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4

Kaiser Caligula hatte für den Empfang seiner Gäste wieder einmal eines jener absonderlichen Gewänder gewählt, in die er sich je nach dem Wechsel seiner Launen zu hüllen pflegte. Bald erschien er als Held gerüstet, bald als ein weibischer Narr angetan, doch niemals gekleidet, wie Brauch und Gelegenheit es forderten.

Sein vertrautester Freigelassener Callistus hatte nach der Heimkehr vom Zirkus seine nicht geringe Beredsamkeit und einen eindringlichen Wortaufwand daranwagen müssen, Caligula von dem Gedanken abzubringen, in dem goldenen Brustpanzer Alexanders des Großen zum Mahle zu erscheinen.

»Du gefährdest wahrhaftig deinen Hals, Callistus!« hatte der Cäsar schließlich mit verkniffener Miene geknurrt. »Meinst du, ich hätte die Rüstung des göttlichen Mazedoniers wegen ihres Goldwertes aus seiner Begräbnisstätte rauben lassen! Was ist Gold? Schmutz, an dem die Menschen hängen! Zur dessen elenden Besitz sie sich von mir zu allem mißbrauchen lassen. Nicht die Goldpracht des Panzers reizt mich, etwa weil sie meinem Äußeren Prunk verleiht. Nein, wenn dieses Gold meine Brust umschient, bin ich nicht mehr ich, sondern ich bin dann die Gottheit Alexander.«

»Doch du gibst ein Gastmahl, Herr,« wagte Callistus zu erinnern. »Auch Eros war stets ein Sieger. Er ist unbeweglicher als der unbezwingliche Mazedonier, der es fertigbrachte, einen Jammerkerl wie den Diogenes in seiner Tonne zu beneiden. Es kommen schöne Frauen zum Mahle. Also sei lieber du selbst, die Gottheit Caligula – oder sei Eros – oder Jupiter.«

»Halt, halt – ja, Jupiter will ich sein!« ging der Imperator auf seines Vertrauten Vorschlag ein. »Ja, Jupiter mit dem goldenen Barte! Rufe den Sklaven Accius. Er soll mir das Haupthaar und den Bart mit Goldfäden durchflechten und mit Goldstaub pudern.«

Callistus warf einen scheuen Blick auf des Cäsars bartloses Gesicht und den kläglich behaarten Kopf. Er ahnte, für den armen Accius mußte die kommende Stunde den Tod bedeuten, sofern der Sklave nicht durch irgendwelche List das Wunder zu bewirken wußte, aus dem kahlen Schädel und Kinn seines Herrn ein goldumglänztes Jupiterhaupt zu zaubern.

Doch im nächsten Augenblicke schon hatte Caligula seinen Entschluß wieder geändert.

»Nein, nein,« entschied er – »mein Haupt soll Jupiter sein – gut – mein Körper aber Merkur, meine Füße Venus.«

So fanden die Gäste den Herrscher Roms nicht in der bei Gastmählern üblichen, schlichten weißen Gewandung, sondern in einem seltsamen Aufputz. Auch erschien er nicht, wie es bräuchlich war, erst als alle Eingeladenen versammelt waren. Er ließ die Türen durch Prätorianer absperren. Niemand durfte den Raum betreten, bevor der Cäsar aus einem prunkvollen Podest in der Pose einer mit kostbaren Gewändern behängten Statue Aufstellung genommen hatte. So tat er sich den Blicken dar.

Als Valeria Messalina den Saal betrat, schlug ihr ein betäubender Wohlgeruch entgegen.

Der Duft entströmte der mit Elfenbeinplatten getäfelten Decke, von der ein nebeldünner Sprühregen stark parfümierter Essenzen stäubte. Er rieselte aus feinen, dünnen Röhrchen, die in Blumenkelche mündeten. Diese Blumenkelche waren in die Elfenbeintäfelung eingelassen und aus seltenen Edelsteinen von roter, blauer und gelber Farbe gebildet.

Mit diesem Dufte vermischte sich der süße Hauch frischer Rosenblätter, die fingerdick die Speisebetten bedeckten. Volle Blüten roter Rosen waren aus den Fußboden gestreut, ein knöcheltiefer Purpurteppich sterbender Blumen. Unzählige Fuhrwerke hatten Rosen aus den geplünderten Gärten Roms und der Umgebung herbeigeschafft.

Tausende von Lichtern siegten mit ihrem Scheine über die Tageshelle, die sich durch die hoch unter der Decke gelegenen Wandöffnungen hereinzukämpfen suchte. Der Widerstrahl dieser zwiespältigen Beleuchtung, die noch nicht Abend und doch auch nicht mehr Tag war, flimmerte zurück von riesigen Wandplatten aus violett geflecktem Marmor, von den Perlmutterleisten, die diese Marmortafeln umrahmten, von den Säulen aus Onyx, die wuchtig die schwere Saaldecke trugen.

Und inmitten dieser unsinnigen Pracht, ein Zeugnis des cäsarischen Raubes an dem unerschöpflichen Reichtum der Reichen der Tiberstadt und der ganzen Welt und des Wahnwitzes, der Vergeudungswut der Herrscher Roms, inmitten dieses olympischen Glanzes stand auf goldenem Sockel – Cäsar Caligula!

Valeria Messalina überhörte die Worte des Struktors, der sie zu dem bevorzugten Platze auf einem Ruhebette des linken Flügels der Triklinien geleiten wollte. Sie stand, staunte den Imperator auf seinem Podeste an und zweifelte, ob sie eine gut gelungene Nachahmung Caligulas oder den Kaiser selbst vollkommen reglos dort stehen sehe.

Der Struktor erkannte sofort in diesem jungen und schönen Mädchen ohne jede Begleitung einen Neuling kaiserlicher Gelage. Er wollte sich gefällig erweisen, als die Verwunderung und das Schwanken in Valeria Messalinas lebhaftem Mienenspiel ihn belehrte, daß sie den Kaiser offenbar nicht erkannte.

»Es ist der Cäsar selbst, Domina,« flüsterte er ihr zu. »Heute ist er Jupiter, Merkur und Venus zugleich.«

Valeria Messalina warf dem Sklaven einen verdutzt fragenden Blick zu.

