Willy Seidel
Der Buschhahn
Willy Seidel

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Der Pa‘alagi

Daß Grothusen Geburtstag habe – hatte es der Wind umhergeflüstert oder hatten es die Hähne weiter gekräht? Wie sollte sonst Malietoa TanuMalietoa Tanu wurde als Knabe 1898 vom Oberrichter Chambers als Gegenkönig Mata-afas befürwortet. Näheres siehe Dr. Reinicke, »Samoa«. es erraten und am Nachmittag bei Tai, seiner weitschichtigen Cousine, mit seinem Ratgeber Piu vorgesprochen haben?

Tai und Maggie konnten ihre Freude über den hohen Besuch nur durch die Hast kundgeben, mit der sie Sitzmatten hinschleuderten und zurechtrückten. Der hübsche junge Prinz hatte unter seinem dünnen schwarzen Schnurrbart bezaubernd gelächelt, und seine moorbraunen Emailaugen hatten vor Teilnahme an Grothusens Geburtstag gesprüht. Sein Ratgeber sagte, ›man freue sich in der Brust, gar sehr und rundherum freue man sich, es sei unbeschreiblich, wie man sich freue, nämlich darüber, daß Grothusen ein Jahr älter geworden sei! – Und traurig sei man, ganz verwildert, ganz schmutzig und alt vor Trauer, Bestürzung und Scham, daß man ihn nicht in der Hütte treffe! Denn weil er fort sei, könne man ihm auch nicht sagen, wie so sehr und von Herzen man sich freue! Ja!‹

Tanu, schmuckvoll dasitzend, hatte lächelnd und leer teils in die Luft, teils auf seine wohlgebauten Kniee gestarrt. Zuweilen, während der ausgedehnten Rede seines Ratgebers, hatte er bekräftigend, wenn auch halb geistesabwesend, mit der Handfläche zur Seite auf die Matte gehauen. Eine Sului, von Tai verfertigt und von Maggie in Brand gesteckt, wippte zwischen seinen Lippen. – Nach zwei Stunden war er aufgestanden und gegangen; langsam, die Füße sehr nach auswärts gesetzt und den Ratgeber mit dem Fliegenwedel neben sich, hatte er sich in seine Behausung zurückbegeben, die in einer der Bananenplantagen am Vaisigano lag.

Und andere waren gekommen und geblieben. Ein Pulenuu vonTanumalēto, Folau-Papalii mit seiner Nichte, 95 der Taupou Manumā, die er gerade auf Besuch bei sich hatte, um sie auf Umwegen dem künftigen Bräutigam entgegenzuführen, der in Tufu-Gataivai auf Sawaii wohnte. Familienrücksichten wie auch eine kleine Geschäftsverlegenheit hatten ihn bewogen, vorzusprechen. Dieser Besuch war ihm hoch anzurechnen, denn sein wohlgebildeter Körper ruhte auf zwei Säulen, deren Haut wie bei Schmoräpfeln zum Platzen gespannt schien; knieabwärts war er nicht mehr er selbst, war er etwas, das er mit Mißtrauen betrachtete. Eine langsame Verwässerung kroch ihn an, doch nur von außen und schmerzlos; denn seine Seele war scharf und geschäftsklug. Jene Entartung störte ihn nicht mehr als ein Mückenstich; denn er konnte gehen; war er nicht heute die fünf Viertelstunden von Tanumalēto herunter gekommen? Seine Sohlen hatten im Schlamm Spuren hinterlassen wie die eines vorweltlichen Dickhäuters. Der Himmel wußte jedoch, für welche Sünden er Folau strafte; und außer ihm wußten es noch alle, die mit der Habgier des Pulenuu in Berührung gekommen. Was war der Pfahl in seinem Fleisch, warum wucherte es, überhandnehmend, als böses äußeres Symbol? Das war Folaus seelische Entartung: die Durchbrechung des Kommunismus.

Er leistete sich ein privates Lächeln neben dem bekannten, allgemein anerkannten und geübten, und das strafte sich.

