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9

In den Kolonnaden des Marsfeldes bewegten sich nur noch wenige Fußgänger. In den mit dem Prunke und der Pracht aller Länder der bekannten Erde angefüllten Verkaufshallen wurden kleine Lichter angezündet. Der Abend fand den vornehmen Römer in seinem Hause.

Der sonst von Fußgängern und Tragsänften dicht belebte Hauptweg, die Reitpfade rechts und links von ihm, die mit goldgelbem Kies bedeckten Fahrbahnen waren vereinsamt. Die Lorbeerbüsche, Myrtensträucher und die künstlich zu Figuren gestutzten Buxbaumhecken standen schon wie körpergewordene Schatten auf den Rasenflächen. Die Sonne sank hinter einer flachen Wolkenbank, die den Westen wie eine himmelgetürmte Mauer abschloß. Als löse sich das Tagesgestirn in ein alles überschwemmendes Meer glutender Röte, als ströme dieses Meer in breiten Rinnen über die Mauer hernieder, färbten sich die Wolkenränder feuerfarben.

Um diese Zeit erreichte die Lektika Messalinas den Neptuntempel neben der flaminischen Straße. Hier gebot die Domina den Sänftenträgern Halt.

»Ich werde mit Fabulla einen Spaziergang machen, die milde Abendluft zu genießen,« erklärte sie dem Obersklaven Isäus, der als Wegbahner der Lektika vorausgeschritten war. Ihm einige Münzen zuwerfend, sagte sie obenhin: »Wenn du eine Taberne in der Nähe weißt, trinke dort mit deinen Burschen auf meine Gesundheit. In einer Stunde erwarte mich am Tempel des Neptun.«

»Du bist gütig, Herrin,« dankte Isäus, die Münzen in einem Bausch seines Lendenschurzes bergend.

»Es ist gut,« sagte Messalina, der Sänfte entsteigend.

Sie ließ sich von Fabulla in einen weiten Mantel hüllen. Auch die Vertraute nahm eine Lacerna um. So schritten die beiden Frauen die flaminische Straße dahin. Die wenigen stadtwärts wandelnden Menschen achteten nicht auf sie. Da vornehme Römerinnen niemals ohne ihr Gefolge zu Fuße gingen, vermutete niemand in den beiden vermummten Gestalten eine Domina und ihre Dienerin.

»Was meinst du?« fragte Messalina nach kurzem Schweigen. »Ob Isäus sich Gedanken macht über meinen späten Weg?«

»Nein, süße Gebieterin,« versicherte Fabulla. »Oder solltest du nicht bemerkt haben, daß ich mich bemühe, alle seine Gedanken auf mich zu lenken?«

Messalina lachte. »Hat also doch endlich einer dein kühles Mädchenherz erwärmt?«

»Die Wärme ist mehr auf seiner als auf meiner Seite,« erwiderte Fabulla schnippisch. »Ich bin verliebt in ihn, weil ich in dich verliebt bin, Herrin.«

»Den Scherz verstehe ich nicht.«

»Nicht?« kicherte die Vertraute. »Nur der Mann schweigt unverbrüchlich, der weiß, daß eine Liebe endet, wenn er schwatzt. Und das habe ich dem braven Jungen gründlich erläutert. Wir werden ihn und seine Verschwiegenheit wohl noch öfter nötig haben.«

»Das glaube nur ja nicht!« beteuerte Messalina. »Mehr als dieses eine Stelldichein – auf keinen Fall.«

»Herrin, wer das süße Gift gekostet hat – –« Sie schwieg altklug und weise.