»Den Jupiter erkennst du am vergoldeten Haupte und an dem mit Goldfäden bedeckten Antlitz,« erläuterte er. »Es ist immer gut zu wissen, was der Kaiser vorstellt, denn er ist sehr beleidigt, wenn man – sollte er fragen – nicht sofort das Richtige errät.«

Die junge Domina zeigte ein leises Lächeln des Spottes.

Der Struktor wandte rasch den Kopf ab, dieses tödlich strafbare Lächeln nicht zu sehen. Dann sprach er wichtig weiter: »Die violettfarbene, goldgestickte und mit Geschmeide besetzte Pänula ist aus indischer Seide, Domina. Dieses Gewand deutet die Gottheit Merkur an. Freilich ist es eigentlich mehr ein Frauenkleid. Wahrscheinlich wünscht der Kaiser mit dieser Pänula schon auf seine Eigenschaft als Venus hinzuweisen.«

Valeria Messalina konnte ein halblautes Lachen nicht unterdrücken. Sie musterte die bizarr häßliche und theatralisch aufgeputzte Gestalt auf dem Sockel und fragte mit der ihr eigenen Offenheit:

»Durch dieses Gewand will er der Venus ähnlich werden! Venus wird sich wundern, ich sehe nichts, gar nichts, was an die Statuen der leuchtenden Göttin der Schönheit erinnern könnte.«

Dem Struktor wurde schwül bei den vermessenen Worten des jungen Mädchens.

»Es soll ja auch mehr Merkur sein, wie du an dem goldgeflügelten Elfenbeinstabe in der rechten Hand des Kaisers erkennen wirst, Herrin,« stieß er hastig hervor, um weiteren kritischen Bemerkungen vorzubeugen. »Aber die Fußbekleidung des Kaisers – die Socci aus weißgegerbtem afrikanischem Antilopenleder – siehst du, Domina, sie sind mit Goldfäden benäht und über den Knöcheln mit einem Kranz aus Smaragden besetzt – diese Frauenschuhe deuten wiederum auf Venus.«

»Arme Venus, vergib ihm den Hohn,« betete Valeria Messalina parodistisch, den dunklen Blick unter drolligem Aufseufzen und Augenverdrehen zur Decke emporschlagend. »Wenn sie mit solchen Lastträgerfüßen und in diesem Aufzuge daherschritte, würde jedes Liebespaar voller Entsetzen entfliehen.«

Das ernste Gesicht des Struktors verfärbte sich dunkelrot bei diesen Frevelworten. Er wußte, daß wahrscheinlich nicht der Gast, sondern er selbst diese Blasphemie zu büßen haben werde, falls der Kaiser sie erfuhr. Er warf einen Blick der Todesangst auf den Imperator, der sich nun endlich zu bewegen geruhte. Mit dem Merkurstabe grüßte er die ringsum in tiefem Schweigen an den Tischbetten stehenden Gäste.

Damit war das Zeichen zu stürmischen Rufen »Ave, Cäsar!« gegeben. Dann setzte laute Unterhaltung ein, aus der aufdringliche Schmeichelrufe der Bewunderung über den göttlichen Einfall des Kaisers, schamlose Lobpreisung seiner herrlich symbolischen Gewandung gewollt deutlich hervorklangen.

»Schnell, Domina, auf deinen Platz!« drängte der erfahrene Struktor. »Wenn der Kaiser die Polster seines Trikliniums einnimmt, muß jeder liegen.«

Er erbebte in Entsetzen, als Caligula zufällig herüberblickte und als einzigen Gast noch Valeria Messalina stehen sah. Doch während das junge Mädchen dem Führer folgte, stand der Kaiser auf dem Podeste und nickte mit beifälligem Schmunzeln hinter der jugendlichen Schönheit drein.

Sodann schritt Caligula seinem Lektikus zu.

Dreizehn Triklinien umrahmten in der Form eines nach vorn offenen Vierecks an drei Seiten einen breiten, auch von Rosenstreu bedeckten Raum. Diese Mitte gestattete den Sklaven, die Speisen und Getränke ohne die geringste Belästigung der Gäste herbeizutragen. Zugleich diente der Raum als Bühne für die Tänzer, Gaukler, Pantomimen und Aufführungen, mit denen die Gäste während des Speisens unterhalten werden sollten.

Jedes Triklinium bestand aus einem runden Tische und drei Ruhelagern. Die Tische waren als Monopodien gearbeitet: eine Platte aus dem unermeßlich teuren, kostbaren Citrusholze, die auf einem einzigen, massiv silbernen Mittelfuße von künstlerischer Arbeit ruhte. Die Mahagonigestelle der niedrigen, mit Polstern bedeckten Speisesofas hatten berühmte Bildner mit goldenen Ornamenten verziert. Getragen wurde dieses Gestell von den aus Elfenbein geschnitzten Gestalten nackter Mädchen.

Da jedes Triklinium neun Gästen Platz bot, konnten hundertsiebzehn Menschen an dem Mahle teilnehmen.

Der Kaiser als Gastgeber und höchste Persönlichkeit ruhte auf dem Lektikus medius des mittelsten Trikliniums gegenüber dem freien Räume. Zu seiner Linken, an der Lehne, dem ehrenvollsten Platze des Speisebettes, lag seine Gattin.

Cäsonia war eine nicht mehr junge, fast häßliche Frau, als deren einziger Vorzug ihre maßlose Sinnlichkeit galt. Oft genug beschrieb bei Gelagen der Cäsar seinen Gästen jede intimste Einzelheit des ehelichen Verhaltens der Kaiserin und erging sich dabei in obszönen Lobeserhebungen. Gerade durch ihre raffinierte Erotik aber hatte Cäsonia verstanden, sich den Gatten so hörig zu machen, daß er ihr eine Anhänglichkeit bewahrte, die wahrlich nicht seinem Wankelmute und grausamen Charakter entsprach.

Zur rechten Seite des Kaisers hatte der bevorzugte Freigelassene Callistus seinen Platz.