Ja, Folau war ein Samoaner, der Geld besaß und bei der großen Firma ein Konto hatte. Was war das! Wie unterstand er sich! Was wollte er damit? Kein Samoaner, der sich respektiert, besitzt Geld! Er besitzt Quadratmeilen strotzenden Pflanzungsgrundes, aber doch kein Geld! Er greift wohl ab und zu in diesen üppig aufgestapelten Haufen, aber doch immer nur, um einige Dutzend Mägen für ein paar Tage vollzustopfen! Er schneidet seine Kopra, um sich dafür australische Konserven einzuhandeln; und was er darüber einheimst, das schneidet er nur um eines törichten 96 Pa‘alagi-Gesetzes willen und nur damit man ihn in Ruhe läßt! Aber um Geldes willen? Tat Tai das etwa? Ja, dachte sie überhaupt daran? Tat das irgend jemand im Umkreis? – Kurz, Folau tat es, und er nahm seinen Lohn hinweg . . .

Sonst war noch die alte Ta‘ele zugegen, Tais Mutter, mit Tais Cousine, der jüngeren Faga‘afi – dem »Feuerrohr« – ein Name, der sich von den unzähligen zärtlichen Balgereien herleitete, die sie in der entlegenen Zeit ihrer Körperblüte hinter den Fliegennetzen von Saluafata ausgefochten. Diese Cousine war immer noch drall, doch ließ sich ihre Würde durch eine Zweideutigkeit leichter erschüttern, als die Tais. Sie hatte einen rostroten Tituskopf mit palmfaserdicken Haaren, die nach fauligem Limonensaft rochen; sie sprach tief wie ein Mann und schielte, was ihren sonst scharfen und sympathischen Zügen keinen Eintrag tat. Übrigens wußte sie viel, unerschöpflich war sie wie ein Brunnen. Sie hatte zwei Kinder mitgebracht, die von verschiedenen Vätern stammten, keinesfalls aber unter ihrer Familie standen, ein zehnjähriges Mädchen Lepeki und einen achtjährigen Jungen Tiatia, die ihre hübsch rundgemästeten Tarobäuche, sphärisch und blank, mit Bescheidenheit auf sanft nach seitwärts geknickten Kinderbeinen einhertrugen. Diese lebten sonst unter den Hunden der Ta‘ele dahin; heute saßen sie als Verwandtschaft großäugig und angenagelt an ihren Plätzen. Sie waren tiefbraun, mager, wirrhaarig und an Beinen und Hüften von rosa Flecken gesprenkelt.

Zwei Zinklampen –Ta‘ele hatte die ihre beigesteuert – standen in der Mitte des schmatzenden Kreises. Man beschäftigte sich eben damit, die im Steinofen gebackenen irdischen Reste eines Ferkels – war es etwa Tais Schoßschwein? – zu vertilgen. Beträchtliche Teile davon hatte man gespart, sowie man auch ein nahrhaftes Huhn, das zubereitet war, noch nicht angerührt hatte. Beides lag für Grothusen aufgehoben auf einem Eßmättchen in der Mitte, 97 und Pakali und drei gelbe Hunde wurden durch Steinwürfe daran gehindert, es öfter als nötig zu beschnuppern. Man war besorgt und tat ein übriges.

Maggie saß, die Kawabowle zwischen den Knieen, im Hintergrund. Sie hatte, nachdem sie das Getränk streng der Rangfolge nach ausgeschenkt, eine gebackene Banane verzehrt und das Haar gelöst, das glatt an ihrem schmalen Gesicht herunterfiel. Ihre Lippen waren rosa; ihre schiefen Augen, halb zugekniffen, blinzelten in eine Wolke von Dunkelheit. Irgend etwas, plump und schwarz, in dessen Schoß sie mattfarbig zurückgesunken schien, hockte brütend hinter ihr.

 

Jetzt warf man Knochen und Knorpel zusammen und schwieg; denn vor der Hütte wurden Geräusche laut.