Eine Weile schritten sie wortlos weiter. Dann flüsterte Messalina: »Ich zittere vor Aufregung, Fabulla. Wie weit ist es noch bis zum Mausoleum des Augustus?«

»Dort, Herrin, liegt es zwischen der flaminischen Straße und dem Tiberstrom,« gab die Sklavin Auskunft. »Sobald die Gärten des Lukullus näher an den Weg herantreten, müssen wir links abbiegen in einen von Platanen überwipfelten Pfad. Dann sehen wir es vor uns. Wir können uns nicht verirren, denn ich habe mich aufs genaueste bei Isäus erkundigt. Du hättest meinem Freunde ruhig vertrauen und dich bis an die Ruhestätte des vergöttlichten Kaisers tragen lassen sollen.«

»Wo wirst du bleiben?« fragte Messalina bang. »Hör nur, wie mir das Herz tobt.«

Fabulla berührte zutraulich den Arm der Gebieterin. »Heiße es schweigen, damit es nachher sein Glück auskosten kann! Ich werde eure Zwiesprache nicht stören, sondern irgendwo im Schatten des Gebäudes warten, bis du mich rufst.«

Endlich bog Fabulla in einen Weg ein, der nach einer mit Gartenanlagen gezierten Terrasse führte. Dort erhob sich der Kuppelbau des Mausoleums. Vom letzten Schimmer der Abendröte umleuchtet, ragten wie Goldpfeiler zwei Obelisken unfern vom Eingange auf. Von einem der Obelisken löste sich eine Mannesgestalt und kam den Nahenden schnell entgegen. Kurz entschlossen trennte sich Fabulla von der Herrin, es ihr überlassend, sich mit der verfänglichen Situation zurechtzufinden.

Dämmerlicht breitete sich über die stille Umgebung. Abendlicher Friede umraunte die Kronen der Ulmen, die wie ein riesenhafter rauschender Ehrenkranz die Grabstätte des ersten Kaisers umsäumten.

Paris schlug die Kapuze seiner Lacerna zurück.

»Sei gegrüßt, hohe Gebieterin,« sprach er mit wohltönender Stimme. »Drei Rosen brachten mir verheißungsvolle Botschaft.« Er verbeugte sich tief.

Messalina betrachtete in befangenem Entzücken das schöne, edle, griechische Gesicht des Schauspielers, in dessen Augen die Freude an der Begegnung glänzte.

»Ich danke dir, daß du gekommen bist,« stieß sie hervor in der Bescheidenheit der Liebe.

»Ich habe zu danken, Domina, jetzt, da ich sehe, wer die schöne Spenderin der Rosen ist. Doch komm! Diese Stätte erinnert an den Tod. Wir aber suchen das Leben. Laß uns sie meiden und vertraue dich meiner Führung an, Domina. Nur wenige Minuten müssen wir zurückwandern, dann haben wir den Lustgarten erreicht, der vom Portikus der Vipsania umhegt ist. Dort umblühen zahllose Rosenbüsche kühle Marmorbänke. Dort verbergen grüne Laubengänge uns unberufenen Augen. Komm – stütze dich auf mich.«

Ein Gefühl atemloser Erwartung durchrieselte Messalina, als Paris den Arm um sie legte und sie den Weg hinabgeleitete, der immer mehr verschwamm in der sich rasch vertiefenden Dunkelheit. Im ersten Augenblicke war noch ein Sträuben und ein Trotzen in ihr. Sie wollte sich von dem Mimen lösen. Doch der gelinde Zwang des Männerkörpers, der sich dicht an den ihren schmiegte, nahm ihr den Willen und die Kraft. Nach kurzem Erschrecken fügte sie sich ohne Widerstand. Sie ließ es sich gefallen, daß Paris einen Teil seines weitbauschigen Mantels um sie breitete, und schritt, Hüfte an Hüfte, mit dem Manne verbunden, dahin. Der Mond, vor wenigen Minuten noch ein blaß flimmernder Silberschild, gewann an Glanz und ward zur weiß leuchtenden Scheibe. Dunkel huschten die vereinten Schatten des Paares auf den breiten Lavaplatten der Straße.

