Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Als ich den Plan, nach Berlin zu gehen, aufgeben sollte.

An des Himmels Schwelle steh ich,
Den mir treue Freundschaft giebt,
Hell und freundlich, schön umschwebt mich,
Was im Leben ich geliebt.

Meiner Kindheit Heilgenbilder,
Meiner Jugend höchstes Glück –
Was das Leben wild und wilder
Mir entzog Ein Augenblick,

Hat sich Alles mir vereinet
In dem süßen Wiedersehn;
Kindheit, Erd und Himmel scheinet
Jugendlich mir zu erstehn!

Ach! und dennoch soll entsagen
Dieses Herz dem lieben Glück! –
Soll das ernste Leben tragen,
Darf zum Himmel nicht zurück!

Nicht die Engel mir ihn weigern,
Nicht mein Gott, Er giebt mir ihn;
Nur die Menschen, die nur steigern
Allen Schmerz, dem zu entfliehn.

Jedes Athmen rastlos strebet,
Jedes Klagen dieser Brust –
Weil Adele halb noch lebet,
Soll sie fliehen ganz die Lust.

(Mein erstes Gedicht.)


Als ich den Plan, nach Berlin zu gehen, aufgeben sollte

H 1, Seite 79 f. Strophe 5, Vers 1, hat die Abschrift »nie« statt »mir«. – Signatur Sibyllens: S.

Die Unterschrift: »(mein erstes Gedicht)« ist von Adelens eigener Hand und, nach Schriftzügen und Tintenfarbe zu urteilen, in der Zeit hinzugefügt, als sie auf die letzten Blätter von H 1 mehrere Gedichte nachtrug. Ohne dieses ausdrückliche Zeugnis Adelens selbst möchte man fast vermuten, die Verse seien von Ottilie oder doch in ihrem Namen gedichtet, denn ihre Voraussetzungen treffen auf Ottilie mehr zu als auf Adele. Ottilie war 1797 in Danzig geboren und die Tochter eines preußischen Offiziers; einen Teil ihrer Kindheit verlebte sie in der preußischen Hauptstadt – genaue Daten darüber liegen noch nicht vor –, und ihre Mädchenjahre in Dessau, wo seit den Tagen des »Alten Dessauers« preußischer Geist lebendig war, vertieften nur jene ersten starken Eindrücke. Für Ottilie war Preußen die »Trauminsel der Jugend«, die »strahlende Sonne Vaterland«, »mit allen Kränzen des Lebens geschmückt – dem des Ruhms, der Freiheit, – der Kindheit, – der Freude«, und zu der Zeit, da Adelens Verse geschrieben wurden, quälte sie eine verzehrende Sehnsucht nach Berlin; teils hoffte sie, durch eine Entfernung von Weimar dem peinlich werdenden Verhältnis zu August von Goethe zu entgehen, teils auch nährte sie im stillen die Hoffnung, in Berlin dem gemeinsamen Freund Heinke zu begegnen, obwohl dieser schon seit 1815 verheiratet war. Ähnliche Stimmungen walteten auch bei Adele vor; am Schluß jeder Sommerreise graute ihr vor der Rückkehr in die weimarische Enge, in das »Wirtschaftsjoch« und in die peinvollen häuslichen Verhältnisse, und seitdem der Schauspieler Pius Alexander Wolff nebst seiner Gattin Amalie, denen beiden Adele innigst zugetan war, in Berlin wirkte und die räumliche Trennung durch allerlei Mißverständnisse diese Freundschaft zu trüben begann, hatte sie daheim keine Ruhe mehr; auch drohte ihr damals ein Abschied von ihrer liebsten Freundin Ottilie, die einmal nach Berlin, dann nach Hannover als Hofdame übersiedeln sollte. So steigern sich ihre Empfindungen Preußen gegenüber fast zu einem völligen Gleichklang mit denen Ottiliens. »Mich treibt auchs Herz nach Berlin«, schreibt sie schon am 19. Juli 1815 an die Freundin, und als sie im Herbst des nächsten Jahres am Rhein weilt, wallen alle Empfindungen der Patrioten von 1813 heiß in ihr auf, und sie fühlt, daß auch ihr Herz »in Preußen geboren« ist. Ihr Vater entstammte ja auch einem alten preußischen Geschlecht, und bis 1792 hatten die Eltern in Ottiliens Geburtsstadt Danzig gelebt. Auch die Mutter scheint sich 1816 mit Plänen einer Übersiedelung nach Berlin getragen zu haben, und Anfang März 1817 nahmen wenigstens für Adele diese Pläne feste Gestalt an: sie sollte mit einer Freundin der Mutter, Frau von Quandt aus Dresden, dorthin reifen. Ihr Platz im Wagen aber wurde plötzlich durch eine andere besetzt, worüber sie »anfangs recht glücklich, nachher bis zum heftigsten körperlichen Schmerz angegriffen« war. Diese Worte aus ihrem Tagebuch (14. März 1817) bezeichnen also genau die Entstehungszeit des Gedichtes.

Für die erlebte Enttäuschung wurde Adele jedoch bald entschädigt. Im August 1817 durfte sie mit ihrer Mutter nach Berlin reisen. Ihr Tagebuch enthält darüber nichts; es bricht mit April dieses Jahres ab und wurde anscheinend erst im Oktober 1818 wieder aufgenommen. Dafür singt aber ihr Brief an Ottilie vom 13. August (Nachlaß I 321 ff.) das Lob Berlins in um so helleren Tönen.


 << zurück weiter >>