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13

Die Furcht vor ungerechten Bluturteilen war in Rom wieder wie zu den Zeiten des verrückten Caligula wach geworden. Hochstehende, vor allem reiche Männer waren ihres Lebens nicht mehr sicher. Die Fälle mehrten sich, in denen eine Anklage erhoben, kaum verhandelt und mit der Hinrichtung des Angeklagten beendet wurde.

Man prägte in Rom das Wort: Es genügt, ein reicher Römer zu werden, um auch schon ein toter Römer zu sein.

Als Claudius, nun völlig beherrscht von Messalina als der Mutter seiner beiden Kinder, in kurzer Zeit nicht weniger als dreißig Senatoren hinrichten und deren Vermögen der Kaiserin als der Anklägerin zusprechen ließ, erhoben sich endlich die Stimmen des Zornes aus dem Schweigen der bleichen Angst.

Man machte dem Cäsar den Vorwurf, die guten Grundsätze der ersten Zeit seiner Regierung seien nichts als tückische Heuchelei gewesen. Jetzt zeige er seine wahre Natur. In arglistiger Güte und Gerechtigkeit habe er das Principat gefestigt, um es nun um so gründlicher zu mißbrauchen.

Schon gärte es heimlich in Rom. Da wurde eine Verschwörung aufgedeckt, die noch einmal des Kaisers Furcht vor Anschlägen auf sein Leben und seine Herrschaft, sowie sein grausames Vorgehen gegen Verdächtige zu rechtfertigen schien.

Aus vielen Provinzen kamen Nachrichten von einer versuchten Empörung gegen die Regierung. Es waren Sensationsmeldungen. Nur einer hatte die Erhebung wirklich gewagt: Scribonianus, der Statthalter von Dalmatien, der offen dem Kaiser den Gehorsam kündigte.

Narzissus war es, der diese Meuterei niederschlug. Er sandte Boten mit reichen Geldgeschenken an die Truppen. Sie ließen sich bestechen. Die Legionen weigerten den Gehorsam, als Scribonianus den Marsch gegen Rom befahl. Der Statthalter entfloh nach der Insel Issa, wo er, verlassen von allen, sich das Leben nahm. Der Kaiser zeichnete die schmählich erkauften Truppen in Dalmatien aus, indem er ihnen den Ehrennamen der getreuen claudischen Legionen verlieh.

In Rom aber wütete der Princeps gegen jeden, auf den nur der Schatten eines Verdachtes fiel, an der Verschwörung des Scribonianus irgendwie beteiligt gewesen zu sein. Claudius ließ die Verurteilten mit Ketten beladen auf dem Forum ausstellen, dann hinrichten und die Leichen die Verbrecherstiege Gemoniae, die steile Felstreppe am Abhange des Aventin, hinabstürzen. Da sich bei der Richtstätte das Standbild des Kaisers Augustus erhob, befahl Claudius, während der Hinrichtungen die Statue auf ihrem Postamente umzudrehen, damit das Abbild des mildesten Herrschers der Erde davor bewahrt bleibe, das Blutvergießen mit anzusehen.

Doch ganz Rom sah in dieser albernen Anordnung nur den allmählich sich steigernden Schwachsinn des Imperators.

Nach diesen Ereignissen trat Schweigen und Ruhe ein.

Messalina hatte darauf gedrungen, dem Morden ein Ende zu machen. Alle Welt pries die »milde« Kaiserin und lobte den Mut, mit dem sie eingriff, die noch schwebenden Anklagen niederzuschlagen und eine große Anzahl Begnadigungen zu erwirken.

Agrippina, die schon auf dem Sprunge gestanden hatte, die blutrünstige Gelegenheit zu ihren oder ihres Sohnes Nero Gunsten auszubeuten, sah sich abermals zum Abwarten verurteilt. Sie spielte die um die ermordete Livilla trauernde Schwester und hielt sich voll wütendem Ingrimm in ihrer Villa verborgen.

Doch dem »mutigen« Eingreifen Messalinas war eine seltsame Unterredung zwischen ihr und Callistus voraufgegangen.

