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19

Als die Kaiserin ihr Versprechen hielt und am Tage nach seiner ersten großen Rede im Senat sich bei Silius einfand, war sie diesen Weg nur mit quälenden Zweifeln im Herzen gegangen. Es war unmöglich, ihm länger zu verhehlen, wer sie sei.

Was würde er nach ihrem Bekenntnis tun? Ihr die Tür weisen?! Er mußte doch in ihr die Mit- und Hauptschuldige sehen an den schauderhaften Zuständen, die über Rom hereingebrochen waren. Sie hatte sich mit dem Erzschufte Suillius eingelassen, hatte ihn angestiftet und war dadurch zur eigentlichen Urheberin der Selbstmorde des Asiaticus und der Poppäa Sabina und anderer Greuel geworden ...

Der Mut der Verzweiflung, nicht überwältigende Ehrlichkeit trieb sie, gleich nach den beglückwünschenden Worten, zu dem Aufschrei:

»Ich bin die Kaiserin!«

Dann spannte sich jeder Nerv in ihr zum Zerreißen, als sie den stummen Kampf beobachtete, der in dem überfallenen Manne tobte.

Sein Gesicht verfiel, während er mit geschlossenen Lidern, bewegungslos, erloschen, ihr gegenübersaß und mit dem furchtbaren Zwiespalt in seiner Brust rang.

Dann endlich nach langem, langem Schweigen öffnete er die Augen – sie waren blutig von geborstenen kleinen Äderchen – und sah sie an. Schließlich sagte er mit mühsamer, fremder Stimme:

»Es ist die schwerste Vernunfthandlung des Menschen, sich mit einer grausamen vollendeten Tatsache abzufinden. Was nützt es, an Unabänderliches Worte zu verschwenden? Kein Tier lehnt sich gegen ein Verhängnis auf. Daher sterben Tiere auch so heldenhaft stumm. Nur der Mensch, törichter als das Tier, vergeudet seine Kraft im vergeblichen Kampfe gegen die unentrinnbare Übermacht des Schicksalswillens.«

Aus seinen Worten klagte eine so grausig ergebene Bitterkeit, daß Messalina sich erhob, um sich schweigend zu entfernen. Doch ihre tragische Verzweiflung schnitt ihm ins Herz.

»Bleib!« rief er. »Nicht mit der Kaiserin will ich sprechen, nur mit der Frau, die – warum sollte ich es leugnen! – mich hingerissen und in Bann geschlagen hat. Ich habe die vielen Tage, in denen ich dich nicht sah, wie in einem Traume lichtester Erwartung gelebt. Ich habe auf alles verzichtet, auf Schlaf und Ruhe, mir die Handhaben zu verschaffen für den Angriff auf Suillius. Ich wußte, nur wenn ich das verpfändete Wort einlöste, würde ich dich wiedersehen. Denn wo wollte ich dich suchen, wo dich finden, da ich nicht ahnte, wer du bist.«

Sie vernahm seine Worte, als kämen sie aus einer unendlichen Ferne. Worte, die eine Liebe verrieten, nach der sie sich seit ihren Mädchentagen vergeblich gesehnt hatte. Eine Dankbarkeit quoll in ihr auf für diese Verehrung, die abseits lag von allem, was bis dahin Liebe in ihrem Leben gewesen war.

Damals, als sie ihn zuerst aufgesucht hatte, war sie von ihm nicht mit dem Gefühl einer Zuneigung geschieden. Es hatte ihr nur unsäglich wohl getan, einmal in reiner Luft zu atmen, einem Menschen zu begegnen, der, ähnlich wie Asiaticus, sich als ein wahrer Mann unterschied von den Kreaturen, Feiglingen, Speichelleckern und charakterlosen Schemen, in deren Umgebung und unter deren aus Mitschuld erwachsenem Zwange sie lebte.

Und nun offenbarte sich, daß dieser Mann sie liebte! Mit dieser Offenbarung fühlte sie sich plötzlich dem Chaos entrissen, in dessen dunklen Tiefen sie bisher gewirbelt worden war.

