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9

Vom Vicus Patrius zweigte rechts eine kaum drei Schritt breite Gasse ab, die einen Durchgang nach dem Clivus Suburanus bildete. Zu beiden Seiten dieser Gasse standen alte, muffige Häuser mit oft so niedrigen Dächern, daß man nur gebückt durch ihre Türen schreiten konnte. Aber es war hell in der Gasse, da das Sonnenlicht ungehindert Zutritt fand.

Hier spielte mit frohem Lärme eine Kinderschar und unterbrach das muntere, laute Treiben nur, wenn aus einer der Haustüren ein schlampiges Weib trat und mit keifender Stimme Ruhe gebot. Doch die Mahnung hielt nie lange vor. Kaum zwei Minuten später schrillte das Jauchzen der Spielenden wieder auf.

Jetzt aber unterbrachen die Kleinen ihr wichtiges Unternehmen. Sie wandten ihre Neugier einem seltenen Anblick zu.

Ein fremder Mann durchschritt langsam die Gasse. Gehörte es an sich schon zur Seltenheit, daß jemand den Durchgang als Weg wählte, so fiel dieser Mann in der armseligen Gegend noch mehr durch seine reiche Kleidung auf.

Seine Tunika sowohl wie seine Toga waren aus feinem, blendend weißem Wollstoffe und von tadelloser Sauberkeit. Sicherlich gehörte er den obersten Ständen an. Obwohl er Haus um Haus musterte und seine Aufmerksamkeit darauf richtete, ein bestimmtes Gebäude herauszufinden, vergaß er doch nicht darauf zu achten, daß sein rechter Arm, der guten Sitte gemäß, stets von der Toga verdeckt blieb.

Endlich hielt er kopfschüttelnd an. Ein Zug von Ungeduld huschte über sein rundes, kluges Gesicht, in dem zwischen tiefen Falten die feisten Wangen wie Polster ruhten. Die gefurchte Stirn über der ziemlich kleinen Nase faltete sich noch reicher. Aus den seltsam klaren Augen sah ein tiefer Geist hervor, und um die genießerisch aufgeworfenen Lippen lagen die starken Falten des Grüblers. In stillem Ärger die Luft ausstoßend, fuhr der Fremde sich nervös über den völlig kahlen, seltsam gebuckelten Schädel. Er sah die Gasse aufwärts und abwärts und verbarg seinen Widerwillen nicht, zum Betreten solch schmutziger und armseliger Gegend genötigt zu sein.

Gerade wollte er sich mit einer Frage an die ihn stumm bestaunenden Kinder wenden, als aus der Tür eines etwas in die Gasse vorspringenden und reinlicheren Hauses ein junges Mädchen trat.

Sofort veränderte sich das Gesicht des Mannes. Er gab seine ärgerlich würdevolle Haltung preis, kniff die Lippen enger und betrachtete die jugendliche Erscheinung mit dem Schmunzeln des verwöhnten Genießers. Das war ein erfreulicher, unverhoffter Anblick in dieser Armseligkeit ringsum! Bei der jungfräulichen Diana, das war ein Anblick!

Das kaum gereifte Mädchen trug nichts als eine längst zu kurz gewordene Tunika. Die gutgewachsenen Beine waren bis weit hinauf zum zierlich starken Oberschenkel sichtbar. Nur ein schmaler Streifen hielt das ärmellose Gewand auf den Schultern, so daß die sanft gerundeten Achseln und die zartgeformten Arme sichtbar blieben. Ein Stück wollener Litze, die früher einmal rot gefärbt gewesen sein mochte, umspannte die Mitte des jugendlichen Oberkörpers und gab nicht nur dem jungen, kleinen Busen Halt, sondern zeichnete ihn auch scharf ab unter dem dünnen, abgetragenen, verblaßt blauen Stoffe.

Nachdem der Fremde den ebenso lieblichen wie verführerischen Anblick des Mädchens eingehend genossen hatte, ging er auf sie zu. Sonderbar beschwingte sich der Schritt des längst gealterten Mannes. Es war, als hätte die Anmut der jugendlichen Gestalt auch ihn selbst verjüngt. Er trat an das Mädchen heran und legte wie in väterlichem Wohlwollen seine welke Hand auf die Wölbung der warmen, glatten Schulter. Langsam an dem nackten Arme niederstreichelnd, grinste er die Kleine mit lüsternem Blicke an.