Fabulla hatte von fern die Begegnung beobachtet und folgte in weitem Abstande. Als Paris und Messalina die Säulenhalle am Eingang zu dem Lustgarten durchschritten hatten, ließ die Getreue sich auf einer Bank nieder. Hier wollte sie in Geduld der Rückkehr der Herrin warten. Der Weg aus den Gärten heraus führte nur durch den Portikus, durch den man die Anlagen betrat. Der weitläufige Park war umhegt von einer über mannshohen, zur lebendigen grünen Mauer gestutzten, undurchdringlichen Taxushecke.

Noch immer wortlos durchwanderte das Paar die in Dunkel gehüllten Platanengänge und Lorbeerlaubungen. Manchmal leuchtete eine helle Marmorgestalt auf in einer Myrtennische. Oder eine aus Stein gemeißelte Bank lud zum Rasten. Doch stets, wenn Messalina und Paris sich dem Sitze näherten, gebot scherzend eine Mannesstimme den Nahenden Halt. Bisweilen auch kündete der leise gurrende Aufschrei eines Mädchens, daß die Stätte bereits ihre Insassen gefunden hatte.

Nachdem sie einen kleinen Syringenhain durchquert hatten, gelangten sie in die letzte Tiefe der Gärten. Und hier endlich fand sich ein Obdach. Mehr durch Zufall entdeckte Paris einen kaum schulterbreiten Pfad, der wohl mit Absicht so verborgen angelegt war. Als sie sich zwischen den Büschen hindurchdrängten, kamen sie auf einen Rundplatz, den eng beieinander stehende Lebenseichen umwipfelten. Hierher drang kein Laut außer dem Raunen und murmelnden Plätschern der überall in dem Parke springenden Fontänen. Ein breites Sigma, halbmondförmig gerundet, forderte zur Rast. Denn unaufmerksame Sklaven einer reichen Domina hatten auf dem Steinsofa einen Teppich vergessen. Er duftete noch nach den Wohlgerüchen und Essenzen aus den Gewändern der Schönen, die hier den milden Nachmittag ruhend verbracht hatte, lesend oder mit einem Freunde plaudernd.

Jetzt sprach Paris das erste Wort.

»Du wirst müde sein, schöne Herrin,« flüsterte er. »Die Wanderung war beschwerlich für dich, die du an die weichen Kissen deiner Lektika gewöhnt bist. Bette dich bequem hier auf diesem Lager.«

Er entledigte sich seines Flauschmantels und rollte ihn zum Polster, mit zarter Fürsorge aus dem Teppich und der zusammengewickelten Lacerna eine behagliche Liegestatt für Messalina bereitend. Stumm, mit pochendem Herzen, duldete sie sein aufmerksames Betreuen und wehrte ihm nicht, als er leidenschaftliche Küsse auf ihre Knöchel drückte, bevor er die Zipfel des Teppichs über ihre Füße breitete. Dann nahm er nach kurzem Zögern selbst Platz auf dem Sigma, indem er sich dort niedersetzte, wo ihr anmutig im Liegen gebogener Körper einen kleinen Raum auf dem Steinsofa freigelassen hatte.

Messalina schloß die Augen. Ein Traum war Wirklichkeit geworden. Oft in diesen Tagen der Sehnsucht nach dem Manne, der von der Bühne herab die Fackel in ihr Gemüt geschleudert, hatte sie diese Szene geschaut, die nun der stille, nächtliche Hain umschloß. Da wallte die aufgestaute Zärtlichkeit und das Verlangen nach Hingabe in ihr auf. Ihr Herz stockte. Sie schmiegte sich enger an Paris und befreite sacht ihren linken Arm aus der sie umhüllenden Lacerna, ihn um die Schultern des Mannes zu legen. Paris neigte seine Wange auf die Hand, deren fiebriges Zittern er auf seiner Achsel spürte. So verbrachten sie schweigend innige Augenblicke. Endlich unterbrach Paris die Stille.