»Kotūsa!« sagte Tai, und ihre Hände schwankten unschlüssig nach Grothusens Geburtstagsmahl. Eine kindliche Freude belebte ihr altes Gesicht. Jetzt konnte sie den Herrn und Gebieter versöhnen. Er würde sich niederlassen, mit einem Ruck, und dem Huhn voll grimmiger Genugtuung zu Leibe gehen. O gewiß, sie war eine schlechte, eine grundschlechte Frau. Sie hatte ihm das Huhn heute mittag nicht zubereitet, sie hätte wissen müssen, daß er Geburtstag habe; es war ihre Schuld; und als er nach Hause kam, war er sehr traurig gewesen; er hatte geschimpft, daß man es zwölf Hütten weit hörte; das tat er immer, wenn er traurig war. Er hatte ihr dann mitgeteilt, was er von ihr halte; und das war nicht viel gewesen. Taro und Tinfleisch hatte sie ihm gegeben – trotzdem er ihr und aller ihrer Ernährer war und ihr heute morgen noch zwei Mark geschenkt hatte! Er hatte alte Zeitungen hervorgeholt, von Siamani, sie oben gelesen, wo sie besonders schwarz waren; hatte ihr dann gesagt, daß er gar nichts essen werde, daß sie lieblos und ein unbrauchbares Weib sei, weil sie alles vergesse. Aber er sei das gewohnt, und jetzt gehe er und feiere seinen Geburtstag anderswo. Dann war er gegangen; und sie 98 hatte geweint, Maggie hatte geweint, und schließlich hatte sie alles darangesetzt – selbst ihr Schoßschwein – und Petina geschickt, um ihn wieder herzuholen. Und nun kam er, und nun traf er sie alle, und er würde sich auch freuen, daß Tanu dagewesen sei. Tanu entschloß sich sonst nicht kurzerhand, Besuche zu machen. – – –

 

Eine der geflochtenen Jalousien wurde plötzlich zurückgerissen.

Etwas Weißes, Schmutzfarbenes, Rothaariges taumelte groß herein, auf die gedämpft aufkreischende Gruppe zu, wurde durch eine schattenhaft nachspringende nackte Knabengestalt gebändigt, in eine andere Richtung gelenkt, und fiel dann mit einem Krach, wie ein Stück Holz, auf eine Matte im Hintergrund der Hütte neben das Bett, woselbst sie regungslos liegen blieb.

Der Pulenuu stand stöhnend auf und hob sie mit Petinas Hilfe auf das Bett herauf.

Dieser Liebesdienst fiel ihm nicht leicht, da er jedesmal, wenn er aufstand, eine umständliche Neugruppierung jener graugelben Schwämme vorzunehmen hatte, die ehemals seine Waden gewesen. Grothusens Schädel, mit verwildertem Schnurrbart, blieb schief und locker, wie der einer Leiche, auf der Bettkante hängen. Man nahm ihm die Brille ab und legte sie sorgsam auf den Tragbalken. Dann kehrte man zurück.

Es ärgerte den Pulenuu, daß Grothusen betrunken war und er nicht mit ihm reden konnte. Es ärgerte ihn, daß seine dralle Nichte heute ein vergeudeter Köder war. Aber er zeigte es nicht. Er lächelte. Alle lächelten, selbst Maggie und Petina. Geister der Wirklichkeit, blast den Firnis dieses Lächelns weg!

Ein Windstoß saust herein, die Lampen flackern auf, und man lächelt weiter. Beharrlich, satt, genügsam. Und doch sinkt vor Folau ein silberner Schatz von neugeprägten Zweimarkstücken in den Boden, bleibt das schwarze Etwas 99 hinter Maggie hocken, tappt Tai in eine große Hoffnungslosigkeit hinein wie in ein Loch, zwickt Petina die Scham am ganzen Leib. Nur Manumā, die Taupou von Tanumalēto, bleibt unbefangen und zieht sogleich nach Grothusens verunglückter Ankunft den übrig gebliebenen Eßvorrat in den Kreis ihrer Betrachtungen.

Halbgebückt und vergnügt sitzt sie da, ein kompaktes Polster von Haaren auf einem blanken Kinderrücken. Sie ist rührend jung, nicht älter als Maggie; doch ist sie echt und schmuck; reinstes polynesisches Blut aus dem stillen Tanumalēto, wo die Zahntaube wohnt. Sie besitzt eine leuchtend braune Haut; die Schultern glänzen wie polierte Kugeln. Ihr herzförmiges Gesicht mit den aufgestülpten Lippen wirft die seidige Last krauser Haare bei jedem Gelächter pompös hintüber. Ihre Brustknospen, starr wie Kautschuk, knicken das unschöne Missionskattunkleid in rechtem Winkel ab. Um und um rund ist sie, elastisch, selbstzufrieden, naiv wie ein Tier. Sie lacht gurrend; sie blinzelt vor haltloser Schelmerei mit heruntergeklappten Wimpern. Ihr wunderbarer Fuß mit der zarten fleischfarbenen Sohle wippt wie ein gesundes Uhrwerk auf dem anderen Knie, dessen frisch eingeätzte Kobaltsternchen leuchten.