»Herrin,« hatte der frühere Freund Caligulas gesagt, »ich habe deine Einnahmen der letzten Zeit zusammengerechnet. Der große Fischzug, der uns mit der Anklage gegen die dreißig Senatoren glückte, brachte auf deinen Anteil ebensoviele Millionen Sesterzien. Aus den Nachwehen der scribonianischen Verschwörung erzieltest du eine Einnahme von ungefähr sechs Millionen – hm, sagen wir – freiwilliger Entäußerungen jener, deren Begnadigung durchzusetzen du die Güte hattest. Ich würde dir raten, vorläufig Ruhe eintreten zu lassen und dich mit dem Errungenen zu begnügen.«

Nur widerwillig hatte die Kaiserin diesen Rat entgegengenommen.

»Du berechnest die Einnahmen,« sagte sie kühl. »Die Ausgaben ziehst du nicht in Betracht.«

»Ausgaben?« hielt Callistus ihr entgegen, sein schlaues Gesicht zu grenzenlosem Staunen verziehend. »Ich meine, sechsunddreißig Millionen Sesterzien sind doch wohl eine Kleinigkeit, mit der man mancherlei Ausgaben bestreiten kann.«

»Plautius Lateranus begehrt für seinen Palast auf dem Mons Cälius schon allein sechs Millionen Sesterzien,« warf Messalina hin. »Das bedeutet ein Sechstel meines mühsam erworbenen Vermögens.«

Der Grieche staunte aufs neue. »Ah, du willst dem Senator Lateranus seinen Besitz abkaufen?«

Unwirsch fuhr ihn die Kaiserin an. »Ich bin es müde, nichts zu besitzen als meine Räume im Palatium, das nicht mein Eigentum, sondern Staatsgut ist! Du selbst, Pallas und Narzissus – ihr alle verfügt über Grundbesitz und Paläste – und fast jeder Reiche in Rom. Auch Lateranus hat noch andere ausgedehnte Besitzungen droben im Norden der Stadt. Warum soll ich allein immer zurückstehen?!«

Callistus schwieg einige Sekunden.

»Hohe Frau,« begann er dann, »gedenkst du dich mit Plautius Lateranus wirklich durch regelrechten Kauf zu einigen?«

»Selbstverständlich. Was soll diese törichte Frage?«

Er nickte vor sich hin. »Dann bin ich beruhigt. Ich dachte, du hättest vorhin meinen Rat überhört. Plautius Lateranus zählt nämlich zu jenen Senatoren, die man besser ungeschoren läßt. So gerne ich dir sonst behilflich bin, es dürfte fast unmöglich sein, gewichtige Zeugen gegen ihn aufzubringen.«

»Aber ich denke in diesem Falle wirklich nicht an Verdächtigung und Anklage,« versicherte Messalina lebhaft.

»Verzeih mir, Gebieterin,« murmelte er demütig. »Jedoch du hast dich mit so viel zähem Willen und mit so bewundernswerter Begabung unseren gemeinsamen – nun, wie soll ich es nennen! – hm – Geschäften angepaßt, daß ich auch in diesem Falle –«

Sie unterbrach ihn durch ein schrilles Lachen.

»Daß du auch in diesem Falle hofftest, mich schröpfen zu können. Nein, mein Freund, darauf baue diesmal nicht! Es soll alles redlich zugehen, denn Lateranus gefällt mir – gefällt mir sehr. Ich wünsche nichts so lebhaft, als ihn mir zum Freunde zu machen. Immerhin will ich dir versprechen: gelingt es dir, die Forderung des Senators herabzudrücken, so sollst du einen Teil dessen erhalten, was ich am Kaufpreis erspare.«

»Ich vermute, der Mann fordert eine so ungeheuerliche Summe nur deshalb, weil er überhaupt nicht verkaufen will, jedoch nicht den Mut hat, dir deinen Wunsch abzuschlagen.«

»Auch möglich,« gab Messalina achselzuckend zu. »Dann laß es deine Sorge sein, daß er sich eines besseren besinnt.«

»Ist das ein Befehl, Domina?« sicherte sich der Grieche vorsichtig.

»Was sonst?« antwortete sie kurz und herrisch.

»Hast du bereits mit ihm selbst verhandelt?« forschte Callistus weiter.

»Nein – nur durch Pallas. Ich habe ihn bisher überhaupt nur flüchtig gesehen. Und wünsche ihn kennenzulernen, da mir über Vorzüge berichtet wurde, die ich – gern selbst erproben möchte.«

Ein freches Grinsen verbreitete sich über die scharfen Züge des Griechen. Allmählich wurde ein gemeines Lächeln daraus. Er leckte seine Lippen, spitzte den Mund und rieb sich die Hände. Dabei sah er die Kaiserin verständnisinnig an.