Es war wie eine Vision. Sie sah sich unendlich hoch erhoben über alle Niedrigkeiten ihres bisherigen Lebens und Erlebens. Doch die Sphäre, in der sie schwebte, trug sie nicht. Der Schmutz ihres Daseins wog zu schwer und zog sie zurück zur Erde. Hinabgestürzt in das alte Verhängnis, erwachte sie mit einem Schrei der Verzweiflung ...

Da alles dies sie wie ein wirrer Traum umhüllte, wußte sie nicht, daß sie wirklich in irrer Angst aufgeschrien hatte. Dann fühlte sie sich plötzlich an seiner Brust. Silius hatte die Gefallene in seinen Armen aufgefangen. Und sie vernahm seine Stimme, hörte die verzweifelt hoffende Frage und wußte im Taumel eines unendlichen Glückes, daß sie diese Frage ehrlich bejahen durfte.

»Du erwähntest damals, es könnte auch ein erwachtes Gewissen dich zu mir gesandt haben! Sage mir nur das eine: war das die Wahrheit?«

Er glaubte ihrem Ja und fand den Mut, ihr Ja mit leidenschaftlichen Küssen zu vergelten.

Und in den Flammen, die seine Küsse in ihr zündeten, verspürte sie den Hauch einer Liebe, die jenseits brünstigen Verlangens lag, die nicht aus der Tiefe des Begehrens aufschwellte, sondern die große Liebe war des Alls, des Menschen zum Menschen, die sich segnend und erlösend aus sie niedersenkte.

Sie wuchs zu diesem Manne empor. – –

Nie dachte sie daran, daß die Welt nichts wissen konnte von der Reinheit dieser Liebe. – Sie wußte darum und war sehr beglückt in diesem Wissen. Und das genügte ihr, nicht heimlich und verstohlen wie auf verbotenen Wegen zu Silius zu schleichen, sondern vor den Augen aller Welt sein Haus zu betreten. Und seltsam! Die so klüglich ausgetüftelten Schleichwege zum Laster hatte die Welt gesehen. Den offenen Weg zur reinen Liebe schien sie nicht zu gewahren. Vielleicht, weil das Glück selbst ihn in Verborgenheit hüllte. –

Ein sonderbarer trüber Regentag hing über Rom, ein Himmel, der sich wie eine schmutziggraue Schale über die Stadt stülpte. Die halbnackten Afrikaner, die Messalinas Sänfte zu Silius getragen hatten, duckten sich eng an die Hauswand, fröstelnd dort Schutz suchend vor dem rieselnden Regen. Denn in dem kleinen Hause auf dem Aventin pflegte die Herrin lange zu verweilen. Der Aufseher war es schon gewöhnt, daß im Palast jedesmal stoffumhüllte Pakete in die Sänfte verstaut wurden. Niemals sprach die Kaiserin im Hause des Silius vor, ohne Geschenke mitzubringen. So auch heute.

Silius bestaunte die Kostbarkeiten. »Deine Lust zu geben, süße Freundin, übersteigt nun doch schon meine Pflicht zu nehmen,« sagte er ernst. »Du überhäufst mich mit Gaben, gestattest mir aber nie –«

Sie unterbrach ihn, indem sie die Arme um seinen Hals legte und mit einem langen Kusse seinen Mund verstummen ließ.

»Was brauchst du mir mehr zu geben als das Kostbarste auf Erden, die Gewißheit deiner Liebe,« wehrte sie.

»Ihr Götter, diese Frauenlogik!« scherzte er. »Du begnügst dich mit dem Glauben an diese Gewißheit, meinst aber, mir durch überreiche Geschenke beweisen zu müssen, daß du mich wiederliebst. Nein, du Süße, heute mußt du alles wieder zurücknehmen.«

»Auch nicht das Kleinste!« entgegnete sie. »Verstehe doch, ich will mit diesen Gaben weder deine Liebe erringen noch lohnen. Es tut mir nur, wenn ich dein Haus betrete, so unsagbar wohl, dich inmitten von Dingen zu sehen, die mir gehörten. Und vor allem tut mir der Gedanke gut, daß, wenn ich fern von dir bin, etwas von mir, Dinge, die ich lange geliebt und gehegt und um mich gehabt habe, dich umgeben, dir einen Hauch von mir entgegenatmen. Dann ist es mir, als hätte nicht nur meine Seele, sondern auch ein körperlicher Teil von mir eine Heimstatt bei dir gefunden.«