»Auch in der Gosse kann man einen Diamanten finden,« sagte er in jenem übertrieben liebenswürdigen Tone, mit dem er den vornehmen Damen seiner Gesellschaftsklasse eine Schmeichelei zuzuflüstern pflegte. »Doch, mein schönes Kind, ich suche vergeblich nach dem Hause des Seilers Cotys. Weißt du wohl, welches es ist in dieser winkligen Gasse?«

Mit einer scheinbar unbeabsichtigt leichten Bewegung entzog die Kleine sich gewandt der Berührung des Mannes. Ihr Blick betrachtete ihn mißtrauisch unter den halbgesenkten Lidern hervor.

»Du bist vor dem gesuchten Hause, Herr,« gab sie höflich Auskunft. »Es ist das meines Vaters. Doch wenn du einen Auftrag für ihn hast, mußt du ihn mir bestellen oder nach der Seilerbahn weit drüben auf dem Pagus Janiculensis gehen, wo er noch mit unserm neuen Gesellen arbeitet.«

Wohlgefällig hatte der Alte dem niedlichen Stimmchen und der wohlerzogenen Sprechweise des Mädchens gelauscht.

»Du bist eine Griechin, nicht wahr?« erkundigte er sich.

Sie warf stolz den Kopf in den Nacken: »Wir rühmen uns freier griechischer Herkunft.«

»Und wie ist dein Name?«

»Man nennt mich Pelopea.«

»Sieh da!« rief der Fremde unter einem meckernden, halblauten Lachen. »Hoffentlich bist du von besseren Sitten als deine Landsmännin Pelopea, die ihrem eigenen Vater einen Sohn gebar, der später den Agamemnon ermordete.«

Er tätschelte wieder ihre bloße Schulter und schäkerte: »Doch da dein Vater Seiler ist, wird er sich wohl nicht selbst den Strick drehen mögen, sondern andern die Süße deines Körpers gönnen.«

Zwar verstand Pelopea nicht völlig den Sinn dieser schmutzigen Andeutungen, doch sie errötete unwillkürlich. Ihre Augen blitzten zornig. Diesmal erwiderte sie nichts, sah nur mit abweisendem Hochmut in das Faunsgesicht des Mannes. Dann drehte sie sich kurz um und wollte ins Haus eilen.

»Verweile,« bat der Alte, ihr nachhastend und einen Zipfel ihrer kurzen Tunika ergreifend.

»Berühr mich nicht! Mir ekelt vor deiner Hand!« stieß Pelopea heftig hervor und trat mit dem Fuße nach dem Fremden.

Lachend scherzte er: »Ah, die junge Stute schlägt aus! Nur zu! Nichts reizt den Gaumen mehr, als wenn junges Fleisch stark gepfeffert ist. Auch du wirst noch zahm werden, mein schönes Füllen.«

Pelopea hatte Tränen in den Augen, als sie trotzig gebot: »Sag mir deinen Auftrag für meinen Vater und verlasse unser Haus.«

Der Alte strich über sein Kinn. »Wegen eines Auftrages für deinen Vater komme ich nicht. Aber ich will dir ein Wort sagen, das vermutlich auch dir erklärt, wem mein Kommen gilt.« Er beugte sich ihr näher und flüsterte: »Lycisca.«

»Du kennst die Losung, also folge mir,« antwortete Pelopea kurz und ging tiefer ins Haus hinein.

Nach wenigen Schritten betrat sie einen schmalen finstern Gang und bat den Fremden, sich gleich ihr an der Wand entlangzutasten. Eine Sekunde blieb sie stehen, um zu lauschen, ob er ihr nachkäme. Da hörte sie auch schon sein erregtes Atmen dicht an ihrem Ohr. Im nächsten Augenblick fühlte sie sich umschlungen und spürte den feuchten, vollen Mund auf ihren Lippen. Als der Mann sie wieder freigab, stieß sie einen Schrei des Ekels aus und wehrte sich mit ihrer jungen Kraft gegen die Frechheit seiner Zudringlichkeit. Da erhellte sich plötzlich der Gang, an dessen Ende ein schwerer Türvorhang zurückgeschlagen worden war.