»Verzeih mir, Herrin, wenn ich wie ein verschüchterter Knabe kein Wort der Unterhaltung finde. Aber – und du mußt mir das Geständnis nicht verübeln! – als mich Pollio Valerianus zu der Begegnung überredete, ging ich darauf ein in dem Glauben, wie so oft, für eine abenteuerlustige Römerin die Rolle des fügsamen Galans zu spielen. Ein Mime! Er gehört allen!« stieß er hart hervor. »Doch dein mädchenhaft scheues, zart zutrauliches Benehmen entwaffnet mich. Die alltäglichen Mätzchen versagen vor deiner Lieblichkeit. Der Komödiant schweigt. Was ich sonst als eine Art Rolle spielen muß, erscheint mir dir gegenüber abgeschmackter Frevel. Sage mir eins: ist dies dein erstes Stelldichein?«

Sie neigte wortlos zustimmend das Haupt.

Da fuhr er fort: »Völlig unbekannt bist du mir nicht. Es gibt in Rom genügend Lästermäuler. – Man erzählt von deiner Ehe –«

Messalina machte eine ungeduldige Bewegung. »Laß uns von allem schweigen, was außerhalb dieser schönen Stunde liegt!«

»Du hast recht,« lenkte er ein, sich seiner unbedachten Taktlosigkeit schämend. »Ich will dir lieber erzählen, daß ich dich unlängst bei dem Essenzenhändler Niceros bewunderte, wo du arabische Wohlgerüche aussuchtest.«

»Und was dachtest du von mir?«

Er beugte sich ihrem Gesichte näher, als suche er in dem Halbdunkel des Mondlichts das Rätsel ihrer Züge zu lösen. »Ich dachte, du seiest eine begehrenswerte Frau,« raunte er mit belegter Stimme.

»Denkst du das auch heute nacht!?«

»Wenn du gebietest, Herrin ...«

Enttäuscht stieß sie ihn zurück.

»Ich gebiete nichts,« sagte sie schroff, »was dir dein Herz nicht gebietet!«

Sie riß ihren Arm von seinem Nacken und zog den weichen Teppich fester um sich, eine Schranke zwischen sich und dem Manne zu errichten.

»Verzeih mir!« rief er betroffen. »Verzeih einem Manne, dessen Beruf es ist, den Frauen zu gefallen. Der oft einen Ekel vor sich empfindet und nicht die Kraft hat, sich zu versagen – aus Angst um seinen Erfolg. Aber dich – dich liebe ich.«

Er sagte es so weich und traurig, so echt und bezwingend, daß sie unter den Worten erschauerte.

Er nahm ihre Hand und preßte die Lippen auf ihren heftig schlagenden Puls.

Sie lag unbeweglich mit geschlossenen Augen. Ihre Sehnsucht nach Güte, nach Kraft strömte dem Manne entgegen, dessen Körper sie dicht an dem ihren fühlte. Sie dachte an die grausige, wilde Gewalt, die Caligula ihr angetan hatte. In ihr war halb schmerzliche Furcht, halb verlangende Hoffnung. Sie erwartete etwas anderes, Wunderbares, Beseeligendes, ihre verlangenden Sinne Einlullendes. Sie wünschte, Paris würde ihr etwas antun, das sie überraschte und beglückte, ihr den Atem raubte, das Bewußtsein nahm. Sie bangte vor unbekannten Wonnen und einem süßen Taumel, den sie verängstigt erwartete.

Paris war erfahren im Umgange mit den vornehmen Frauen Roms, zu deren Mode es gehörte, einem hübschen Schauspieler nachzustellen und verstohlene Zusammenkünfte mit ihm zu pflegen. Davon wußten selbst die Arenafechter und Zirkuskutscher. Aber dieser seltsam zutraulichen und dabei doch keuschen jugendlichen Frau gegenüber versagte seine Routine. Er fühlte sich unsicher und wußte nicht, was von ihm verlangt wurde. Sollte er nur den Reiz des Verbotenen erfüllen und der mädchenhaften Neugier einer Domina gerecht werden, die auch einmal vor ihren Freundinnen mit einem geheimnisvollen, ungefährlichen Abenteuer prahlen wollte? Die Phrasen, die er gesprochen hatte, waren nichts als eine andere Art Schauspielerei. In Wahrheit war Messalina ihm nichts als eine vornehme Dame, die sein Mannestum begehrte. Eine etwas kompliziertere Natur, die etwas gemütvoller genommen sein wollte. Schließlich hatte jede ihre Launen und Ansprüche und spielte ihr Theater, bis es zum Wesentlichen der Dinge kam.