»Nun, Gebieterin,« sagte er leise, »Lateranus besitzt allerdings nicht nur den schönen Palast auf dem Mons Cälius, er verfügt auch sonst über schätzenswerte Dinge, die einer vereinsamten Frau, wie du es in der Ehe bist, schon erstrebenswert erscheinen mögen. Also ich werde tun, was sich irgendwie machen läßt. Nur, Gebieterin, du wirst dich etwas gedulden müssen.«

Er verbeugte sich unterwürfig und zog sich zurück.

Nach einigen Tagen fand sich Plautius Lateranus im Palast ein und ließ die Kaiserin um eine Unterredung bitten.

Er war ein stattlicher Mann am Ende der Dreißiger, von kräftigem Wuchse, mit etwas kurzem Nacken, über dem sich der mit vollem, dunkelm Haare bedeckte, eindrucksvolle Kopf erhob. Mit blanken Augen betrachtete er Messalina, ein fremdartiges Lächeln um den sinnlichen Mund mit den energisch geschlossenen Lippen.

Die Kaiserin war durch Callistus auf diesen Besuch vorbereitet worden. Sie trug eine amethystfarbene Stola über der weißen Tunika, beide Gewandteile aus äußerst feinem, fast schleierdünnem Gewebe, das, dicht angeschmiegt, an ihren Gliedern herabfloß und die aufreizende Form ihres Körpers mehr zur Schau stellte als verbarg.

»Verzeih mir, erhabene Domina,« eröffnete Lateranus nach kurzem Schweigen das Gespräch. »Wenn ich deine kostbare Zeit in Anspruch nehme, so geschieht es nur, einen Irrtum aufzuklären. Ich traf in den Bädern zufällig Callistus, der mir berichtet, du wärest der Meinung, ich stellte eine übermäßig hohe Forderung für mein Haus und meine Gärten auf dem Mons Cälius, um einen Käufer abzuschrecken. In gewissem Sinne ist deine Meinung ja auch richtig. Aber natürlich gilt die Abschreckung nicht dir gegenüber.«

Messalina sah ihn mit ihrem bezaubernden Lächeln an.

»Du weißt, daß es nur eines Wunsches von mir und eines Winkes des Cäsars bedürfte, um eine Überforderung im Kaufpreis in die Grenzen des Berechtigten oder – – in ein – Nichts zurückzuweisen,« sagte sie in leichtem Scherze. »Vorausgesetzt natürlich, du hättest überhaupt die Absicht, deinen Besitz auf dem Mons Cälius zu veräußern.«

»Aber selbstverständlich, hohe Frau, habe ich diese Absicht!« rief der Senator lebhaft. »Ich bin sogar bereit, den Kaufpreis wesentlich herabzusetzen. Doch keineswegs, weil ich zuviel gefordert habe, um mich zu bereichern, sondern weil ich, wie gesagt, unliebsame Käufer abschrecken wollte. Nun aber hat Callistus meinen Verdacht zerstreut. Ich vermutete nämlich, daß jemand deine bekannte erhabene Güte ausnützen und dich nur als Mittelsperson verwenden wollte, meinen Besitz an sich zu bringen. Es gibt so viele fremde Elemente in Rom, die aus Grund erworbener Bürgerrechte schon manchen wertvollen Besitz an sich gerissen haben, der besser in alteingesessenen römischen Familien verblieben wäre. Manch einer hat den Verkauf nachträglich bereut, wenn er entdeckte, an wen er in Wahrheit verkauft hatte. Diese Ausländer verstecken sich gewöhnlich hinter einflußreiche römische Persönlichkeiten, denen der Besitzer einen Kaufpreis nennt, der nur unter Römern angemessen ist. Man darf diese Verschleppung römischen Besitzes in fremdländische Hände nicht unterstützen. Von diesem Prinzip ausgehend, bemaß ich den Wert meines Hauses.«

Die Kaiserin hatte den wortreichen Erguß geduldig angehört. Sie wußte, im allgemeinen war, was er sprach, wahr. Aber sie erriet auch aus dem Überschwang seiner Erklärung die besondere Verlegenheit, mit der Lateranus sich zu entschuldigen suchte.