Er bewunderte ihre Innigkeit. Und bewunderte sie um so mehr, als er vor der persönlichen Bekanntschaft mit ihr der Kaiserin Messalina jede Spur von Gemüt abgesprochen hätte. Doch längst hatte er sich gewöhnt, nicht die Kaiserin, sondern nur die geliebte Frau in ihr zu sehen. Nun dankte er ihr für dieses zartfühlende Schenken, Sie schmiegte sich in seine Arme und ruhte hier still und weltvergessen geborgen. Erst nachdem sie hingegeben den Frieden seiner Kraft und Lauterkeit ausgekostet hatte, regte sie sich wieder.

»Ich muß dir heute von meiner Ehe sprechen,« begann sie zögernd. »Wird es dich verletzen, Liebster?«

»Verletzen gewiß nicht,« er schüttelte den Kopf, langsam sprechend, wie von einer Gewissensregung bedrängt. »Deine Ehe steht zwischen uns wie ein Schatten, vor dem man die Augen schließt, um ihn nicht zu sehen. Im Anfang verdüsterte er mir mein Glück. Doch nun habe ich mich an die Gegenwart dieses Mahners gewöhnt und höre sein warnendes Raunen nicht mehr.«

»Ich danke dir,« sagte sie einfach und herzlich.

»Der Tag, an dem wir über deine Ehe einmal eingehend sprechen mußten, war unvermeidlich. Immer mehr ist uns bewußt geworden, daß wir zusammen gehören. Wir taten ja auch nichts, um unser Glück zu verheimlichen. Es tut mir weh, daß man dich wegen deiner Liebe zu mir verurteilen könnte.«

»Ich bin an Vorwürfe gewöhnt,« versuchte sie zu scherzen.

Er schüttelte den Kopf: »Nein, Liebste, wir wollen es nicht leicht nehmen. Ich spreche jetzt so ernst wie nie zuvor in meinem Leben. Es gilt deine – und meine Zukunft.«

»Sprich,« drängte sie in frauenhaftem Ungestüm.

»Ich habe einen Plan erwogen, der dir vielleicht abenteuerlich erscheinen wird, der aber doch des Verwirklichens wert wäre.«

»Alles, was du ersinnst –« unterbrach sie übereifrig.

Er hob abwehrend die Hand.

»Ich habe diesen Plan nicht ersonnen. So hoch hätte sich meine Kühnheit niemals gewagt! Andere sind die Urheber der Idee. Sie suchten mich zu gewinnen, weil sie mich für den Mann ihrer Erwartung halten und weil sie bereit sind, Tut und Blut für ihren Gedanken zu wagen. Ich wollte die Plänemacher abweisen. Doch ich dachte an dich. Und plötzlich erschien mir der Plan um deinetwillen durchaus nicht mehr absurd – im Gegenteil.«

»Erzähle – erzähle!« rief sie erfreut, sich wie ein neugieriges Kind im Sessel zurechtrückend.

»Ich möchte lieber erst hören, was du mit mir besprechen wolltest.«

»O, ich kann mich kurz fassen,« versicherte sie. »Du weißt, was die drei Griechen dem Kaiser Claudius bedeuten. Ich habe dir auch erzählt, daß ich mich in letzter Zeit von ihnen unabhängig machte, obgleich ich dafür ihre Feindschaft zu gewärtigen hatte. Das Erwartete ist eingetreten.«

Sie errötete tief, als sie nach kurzem Stocken weitersprach:

»Einer unter den dreien ist mir nun etwas freundlicher gesinnt. Vielleicht, weil er der erste Mann war, dem ich nach schweren Schicksalsschlägen mein – – Vertrauen schenkte.«

Silius sah ihre angstverwirrten Augen.