Nach kurzem Überlegen begann er: »Als ich dich zum erstenmal sah, dachte ich, du müßtest ein heißes Herz haben. Es lag etwas Sinnliches in der Art, wie du den Duft der verschiedenen Parfüms prüftest und wie du wollüstig den Geruch einer Essenz einatmetest, die seltsamerweise gerade von den – verzeihe mir, Freundin! – käuflichen Mädchen Roms bevorzugt wird. Dann aber beobachtete ich, was du tatest, als dich die zudringlichen Blicke eines geckenhaften Laffen musterten. Du zogst verhüllend die Stola eng um dich. Auch nicht die kleinste Spur deiner Formen ließ sich mehr erkennen. Das machte dich in meinen Augen zu einer Kostbarkeit. Denn die Tugend der römischen Frauen ist so rar wie ein wirklich fehlerloser und untadelhaft geschliffener Edelstein. Warum verschmähst du, deine Schönheit nach der Art vornehmer Damen in der verräterischen Seide der Insel Kos zu zeigen? In eurem Rom ist Schönheit doch nicht mehr persönliches Eigentum, sondern Allgemeingut. Und ich als schönheitsdurstiger Hellene muß gestehen, daß diese Sitte ihre Vorzüge hat. Was die Gottheit verlieh, damit es bewundert werde, sollte sich dem Blicke nicht entziehen.«

»Man kann doch nicht jedem Manne zeigen, was die Gottheit uns gnadenvoll gewährte!«

»Sondern –?«

»Nur dem Manne, den man liebt und von dem man weiß, daß er uns liebt.«

»Und wenn ich dir sage, daß ich dich liebe?«

Die vielen banalen Worte hatten sie, die Wunder erharrte, ernüchtert. Doch als er sich jetzt tief über sie beugte, den rechten Arm unter den Teppich schlüpfen ließ und sie umfaßte, sah sie nur seine Schönheit, fühlte sie nur den Mann. Sie erschauerte. Willig gab sie sich der Umschlingung hin, wie schutzheischend sich näher an ihn schmiegend.

Doch in nachzitternder Enttäuschung hauchte sie: »Du liebst mich nicht. Ich bin dir so fremd wie du mir.«

»Fremd?« rief er lächelnd, »wie könnten wir uns fremd sein! Meine Seele muß in der deinen widerklingen, da deine Seele die meine lockend ruft. Leugnest du?«

Es war eine sehr schwierige Dame! Fast bereute er, daß er den Auftrag des Buchhändlers übernommen hatte.

»Nein, nein!« entgegnete sie gequält. »Vergib mir! Ich war eine Tote. Die Furchtbarkeit der Erniedrigung und die Einsamkeit haben mich scheu gemacht.« Sie warf sich gegen ihn. »Ich will leben, leben!« Es war ein verzweifelter, leidenschaftlicher, ungestümer Ausbruch.

»So lebe doch, Messalina!« ermutigte er sanft. »Laß mich dich zum Leben erwecken.«

Er zog sie an sich. Kaum spürte sie seine zugreifende Gewalt, da warf sie aufschluchzend beide Arme um seinen Nacken, preßte den Mund auf seine Lippen und trank in hemmungsloser Gier seine Küsse. So ruhten sie Brust an Brust lange und schweigend. Ihn entflammte das hilflose Begehren, das der junge, mädchenhafte Körper auf ihn überstrahlte.

»Du Geliebte, Herrliche,« flüsterte er, wie er es oft schon geflüstert hatte, als sie ihn endlich in süßseliger Müdigkeit freigab; »wie beglückst du mich!«

Er streichelte ihre glühenden Wangen, strich über ihre Brauen und Lider und berührte in zärtlicher Spielerei ihre Lippen.