»Machen wir es kurz,« sagte sie freundlich und warf dem Manne begehrliche Blicke zu. Er gefiel ihr in der Nähe noch besser als im flüchtigen Begegnen.

»Wie viele Millionen läßt du nach, jetzt, da ich dir bündig erklärt habe, daß nur ich persönlich die Käuferin bin?«

»Würdest du gestatten, in den Kaufvertrag eine Klausel aufzunehmen, die dich bindet, im Falle einer Weiterveräußerung nur an mich selbst wieder zu verkaufen, hohe Gebieterin?«

»Ohne Besinnen!«

Lateranus schien aufrichtig erfreut, als er sagte: »Es gereicht meinem Geschmack nur zur Ehre, wenn die Kaiserin der Welt mein Haus zu bewohnen wünscht. Ich setze den Kaufpreis also auf drei Millionen endgültig fest.«

»Ich werde sie zahlen.«

Der Senator verneigte sich dankend.

»Ich werde morgen das Haus besichtigen,« sagte Messalina, »ich habe es bisher nur von außen bewundert.«

»Es wird mir, der es mit Sorgfalt und Liebe einrichtete, ein Stolz sein, dir alle Einzelheiten zu zeigen. Gärten und Gebäude bergen in mancher Hinsicht Wunder.«

»Du sollst sie mir weisen.« Sie lächelte verheißend und zweideutig.

Lateranus trat ihr einen Schritt näher, beugte sich zum Handkusse nieder und stieß hervor: »Die Götter haben mir ihre Gunst zugewendet! Es wird für mich und mein Haus ein erhabener Ehrentag sein.«

Ihr dunkler Blick flammte über den Mann hin. Der fast betäubende Duft der Wohlgerüche, mit denen sie ihren Körper nach einer im Lupanar durchrasten Nacht zu salben pflegte, strömte auf ihn ein. Sie gab sich keine Mühe, den starken erotischen Reiz zu verbergen, den schon der Handkuß des Senators in ihr auslöste. Sie atmete schwer, schloß vergehend die Lider, seufzte tief und verlangend auf und zitterte im Vorgenuß der Wonnen, die sie sich von einem Besuch in den lateranischen Gärten verhieß. Mit versagender Stimme flüsterte sie: »Bis morgen!«

Als Plautius Lateranus sein Haus erreichte, trat ihm die Gattin bleich und zitternd entgegen. Und warf sich ihm schluchzend in die Arme.

»Endlich – endlich,« jauchzte unter Tränen Ämiliana Numantia. »Bis man mir meldete, daß deine Sänfte vor dem Vestibulum hielt, habe ich zu den Laren gefleht, dich mir wiederzugeben. Ich bin vor Angst vergangen, du könntest nicht zurückkehren aus der Höhle der Wölfin!«

Er schloß die noch sehr jugendliche Frau innig in die Arme und erwiderte mit ernstem Gesicht: »Törichtes Kind, warum dich ängstigen! Hätte man Hand an mich gelegt, würde vorher die kaiserliche Dirne den Verrat mit ihrem Leben bezahlt haben.«

Erschauernd umschlang Ämiliana den Mann.

»Das würde dich nicht gerettet und mich nicht vor Leid und Vereinsamung bewahrt haben.«

Er küßte ihr die Tränen von den hübschen Wangen.

»Nun sei heiter, süße Liebste! Ich bin wohlbehalten zu dir zurückgekehrt. Freilich den Verkauf des Hauses konnte ich nicht abwenden. Doch das läßt sich überwinden.«

»Sagte ich es nicht voraus?« erinnerte die kleine Frau. »Man hat also nicht gelogen, als man behauptete, sie verstünde jeden Mann zu kirren.«

»Der Gedanke an dich hätte mich mit Treue umpanzert, an der ihre Unwiderstehlichkeit abgeprallt wäre,« versuchte Lateranus zu scherzen.

»Und dennoch ließest du dich überreden,« stellte Ämiliana vorwurfsvoll fest.