Über dem Ruhebette wölbte ein aus lauterem Golde getriebener Baum die goldbeblätterten Äste, an denen brennende Lampen in Gestalt silberner Früchte schwebten. Alle Tische der dreizehn Triklinien waren schwer beladen mit Silbergerät und goldenen Tabletten. Man wußte, daß bei den kaiserlichen Gastmählern nur Teller, Schüsseln und Trinkgefäße zur Verwendung kamen, deren höchster Wert nicht in dem Metall bestand, sondern in ihrem Alter und ihrer Rarität. Jedes einzelne Stück war eine Sehenswürdigkeit.

Da glänzten uralte Trinkschalen von der Hand des Statuengießers Lysippos, die voreinst von Tarent nach Rom gebracht worden waren. Die Gefäße waren mit köstlichen Salben ausgerieben, dem Wein zum Dufte der Rebe noch einen fremden exotischen Hauch zu verleihen.

Dort gossen die Sklaven den edlen Wein von Setia aus kristallenen Amphoren in muschelförmige Gefäße, Werke des ob seiner formvollendeten Becher berühmten Bildhauers Mentor.

Des Kaisers Tisch strotzte von Goldschüsseln, deren Randverzierungen der Steinschneider Dioskorides nicht nur selbst entworfen, sondern auch mit eigener Hand ziseliert hatte.

Doch nun gab Caligula das Zeichen zum endgültigen Beginn des Festes, indem er einen goldenen Apfel in eine gehöhlte, große silberne Halbkugel warf. Dies brachte das Gefäß zum Tönen. Der helle Klang, wie das lang anhaltende, gedämpfte Summen einer Glocke, übertönte die sogleich verstummende Unterhaltung, schwoll zur Decke hinauf, zitterte durch den Raum und verebbte allmählich, als ringe er sich mühsam durch die Saalwände hindurch.

Sogleich trat ein Sklave in die Mitte des Platzes zwischen den Triklinien. Ihm war das Amt des Nomenklators zugeteilt. Ohne Stocken rief er mit volltönender Stimme die Namen und Ehrentitel der Gäste aus.

»Wieviele Namen nanntest du?« rief ihm Caligula zu, als der Nomenklator sich verbeugte, zum Zeichen, daß er fertig sei.

»Hundertsechzehn, Herr,« antwortete der Sklave.

Der Kaiser traf ihn mit einem drohenden Blicke. »Warum nur hundertsechzehn, Mensch? Ich habe doch soviel Gäste eingeladen, daß auf keinem Lektikus ein Platz freibleiben sollte.«

»Ein Platz auf dem Lektikus imus wartet noch auf den Gast, Herr.«

»Wie? Jemand, dem ein so wenig ehrenvoller Platz zugewiesen ist, erlaubt sich, zu spät zu kommen?« Der Imperator war empört. »Wer ist der Zögernde?«

»Dein Oheim Tiberius Claudius Drusus, Gebieter.«

Caligula lachte. »Ah, der brave Claudius! Nun, um so besser. Es wird uns belustigen, wenn er verspätet eintrifft.«

Er gab einen entlassenden Wink. Der Nomenklator zog sich zurück. An seine Stelle trat der Struktor, den ersten Gang des Mahles anzukündigen: gebratene Pfauen aus Samos, die mit Feigen, Datteln und feinem, durch frischen Traubenmost gesüßtem Mehle gemästet worden waren. Gefüllt waren diese knusperigen Vögel der Juno mit einer Pastete aus gehackten Gänselebern und lybischen Trüffeln. Birnen aus Syrien und picenische Äpfel, zu einem gesottenen Gericht als Zuspeise vereint, wurden aufgetragen in Murrinen. Wie der Struktor mit hocherhobener Stimme erklärte, stammten diese Schüsseln, deren Gewicht man beim Kaufe hundertfach in Gold aufwiegen mußte, aus einem sehr fernen Lande, in dem die Menschen von gelber Haut seien und schiefgeschlitzte Augen hätten.

Während man sich über das Gericht hermachte, mehr schmatzend als schwatzend, erschienen in dem freien Raume zwölf ganz junge Mädchen. Ihr einziger Schmuck war die Schönheit der knospenhaften Körper und die Weiße der Haut. Und dieses lichte Weiß stand kaum zurück hinter dem Anstrich der Kreide, mit dem die Füße der Mädchen gefärbt waren, um sie als verkäufliche Sklavinnen zu kennzeichnen. Prüfend, abschätzend musterten die Blicke der Männer die zierlichen Musikanten. Einige von ihnen begleiteten leise auf kleinen Handpauken gedämpft die Weise ihrer Gefährtinnen, die den Saiten der syrischen Harfen sanfte Töne entlockten.

Als die Musik verklungen war, die schönen Kleinen sich entfernt hatten, erhob sich der Senator Sertorius. Abermals warf Caligula den Goldapfel in die silberne Klingschale, Aufmerksamkeit zu fordern.

Sertorius, ein fast weißhaariger Mann mit edlen Zügen und stattlicher Gestalt, hielt eine Ansprache an den Gastgeber. Er dankte im Namen aller Anwesenden dem Kaiser für die Einladung und erging sich in einem Panegyrikus auf den Imperator. Die lobhudelnden Worte fanden den stärksten Beifall der andern. Ein von allen Wänden zurückhallendes »Ave, Cäsar!« folgte jubelnd dem Schlusse der Rede.

Doch Caligula war von dieser ekstatischen Lobeshymne nicht befriedigt. Seine Gottheit hatte Anbetung erwartet, nicht kriecherische Menschendienerei. Er grollte bitter insgeheim.

Langsam raffte er sich von seinem Lektikus auf, ordnete fürsorglich die Edelsteinketten, die um seinen Hals hingen, glättete die Falten seiner seidenen Pänula und betupfte seinen goldbepuderten Kopf. Dann räusperte er sich und schickte vorauf, daß er wünsche, nicht unterbrochen zu werden. Mit einem lauernden Blicke betrachtete er den Senator, bevor er zur Entgegnung überging.