»Liebst du mich?« fragte sie die uralte Frage aller hingebenden Frauen.

»Weit hinaus über diese Stunde des Glückes!« beteuerte er. Und vielleicht glaubte er in diesem dankbaren Augenblicke selbst an die Wahrheit seiner Worte.

Da umschlang sie ihn von neuem, sinnlose Zärtlichkeiten stammelnd, überwältigt von dem Wunsche, ihm zu zeigen, wie glücklich sie sei durch seine Liebe.

»Höre mich geduldig an, denn ich muß dir von mir erzählen,« bat sie endlich, als sie, durch liebkosende Worte von ihm beruhigt, in seinen Armen ruhte. »Oft in den letzten Monaten habe ich im geheimen die Götter angefleht, mir zu künden, welches der Sinn des Lebens sei. Die Götter schwiegen, so laut und angstvoll mein Herz auch schrie. Aus diesem Schweigen aber entnahm ich eines: Wenn die Olympischen nur tote Sinnbilder sind, die wir Menschen uns errichteten, dann ist lebendig nur das Leben. Ich bin lange tot gewesen in der Grabeskammer, die mir das Haus des Claudius geworden ist. Aber endlich fand ich den Mut und die Kraft, wieder eine Lebende zu werden. Doch mit dem Gefühl, du lebst! kam auch der Wunsch: nun lebe! Aber was muß man tun, um zu leben? Heißt das Leben, wenn man im Zirkus zusieht, wie Lebende verbluten, verbrennen, gekreuzigt oder von hohen Säulen gestürzt oder von den Bestien zerrissen werden? Das alles ist Tod! Verbluten ist Verblühen des Lebens. Unmöglich kann das der Sinn sein des Gebotes: lebe! Mein Wille zum Leben wurde immer gewaltiger. Da sah ich dich, du geliebter Mann, als den Eros, der in der Quellennymphe Ais durch den ersten Kuß das träge fliehende Blut zum Brausen peitscht. Bis sie nur noch die eine Sehnsucht kennt, die auch mich erfüllt!«

Paris hatte in peinlichem Staunen diesem Ergusse zugehört. Er war ein gewandter Schauspieler, doch kein Mann von Geist. Es bedrückte ihn, daß diese Frau offenbar mehr als Liebesgetändel von ihm erwartete, mehr als die andern Weiber, die seiner gefälligen Jugend nachstellten. Ihre Bedürfnisse hatte er bislang ohne jede geistige Bemühung befriedigt.

Der Buchhändler Pollio Valerianus hatte ihm diese Messalina nur als eine darbende Frau geschildert. Hier aber wurde anscheinend ernsthafte Liebe gefordert. Er suchte sich über seine Gefühle für das heißblütige, junge Weib klar zu werden.

Nun ja, sie gefiel ihm gut, sehr gut. Ein herrliches Geschöpf als Weib. Aber geistige Strapazen liebte er nicht. Diese anspruchsvollen Superklugen schätzte er wenig.

Da sprach sie wieder.

»Hab Geduld mit mir, du Liebster. Ich sandte dir drei aufgeblühte Rosen. Die opferte ich dem Eros der Bühne. Dir aber, dem Manne, der mich beglückt, bringe ich mich selbst dar. Die Rosen sind dir entfallen und liegen nun welkend dort in dem Mondstreif. Mögen sie vergehen! Es gibt deren mehr. Ich aber, ich bin nur einmal – und ich blühe dir entgegen. Küsse mich!«

Ihre ungezügelte Sinnlichkeit entflammte ihn. Er, der weder je ernstlich geliebt hatte, noch wirklich geliebt worden war, fühlte sich berauscht und hingerissen von der Naturgewalt ihrer Hingabe. Er vergaß alle Bedenken und sah nur das entflammte Weib, das in seinen Armen verging. –