»Nur weiter – ich bin niemals eifersüchtig gewesen auf deine Vergangenheit.«

»Dieser Mann heißt Narzissus,« ergänzte sie.

»Man sagt ihm nach, er sei nicht nur der fähigste Kopf unter den Ratgebern des Cäsars, sondern auch der redlichste von ihnen – soweit man bei diesem Kleeblatt überhaupt von Redlichkeit sprechen darf.«

»Narzissus ist jedenfalls kein völlig schlechter Mensch,« bestätigte Messalina. »Trotzdem ich mich allem Umgange mit den drei Griechen entzogen hatte, wußte er doch durchzusehen, daß ich ihn gestern empfing. Er sagte: nicht um Verrat an seinen Freunden zu üben, suche er mich auf, er vertraue vielmehr meinem Glauben an einen Rest von Treue und Zuneigung, den er mir bewahrt hätte. Und dann enthüllte er mir folgendes: seine Freunde hielten es, mit Rücksicht auf das Staatswohl für notwendig, mir den Kaiser völlig zu entziehen. Ich habe, seit ich dich kenne, allerdings versucht, den Kaiser zu Handlungen zu bewegen, die zwar nicht dem Staatswohle zuwiderlaufen, gewiß aber dem, was diese Griechen ihr eigenes Wohl nennen.«

Sie sagte das so rührend wichtig, daß Silius sie heftig an sich preßte.

Dann fuhr sie fort: »Narzissus verriet mir nun, seine Freunde forderten eine Trennung meiner Ehe mit dem Kaiser – eine andere Gattin sei bereits erwählt – das heißt, wenigstens als meine Nachfolgerin vorgesehen.«

»Und du?« forschte Silius mit blassen Lippen. »Dir fällt es nun schwer, auf deinen Rang als Kaiserin zu verzichten?«

»Ich denke nicht an einen Verzicht!« versetzte sie fest. »Agrippina nämlich ist zu meiner Nachfolgerin bestimmt. Begreifst du, Liebster, daß ich meiner Todfeindin nicht meinen Platz räumen werde?!«

Er verließ sie und begann in dem Gemache umherzuwandern.

»Ich begreife nur eines, nämlich, daß du im Begriffe stehst, mich zu enttäuschen.«

»Kaiserin muß ich bleiben,« fuhr sie unbeirrt fort. »Ich sehe nicht ein, warum dich das enttäuschen sollte.«

»Nicht?« stieß er zornig hervor. »Dann bist du –«

Sie fiel ihm ins Wort: »Sprich nichts Bitteres aus, Silius. Du würdest es bereuen.«

»Ich bereue nur eines –«

»Nicht, Liebster, nicht doch!« wehrte sie ihm mit Tränen in den Augen. »Ich sehe, ich darf mit dir nicht auf Umwegen sprechen. Ich wollte dich etwas hinhalten und dann überraschen. Jetzt will ich geradeheraus, ohne Umschweife berichten. Also: Narzissus wollte mir ersparen, daß der Schlag mich unvorbereitet träfe. Ich habe ihm gedankt, auch Verschwiegenheit gelobt.«

»Das hättest du nicht tun dürfen. Du wirst dieses Gelöbnis brechen müssen.«

»Unmöglich! Wie dürfte ich einen letzten Beweis der Treue so jämmerlich lohnen! Pallas und Callistus sind die Skrupellosigkeit in Person. Sie würden sich keinen Augenblick besinnen, sich blutig an Narzissus zu rächen. Nein, Silius, ich habe von dir gelernt, was Menschentum bedeutet, und ich glaube, ich war eine gelehrige Schülerin. Selbst höchstes Menschentum kann aber nicht verlangen, daß man geduldig einen Schlag erwartet, ohne sich zu wehren. Man will den Kaiser überreden, mich preiszugeben. Claudius wird keine Sekunde zögern. Er saugt Einflüsterungen in sich auf wie trockenes Erdreich den befruchtenden Regen.«

»Komm zum Schlusse,« bat Silius, denn er glaubte nicht anders, als sie verkleide mit tönenden Worten ein bitteres Ende.