»Ich danke dir, edler Sertorius,« hob er endlich mit der ihm eigenen kraftvollen Stimme an, nach seiner Gewohnheit beim Reden bald vorwärts, bald seitwärts vom Triklinium, bald zurück an seinen Platz schreitend. »Wirklich, ich bin dir dankbar für die wohlgesetzten Worte, die du mir gewidmet hast. Du bist ein ausgezeichneter Redner, und ich werde dich mit einem noch höheren als dem von dir bekleideten Amte belehnen. Soll ich dich zum Konsul machen?« Und nun überrann ein Lächeln teuflischen Spottes das häßliche Gesicht. »Konsul! Mein lieber Sertorius, was hättest du davon? Ich will demnächst sogar meinem Pferde Incitatus den Konsultitel verleihen. Denn nämlich – – mit dem Schweife wedeln kann der Gaul auch!«

Ein lautes Lachen der boshaften Freude an dem eigenen frechen Witz brach über die goldumpuderten Lippen Caligulas, ehe er weitersprach: »Nein, mein Sertorius – dir soll für deine wirklich hübsche Ansprache ganz anders vergolten werden. Viel reicher! Kann man den Gatten einer entzückenden Domina herrlicher ehren, als indem man statt seiner die Gattin preist?«

Er winkte leutselig der schon ältlichen Frau des Senators zu. »Laß dich bitten, schöne Pyrrha, und erhebe dich. Gib uns deine Anmut zu schauen, indem du dich auf den Lektikus stellst. Es soll ein jeder hier im Kreise sehen, wem meine Worte gelten.«

Sehr geschmeichelt, ahnungslos, kam Domina Pyrrha dieser Aufforderung nach. Ihr angenehmes, doch schon verblühtes Gesicht errötete vor Freude unter dem blond gefärbten Haar.

Der Kaiser hatte mittlerweile einem Sklaven etwas zugeflüstert. Gleich darauf nahm eine junge griechische Harfenspielerin inmitten des Raumes Aufstellung. Sie griff ein paar Akkorde und begleitete sodann die Rezitation Caligulas mit den vibrierenden Klängen ihres Instrumentes.

Feierliche Stille herrschte an allen Triklinien, als der Cäsar nach dem Präludium ein Gedicht sprach:

»Pyrrha, dich flickt dein Putztisch aus hundert Lügen zusammen.
Während in Rom du lebst, rötet dein Haar sich am Rhein.
Wie dein seidenes Kleid, bewahrst du zur Nachtzeit den Zahn auf,
und zwei Drittel von dir liegen im Kasten verpackt.
Wangen und Augenbrauen, die jetzt deine Freude bezeugen,
malte der Sklavin Kunst, die dich zum Mahl heut geschmückt.
Niemals mehr kann dein Mann zu dir sagen: ›O Pyrrha, ich lieb' dich!‹
Denn was er liebt, bist nicht du, und was du bist, liebt er nicht.«

Die Wände hallten wider von dem gefügigen, schallenden Gelächter der Gäste über diese boshafte Frechheit, während Domina Pyrrha in glühender Beschämung schleunigst ihren Platz auf dem Lektikus wieder einnahm. Sie hatte aus dem Saale flüchten wollen, doch ein zwingender Blick des Gatten bannte sie auf das Sofa. Dann sah der Senator Sertorius hinüber zu dem Tribun Cassius Chärea. Die beiden Männer verstanden einander. Wieder war ein Einschnitt mehr auf dem schon übervollen Kerbholz, das die Schuld des täglich unverschämter werdenden Cäsars markierte.

Auch Valeria Messalina war auf das tiefste empört über die öffentliche Verspottung der würdigen Domina Pyrrha. Sie sprang empor, Zorn in den Augen. Alle blickten überrascht auf das kühne, junge Geschöpf. Doch ehe sie Worte fand, rief Caligula ihr spöttisch zu: »Das Mahl ist noch nicht zu Ende, Valeria Messalina. Gedulde dich noch etwas!«

Verwirrt ließ sie sich auf das Lager zurückfallen.

Ein Geflüster strich über die Ruhelager dahin, ein Raunen der Verwunderung. Man kannte die Vorgeschichte der Einladung Valeria Messalinas, wie man jeden Klatsch sofort in allen Quartieren Roms kannte. Weshalb hatte der Kaiser bisher keine Notiz genommen von der Anwesenheit eines erzwungenen Gastes? Was hatte das zu bedeuten? Und weshalb war er so unbegreiflich nachsichtig gegenüber dem Freimut dieser kecken, jungen Schönheit?

»Wir werden trotz allem morgen ein äußerst pikantes Histörchen erzählen können,« flüsterte Mucius seiner Freundin Tullia zu.

»Hoffentlich!« gab sie zurück, indem sie verlegen ihre Haare betastete, die sie gleich der Domina Pyrrha mit einem aus Germanien stammenden Schönheitsmittel vom Schwarz zum Hochblond umzufärben pflegte. »Hoffentlich,« wiederholte sie leicht gereizt. »Bis jetzt war alles sehr langweilig.«

Der Struktor unterbrach das kurze Zwiegespräch, indem er den nächsten Gang der Speisenfolge laut verkündete: süßen Falerner Wein als Getränk, der brennend aufgetragen wurde – ein Ragout aus Vogelhirnen und Vogelzungen – als Zuspeise kleine Knuspereien, die aus einem Gemisch von Weizenmehl, feingemahlenem Anis, Kümmel und Käse auf jungen Lorbeerblättchen gebacken waren. Der Struktor bezeichnete sie als Mustacea.

Caligula verschmähte dieses Gericht. Er sah seinen schmausenden und zechenden Gästen zu und spielte mit einer in Alpenschnee gekälteten Kristallkugel, die den Zweck hatte, die Hände zu kühlen. Nur ganz verstohlen blickte er dabei zu Valeria Messalina hinüber und beobachtete, wie sie mit verständnisvollem Genießen sich das ihr unbekannte Ragout munden ließ und dem angezündeten Falerner gerecht zu werden suchte.

Plötzlich wandte er sich an den Freigelassenen Callistus zu seiner Rechten mit der Frage: »Kannst du Träume deuten?«

»Es käme auf den Versuch an,« meinte Callistus heiter und reinigte rasch die vom Schmause fettigen Finger an der Mappa. Dann warf er die Serviette einem Sklaven zu, der sofort eine frische Mappa zurückgab.