Als tief in der Nacht Fabulla der Herrin beim Entkleiden im Cubiculum half, sagte sie mit einem Blick auf die das Schlafgemach mild erhellende Ampel aus äthiopischem Marmor: »Es ist nicht das einzige Licht, das zu dieser späten Vigilie noch im Hause brennt, Domina. Auch dein Gatte wacht noch. Soll ich ihm Bescheid sagen lassen, daß du zur Ruhe gegangen bist, damit er dich nicht stört?«

»Er liest von der Sehnsucht der Minervapriesterin Augé, die nicht vergessen kann, daß sie glücklich war,« erwiderte Messalina mit einem schmerzlich müden Lächeln. »Laß ihn in Frieden!«

Sie ließ sich auf das Lager nieder und duldete wie ein müdes Kind, daß die getreue, flinkhändige Fabulla sie mütterlich sorgsam in Decken hüllte. »Lösche die Ampel,« bat sie. »Ich will schlafen und – träumen!«

Kurz darauf verriet ihr regelmäßiger Atem, daß sie entschlummert war. Leise breitete Fabulla ein Bärenfell aus Rhaetia vor das Bett der Domina hin, um im Halbschlaf wachend die Ruhe der Herrin zu behüten. Einmal schreckten Schritte im Cavädium sie auf. Sie lauschte und machte sich bereit, wenn etwa Claudius käme, ihm den Zutritt zum Schlafgemach der Gattin zu verwehren. Doch der schlürfende Schritt des Alten entfernte sich. Der Stubenhocker Claudius begab sich nach seinem eigenen Cubiculum, nachdem er, Stunden um Stunden alles um sich her vergessend, mit eisernem Fleiße einen Berg von Wachstafeln mit Notizen bedeckt hatte, um sich auf den Besuch des Tragöden Paris und die Rezitation der Elegie vollkommen vorzubereiten.

Um die sechste Stunde nach Sonnenaufgang des folgenden Tages fand Paris sich ein, vom Hausherrn mit überschwenglicher Freude begrüßt. Nicht ohne Stolz stellte er den Besucher seiner schönen Gattin vor. Keine Bewegung, kein Blick verriet, daß sie einander kannten. Der getroffenen Abrede gemäß, sollte Messalina nur diesem ersten Besuche des Geliebten beiwohnen, nachher aber sich teilnahmlos fernhalten, um jeden Verdacht und Schein zu vermeiden.

Mit geschlossenen Augen lauschte Messalina der Deklamation. Sie ließ sich umschweben von der klaren, schönen, metallischen Stimme, die den holperigen Versen Musik und Klang verlieh und sich zur süß singenden Melodie steigerte, als der Dichter den Abschied des Herkules nach der ersten Begegnung mit Augé malte.

»Selige Nächte vergehen, doch auch der Tag muß ja enden,
daß uns die Nacht kehrt zurück.« Also sprach Augé zum Gatten.
»Wenn dann, geliebtester Mann, wieder dein Arm mich umfesselt,
bin ich aufs neu, wer ich war, als du zuerst mich beglücktest.«
Doch er schloß küssend den Mund ihr, flüsternd: »Du Liebste, allnächtlich
such' ich den Weg zum Altare, wo du die Gottheit des Glücks bist!«

Da die Worte des Herkules genau der Verabredung entsprachen, die Messalina und Paris für ihre Zusammenkünfte getroffen hatten, so hatte der Künstler die Stelle mit besonderem Feuer vorgetragen.

Da sagte Claudius: »In diesen Versen steckt der Kern zu meiner Tragödie! Denn Herkules verläßt die arme Augé, und sie wird sehr unglücklich.«

Ein erschrockener Blick Messalinas flüchtete zu dem Geliebten hinüber. Doch er stand mit einem siegreichen Lächeln auf den Lippen, die schöne, stolze Gestalt hochausgerichtet. Kaum merklich schüttelte er den Kopf. In diesem stummen Verneinen lag ein heiliges Versprechen. –


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