»Vielleicht hältst du mich für schlecht, wenn ich dir nun offenbare, was ich mir ausgedacht habe. Wenn Schurken, wie diese Griechen, sich das Recht anmaßen, meine Ehe zu zerreißen und mich zu entthronen, habe ich dann nicht das Recht, dem zuvorzukommen?! Wenn Claudius – und zweifelsohne hat er sich schon halbwegs für die Vorschläge seiner Ratgeber gewinnen lassen! – wenn er also den Gedanken einer neuen Ehe erwägt, darf ich dann nicht ebenfalls an eine andere Ehe denken?! Würdest du mich zum Weibe nehmen, Silius?«

»Warum gibst du mir Rätsel auf!« entgegnete er fast unwillig. »Du sagtest doch eben noch, du würdest um keinen Preis auf deine Stellung als Kaiserin verzichten.«

»Und wenn ich deinetwegen nicht verzichten wollte? Wenn ich dir auch die Kaiserkrone als ein Geschenk zu Füßen legen wollte!«

»Ich verstehe dich nicht – ich verstehe dich nicht!« klagte er erregt.

»Ich weiß, wie sehr ich dich auf die Folter spanne, Silius,« bekannte sie. »Allein es ist nur die Scheu, einen Gedanken in feste Worte zu schlagen, der dir vielleicht lächerlich oder verächtlich erscheinen wird. Ich verstehe nichts von Politik und wünschte auch nicht, sie zu verstehen. Aber eines weiß ich sonnenklar: Kaiser Claudius ist ein aufs äußerste gefährdeter Mann. Der Tag wird kommen, an dem Claudius weichen muß, sei es durch den Dolch seiner Mörder, sei es durch seinen Sturz. Nur ein Wunder kann das abwenden.«

»Du hast allzu recht,« sagte er ernst und schwer.

»Nun, Silius, höre meinen Gedanken,« sprach sie eindringlich. »Wenn ich selbst es bin, die seinen Sturz bewirkt, ist es möglich, ihm das Leben, an dem er so furchtsam hängt, zu retten. Darum muß er beizeiten weichen – darum, und vor allem, weil zum Wohle Roms ein besserer Princeps an seine Stelle treten soll. Und wenn ich dieses Besseren Weib bin, bin ich dann nicht Kaiserin geblieben? So meinte ich es, wenn ich mich weigerte zu verzichten.«

Silius blickte stumm und staunend auf diese Frau, die einen Plan entworfen, der, wenn er durchgeführt wurde, in seinen Folgen etwas Ungeheuerliches wäre in der Geschichte des Römischen Reiches.

»Ein Besserer, dessen Weib du – sprichst du von mir?!« stieß er Wort um Wort mühsam hervor.

Sie flog von ihrem Sitze auf und hing an dem Halse des geliebten Mannes. »Von wem sonst, Silius? Was bedeuten die armseligen Geschenke, die meine Liebe dir gab! Ist es ein Wahnsinnsgedanke, wenn ich dir ein Kaiserreich schenken möchte?! Deine Anhänger zählen nach Abertausenden in Rom. Die einem Imperator unentbehrlichen Prätorianer lieben dich, da deine Reden im Senat auch ihrer gedachten und bewirkt haben, daß man den untauglich gewordenen Soldaten mehr Gerechtigkeit widerfahren läßt durch Landzuweis und Gnadengelder. Die Aristokratie kann nichts gegen einen Kaiser Silius einzuwenden haben. Denn deine Herkunft ist ohne Tadel, dein Geschlecht eines der ältesten in Rom und war stets kaisertreu. Die Regierung ist so unhaltbar geworden, daß ein leiser Anstoß sie über den Haufen werfen wird. Im Palatium gibt es Ungezählte, die lieber mit uns verbündet sein werden, als ihr Schicksal noch länger an diese Schattengestalt eines unfähigen Cäsars zu knüpfen, der, wenn er von anderer Seite als von mir gestürzt wird, sie unaufhaltsam mit sich in die Tiefe reißt. – Ich bin am Ende. Was könnte ich noch sagen? Du weißt, was du in den letzten Monaten den Römern geworden bist.«

»Durch die Liebe zu dir!« sagte er ergriffen, in tiefem Nachdenken.