»Nicht überreden,« widersprach er. »Ich drängte der Kaiserin das Haus sogar förmlich auf und bin froh, daß die Schlauheit dieses durchtriebensten aller Weiber in Rom doch nicht hinter die letzten Gründe meines Handelns zu blicken vermochte. Laß dir von einem seltsamen Geschehnis erzählen.«

Er führte die Gattin zu einem Bisellium, nahm sie zärtlich in den Arm, und als sie mit einem Seufzer der Zufriedenheit ihren Kopf an der breiten Brust ihres Beschützers geborgen hatte, begann der Senator:

»Ich stand mit einigen andern Leuten harrend auf dem Flur vor den Gemächern der Kaiserin und wartete, daß der Admissional, dem ich mich zur Audienz angemeldet hatte, mich aufrufen werde. Es gab da eine Anzahl Bittsteller, die der Kaiserin selbst ihre Wünsche vortragen wollten. Manch hübscher junger Mensch war darunter. Man weiß ja, daß derlei Bittende niemals ohne bestimmte Hoffnung das Gemach der Messalina verlassen.«

Ämiliana richtete sich einen Augenblick auf und sah prüfend in die selbstsicheren Züge des Gatten.

»Sprich weiter,« bat sie beruhigt, als sie sein schönes, reines Lächeln wahrgenommen hatte.

Lateranus nahm wieder das Wort.

»Ich hörte da allerlei interessante Gespräche mit an. Vernahm, daß die meisten der Bittsteller sich reichlich mit Geld versehen hatten, das sie der Kaiserin persönlich zu angeblich wohltätigen Zwecken übergeben wollten. Nun, man weiß ja in ganz Rom, daß die Kasse der Kaiserin Unsummen solcher Gelder verschlingt und niemals etwas davon wiedergibt.«

»Ein schlechtes Weib!« flocht Ämiliana überzeugt ein.

»Da vor mir noch fünf oder sechs andere an der Reihe waren,« fuhr Lateranus fort, die kleine Frau inniger herzend, »schritt ich in dem Säulengange auf und ab und legte mir die Worte zurecht, die ich an Messalina richten wollte. Ganz in meine Gedanken versunken, fühlte ich mehr, als ich es sah, daß jemand mich beobachtete. Unwillkürlich erhob ich die Lider und blickte geradeswegs in die Augen eines Mannes, dessen edle Gestalt ihn zu einer auffallenden Erscheinung machte.«

»Also einer, der Glück haben würde, wenn er die Kaiserin um etwas bäte,« warf Aemiliana verächtlich ein.

»Er war in kostbare Stoffe gekleidet, sein schönes Antlitz schien mir seltsam verfinstert, seine dunkeln Augen hafteten wie in einer ernsten, stummen Mahnung auf mir. Als er gewahr wurde, daß ich ihn bemerkt hatte, setzte er sich in Bewegung und schritt langsam an mir vorüber, doch ohne mich anzusehen und ohne meinen Gruß zu erwidern, den sein achtunggebietendes, vornehmes Wesen mir fast wider Willen abgenötigt hatte.

»Ich sah ihm verwundert nach und bemerkte dabei ein kleines Stück Pergament, das er aus seiner Toga verlor. Nur zwei Schritte von mir entfernt raschelte es zu Boden. Ich hob das Blättchen auf und rief den Fremden an, ihm sein Eigentum zurückzugeben. Er blieb auch stehen und ließ mich herankommen. Doch zu meinem höchsten Erstaunen leugnete er, etwas verloren zu haben, ja er wies mich in kurzen, hochmütigen Worten zurück und ging weiter. Da stand ich nun betroffen, das Pergamentstückchen in der Hand und blickte wie ein zurechtgewiesener Knabe hinter dem Fortschreitenden drein.«

»Und du wußtest nicht, wer der Mann war?« fragte die junge Frau. »Denn seinem Verhalten nach scheint er doch kein Bittsteller gewesen zu sein.«

»Es kann nur einer der Würdenträger des Palatiums sein,« urteilte Lateranus. »Der Palast wimmelt ja von solchen Männern, und der hochmütige Mensch bewegte sich durch den Gang, als wäre er auf diesem schlüpfrigen Boden nicht fremd. Ich war geneigt, ihn seinem Äußeren nach für einen Griechen zu halten.«

»Und das Pergamentblatt?«

»Ja, das Blatt! – Ich stand da und hielt es ratlos in den Fingern, im Zweifel, ob es nicht doch vielleicht schon vorher auf den Marmorfliesen gelegen und ich mich geirrt hätte, als ich meinte, es den Fremden verlieren zu sehen. Mein Blick fiel auf die mit einer Rohrfeder gekritzelten Schriftzüge in griechischen Zeichen. Hier ist es.«

Lateranus entnahm dem Gürtel seiner Tunika ein zerknittertes Röllchen, das er entfaltete. Er las es vor: »Verzichte auf dein Haus, schütze dein Weib, wirf deine Ehrbarkeit von dir und lebe, doch schweige.«

Aemiliana fuhr auf. »Schütze dein Weib?! Und die übrigen Worte – Plautius, diese Botschaft kann doch nur an dich gerichtet sein!«

Er nickte schwer. »Auch ich bin davon überzeugt.«

»Der Fremde war also ein unbekannter Warner!« rief Ämiliana, aufs höchste erregt.

