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An die Kaffee-Ex-Musen Muse die Wahre,

nachdem eine Pause in den Versammlungen entstanden war.

Pst! He! Hm! Holla! wo thut ihr denn stecken?
Musen, was Teufel! seyd nicht zu erwecken!
Komm' ich da unnütz zur Erde herunter,
Finde nun keine der Dicht'rinnen munter,
Verse entschlafen, ganz dunkel das Haus,
Witz, Geist und Scharfsinn zum Fenster hinaus.
O du schöne alte Zeit der Götter,
Floh'st auf ewig in die Fabelwelt!
Lose Mäuler, Dichter nur und Spötter
Nennen dich noch in der Ewigkeit.
Vater Jupiter verlor's Vermögen,
Und an Gaben ward er bankerott;
Mutter Ceres hat nun nichts zum Segen,
Keiner nennt den Bacchus seinen Gott.
Wir bewohnen, was sich nicht will passen,
Nur ein kleines, schlechtes Himmelshaus,
In der abgeleg'nen Milchesgassen
Gucken wir zum obern Stock heraus,
Wo die altgeword'nen Monde liegen,
Nähren mühsam Götter sich von Poesie,
Müssen mit geflickten Flügeln fliegen
Und erhalten die Unsterblichkeit mit Müh!
Dennoch will ich fürder solche Schmach ertragen,
Von Ex-Musen nichts mehr wissen mag,
Ich will kühn mich durch zum Vater schlagen,
Sitzen wieder dort den ganzen Tag!
Lieber soll Minerva, uns're Tante,
Schelten mich nach alter schlimmer Art,
Sind zum Kukuk wenigstens Verwandte,
Eure Raçe ist mir zu apart!
Fähnrich Mars ist mir ein lieber Vetter,
Ich begleit' ihn, zieht zur Fehd' er hin,
Und giebt Jupiter uns schlechtes Wetter,
Zank' mit Grazien ich nach Musensinn!
Sattelt nun Euch einen andern Gaul,
Denn mein Pegasus wird bei Euch faul,
Auf ihm reit' ich durch die Himmelspforte,
Leid' als Göttin dort am Götter-Orte,
Euch geb' ich den Abschied unbefohlen,
Muse läßt Euch hiermit, Gott befohlen!


An die Kaffee-Ex-Musen Muse die Wahre, nachdem eine Pause in den Versammlungen entstanden war

H 1, Seite 61/63. – Signatur Sibyllens: M.

Den »Orden der Hoffnung oder Schwesternbund«, der 1813 den Mädchenkreis um Ottilie zu patriotischem Tun verband (vgl. Einleitung (S. 8 f.), löste 1817 ein »Musenkaffee« ab. Allwöchentlich sollten neun poetisch veranlagte junge Damen bei Kaffee und Kuchen zusammenkommen und einander Arbeiten in Vers und Prosa vorlesen, deren Themen durch das Los gestellt wurden. Ottilie war die Vorsitzende im Gründungsjahr (vgl. Nachlaß I 301), die übrigen Teilnehmerinnen waren, nach einem Brief der Karoline von Egloffstein vom 20. März 1817 (vgl. Joh. Dembowski, »Mitteilungen über Goethe und seinen Freundeskreis aus bisher unveröffentlichten Aufzeichnungen des Gräflich Egloffsteinschen Familien-Archivs zu Arklitten«, Programm, Lyck, 1889, S. 9), zunächst die drei Schwestern Egloffstein selbst, Julie, Karoline und Auguste – letztere als auswärtiges Mitglied –, Adele Schopenhauer, Lulu von Werthern und »die Tante«, Oberkammerherrin Frau von Egloffstein, bei der Julie wohnte. Die Zahl 9 war also schon damals nicht voll, und 1818 war sie auf 5 zusammengeschrumpft; diese fünf Musen waren Ottilie (Tille-Muse), Adele (Adel-Muse), Julie von Egloffstein (Jule-Muse), die April dieses Jahres in den Verein feierlich aufgenommene Karoline von Harstall, eine Jugendfreundin Ottiliens (Line-Muse), und Karoline von Egloffstein, zum Unterschied von der vorigen »Muse-Line« genannt (vgl. Dembowski S. 12). Im Januar 1819 (vgl. Tagebuch vom 9. Januar) trat noch Line von Niebecker hinzu, und in diesem Jahr scheint der Musenkaffee in voller Blüte gestanden zu haben; selbst Goethe fand ihn »geistreich und wohlgetan« (vgl. Dembowski S. 9). Adelens Reise nach Danzig unterbrach wohl die Sitzungen, die auch hinterher nicht recht mehr in Gang kamen, wenigstens meldet ihr Tagebuch unterm 25. Februar 1821: »Freitag morgen hatten wir nach langer Zeit wieder den ersten Musenkaffee; wir lasen alle drei, Line ihre Reiseabenteuer, ich einen jetzt erst vollendeten Aufsatz über Sehnsucht, der mir und der Döring aufgegeben war«. Die Verse, die »Muse die Wahre«, worunter sich Adele selbst meint, an ihre Gefährtinnen richtete, schienen mir daher im Jahr 1821 richtig untergebracht. Die dilettantische Spielerei wurde 1822 in einem »neuen Musenkaffee« flüchtig wieder aufgenommen, vgl. Adelens Tagebuch vom 20. März 1822, hatte aber offenbar ihren Reiz eingebüßt; im Jahre 1823 fand die erste derartige Zusammenkunft erst im Oktober statt, vgl. Ottiliens Gedicht »An Adele und Liene bei dem ersten Musenkaffee« (Anhang zu Adelens Tagebüchern, I S. 109 f.).


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