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An Julie Kleefeld, an ihrem Geburtstage geschrieben.

Diese Nacht führte mich der Schlaf durch die Wunderreiche der Zeit; tausend seltsame Bilder in jagender Hast, in ewig erneutem Wechsel trieben mich weiter – am Morgen war nur eins mir in der Seele geblieben. – Ich sah die Zeiten des Jahres in ihren ewigen Königshallen. Der Winter hatte die Zeichen der Macht in den Händen und saß auf dem hohen schimmernden Throne. Eine Nebelgestalt schwebte in unbestimmten Umrissen schwankend zu des Thrones Stufen. Zahllose Stimmen sangen des Winters Kraft und seinen Reichthum, er selbst donnerte sie nieder, dem dunkeln Wesen vor ihm seine Befehle gebend – ich sah, es war ein eben dämmernder Tag, dem er auf eine Spanne Zeit die Zügel alles Lebens anvertraute. – »Geh hin«, sprach der König, »und nimm meinen prächtig schimmernden Eispanzer mit Dir, und schmücke ihn mit unsern starren Diamanten, laß die Stürme den fröhlichen Reigen blasen, und die Wolken mit den Sternen als Fackelträger, wenn Du scheidest, den lustigen Tanz in phantastischer Verworrenheit tanzen, denn sie lieben den wechselnden Putz – die Erde starre ihn erschrocken an und beuge in Demuth alle ihre Zweige und Blumen mir, denn ich bin Herr! Der unbändige Jubel rase durch den Forst und werfe nieder, was ihm widersteht, denn ich bin Herr, und die Welt ist mein! – Dem Menschenherzen aber, das in dieser Stunde den ersten Schlag thut, umgürte den schimmernden Panzer, sein kühner Sinn spiele größere Spiele, die rollende Lawine sei ihm Federball, und seine glänzende Eisbahn nur mit diamantnen Blumen geschmückt. Und ein Orkan sei sein Wiegenlied, und meine Mährchen nimm mit dir, und meine Wunder und Schauder, sie seien dein Gefolge, daß dies Leben hoch stehe über dem gemeinen Wust, und mit anderem Maaß die kleinen Täuschungen messe und nur erstarke in ihrem Anblick, seiner Riesenkraft sich bewußt!« – Und der König sprach die Worte der Weihe, in denen das Leben entsteht; aber fremd, unverstanden schlugen die mächtigen Töne an mein Ohr, aber noch ehe er vollendet, drang ein melodisches Wehen durch die Luft, und die zwei Frühlinge des Lebens blickten über des Greises Schulter her in den Zauberkreis. »Du hast die Liebe nicht gebannt, mächtiger Herrscher, und der Lenz schleicht sich mit ihr her.« Und siehe! aller Träume Holdseligkeit umschwebte plötzlich des Greises Haupt, und neben ihm standen Frühling und Liebe.– »So gehe ich also mit Euch zu jener Lebensknospe hin«, sprach die Sehnsucht und ergriff die schimmernde Sternenfackel, immer vorleuchtend, und alle Träume jener Beiden zogen ihr nach. Hoch in den Lüften verschwebte ihr Zug. In furchtbarer Wuth zertrümmerte der König seinen Thron und zog den dichten Vorhang der Nacht über sich. – Und ich erwachte und hörte es noch leise klingen in den Lüften, wo der beiden siegenden Frühlinge Zug mir verschwunden; aber es war das Glockenspiel vom Rathsthurme, und der Morgen brach an. – Und mir fiel ein, wie mir einmal in der Neujahrsnacht die alte Wärterin vom Krieg der Zeiten erzählte, und wie der Frühling und der Winter, ewig sich tödtend, ewig erstehend in unbesiegbarem Haß, sich verfolgen. Die Amme sagte: wer in solchen Momenten geboren, werde schwer einig mit sich; beiden Mächten sei er verfallen, rastlos treibe die Sehnsucht ihn weiter. –

Heute aber war Dein Geburtstag, gelöst war mir die Wundermähr zur seltnen Wirklichkeit; Du zwischen Frühling und Winter schwebendes Herz, dem die Sehnsucht die Lebensbahn mit der ewigen Sternenfackel erhellt; was mißt Du Dir die Schuld bei, die nur jene tragen! Du hast des Meisters starken, starren Sinn geerbt; aber die Träume spielen um ihn her, und die Frühlinge blicken immer über des Greises Schultern in Dein Leben hinein.

1820, den 19. Januar.


An Julie Kleefeld, an ihrem Geburtstage geschrieben

H 1, Seite 70/72. – Signatur Sibyllens: P.

Julie Kleefeld scheint eine Jugendfreundin Adelens gewesen zu sein. Ihr Name begegnet flüchtig in den Tagebüchern (II 37 f., 45, 52) und oft in ihren spätern, noch ungedruckten Briefen. Julie gehörte auch zu den Freundinnen, denen Sibylle auf Wunsch der sterbenden Adele kleine Andenken aus ihrem Nachlaß übersandte. – Die »alte Wärterin« war Sophie Duguet, vgl. die Einleitung S. 8.


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