Der Senator erzählte weiter.

»Nachdem ich mich von meinem Staunen erholt hatte, begab ich mich zu den Wartenden zurück und erkundigte mich vorsichtig, ob jemand den Mann gekannt hätte. Man verneinte. Nur einer sagte, er glaube, wisse es aber nicht zuverlässig, der Fremde sei einer der Freunde des Kaisers Claudius, ein Grieche mit Namen Narzissus gewesen.«

»Wer ist das?«

»Der Name ist in Rom sehr geläufig,« erklärte Lateranus. »Es ist der eines kaiserlichen Ratgebers, der als der reichste Mann in Rom, als ein überaus kluger Geist, aber auch als einer der skrupellosesten Menschen in der Umgebung des Cäsars gilt.«

Frau Aemiliana starrte auf das Blättchen.

»Und dieser Mensch sollte dich auf so seltsame Weise gewarnt haben?! Kannst du dir das erklären?«

»Nicht im geringsten. Es sei denn, die Warnung entstamme einer Gewissensregung,« sann Lateranus. »Ich habe nichts getan, wodurch ich mir diese wohlmeinende Warnung verdient hätte.«

Er nahm das Pergamentstückchen an sich, überlas die Worte nochmals und fügte überlegend hinzu:

»Im übrigen stellt das Blatt mehr einen Ratschlag dar als eine Warnung. Den Ratschlag aber griff ich sogleich auf, und so kam es, daß ich nicht in die Kaiserin drang, auf ihre Kaufabsichten zu verzichten, sondern daß ich den ersten Worten des Schriftstückes folgte und – auf mein Haus verzichtend, wie da steht – die Kaufsumme auf die Hälfte des wirklichen Wertes meiner Besitzung herabsetzte. Messalina war offenbar sehr zufrieden mit meinen Vorschlägen. Ich verließ sie mit dem Gefühl, eine drohende Gefahr abgewendet zu haben.«

»Und wie gedenkst du mich zu schützen?« fragte Aemiliana, sich angstvoll an den Gatten schmiegend.

»Ich kann mir kaum vorstellen, daß jemand dir etwas zuleide tun könnte,« erwiderte er und streichelte ihr tröstend die vor Aufregung glühenden Backen. »Du hattest ebensowenig wie ich selbst bisher Feinde und Neider in Rom. Immerhin wollen wir auch den dich betreffenden Ratschlag nicht unbeachtet lassen. Du begibst dich, sobald es Nacht geworden ist, heimlich zu deinen Eltern nach Perusia und wartest dort in Verborgenheit meine Nachrichten ab. Hoffentlich hast du den Mut, allein zu reisen, denn ich kann dich leider nicht begleiten.«

»Weshalb nicht, Liebster?« fragte sie betroffen.

»Ich muß morgen hier sein, da die Kaiserin unser Haus besichtigen will. Dem darf ich mich auf keinen Fall entziehen, um so weniger als ich glaube, daß diese rätselhafte Gefahr erst dann wirklich beseitigt ist, wenn die Kaiserin endgültig Eigentümerin meiner Gärten und meines Hauses geworden ist.«

Die junge Frau rückte von Lateranus ab, als bewege sie ein eifersüchtiger Gedanke.

»Wie fandest du Messalina?« fragte sie, indem ihre schönen, sanften Augen besorgt die seinen suchten.