Caligula fuhr fort:

»Es wäre wohl auch entscheidend, ob ich nur einen Traum träumte oder ob nicht vielmehr ein Gesicht mich heimsuchte.«

Er sah finster brütend vor sich hin und atmete schwer. Dann fragte er jäh und heftig: »Was meinst du – könnte das Meer ein Weib bedeuten?«

Callistus dachte einen Augenblick nach. »Wie man's nimmt,« sagte er klug und vorsichtig, um keinesfalls dem Traume des Kaisers eine üble Ausdeutung zu geben. »Das Meer ist wie das Weib, wechselvoll und veränderlich, voller Launen und Tücken und voller bestrickender Lieblichkeit.«

»Sehr gut,« lobte der Imperator. »Sprich weiter, Callistus.«

Gefällig kam der Freigelassene diesem Wunsche nach: »Träumte ich von einem Bade im Meer, so würde ich dem Traume die Vorbedeutung einer Liebesszene geben. Denn was schmiegt sich lieblicher, lauer und kosender, dem Meerwasser vollkommen gleich, an uns, als die Glieder einer wonnezitternden Frau?«

»Auch das ist gut,« nickte Caligula befriedigt.

Wiederum hafteten seine Augen auf Valeria Messalina. Einen Augenblick schien es, als wolle er das Mädchen an seinen Lektikus rufen, um – wie er das bei Gastmahlen bisweilen mit anwesenden Frauen tat – ihre Reize öffentlich zu prüfen. Doch offenbar besann er sich eines besseren.

»Es war aber keineswegs ein Traum,« erklärte er plötzlich und ließ den goldenen Apfel in die Klingschale rollen, um Stille zu erzwingen, so daß seine Worte nicht in den allgemeinen Gesprächen verlorengingen.

»Wüßte ich, wie gut andere Menschen schlafen,« hob er laut an, »wüßte ich, wen von euch ich um einen ungestörten Schlaf zu beneiden habe, das Mahl würde euch wahrscheinlich versalzen, der süße Falerner sauer werden. Denn wem mein Neid gilt, dem gilt mein Haß, und wem mein Haß gilt, der gleicht dem zum Tode geschmückten Opfertiere, über das der Oberpriester schon das zweischneidige Messer am Elfenbeingriffe schwingt. Ich muß lachen, wenn ich euch so friedlich-fröhlich fressen sehe, als schlafe alle Gefahr, die für euch in meinem Willen lauert, um auf einen Wink von mir an die Kehlen zu springen, die jetzt meinen Wein schlucken und meine Speisen schlingen.«

»Wir wissen von deinen schlaflosen Nächten, Herr, und wir enthalten uns gar manche Nacht des Schlafes, um nichts vor dir vorauszuhaben,« rief ein Schmeichler dem Kaiser zu.

Ein Blick der Verachtung aus den grünlichen Augen des Cäsars streifte den Übergefälligen.

»Wirklich?« fragte Caligula in gespielter Freude. »Wenn du solch ein Getreuer bist, so werde ich mich gern von deiner Liebe zu mir überzeugen,« kündigte er an. »Mein Vertrauter Callistus wird dir zwei Sklaven zur Verfügung stellen, die eine Dekade lang darüber wachen sollen, daß du weder bei Tage noch bei Nacht ein Auge schließest.«

Eine Lachsalve schwoll auf, als hätte Caligula einen kostbaren Witz zum besten gegeben. Der Schmeichler erbleichte.

Dann erzählte der Cäsar:

»Callistus versuchte mir ein Traumgesicht vom Meere zu deuten. Was ich aber erlebte, was mich in dieser Nacht vom Lager scheuchte und durch alle Räume des Palastes hetzte, das war kein liebliches Traumgesicht, war überhaupt nicht nur ein Traum, sondern war Körperlichkeit. – Ihr wißt, daß ich den Meeresarm zwischen Bajä und Puteoli überbrücken ließ, ebenso wie ich weiß, daß von Dummköpfen behauptet wird, ich wäre so töricht gewesen, das Beispiel des Xerxes nachahmen zu wollen.«

»Das kann allerdings nur ein Dummkopf behaupten,« warf Callistus ein. »Denn was ist der Versuch des Xerxes, den armseligen Hellespont zu überbrücken, gegen dein Riesenwerk!«

»Meine Absicht hatte ganz andere Bedeutung,« bestätigte Caligula nach einem dankenden Kopfneigen. »Hatte nicht der Astrolog Thrasyllus dem Kaiser Tiberius versichert: ich würde ebenso wenig Cäsar sein wie jemals auf Rossen und Rennwagen den Meerbusen von Bajä überkreuzen? Ich habe bewiesen, daß dieser Astrolog ein Lügner und Fälscher war. Ich bin an dem einen Tage zu Roß über den Erddamm geritten, den die überbrückenden Schiffe trugen, als wäre eine neue Appische Heerstraße auf ihnen erstanden. Ich bin am andern Tage mit einem Zweigespann vor einem Rennwagen über den Damm hin- und zurückgebraust. Und ich bin – ? Kaiser geworden.«

»Ave, Cäsar! Heil dir, Kaiser!«

Gäste und Sklaven donnerten die Jubelrufe dem Imperator zu. Er bedankte sich stumm, wie ein Schauspieler den gespendeten Beifall entgegennimmt, und richtete sich höher aus in seinem weibischen, grotesk lächerlichen Gewande.

Wieder sang die Klingschale, und der Kaiser sprach weiter:

»In der verflossenen Nacht nun kam das Meer zu mir. Nein, Freunde, nicht als Traumgebilde, sondern wirklich, leibhaftig. Es kam, um mich zur Rede zu stellen, weil ich ihm Gewalt angetan und eine in den Sternen verzeichnete Schicksalsbestimmung zur Lüge der Götter gemacht hatte.«

Er schlug beide Hände vor das Gesicht und schauerte in der Erinnerung zusammen, daß die Edelsteinketten und Behängsel auf seinem Leibe klirrten und rasselten. Dann plötzlich gab er seine Züge wieder frei und stierte mit wilden Blicken in die Runde.