Da gab sie ihm den letzten Antrieb.

»Du weißt besser als ich, daß nach der Verfassung des Römischen Reiches jeder, der der beste Bürger ist, auch der erste Bürger werden kann. Es ist nicht nur eine Hoffnung, eine große, schöne, von heißer Liebe getragene, nicht ungeheuerliche, nicht unerfüllbare Hoffnung, sondern eine feste Zuversicht, die mich in diesem Augenblick als erste dich grüßen läßt: Ave Cäsar!«

Bis in alle Tiefen erschüttert, vermochte Silius die entflammte Frau nur stumm in die Arme zu schließen. Erst als sie einander in gegenseitiger Dankbarkeit müde geküßt, fand er Worte.

»Man hat dir unrecht getan, wenn man dich lästerte und verurteilte,« rief er. »Man muß die Sehnsucht nach dem Wunderbaren in deiner Seele erkannt haben, wenn man dich verstehen will.«

»Du aber verstandest mich,« fügte sie mit einem Aufseufzen des Glückes hinzu. »Darum vermochtest du es auch über dich, mir so unendlich viel zu verzeihen.«

Zartsinnig überhörte er diesen leisen Nachhall der Erinnerung an die Vergangenheit. Es durfte für die geliebte Frau nur Gegenwart und Zukunft geben.

Als sie beide sich etwas beruhigt hatten, erinnerte sie ihn: »Du wolltest mir doch auch von einem Plane erzählen.«

»Es erübrigt sich nun,« lächelte er. »Es ist der gleiche Plan wie der deine. Nur war er weniger bestimmt umrissen. Deshalb wollte ich nicht ohne weiteres denen glauben, die mir ihn zutrugen. Du hast mich überzeugt. Der Gedanke, mich zum Cäsar erhoben zu sehen, erschreckt mich nicht mehr.«

Als Messalina in den Palast zurückgekehrt war, saß sie lange Stunden in sich versunken und überdachte noch einmal alles, was sie mit Silius besprochen hatte. Also nicht nur sie selbst, sondern auch andere erwogen den Plan, den geliebten Mann zum Kaiser zu machen. Wenn sie sich dessen auch freute und erkannte, daß ihre eigene Absicht hierdurch nur noch stärkeren Rückhalt fand, so verkannte sie keineswegs die für sie erwachsende Gefahr. Wer den Cäsar Claudius beseitigen wollte, mußte auch daraus bedacht sein, alle jene zu beseitigen, die eine Gegenpartei bilden konnten. Zu diesen würde man auch die Kaiserin zählen.

Silius konnte sie schützen, gewiß. Aber er war in den Plänen seiner Anhänger nicht die treibende Kraft, sondern nur die Gestalt, in der seine Anhänger die Verkörperung ihrer Pläne sahen. So konnten sie handeln, ohne Silius vorher zu unterrichten, dessen gewiß, daß er das Cäsarenamt übernehmen würde, sobald der Thron durch den Sturz des Imperators oder einen neuen Kaisermord freigeworden war.

Sie erschrak jetzt vor einer Vergeßlichkeit. Sie hätte Silius ermächtigen sollen zu offenbaren, daß die Kaiserin mit dem Plane einverstanden sei, ihn nicht nur billigte, sondern auch bereit sei, ihn mit allen Kräften und aus allem Vermögen zu unterstützen und zu fördern. Doch rasch beruhigte sie sich. Silius war klug genug, selbst diese Gefahr zu erkennen, zu tun, was ihre Sicherheit gebot. So blieb nur noch eine bange Frage: würden die Anhänger des Silius sie als – Kaiserin dulden?!

Sicher nicht! Wenn sie den Kaiser haßten, wie mußten sie dann erst die Frau verabscheuen, unter deren Einfluß der Cäsar sich ebenso gebeugt hatte wie unter das Joch der verruchten griechischen Freigelassenen.

