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An L. S.

Wir sind geschieden – ewig uns zu missen
In Glück und Schmerz, in jedem Lebensstrahl;
Wir sind geschieden, weil wir Beide wissen,
Daß man's erträgt in tausendfacher Qual.
Wir sind geschieden, haben's ausgesprochen,
Und haben selbst das Herz in uns gebrochen.

Wir finden wohl am End' der Bahn uns wieder
Und fragen uns: hast Du es leicht verschmerzt?
Es drückt ein Weh die Augen stumm uns nieder,
Und keiner spricht, noch schaut er auf beherzt
Ins trübe Aug' des einst geliebten Lebens –
Um nicht zu sehn – wir schieden doch vergebens?

Wir wundern uns – denn leicht schien's im Beginnen,
Es trug sich leicht das schwere Abschiedsweh –
Wir möchten uns noch einmal lang besinnen,
Wie es wohl war auf unsers Lebens Höh'? –
Und plötzlich überkommt uns unaufhaltsam Weinen,
Jetzt fällt's uns ein: Wir konnten glücklich scheinen.


An L. S.

H 1, Seite 97. Zu Strophe 3, Vers 1, gibt Adele selbst die Variante: »Nun staunen wir – denn«. Signatur Sibyllens: 59.

Im April 1825 kamen Adelens Vetter Eduard Gnuschke und sein Freund Ludwig Stromeyer nach Weimar, und mit den beiden fröhlichen Gesellen erlebte die nun schon achtundzwanzigjährige Adele einen regelrechten Liebesfrühling, dem zahlreiche Seiten ihres Tagebuchs und die fünf Gedichte S. 120-125 gewidmet sind; von letzteren verraten sich drei – das erste, dritte und vierte – schon durch die Aufschrift. Das zweite ist eine Antwort Stromeyers, aber in H 1 wie ein eigenes Gedicht Adelens mit eingereiht. Für Stromeyer bedeutete die Begegnung keineswegs das erste Liebeserlebnis, und Adelen wurde es nicht leicht, sich seiner leidenschaftlichen Huldigung zu erwehren. Bei dem jungen Manne haftete der Eindruck jedoch nicht tief, trotz seiner überschwenglichen Verse und der entsprechend stilisierten Zeilen in Adelens Stammbuch, die im Anhang zum 1. Band ihrer Tagebücher (S. 108 f.) abgedruckt sind; nachdem Adele ihm auf einer Sommerreise nach Kassel im August 1825 noch einmal begegnet war und beide leidenschaftlich bewegten Abschied voneinander genommen hatten, verliebte er sich schleunigst in eine Cousine, eine Treulosigkeit, die den drei letzten Gedichten an ihn ihren elegischen Charakter gibt. Stromeyer ist kein anderer als der spätere berühmte Chirurg Georg Friedrich Ludwig Stromeyer (1804 bis 1876); seiner Mutter Louise Louis wegen erhielt er den Rufnamen Louis, unter dem er auch in Adelens Tagebüchern auftritt. In seinen »Erinnerungen eines deutschen Arztes« (Hannover 1875, Band I, S. 148 f., 174) schildert Stromeyer ausführlich seine Begegnung mit Johanna und Adele Schopenhauer in Wiesbaden und den »magischen Kreis voll Musik, Poesie und Humor«, in den sein Besuch in Weimar und im Hause Schopenhauer ihn einführte. Stromeyer ist voll Bewunderung für die Mutter; von seinem intimeren Erlebnis mit der Tochter verrät er nichts, er widmet ihr nur folgende, verhältnismäßig kühle Charakteristik: »Fräulein Adele war ein Wesen eigner Art, außer einer schlanken Figur und zarten Händen hatte sie nichts, was das Auge bestechen konnte, ihre Gesichtsbildung war geradezu unschön.

Und doch gefiel sie den Männern durch Geist, feine Bildung und ausgebreitete Kenntnisse. Sie sprach mehr als ihre Mutter, ihre Conversation war stets anregend und belehrend, ohne an den Blaustrumpf zu erinnern. Sie war die Braut eines sehr stattlichen Mannes, den ich später als Professor der Physik an einer süddeutschen Universität kennen lernte.« Stromeyer gedenkt auch ihrer »reizenden Compositionen« in schwarzem Papier, »kleinen Idyllen, oder Märchen, Figürchen mit Arabesken und Pflanzen verschlungen«. Mit Eduard Gnuschke aus Danzig, einem Neffen Johanna Schopenhauers, war er seit Dezember 1823 befreundet; beide studierten in Göttingen Medizin. Er nennt Gnuschke ein »musikalisches Genie« und hat diesem schon 1834 verstorbenen unvergeßlichen Jugendfreunde in seinen Erinnerungen ein schönes Denkmal gesetzt.


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