»In scheußlicher, wandelnder Gestalt trat das Meer vor mich hin. Seine Glieder waren die Leiber von Ertrunkenen. Seine Augen tausend Augen von Menschen, die in den Wogen den Tod gefunden. Und es sprach mit dem Todesröcheln Tausender. Sprach schauervolle Anklage. Vergeblich suchte ich mein Recht zu beweisen, daß ich göttlicher sei als die Götter und darum das Recht habe, die Sternenschrift des Himmels zur Lüge zu erniedrigen, denn meine Tat ist die Wahrheit. Aber ununterbrochen – so wie die Wogen ohne Aufenthalt an den Strand wallen, zurückweichen und wieder vorwärts rollen, tagelang, jahrelang, jahrhundertelang – so ununterbrochen ließ das Meer aus grünem Fischmaule mit blutrotem Rachen entsetzliche Worte über mich dahinbrausen. Es hob beim Sprechen die Hände, aus denen dann Wasser brachen. Und Fluten rannen fort und fort von der grauenhaften Gestalt hernieder. Höher und höher stieg der Schwall – er leckte zu meinem Lager hinauf und brandete über mich hin, wie der Wortschwall des Meeres mich betäubte. Um mich vor dem Ertrinken zu bewahren, blieb mir nur eines: aus dem Schlafgemach zu flüchten. Ich tat es. Aber das Meer war hinter mir her und schwemmte mich durch alle Gänge, über alle Treppen – wohin ich mich auch zu retten trachtete!«

Mit einem wilden Aufschrei brach er ab und warf sich in die Polster seines Speisebettes, wo er stöhnend liegenblieb.

»Rasch Unterhaltung und Ablenkung für den Kaiser!« befahl Callistus einem in der Nähe stehenden Sklaven.

An allen Tischen im Saale, selbst in der Vorhalle zum Speiseraume herrschte das Schweigen des Entsetzens, als kreise die Schauergestalt aus dem Wahnsinnstraume des Kaisers leibhaftig um die Triklinien. Jeder empfand es als eine Befreiung, als Bewegung entstand und buntgekleidete Sklaven seltsame Gestelle in den Saal schleppten, während plötzlich vom Eingange her eine wunderliche Musik erscholl und vier Frauen dort Aufstellung nahmen. Es waren Gauklerinnen, Petauristarierinnen, die sich mit ihren halsbrecherischen Sprüngen auf dem Trampolin zeigen wollten und in Rom als »die lebenden Bälle« bekannt waren.

Langsam hob Caligula das Haupt. Seine unstet irrenden Augen hatten den schlaftrüben Ausdruck eines Erwachenden, der sich zurechtzufinden sucht. Er lauschte der Gauklermusik, betrachtete verstört das seinem Triklinium gegenüber aufgestellte Petaurum und überflog mit blödem Blicke die sich ihrem Springapparat nähernden Mädchen.

»Das ist das Leben – das Leben ist noch um mich und in mir,« murmelte er nach tiefem Atemholen. »Nur weiter – weiter mit dem Feste!«

Er raffte sich auf und ließ sich wie ein krankes Kind gefallen, daß seine Gattin Cäsonia sich tröstend um ihn bemühte. Ihre Hand in der seinen haltend, sah er mit verfallenem, traurigem Gesichte den Künsten der Petauristarierinnen zu.

Valeria Messalina war tief erschüttert von dem Auftritt, dessen Zeuge sie gewesen war. Sie war zu klug, nicht die Kraßheit der Gegensätze zu erkennen, die hier aufeinanderplatzten: der sich offenbarende Wahnsinn eines Menschen, die Pracht des Festes, die geputzten, verängstigten, todbedrohten Gäste und der lebensfrohe Anblick der gestählten Frauenleiber, die wie zu Bällen gerundet von dem federnden Trampolin aufschnellten, sich augenscheinlich mühelos in die Luft warfen, sich überschlugen, übereinander fortwirbelten und mit jauchzenden Schreien ihre Springkünste und die sie anfeuernde Musik begleiteten.

Sie erkannte, daß Caligula die Vorgänge zwar äußerlich verfolgte, doch ohne sie innerlich in sich aufzunehmen. Sie sah sein in Krämpfen zuckendes Antlitz, in dem es arbeitete und zerrte, als bereite eine innere Qual ihm unerträgliche Schmerzen. Und sie sah, wie dieses Gesicht sich nach und nach beruhigte, bis es schließlich ein festgefrorenes Lächeln behielt, das den häßlichen Zügen des Kaisers den mildernden Ausdruck verzweifelter Trauer verlieh.

Da fühlte Valeria Messalina tiefes Erbarmen mit diesem unseligen Menschen, von dessen Bestialität ganz Rom widerhallte. Ein Mensch, dessen Dasein Glück und Glanz schien, und der im Grunde nichts war als ein armes, gehetztes, friedloses Geschöpf.

Sie entsann sich eines Ausspruches ihres Vaters, der in einem Gespräche über den Kaiser unlängst geäußert hatte: nicht dieser Mensch sei verantwortlich für seine Taten – die schwere Verantwortung schleppe einzig und allein das Volk, das diesen Geisteskranken seit fast vier Jahren als den Cäsar ertrage.

Valeria Messalina hatte sich so versunken in ihre Gedankenwege verloren, daß sie wie aus tiefem Schlummer auffuhr, als plötzlich um sie her brausendes Gelächter aufschwoll. Es galt einem Manne, der mit Verspätung zum Gastmahle eintraf. Während die Petauristarierinnen den Schauplatz ihrer Gauklerkünste verließen, die Sklaven eilig das Trampolin forträumten, meldete der Nomenklator den Oheim des Kaisers, den Tiberius Claudius.

Ein ältlicher Mann von etwa fünfzig Jahren stolperte in den Saal. Er tat es mit dem sonderbar hastigen Gebaren eines Menschen, der durch gespielte Eile die Entschuldigung für das Zuspätkommen zu gewinnen trachtet.

Claudius war von großer Gestalt und stattlicher Leibesfülle, machte beim Schreiten aber den Eindruck, als wären seine schwanken Beine nicht stark genug, seine körperliche Größe und deren Gewicht zu tragen. Der graubehaarte Kopf wackelte auf dem feisten Nacken. Seine Arme machten ungelenke Bewegungen, als bitte er, mangels passender Worte, durch Gebärden um Nachsicht. Weit eher glich er einem armseligen, plebejischen, gelehrten Stubenhocker als einem erlauchten Mitglieds des kaiserlichen Hauses.