Er zuckte die Achseln. »Man macht viel Rühmens von ihrer Schönheit, von ihrer Wirkung auf heißblütige Männer.« Dann lächelte er versonnen. »Nun, vielleicht bin ich kein heißblütiger Mann. Ich finde, diese ebenso verlästerte wie gepriesene Frau hat gewisse Reize. Ein sehr schönes Lächeln – einen hübschen Mund – einen üppigen Körper, den sie durch gut ausgedachte Kleidung mit reichlich viel Absicht zur Schau stellt. Dennoch gibt sie sich keineswegs dirnenhaft frei, sondern mit Anmut und edelm Anstande, ganz ihrer hohen Würde entsprechend. Man kann sich nur sehr schwer vorstellen, daß – wie man allgemein munkelt – diese Frau den niedrigsten Leidenschaften ergeben und von einer Ausschweifung ist, die sie oft bis zu den gemeinsten Stätten des Lasters in Rom hinabtreiben soll.«

Er sog die Luft ein, als wittere er erinnernd einen Geruch.

»Das allerdings bemerkte ich, sie salbt sich mit Düften, als wolle sie die Sinne der Männer umnebeln.«

Da sagte Frau Aemiliana grübelnd: »Vielleicht ist sie nur eine Unglückliche.«

Er küßte sie sanft. »Nichts spricht so beredt für dein reines und gutes Herz, Liebste, als dieser Versuch einer Rechtfertigung der Geschlechtsgenossin. Dennoch muß ich gestehen, selbst wenn man die Kaiserin Messalina ohne jedes Vorurteil betrachtet, selbst wenn man alle argen Gerüchte über sie vergißt, so findet man im Ausdruck ihrer Augen doch etwas höchst Verdächtiges. Diese Augen sind dunkel, doch nicht tief. Sie leuchten nicht, sie flimmern in einem sonderbaren Glanze, der, wie ein eigenartiger Hauch, den Blick verhängt und zugleich bloßlegt. So paradox das auch klingt. Ich bin just kein Physiognom, dennoch möchte ich sagen: diese Frau blickt einen Mann an, ohne die Macht, vielleicht auch ohne den Willen, zu verheimlichen – übrigens verraten das auch die ununterbrochen bebenden Nüstern – daß sie sich berauscht an dem Gedanken einer wollüstigen Umarmung mit ihm.«

Zwei große, klare Tropfen rollten über Ämilianas Wangen, als sie flüsterte: »Du hast sie ja sehr eingehend betrachtet.«

Lateranus lachte heiter. »Nicht eingehender, als man eben eine Persönlichkeit betrachtet, von der alle Welt spricht. Ich hatte ja bei unsrem Gespräch hierzu Muße genug.«

»Was sollen aber die Worte bedeuten: Wirf deine Ehrbarkeit fort?« suchte die junge Frau selbstquälerisch zu ergründen.

»Jedenfalls nicht, daß Messalina nun auch meine Tugend untergraben wird,« versicherte er lachend. »Man kennt mich als einen Mann, dem Ehrenhaftigkeit über alles geht. Die Zeilen sind in Hast niedergeschrieben, wie aus der Flüchtigkeit der Schriftzeichen hervorgeht. So verwechselte der Schreiber wohl den Ausdruck. Wahrscheinlich wollte er sagen: nicht in Ehrenhaftigkeit solle ich meinen Besitz aufgeben, sondern ihn der Kaiserin hinwerfen und auf rechtliche Bezahlung verzichten. Mein Haus also gewissermaßen an die, wenn sie erzürnt ist, sehr gefährliche Frau verschenken. So habe ich den Ratschlag verstanden und dementsprechend den Verlauf der Unterredung gewendet. Ich bin überzeugt, es war richtig so. Denn ohne Zweifel liegt in dem Anfangswort ›verzichte‹ und in den vorletzten Worten ›und lebe‹ ein Hinweis, die Nichtbefolgung der Ratschläge werde mein Leben verwirken, mindestens bedrohen. Verzichte und lebe! Das ist deutlich. Ich habe das eine vollbracht, und nichts wird mich nun verhindern, das zweite in Ruhe zu tun. Das letzte Wort ›schweige‹? Hm. So gerne ich meinem unbekannten Wohltäter danken möchte, werde ich doch wohl klüger handeln, in dem Worte einen Befehl zu sehen, den er mir mehr um seinet- als um meinetwillen erteilt.« –

Es war zur Zeit der zweiten Vigilie und dunkle, schweigende Nacht umfing die Gärten und das Haus des Plautius Lateranus, als die beiden Gatten voneinander Abschied nahmen.