Tai greift vorwärts und wirft Petina einen Ferkelschinken, in ein Bananenblatt gewickelt, vor die Nase. Er ergreift den Knochen und ißt, sachlich und gründlich, wie einer, der Schweres hinter sich hat. Dann, durch die gezähmte Erwartung der Augenpaare beunruhigt, erzählt er, und man merkt, schon bei den ersten Worten, daß er etwas auf dem Herzen hat.

Mit fetttriefenden Fingern gestikuliert er und hält eine sehr lange samoanische Rede, eine jener Reden, die keine Zäsuren haben und sich, ehe sie den Gegenstand berühren, um ihn herumschlängeln wie endloses Regengerinnsel.

Die Mutter habe ihn beauftragt, fing er an, den Vater zu holen. Er sei aufgestanden. Er sei gegangen. Ans National-Hotel sei er gegangen, und Grothusen sei nicht 100 dagewesen. Ans Zentral-Hotel sei er gegangen, und auch dort sei er nicht gewesen. Dann habe er nachgefragt bei MacFarlan, Westhope, Hopkins, und dann habe man ihm gesagt, Grothusen sei im Tivoli. Da habe er sich hingestellt und habe gewartet, lang, lang . . .

Bei seinem Mangel an Phantasie gewann von jetzt ab die Wahrheit bei Petina, er mochte wollen oder nicht, tyrannisches Übergewicht. Er setzte sich schlank über die Kardinalforderung des Verkehrs, die Lüge, hinweg und verblüffte peinlich damit; er erzeugte einen Bruch in der Stimmung und zerstörte die Weihe, die ein halbverdautes Huhn und ein Ferkel hervorgerufen hatten. Er tat also alles von sich, wovon sein Herz zum Zerspringen bedrückt war.

Zunächst sei er, hieß es, von den Missionsmädchen am Zaun und den Halfcaste-Gentlemen verspottet worden. Dann sei der Vater ganz betrunken aus dem Tivoli herausgekommen, und er habe schwere Mühe gehabt, ihn heimzubringen. Er sprach von dem Vater nur mit dessen Nachnamen und entwickelte, trotzdem seine Rede voll kindlicher Stockungen war, bemerkenswerte Schauspielergabe. Alle saßen stumm im Kreise. Nur der Pulenuu unterbrach zuweilen, sich eine Sului wickelnd, den Bericht mit einem herzlichen Brustgelächter, wobei der pralle Speck auf seinen Schulterblättern hüpfte. Die kreischende, monotone Stimme des Knaben füllte die Hütte bis zum Dach. Je drastischer die Schilderung wurde, desto runder stülpte er die Lippen heraus, desto flinker wanderten seine Augen. Maggies Gesicht blieb ausdruckslos, keine Furche störte den Wachsschimmer ihrer Züge. Lepeki und Tiatia, die Jüngsten, waren in einen stillen Ringkampf versunken; Tai sammelte verstreute Steinchen zwischen den Mattenfasern, hielt die Augen gesenkt und sagte nur bisweilen leise: »Kalōfa!« – Die alte Ta‘ele vollends schien entschlummert zu sein, denn sie hielt die Lider ganz geschlossen. Sie saß wie eine Mumie, über Zeit und Raum erhaben, während die schielende 101 Cousine Tais, das Gesicht ganz in Tabaksqualm gebadet, ihre Hunde lauste. Und Manumā? – Ja, sie war die einzige, die munter blieb . . . Sie kaute an einer Strähne ihres Haarballens, der ihr halb übers Gesicht gefallen war. Ihr Verständnis – das einer jungen Kuh, die noch nie geworfen hat – schlug nicht die leiseste Brücke zu dem Vorgang.

Auf einmal schien Petinas Bericht einem Höhepunkt zuzusteuern, denn er krauste die schmale Stirn in drei dicke Falten, und seine Sätze wurden kürzer und bellender. Dabei zuckte er, nach dem Hintergrund deutend, unzählige Male mit dem Nacken, wie ein junger Vogel, der Drohendes hinter sich spürt.

Dort hing, verwischt im Halbdunkel, der rothaarige Kopf auf der Bettkante. Ein schweres, mattes Schnarchen trat aus ihm hervor; ein Schnarchen, das plump und dominierend im Winkel brütete wie ein klebriges Gas. Alle blickten auf und sahen diesen Kopf an, wie ein fremdartiges Ding, das Unheil brachte.

»Pepēlo!« fiel Tai in Petinas Rede ein, tief entrüstet, atemlos und zugleich angstvoll.