»Was gibt es?« fragte eine Männerstimme.

Dem Mädchen war es gelungen, sich aus der Umarmung des Alten zu befreien. Sie schlüpfte unter seinem Arm hindurch, versetzte ihm einen Stoß in die Seite und flüchtete den Weg zurück. Der Fremde taumelte ungewollt der Helle entgegen.

»Fürwahr, dein Besuch beginnt nicht deiner philosophischen Ruhe und Würde entsprechend, Freund Seneca,« lachte Polybius, indem er den Stolpernden auffing.

Seneca rieb sich ächzend die Seite. »Beim Herkules, wer hätte der spröden Nymphe solch eine Faust zugetraut!«

»In den Winkeln der Armut ist die holde Weiblichkeit nicht so zugänglich wie im Glanze des Palatiums,« belehrte der Grieche.

Er schritt voran in das notdürftig ausgestattete Gemach. Es empfing sein karges Licht durch eine schräge Dachluke, die mit einer außen angebrachten, jetzt geöffneten Klappe verschließbar war. Seneca sah sich kopfschüttelnd in der Stube um und nahm, da eine andere Sitzgelegenheit fehlte, auf der ärmlichen Lagerstatt Platz. Für sich selbst zog der Grieche ein wackeliges Dreibein herbei.

»Hier also hausest du seit Wochen nach aller Bequemlichkeit und Pracht deiner Gemächer im Palatium und deines Landhauses auf dem esquilinischen Hügel?« nahm Seneca erstaunt die Unterhaltung auf.

»Lerne, o Philosoph, daß der Wille zum Leben stärker ist als die Liebe zur Bequemlichkeit,« belehrte Polybius lächelnd.

»Hoffe nicht, daß ich dir günstige Nachrichten bringe,« bedauerte Seneca. »Der von dir so sehnlich erwartete Umsturz in der Regierung steht noch in weiter, weiter Ferne. Claudius sitzt fest im Sattel. Und deine drei Freunde Narzissus, Pallas und Callistus bemühen sich, dieses Principat zu einem der segensreichsten für Rom zu gestalten.«

»Sie handeln damit in meinem Sinne,« lobte Polybius ruhig. »Das schlösse allerdings nicht aus, daß meine Freunde auch unter einem andern Princeps das Gleiche täten.«

Nach kurzem Schweigen setzte er, traurig aufseufzend, hinzu: »Narzissus und Pallas haben anscheinend die Freundschaft für den Freund vergessen, wie auch die Dankbarkeit gegen den Mann, der sie aus dem Nichts hervorzog. Von Callistus freilich verlange ich nichts – er war eine Kreatur des Cäsars Caligula und wandelte sich mit erstaunlicher Geschmeidigkeit zu einer Kreatur des Imperators Claudius.«

»Vielmehr zu einer Kreatur deiner beiden Freunde,« verbesserte Seneca. »Denn ohne sie wäre er nach deinem Verschwinden von der Höhe in das Nichts versunken.«

»Und Agrippinas Pläne?« fragte Polybius plötzlich lebhaft.

Seneca zuckte die Achseln. »Trotz des riesigen Vermögens, das sie von ihrem Gatten Passienus erbte, glückt es ihr nicht, eine Partei gegen den Cäsar zu bilden. Man ist in Rom mit seiner Regierung zufrieden und freut sich der Ruhe, die sie in alle Kreise des Volkes trug. Auch ist Messalinas Einfluß weit stärker als der ihre. Deine Freunde stehen zur Kaiserin. Narzissus ist bei ihr sogar wieder in besonderer Gunst, nachdem ihr die Freude an Seitensprüngen durch den Mord an Lycisca vergällt wurde. Und deine Freunde sind vorsichtig geworden, seit sie aus dem über dich verhängten Todesurteil gelernt haben, was diese listige Frau durchzusetzen vermag.«

»Ich hätte es nicht mit ihr verderben sollen,« bedachte trübsinnig der Grieche. »Sonderbar, daß gerade ich selbst das tat, wovor ich meine Freunde immer wieder gewarnt habe: sich gegen Messalina zu kehren.«

Er grübelte eine Weile stumm vor sich hin, ehe er grollte: »Ich habe von Agrippina mehr Tatkraft erwartet.«

