bin ihr Freund; nur ihr Freund.

Da gibt es ein dummes Sprichwort: ›Man wandelt nicht ungestraft unter Palmen . . .‹ Ja freilich, es kommt ganz darauf an, wie man wandelt! Man muß sich mächtig in die Sache vertiefen, so daß man am Schluß die Palmen für die einzig mögliche Umgebung hält. Mir stehen die Palmen gut; ich passe darunter; danke . . .

Daß Sie die Sache philosophisch betrachten, gefällt mir. Die anderen – ach Gott! – keine Ahnung hat die Bande. – ›Der Grothusen‹, meinen sie, ›ist uns zu beliebt hier; 'n gerissener Kumpan; politisch gefährlich‹ – ›Gefährlich‹ ist gut; wie?«

Er lachte krähend und schritt weiter . . .

Der Strandweg in Lago tat sich auf. Bevor sie noch den weichen Sand betraten und sich wieder menschlichen Stätten näherten, dort –: den Urwald hinter sich und von unbehindertem Licht gebadet, – drehte sich Grothusen plötzlich 175 um, als wolle er seinen Begleiter zurückdämmen. Es war eine Bühnengeste; eine Art stilvoller Abwehr . . .

Da aller Widerstand ausblieb, schien es, als habe er sich an der mächtigen Pose gleichsam überhoben. – Er sank zur Schlichtheit zurück. Rauh und vertraulich flüsternd sprach er:

»Einer verstand mich; – und der ist tot . . . Liegt bei Vailima . . . auf dem Va‘ea-Hügel . . . Der wußte, wer ich bin. – Wissen Sie's?«

Er warf den Kopf zurück und sprach fanatisch, mit schwellendem Hals: »Ich bin der Mann mit dem Schlüssel! – – Ich bin das Bindeglied! – Ich bin die Brücke zwischen Westen und Osten!«

Gerhart prallte zurück. –

Sein Gesicht überzog sich mit Blässe. – Hatte er nicht, vor nicht allzu langer Zeit, diese selben, aber auch genau dieselben Worte vernommen? Und war es nicht, als dröhne ihr schlummernder Tonfall seltsam verstärkt wiederum in sein inneres Ohr? . . .

Ganz tief aus dem Schoße des Waldes hervor, meilenfern hinter wuchernden Blätterwällen vergraben – klang es ein wenig höhnisch? – brüllte der Buschhahn. – –


 << zurück weiter >>