»Nein, nicht Pepēlo!« kreischte Petina, ohne seinen Hocksitz zu verändern. »›Da ist das Schiff‹, sagt er. ›Welches Schiff?‹ sage ich. ›Dort das Schiff!‹ sagt er. ›Morgen gehe ich zu dem Schiffsherrn und verkaufe dich! Ich verkaufe dich nach Siamani! Nach Ambuka!‹« Petina sammelte seine Erinnerung an die Schule, wo man ihn oft am Haar gerissen; doch seine verhetzte Phantasie spiegelte ihm bereits sehr viel schmerzhaftere Torturen vor. Er plapperte immer hastiger: »Ja! Er will mich wegschicken! Von Samoa will er mich wegschicken! Er sagt: ›Petina, du sollst weg! Du bist schlecht, und die Mutter ist schlecht; schlecht ist die Schwester, und schlecht ist die A‘iga!‹ Er hat mich geschlagen! Er ist sehr böse! Böse ist Kotūsa! Ich will nicht! Ich bleibe hier! Ja! ich bleibe hier!«

102 Sein Gesicht, von Angst verkniffen, hatte sich zur Decke gehoben, hatte sich schier parallel mit dem Dachgebälk bewegt. Bei dem Schlußwort hackte er mit dem schmalen Kinn nach der Brust. Von einer erstaunlichen Ausdruckslosigkeit getroffen, blitzschnell gelähmt und verwandelt, riß er alsdann eine Mattenfaser heraus und reinigte sich seine porzellanweißen Zähne. Er war wie ein Mann, der anderen Gedankenfutter vorgeworfen hat und es ihnen nun ganz überläßt, sich nach Belieben damit zu befassen.

Die alte Ta‘ele Ulamamai öffnete blinzelnd ihre verklebten Augen. Sie begriff noch nicht recht, was sich begeben hatte. Die Base sagte, scharf und knarrend wie ein Mann: »Leaga!« und stieß ihre Hunde vom Schoß. Die Kinder kreischten weiter.

Und Tais braune Augen waren keine sanften Regentümpel mehr, sondern trocken und groß. Die Pupillen lagen starr darin, wie hineingepinselt. Ihr Gesicht gewann schmerzhafte Größe; ihre fürstliche Nase krauste sich mit erweiterten Nüstern; plötzliche Sprungspannung trat in ihren gelassenen Hocksitz, und die Kopfhaut zerknitterte sich häßlich, wie Rinde: das Muttertier war da.

Der Pulenuu setzte zum Sprechen an, unterließ es aber höflich, da Tai den Vorrang hatte. Er machte nur, humoristisch blinzelnd, eine bezeichnende Bewegung mit dem Finger, zuerst nach dem Bett und dann nach der Stirn. Tai war so fassungslos, daß sie hundert ziellose Griffe mit den Händen und jene zitternde Pendelbewegung des schweren Kopfes vollführte, wie sie nur große Gemütsstürme hervorrufen. Und sie blickte in angstvollem Wechsel zwischen Petina und Maggie hin und her, immer rascher hin und her.

Petina, den man rauben und verschachern wollte, gehörte nicht Grothusen! Er gehörte der A‘iga! Grothusen sollte es nur wagen! Er sollte sich unterfangen! Man gestattete 103 ihm – jawohl, das tat man und mehr nicht! – man gestattete ihm hier den Herrn zu spielen, ja, wenn er so wollte, den Vater, der Geld brachte; aber nichts weiter! Keinen Schritt weiter! – Und auf einmal wallte die Tradition, das Häuptlingsblut, durch das zitternde alte Geschöpf.

Mitten in dieser ärmlichen Umgebung, in ihrem schmutzigen Hängekleid, ranziges Nußöl auf den Fingern, tippte sie gebieterisch vor sich hin auf die Matte, und ihr mächtiges Gesicht schien frei auf den schwachen Schultern zu beben, da der dürre Hals vom Schlagschatten der Lampe ganz verschlungen ward. Dies alles um sie herum war Samoa, diese Matten, diese hockenden Anverwandten. Ja, sie alle billigten und bestätigten ihre Ansprüche, wie die vierundzwanzig Pfosten, die das solide hundertjährige Dach trugen; das Dach, vom Regen vollgesogen und von der Sonne, vom Klang der rieselnden Schwatzereien, der Gebärschreie, der weitausholenden verschmitzten Rednerkünste, der Hochzeits- und Begräbnisgesänge vieler Menschenfolgen . . .


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