»Sie sucht der List mit List zu begegnen. Das erfordert immer ein geduldiges Spiel im verborgenen. Schließlich führt ja auch das einmal zum Ziele. Zur Zeit verleitet sie durch einen geradezu phantastischen Aufwand Messalina zu gewaltigen Ausgaben, sie finanziell zu ruinieren und in die Hände von Wucherern zu treiben. Damit hofft sie, den Sturz der Kaiserin herbeizuführen. An ihren Sturz durch finanzielle Verlegenheiten, glaube ich persönlich freilich nicht recht. Doch zu peinlichen Verwickelungen für Messalina mögen sie immerhin führen.«

»Jedenfalls führen mich derlei Wege nicht zur ersehnten Freiheit,« klagte Polybius.

Seneca nickte philosophisch gelassen. »Kaum. Die Freiheit kannst du nur erlangen, wenn es glückt, die Kaiserin aus dem Leben des Cäsars zu verdrängen.«

»Und das ist so schwierig?« verzweifelte der Grieche erregt.

»Sogar kühne Mittel versagen,« versicherte Seneca. »Daß die Natur selbst eingreift, um Agrippinas Pläne zu verwirklichen, steht nicht zu erwarten. Claudius ist alt, aber von zäher Gesundheit geworden, seitdem er als Kaiser sich zu pflegen vermag. Daß deine Landsleute dir helfen, ist eine eitle Hoffnung. Sie sind ebensosehr dem Einflusse Messalinas untertan, wie Messalina selbst von ihnen beherrscht wird. Eine höchst eigenartige, sehr interessante Wechselwirkung! Es reibt hier weder hart auf hart, noch hart auf weich. Dasselbe Wasser treibt zwei Mühlen zugleich, und jedem der Müller wird sein Korn gemahlen, da es dem einen nie gelingt, dem andern das Wasser abzugraben. Hier findet das Wort, das ich von Epicharmos übernahm, volle Geltung: eine Hand wäscht die andre.«

Polybius versank in düsteres Schweigen.

Seneca suchte ihn zu trösten.

»Agrippina gewinnt freilich täglich an Ansehen,« hob er wieder an. »Sie genießt bei der breiten Masse des Volkes mehr Sympathien als die Kaiserin. Man kennt nur eine glückliche Messalina, die in Pracht, Wohlleben und neuerdings auch in der Liebe schwelgt. An ihr haftet also nichts, was das Mitleid der Plebs erregen könnte. Anders Agrippina. Man sah sie mit wenigen zerlumpten treuen Dienern im Trauergewande durch Rom pilgern und die Aschenurne eines teuern, wirklich tiefbetrauerten und auch vom Volke bedauerten Toten schleppen. Dieses Bild ist dem Volke unvergeßlich geblieben.«

Polybius nickte vor sich hin. »Die schlaue Rechnerin! Der Eindruck war dem Cäsar Caligula zugedacht und wirkte zugleich nach allen Seiten.«

»Ferner ist die Liebe der Mutter zu ihrem Sohne Nero sprichwörtlich in Rom,« fuhr der Philosoph fort, »während Messalina sich nur wenig um den Thronerben Britannicus kümmert, mit dem sie den wackern Claudius beglückte. Darauf nun baute Agrippina einen Plan. Einen Plan, dessen Wirkung selbstverständlich nur auf das ebenso leicht- wie abergläubische Volk berechnet war. Agrippina ließ im Bettchen Neros eine Schlangenhaut finden. Als alle möglichen Menschen sich von dieser Tatsache überzeugt hatten, ließ die schlaue Rechnerin – wie du sie nennst – durch einen erkauften Mann, dessen rechtzeitige Flucht man natürlich glücken ließ, die Schauermär verbreiten, er sei von Messalina zur Ermordung Neros gedungen worden. Doch als er die Waffe gegen den schlafenden Knaben zückte, habe ihn eine aus den Kissen sich aufbäumende Schlange verscheucht.«

»Das sollte vermutlich ein Zeugnis sein für die göttliche Abstammung des Kleinen,« warf Polybius ein.