»Ich kann mich des bitteren Gefühls nicht erwehren, daß wir einander lange Zeit nicht wiedersehen werden,« klagte unter heißen Tränen die junge Frau. »Wie werde ich leiden!«

»Es ist nur der Schmerz der ersten Trennung nach ungezählten glücklichen Tagen,« suchte Lateranus sie zu trösten. »Um so tiefer wird die Freude sein, wenn du zurückkehrst.«

Er verschwieg freilich, daß auch ihn böse Ahnungen beherrschten, gegen die er sich vergeblich wehrte, und daß ihn nur die Gewißheit beruhigte, daß er niemals ein Unrecht begangen, also auch keinerlei Vergeltung zu gewärtigen hätte.

»Ich schäme mich, vor einem Nichts in Sicherheit zu flüchten,« gestand Aemiliana.

»Eine Warnung ist immerhin kein Nichts,« hielt er ernst entgegen.

»Bist dann nicht auch du selbst bedroht?« versetzte sie. Sich an ihn hängend, bat sie innig: »Laß mich die Gefahr mit dir teilen.«

Er schüttelte den Kopf. »Liebte ich dich so, wie ich dich liebe, wenn ich nicht das Glück meines Lebens zu retten suchte, um wenigstens etwas zu haben, zu dem ich mich flüchten kann, falls wirklich Unheil über uns käme?«

»Versprich, daß du mir nach Perusia folgen wirst, sobald du alle Geschäfte mit der Kaiserin geregelt hast,« flehte sie. »Wir wollen dann gemeinsam die Zukunft erwarten.«

»Nimm dieses Versprechen und bewahre es als Pfand deines und meines Glückes,« gelobte er.

Nun endlich beschied sich die junge Frau. Sie opferte noch einmal den Schutzgöttern des Hauses und bestieg dann die Sänfte. Eine einfache Kathedra, um die Abreise möglichst unauffällig zu gestalten, sollte sie auf dem nächsten Wege Uber die Porta Viminalis und Porta Collina zur Porta Salaria bringen. Dort am Nordtore der Stadt erwarteten zwölf bewaffnete Reiter als Begleiter des Reisewagens die Herrin.

Als die Trägersklaven in lautlosem Trott den Venustempel nahe der Porta Salaria passierten, streute Aemiliana der Göttin die Rosen, die Lateranus ihr zum Abschied gereicht hatte, als Opfer auf die nächtliche Straße. Inbrünstig flehte sie um Schutz für den Gatten, träumte von der Rückkehr, die sie wieder hier vorüberführen würde, und von dem Wiedersehen in Perusia.

Plautius Lateranus aber nahm noch einen anderen Abschied. Sobald der Tag graute, durchwanderte er alle Räume seines schönen Hauses, alle Wege der Pracht seiner Gärten. Mit Weh im Herzen sagte er stumm Lebewohl dem, was sein Glück umhegt, und was er selbst ersonnen hatte, um diesem Glück mit Aemiliana eine würdige Stätte zu bereiten.

Er liebkoste die blühenden Büsche, deren Duft die junge Frau geatmet hatte. Er streichelte den Marmor der Wände, von denen der leichte Schritt Aemilianas widerhallt war, wenn sie wie ein glückliches Kind die Märchenschönheit des Hauses durchwandert und bejubelt hatte.

Dann ordnete er alles, um zur raschen Abreise nach Perusia bereit zu sein, sobald das Haus in den Besitz der Kaiserin übergegangen wäre. Wie Aemiliana erhoffte auch er ein Wiedersehen in Kürze. Und so wenig wie Aemiliana ahnte er, daß lange, lange Monate vergehen und daß es ein Wiedersehen nach Schmach und Beschämung werden sollte.

Die Morgensonne verwandelte bereits die Quadersteine des neuen Aquädukts, der in nächster Nähe des lateranischen Hauses seine gewaltigen Bogen über die Baumwipfel der Gärten erhob, zu schimmerndem Golde, als Plautius Lateranus alle Vorbereitungen getroffen hatte, der Kaiserin Messalina einen ehrerbietigen Empfang zu bereiten.

Er lohnte seine Getreuen ab, gab den Sklaven Weisungen, sich nach dem Besitzwechsel auf seine übrigen Besitzungen zu verfügen, und harrte der Sänfte Messalinas. Er war Menschenkenner genug zu ahnen, daß die leidenschaftliche Frau das Haus nicht als Freundin verlassen würde. –


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