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Gedichte

Mein erstes Lied.

An Ottilien, die mir zugeredet hatte.

Deinen lieben Augen will ich trauen,
Trauen Deinem flücht'gen Trosteswort;
Will aus Träumen Himmel mir erbauen,
Wähnen mich im sichern Friedensport.

Blüthen will ich mir am Rande pflücken
Und nicht in des Abgrunds Tiefe schau'n;
An des Berges hohem Riesenrücken
Will ich kindisch kühn die Hütte bau'n.

Und aus ihr dem stets gehofften Morgen
Immer sehnend still entgegenspäh'n –
Will den Retter all der trüben Sorgen
In dem Nahen jeder Sonne seh'n.

Aus des Lebens bitter-süßem Spiele
Wähl' ich selber täglich Täuschung mir;
Ruhe will ich, mitten im Gewühle:
Täuschung, ach! gewährt allein sie hier.

Dir allein soll meine Seele glauben.
Wahrheit gab Dein ganzes Leben mir, –
Soll ich kühn dem Abgrund Blumen rauben,
Laß die Täuschung gleichfalls danken Dir.

anno 1816.


Mein erstes Lied. An Ottilien, die mir zugeredet hatte

H 1, Seite 5 f. Strophe 3, Vers 3, lautet in der Abschrift: »Will den Retter von so trüben Sorgen«; Adele unterstrich die Worte »von so« und schrieb darunter: »all der«. Im 1. Vers der 5. Strophe hat H 1 »trauen« statt »glauben«; Sibylle bemerkt dazu: »glauben hat die Abschrift bei O. L. B. Wolff«. Der Reim gibt der letztern Version Recht. – Sibyllens Signatur: 38.

Das Bild vom Abgrund und den Blüten an seinem Rande begegnet bei Adele oft; so heißt es in ihrem Tagebuch vom 5. Juni 1819: »... wir gewannen Mut, am Rande des Abgrunds die Blüten des Moments zu brechen«. Auch Ottilie sprach gern von ihrer »einsamen Lebens-Alpe« (an Charles Des Voeux, 6. Dezember 1827, Nachlaß II 179) und schwärmte von der Hütte auf höchstem Bergesgipfel, die »über den Abhang zu schweben scheint, und man jeden Augenblick fürchten muß, daß der Blitz es zerschmettert oder ein Orkan es in die Tiefe schleudert« (an Adele, 2. Juli 1828, Nachlaß II 202). Vgl. ferner Adelens Gedicht S. 106, Vers 3 f.


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