»Natürlich. Doch auch ein Zeugnis, daß Nero auf Grund seiner göttlichen Abstammung weit mehr als Messalinas nur allzu erdgeborenes Söhnchen Britannicus dereinst berufen sei, den Sessel des Imperators einzunehmen. Sie arbeitet auf lange Sicht, die ehrgeizige Agrippina. Das Volk glaubt an diesen ebenso verwunderlichen wie kindlich legendenhaften Unsinn und schwört auf dessen Wahrheit. Dennoch regt es sich noch nirgends gegen die angebliche Attentäterin Messalina.«

»Immerhin hat Agrippina wohl erreicht, daß die ihr entgegengebrachten Sympathien neue Nahrung erhielten,« urteilte Polybius.

»Allerdings. Aber die Kaiserin in ihrem unbekümmerten Lebensfrohsinn macht sich nichts daraus. Ihre Zuversicht zum Leben baut sich nicht auf derlei weit hergeholte Listen, die den Klugen im Palatium und in Rom bloß ein Lächeln abnötigen. Ihre Lebenszuversicht hat zum Fundamente nur den einen und allein richtigen Grundsatz: »Ich lebe – also lebe ich! Diesem Prinzip huldigt sie mit einer unbewußten Selbstverständlichkeit, die mir Bewunderung abnötigt. Sie wäre wahrlich der Freundschaft eines Seneca wert!«

»Aber leider haßt sie dich,« höhnte Polybius.

»Keineswegs persönlich,« stellte Seneca richtig. »Sie haßt in mir nur den moralisierenden Philosophen. Ich wagte einmal, sie auf ihren leichtfertigen Lebenswandel hinzuweisen. Dabei sagte ich, was das Gesetz nicht verbiete, verbiete bisweilen der Anstand. Sie ist nicht gescheit genug, den Sinn dieser Bemerkung zu erfassen. Sie hörte nur heraus, ich sähe in ihr eine unanständige Frau. Das verzieh sie mir nicht. Dabei unterscheide ich scharf zwischen Philosophie und Leben. Das eine ist eins und das andere etwas anderes. Ich bewundere die Kühnheit dieser leidenschaftlichen Frau. Denn ich weiß: nur den Mutigen leiten die Geschicke vorwärts, den Feigen schleifen sie hinter sich her.«

Polybius achtete nicht auf des Gelehrten Geschwätz. »Agrippina errang also einen Vorteil über die Kaiserin,« rief er. Nur das interessierte ihn. Dann schalt er erbittert. »Und dennoch nützt sie ihn nicht aus?! Warum wagt sie sich nicht weiter vor, nachdem die hübsche Schlangengeschichte Eindruck gemacht hatte?«

»Weil Messalina zu der Angelegenheit schweigt,« erklärte überlegen der Philosoph. »Sie reizt den Zorn des Volkes nicht durch Entgegnung oder Verteidigung. Sie kennt den alten Erfahrungssatz, daß aller Zorn verraucht, sofern man ihm nicht Nahrung reicht. Agrippina aber tat einen Schritt weiter. Sie ließ die Schlangenhaut in Gold fassen und hängte sie dem Knaben als Amulett um den Hals, damit jeder nach dessen Bedeutung frage. Nur leider, die wenigsten fragen. Und so verstummte die Legende fast völlig.«

Gequält schrie Polybius auf: »Wie lange soll ich hier noch schmachten zwischen Leben und Tod?! Wie lange wird Messalina ihr ruchloses Treiben noch fortsetzen?!«

Seneca zog langsam die Schultern hoch.

»Nicht immer werden Festtage für sie sein. Aber sie weiß die festlichen Tage klüglich zu nutzen. Das Ende ist schwer abzusehen. Sie lernte durch das Leben. Und, mein Lieber, es gibt keinen besseren Lehrmeister. Daher erscheint sie uns vom Glücke begünstigt, scheint sie dem Glücke zuzuschreiten. Doch auch der Weg dem Glücke entgegen ist nicht frei von Steinen, über die der Fuß strauchelt, nicht frei von Gruben, in die man unbeabsichtigt treten kann, um schließlich doch zu stürzen.«

Polybius erhob sich mißmutig.