»Nun, mein edler Claudius?« redete Caligula den Oheim spöttisch an, als sich das Gelächter gelegt hatte, »wenn wir auch daran gewöhnt sind, daß du mit störrischem Eigensinn auf die ersten Gänge des Gastmahles verzichtest, so mache uns wenigstens das Vergnügen, möglichst rasch deinen Platz einzunehmen, damit das Mahl fortgesetzt werden kann. Oder sollen wir deinetwegen verhungern?«

Verwirrt und ratlos, begleitet von einem neuen Aufflackern des Gelächters der Gäste, taumelte Claudius der Mittelreihe der Triklinien zu, weil er als Mann von fürstlichem Range mit Recht dort seinen Platz vermutete.

»Nicht hier, bester Oheim, nicht hier!« rief der Kaiser ihm lachend entgegen. »Ich habe dir eine Stätte drüben auf dem Lektikus imus des letzten Trikliniums zugedacht.«

»So, so – auf dem geringsten Platze – so, so?« machte Claudius, töricht erstaunt. Und während ihm der Graukopf noch heftiger als vorher zitterte, murmelte der sonderbare Mann vor sich hin: »Ich werde demnächst ein Buch schreiben müssen über die Herkunft und Einrichtung der Tischordnung. Sie kommt in Vergessenheit. Keiner weiß mehr Bescheid!«

Dann durcheilte er mit unsicheren Schritten den freien Platz der Mitte. Er suchte sich bescheiden auf der Kante des Tischsofas zu betten, da die bereits dort liegenden beiden Gäste nicht für nötig fanden, wegen der komischen Figur des Kaiserhauses zusammenzurücken.

Der Struktor hatte gewartet, um nun, nachdem Claudius endlich zur Ruhe gekommen war, neue Speisen und andere Weine anzukündigen. Es gab das Hauptgericht eines jeden römischen Gastmahles, den Eber. Der riesige Braten wurde auf einer Silberschüssel von gewaltigen Ausmaßen hereingeschleppt. Er war zwar in viele handgerechte Einzelstücke zerlegt; man hatte sie jedoch so kunstvoll wieder aneinandergefügt, daß der Anschein gewahrt blieb, als werde der Eber als Ganzes aufgetragen. Zum Getränk wurde Calda gereicht, ein Gemisch von sehr stark gewürztem Weine und kochendem Wasser. Die Sklaven stellten neben jeden Gast kleine, mit glühender Holzkohle gefüllte Roste, deren Glut Wohlgerüche verdunstete und die Calda heiß erhielt.

Zu dem fetten Eberfleische und dem anreizenden Getränk ward als Unterhaltung eine Gruppe von gaditanischen Tänzerinnen geboten, deren Leistungen ebenso berüchtigt wie gern gesehen waren.

Die zierlichen Gestalten mit den pikanten Zügen und brennenden Augen, echter Typ spanischer Mädchen, waren eng in grellrote dünne Seidentücher gewickelt, eine aufpeitschende Tracht, da die Körperformen, trotz der Hülle, deutlich hervortraten und so den lockenden Reiz des Verborgenen gewährten. Entblößt blieben nur die sehr kleinen Füße und die zierlich von dunkelm Gelock überkräuselten Nacken.

Zum Takte einer eintönigen Flötenmusik glitten die Spanierinnen lächelnd über den goldblitzenden Mosaikfußboden dahin, während sich an ihren Körpern nichts bewegte als die schmalen Hüften, ein schlängelndes Spiel verhaltener Leidenschaft. Nach und nach mischte sich das noch leise zögernde Klappern von Kastagnetten in das Getön der Flöten. Dazu summten die Tänzerinnen einen Sang von Sehnsucht und Liebesverlangen.

Doch bald wurde der Takt der Musik wirbeliger, das Rasseln der Klappern wütender. Der Gesang verstummte. Die Gaditanerinnen bewegten sich schneller und schneller. Immer mehr enthüllten sie sich. Aus der roten Seide leuchtete die blaßgelbliche Haut der Schenkel, quollen die festen kleinen Brüste, schälten sich zuckende Glieder, bis aus dem feierlichen Umherschreiten eine Raserei geworden war, die das einsetzende Gellen der Flöten und betäubende Gerassel der Kastagnetten noch aufstachelte und anfeuerte.

Valeria Messalina hatte vergeblich versucht, sich zu wehren gegen den erregenden Bann, den dieser ungewohnte sinnliche Rhythmus auf sie übte.

Schwer atmend, lag das junge Geschöpf auf seinem Lager, spürte Taumel in sich brausen, vernahm das Sausen des gärenden Blutes in den Ohren, hörte von vielen Lippen den bacchischen Jubelruf »Evohö!« tönen, fühlte, wie ihre Glieder sonderbar müde wurden, und rang staunend mit heimlichen, fremden Wünschen ihrer jungen Kraft. Sie blickte scheu auf ihre Lagergenossen. Doch der junge Mann und das Mädchen auf dem Lektikus waren bereits Freunde und kümmerten sich nicht um die ihnen fremde, schweigsame Tischgefährtin.

In einem seltsamen Umherflattern der Gedanken und zugleich gebannt von einer unheimlichen Anziehungskraft, richtete Valeria Messalina den Blick auf den Kaiser. Sie sah, wie Caligula sich der Zudringlichkeiten seiner Gattin erwehrte und unverwandt zu ihr hinüberblickte. Plötzlich stieß er Cäsonia schroff von sich und reckte die rechte Hand nach Valeria Messalina hin.

Sie verstand die Bedeutung der Gebärde nicht. Denn bis dahin hatte sie nie erlebt, daß ein Mann ihr eine Faust machte und den Mittelfinger der Hand dabei gerade vorreckte. Sie schüttelte den Kopf, dem Kaiser zu bedeuten, sie verstünde ihn nicht.

Mit einem wütenden Ruck befreite Caligula sich von den ihn wieder umschließenden Armen der Gattin, verließ den Lektikus und eilte aus dem Saale.

Zugleich brach die Musik ab. Die Tänzerinnen rafften ihre grellroten Seidentücher um sich und neigten sich dankend gegen den jubelnden Applaus. Dann verschwanden sie.

Ein Aufatmen ging durch den Raum, ein leises Murmeln schwirrte auf. Von einer Stelle her aber scholl lautes Schnarchen.