Sie grübelte lange, ehe sie den Ausweg aus dieser Enge fand. Ihrer Ablehnung war nur vorzubeugen, wenn der neue Cäsar die Tatsache der vollzogenen Ehe mit in sein Amt brachte. Wie aber war die Ehe mit Silius zu ermöglichen?! Auf den Scheidungsprozeß warten? Das würde viel zu lange dauern. Und dann, die Ehescheidungsklage des Claudius mußte vieles aus der Vergangenheit an die Öffentlichkeit zerren. Das ergab neue Bloßstellung der Frau, die der neue Cäsar an sich fesseln sollte ...

In langen Stunden qualvollen Sinnens zermarterte Messalina ihr Hirn nach einer Rettung aus der neuen Verstrickung. Immer wieder kehrte sie zu dem Gedanken zurück, ob es nicht das Einfachste wäre, den Narzissus und seine Freunde für einen Sturz des Claudius zu gewinnen. Auch sie hatten ja nur zu verlieren, wenn er ohne ihr Einverständnis fiel. Die Furcht der drei Männer, mit dem Cäsar Claudius von der Höhe ihrer Macht fortgefegt zu werden, würde sie gefügig machen, sofern man ihnen neue Ämter in der Regierung eines neuen Cäsars versprach. Freilich änderte auch die Beihilfe der Griechen nichts an der Notwendigkeit, die Heirat mit Silius vor dem Sturze des Claudius zu vollziehen. Den Griechen, die alle Staatsämter in der Hand hielten, aber würde es ein leichtes sein, die Scheidung der kaiserlichen Ehe rasch und heimlich durchzuführen, es blieb das Klügste, sich mit ihnen zu verbünden.

Immer mehr festigte sich in Messalina der Gedanke an diesen zwar kühnen, doch Erfolg verheißenden Weg. So rief sie schließlich nach Fabulla, die den Narzissus zu einer heimlichen Aussprache herbeirufen sollte. Fabulla aber brachte eine Neuigkeit.

»Der Kaiser trifft Vorbereitungen zu einer Reise nach Ostia,« berichtete sie. »Er will der Eröffnung des neuerbauten Hafens beiwohnen und wird schon morgen abreisen. Da er jeden Augenblick kommen kann, sich von dir zu verabschieden, Domina, so ist es vielleicht besser, du verschiebst deine Unterredung mit Narzissus.«

»Der Grieche wird doch den Kaiser begleiten,« meinte Messalina enttäuscht.

»Diesmal nicht,« versicherte Fabulla. »Wie ich hörte, bleibt der Kaiser einige Wochen fort.«

Messalina unterbrach sie in einem aufblitzenden Einfalle: »Einige Wochen fort ...?«

»Ja, und Narzissus vertritt ihn als Statthalter in Rom.«

Ein Wirbel von Gedanken raste durch Messalinas Gehirn. Im Augenblicke zeigten sich ihr tausend Möglichkeiten zur Durchführung ihres Planes. Claudius in Ostia, Narzissus sein Statthalter! ... Jetzt war sie froh, den Griechen freundlich behandelt zu haben, als er warnend zu ihr kam. – Narzissus, den sogar Silius den fähigsten Kopf der drei genannt hatte ... Narzissus. der durch die Enthüllung der Absichten seiner Freunde bewiesen hatte, daß er innerlich noch zu der Frau hielt, die ihm einst ein Glück bedeutet hatte.

Eines der wirbelnden Bilder blieb in ihrem Geiste haften: menschenerfüllte Gassen Roms – schwirrende Stimmen, teils Jubel, teils Furcht – mehr Jubel als Furcht – aus Ostia war die Nachricht gekommen, Kaiser Claudius sei nicht mehr am Leben – oder gestürzt – oder er habe auf das Principat verzichtet – die Prätorianer und der Senat hatten Cajus Silius zum Imperator ausgerufen. – –

Messalina erschauerte vor sich selbst, vor der Unheimlichkeit dieses zweiten Gesichtes, vor dem Entschlusse, der in ihr reifte, weil er geboren war aus der Notwendigkeit, ihr weltliches Glück und auch das Glück ihrer großen Liebe zu retten. Nur eine letzte schwere Tat noch ... dann tauchte ihr Leben in Licht und ewige Helle.


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