»Also um mir eine Schlangenlegende zu erzählen, um mir mit sentenziösen Redensarten aufzuwarten, bist du gekommen?!«

»Ich kam vor allem aus Neugier zu sehen, wie der lebendige Tote oder der tote Lebendige eigentlich lebt,« gestand der Philosoph freimütig und sah sich in dem ärmlichen, dürftigen, halbhellen Gemache um. »Ich finde dich in Armut, doch in Sicherheit. Kein Häscher des Claudius oder der Messalina vermutet dich hier. Dessen bist du um so gewisser, als man glaubt, du hättest Selbstmord begangen. Doch ich kam auch in der Absicht, dir durch den Besuch eines verschwiegenen Freundes Trost zu spenden und dich zur Geduld zu ermahnen. Das Gleiche läßt dir Agrippina sagen.«

»Statt der Tat leere Worte!« schnaubte der Grieche. »Diese Frau hat mich tief enttäuscht. Auf ihren Erfolg hatte ich meine Zukunft gebaut!«

»Erbaue dich an der Glorie deiner Landsleute,« tröstete Seneca den Entmutigten etwas vag. »Sie verstehen es, die menschlichen Schwächen ihrer Umgebung wundervoll auszubeuten. Was Rom euerm Vaterlande und euch als Männern nahm, gewinnen sie zurück oder rächen sie wenigstens. Daß ein römischer Kaiser dabei zur Rolle der leblosen Gliederpuppe verurteilt ist, das laß deinen Trost sein. Daß sie die Kaiserin bei diesem Spiele zur Helferin zwangen, sollte diesen Trost verstärken für dich, der du ein Grieche und ein von Rom Vergewaltigter bist. Dein Triumph über Rom ist vorläufig zwar in Trauer gehüllt. Doch Freude bleibt Freude, auch wenn sie unter Tränen lächelt.«

Der Grieche schüttelte, wenig freudig, das Haupt.

Da drückte Seneca dem Schweigenden die Hand und fragte: »Was soll ich Agrippina ausrichten?«

»Nichts,« antwortete Polybius zürnend kurz.

»Schade,« bedauerte der Römer. »Ich hätte ihr gern recht viel berichtet, denn – – nun ja, man ist Mensch! Ich verweile gern in ihrem Hause. Die hübsche Livilla zieht mich an. Und ich möchte nicht, daß Agrippina die wahre Ursache meiner häufigen Besuche entdeckt. Ich muß daher Teilnahme an ihren ehrgeizigen Plänen zum Sturze der Kaiserin heucheln.«

Polybius verglich im stillen die Angejahrtheit des Philosophen mit der frischen Schönheit der Julia Livilla. Seneca bemerkte den Blick.

»Du wunderst dich,« sagte er lächelnd. »Die bedauernswerte Livilla gestand mir, daß Agrippina sie zwingen wollte, mit dem wackern Claudius zu liebäugeln. Sie rettete sich in meine Arme. Jawohl, Freund, in meine schützenden Arme. Es ist mir gelungen, Agrippina zu überzeugen, daß es ein Fehler wäre, Livilla diesem alten Jammerlappen von Kaiser hinzuwerfen.«

Er zog die Luft durch die genießerisch gespitzten Lippen und lächelte hämisch: »Im übrigen, da wir gerade von hübschen Mädchen sprechen, die Tochter deines gastfreundlichen Beschützers, jene Pelopea, ist es schon wert, daß ich dir öfter einmal Gesellschaft leiste.«

»Ich warne dich vor dem Seiler Cotys,« entgegnete Polybius ernst. »Er ist nicht der Mann, geduldig zuzusehen, wie seine Tochter von einem Vornehmen belästigt wird. Cotys ist ein Freigeborener gleich dir. Auch ist Pelopea fast noch ein Kind und wird den Zärtlichkeiten eines Mannes in deinen Jahren kaum Geschmack abgewinnen.«

»Pah – um geliebt zu werden, braucht man nur zu lieben,« belehrte der Philosoph.

»Das ist die Moral des Mannes, der allen andern Menschen Moral predigt und öffentlich lehrt, reich sei nur, wer arm an Begierden!« warf Polybius spöttisch hin.