Dort lag der grauhaarige Claudius auf dem Speisesofa des letzten Trikliniums. Er hielt die Hände über dem Bauche gefaltet und schlief den Schlaf des von fetter Speise übersatten und vom heißen Würzweine Betäubten. Die stürmische Wildheit gaditanischer Künste hatte nicht vermocht, diese geruhsame Tätigkeit des Verdauens zu stören.

»So geht es dem kaiserlichen Oheim stets,« hörte Valeria Messalina ihren Tischnachbarn Amyklas sagen. Er lachte herzlich und fuhr fort: »Wo Claudius zu einem Gastmahl erscheint, sorgt er immer ungewollt für Erheiterung. In Privathäusern, die mit den Ausgaben für die Unterhaltung sparen, ersetzt der drollig-traurige Claudius bei Gastereien oft unfreiwillig ein ganzes Konsortium von Gauklern und Pantomimen.«

»Kein Wunder, wenn die eigene Mutter, Domina Antonia, sich dieses Sohnes schämte,« warf jemand ein.

»Dem ist nicht so,« berichtigte Amyklas. »Um den höchsten Grad von Dummheit auszudrücken, pflegte sie im Gegenteil stets zu sagen: dümmer als der dumme Claudius.«

»Neulich auf einem Gastmahl bei Tubellus ließ er alle Speisen stehen und las uns dafür äußerst komische, ernstgemeinte Eßregeln vor,« erzählte der dem Amyklas gegenüber liegende Gast. »Wenn er dann seine Regeln am Beispiel beweisen wollte und nach den Speisen griff, entzog man ihm rasch die Schüsseln. Sein verblüfftes Gesicht hättet Ihr sehen sollen! Es war zum Totlachen!«

»Und doch ist er durchaus kein Narr, trotz seines närrischen Benehmens,« meinte ein Tribun, der den Ehrenplatz auf dem mittelsten Speisesofa einnahm. »Der Ritterstand hat ihn häufig zum Patron wichtiger Angelegenheiten erwählt – der Senat loste ihn aus zum Priester des vergötterten Augustus – er hat mit dem jetzigen Cäsar einmal das Konsulat innegehabt und war später sogar noch einmal Konsul –«

»Aller dieser Ämter aber ging er doch stets verlustig durch seine Saumseligkeit,« unterbrach Amyklas. »Er ist mit Dummheit gestraft.«

»Dumm ist er nicht,« belehrte der Tribun, »nur umständlich und schwerfällig und ohne jedes Selbstvertrauen. Daran ist seine Erziehung schuld. Er wurde im Hause des Augustus wegen seines wenig anziehenden Äußeren und seines langsamen Geistes als halber Idiot behandelt und zurückgesetzt.«

»Er ist ein schlichter, bürgerlicher Mann und verschmäht allen kaiserlichen Prunk und Vorrang,« mischte ein anderer Gast sich ins Gespräch. »Ich kenne viele, die das mit Recht als einen Vorzug an Claudius rühmen.«

»Ah bah!« machte Amyklas verächtlich, »Sein einfaches Benehmen ist kein Vorzug, sondern nur die Bestätigung seiner albernen, niedrigen Denkungsart. Er ist eine Schande des erhabenen Blutes der Claudier.«

»Hat er sich nicht kürzlich von seiner zweiten Frau, der Aelia Petina scheiden lassen?« fragte ein junges Mädchen.

»Ganz richtig, kleine Hiberina,« rief ein Spottvogel. »Willst du ihn nicht zum Manne nehmen? Du könntest sicher sein, daß er dir viel Muße gönnt. Denn seine Hauptbeschäftigung ist Essen und Schlafen. Daneben studiert er alte Schriften und schreibt langatmige, schwülstige Scharteken. Deine Gefälligkeit wird er also nur wenig in Anspruch nehmen.«

Hiberina errötete zwar, doch versicherte sie mit aller Offenheit, dann wäre der kaiserliche Oheim nicht der rechte Mann für sie.

»Doch in allem Ernste,« nahm der gesprächige und gut unterrichtete Amyklas wieder das Wort, »man erzählt, Kaiser Caligula sei auf der Suche nach einer dritten Gattin für Claudius.«

»Er hatte schon in der Jugend keine Zukunft,« urteilte Hiberina schnippisch. »Wer nimmt diesen Alten, der bettelarm und ein verhöhnter Hanswurst ist?!«

In diesem Augenblicke kam der Struktor an das Triklinium und überreichte Valeria Messalina mit höflichen Worten eine Schreibtafel. Sie öffnete die beiden Holzplättchen, von denen eins mit rotgefärbtem Wachs überzogen war. Nachdem sie die mit spitzem Griffel eingeritzten Worte überflogen hatte, musterte Valeria Messalina das unbewegte Gesicht des Sklaven.

»Glätte das Wachs und gib mir den Griffel,« befahl sie rasch entschlossen. »Ich werde aufschreiben, daß ich keine Ursache sehe, dir zu folgen.«

Betroffen senkte der Struktor das Haupt. Tief verschattete sich sein Gesicht. Zögernd nur bereitete er das Wachs der Schreibtafel zur Antwort vor. Endlich faßte er Mut. Er sah das junge, stolze Mädchen bittend und voll Vertrauen an.

»Domina,« murmelte er fast unhörbar, »wenn ich deine Antwort zurückbringen muß, so bitte die Götter, daß sie mir wenigstens einen raschen Tod gewähren.«

Valeria Messalina hatte die Tafel schon an sich genommen, den Griffel angesetzt, den ersten Buchstaben bereits geritzt. Bei den verzagenden Worten des Sklaven hielt sie inne. Ein schönes Erbarmen verklärte ihr Antlitz.

»Um meiner Weigerung willen soll nicht ein Mensch leiden,« entschied sie ohne Zögern. Sie klappte die Täfelchen zu und bat freundlich: »Zeige mir den Weg.«

Der Struktor ließ sich auf ein Knie nieder und küßte inbrünstig dankbar den Saum des Gewandes seiner Retterin. Dann schritt er voran.

Hinter Valeria Messalina her scholl ein Tuscheln und Raunen, als brause plötzlich ein starker Wind über die blattreichen Baumkronen eines Gehölzes. Man wußte längst, was es bedeutete, wenn der Struktor ein Weib vom Gastmahle holte, kurz nachdem Kaiser Caligula den Saal verlassen hatte.


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