»Es ist allgemein menschlich, bloß die Fehler unsrer Mitmenschen zu sehen, gegen die eigenen Fehler aber uns zu verschließen – unabsichtlich oder auch absichtlich. Und ich bin sehr menschlich,« bemerkte Seneca zynisch, »jedenfalls bin ich kein Kostverächter. Die Liebe aber ist ein Mahl, das oft desto besser mundet, je einfacher es zubereitet ist. Man schwelgt in Rom zuviel in weithergebrachten, raffinierten Leckerbissen. Da kann der bürgerliche Speltbrei des Quiriten schon einmal zum köstlichen Gaumenkitzel werden.«

»Tu, was du willst, ich habe dich vor Cotys gewarnt,« erwiderte ärgerlich der Grieche. »Vergiß aber bitte nicht, daß eine Torheit von deiner Seite mein Versteck verraten könnte.«

»Unbesorgt, dein Wohl geht mir schließlich über die Gelüste meines alternden Leibes,« versprach Seneca. Doch er konnte sich nicht enthalten hinzuzufügen: »Du verlangst allerdings von mir ein großes Opfer. Denn ich bin der Überzeugung, daß sich verjüngt, wer sich mit Jugend paart.«

Er umarmte den verstummten Polybius und verließ das Gemach. Vorsichtig tastete er sich durch den finstern und engen Flur. Doch wenn er gehofft hatte, Pelopea nochmals zu sehen, so ward er enttäuscht.

Die Kleine war geflüchtet, als sie das Nahen des Alten vernommen hatte. Hinter dem Türwinkel des Nachbarhauses hervor beobachtete sie, wie Seneca in würdiger Haltung die Gasse durchschritt. Doch wagte sie sich hervor, als zwei Männer den Durchgang betraten. Mit den leuchtenden Augen des kindlichen Weibes, das zum erstenmal die Neigung zu einem reifen Manne durchlebt, sah sie dem Gesellen des Vaters entgegen, der in Begleitung seines Meisters Cotys des Weges kam.

Der Geselle war ein Mann von hohem Wuchse und stolzer Haltung, um mehr als Haupteslänge seinen griechischen Begleiter überragend. Ein ärmliches, sauberes Gewand umhüllte die kraftvollen Glieder. Rotblond wallte ihm der Bart auf die starkgewölbte Brust. Das lange Haupthaar trug der Hüne sonderbar frisiert. Ein Lederriemchen umschloß den auf dem Wirbel zusammengerafften Schopf, der wie ein goldleuchtender Busch vom Hinterhaupte niederhing.

Auch dem Philosophen Seneca fiel die fremdartige Erscheinung auf. Er gewahrte, daß er einen Germanen vor sich hatte. Verwundert, einen Nordländer in dieser Gasse Roms zu sehen, blieb er einen Augenblick stehen und blickte den beiden Männern nach.

»Sieh dich nicht nach dem Togamanne um,« flüsterte Abalanda dem Seiler zu. »Ich kenne ihn, möchte aber nicht erkannt sein. Was mag er in dieser Handwerkergasse suchen?«

Cotys senkte den Blick und schwieg. Er durfte dem ihm zum Freunde gewordenen Gesellen nicht gestehen, daß sich in seinem Hause ein Mann verborgen hielt, dem höchstwahrscheinlich der Besuch des vornehmen Römers gegolten hatte.

»Dort steht Pelopea und freut sich, dir den Abendgruß zu bieten,« sagte er ablenkend.

Abalanda nickte dem Mädchen freundlich entgegen, als sie jetzt kam und ihm die Hand bot. Er liebkoste die erglühenden Wangen ihres hübschen Gesichtchens und ließ seine Hand kurz auf ihrem gelockten Scheitel ruhen. Doch mehr als ein Kind sah er noch nicht in ihr.

»Tritt bei uns ein,« bat Pelopea schüchtern.

»Ich bin zu müde heute,« lehnte er ab. »Das lange Hinundherschreiten auf der Seilerbahn will erst gelernt sein.«

Er verabschiedete sich vom Meister, dann ergriff er nochmals die Hand des fast weinenden, mit gesenktem Haupte trauernden Mädchens.

»Sei nicht mißmutig,« bat er und legte freundschaftlich den Arm um ihre Schulter. »Morgen nach der Arbeit komme ich bestimmt zu euch. Dann erzähle ich auch wieder von meiner armen, wilden Heimat.«

Pelopea war erblaßt unter seiner Vertraulichkeit. Einen Augenblick drängte sie sich fester in die Umschlingung. Dann entzog sie sich ihm rasch und eilte ins Haus.

Abalanda schritt ein kurzes Stück weiter die Gasse hinauf. Dort bewohnte er ein billiges Mietsquartier.


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