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Die Feierlichkeiten des Eheschlusses zwischen Messalina und Claudius waren kaum verklungen, als in den Anfangstagen des Septembers eine Verschwörung gegen den Cäsar Caligula aufgedeckt wurde.

In Rom schwirrten Gerüchte. Blutbefehle des Kaisers bestätigten sie. Die nächsten Angehörigen des Herrschers, vor dem Wahnwitz des kaiserlichen Verwandten um ihr Leben bangend, hatten versucht, der Raserei des Tollwütigen ein Ziel zu setzen.

Der Schwager Caligulas, Ämilius Lepidus, der Gatte seiner verstorbenen Schwester Drusilla, hatte in Gallien die Legionen gegen den Kaiser aufgehetzt, wollte sie gegen Rom führen.

Er fiel durch Verrat und ward in Gallien gerichtet.

Mitwisserin seines Planes waren die Schwestern seines toten Weibes: Livilla und Agrippina. Sie büßten den Anschlag gegen den Bruder mit der Verbannung nach der Öde des Felseneilandes Pontia.

Man wunderte sich, daß der Unmensch das Leben dieser beiden schonte. Doch man wußte auch, daß sie ihm früher nicht weniger gewesen waren als Drusilla, die er in Nachahmung ägyptischen Königsbrauches als Schwester und Gattin geliebt und betrauert hatte.

Der Senat sandte eine Abordnung an den Kaiser, ihn zur Errettung aus Lebensgefahr zu beglückwünschen, und übertrug Claudius das Amt des Sprechers dieser Abordnung. Nur schweren Herzens entschloß der Zagmütige sich, die für ihn lebensgefährliche Ehrung anzunehmen. Der Kopf eines kaiserlichen Verwandten sah nicht allzu fest in diesen Tagen auf seinem Halse.

Caligula gewahrte denn auch kaum den furchtzitternden Oheim an der Spitze der Senatssendlinge, als er begann, über freche, taktlose Beleidigung zu donnern. Nach einem Anfall von Tobsucht, in der er jede künftige Ehrung seiner Verwandten mit Todesstrafe bedrohte, wies er mit zynischem Spott und Hohn der Abordnung des Senates die Tür.

Mit dieser Kränkung der Väter Roms hatte er wieder die Zahl der ihm feindlich Gesinnten vermehrt. Die Blutsaat des Strafgerichtes, das dem Hochverrate des Lepidus folgte, düngte den Boden, auf dem im geheimen die Verschwörung des Tribunen der Leibwache Cassius Chärea fortwuchs.

Endlich fühlte Caligula selbst, irgendetwas müsse geschehen, den krassen Eindruck seines Vorgehens gegen die leiblichen Verwandten abzuschwächen. Ein Zufall kam ihm zu Hilfe.

Monate waren vergangen, als gegen Ende des Jahres, nach dem Feste der Saturnalien, Freunde des Lepidus beim Kaiser vorstellig wurden. Sie baten um die Erlaubnis, die Asche des unseligen Gerichteten aus Gallien nach Rom überzuführen und in der Familiengruft beizusetzen.

Diese günstige Gelegenheit, den gnadenvoll Verzeihenden zu spielen, ließ Caligula sich nicht entgehen. Aber sein Wahnsinn war schon zu weit gediehen. Er vermochte nicht mehr Gnade ohne tyrannische Bosheit zu üben. Er gewährte den Wunsch der Bittenden – doch unter einer satanischen Bedingung.

Ganz Rom wußte, daß die junge Witwe Agrippina ihren verwitweten Schwager Lepidus leidenschaftlich geliebt hatte. Briefschaften waren aufgefangen und brutal von Caligula der breitesten Öffentlichkeit preisgegeben worden. Jetzt wollte er die Liebenden noch in ihrem Trennungsschmerze treffen.

An die Heimkehr der Asche des Toten band er die Bedingung: Agrippina selbst müsse auf leidvollem Bußwege die Urne noch Rom tragen.

So sah denn die Stadt kurz nach Anfang des neuen Jahres einen sonderbaren Aufzug sich über den Platz des Forums bewegen: inmitten weniger armselig gekleideter Sklaven eine in Trauergewandung dahinwankende Frau, die mit Aufbietung letzter Kraft eine schwarze Marmorurne schleppte.

Von der Landungsstätte Terracina bis nach Rom zu Fuß wandernd, hungernd und dürstend, keuchend unter der Last des Gefäßes, mit blutenden Sohlen und von erbarmungslosen Wächtern des Imperators scharf angetrieben, war die kaiserliche Schwester Rom zugeschritten, der Stadt, in deren Glanz und Pracht sie, die Tochter des Germanicus und die Enkelin des Augustus, einst nach den steilsten Höhen strebende Pläne von Ruhm und Macht ersonnen hatte!

Agrippina war dem von Irrsinn diktierten Befehle des Bruders in strengster Erfüllung nachgekommen. Doch nicht, weil sie sich dem Cäsar beugte, sondern weil auch die Einsamkeit auf der ewig von Brandung umbrüllten Felsenöde Pontia nicht vermocht hatte, ihren Ehrgeiz und ihre Herrschgier zu brechen.

Die Verbannung hatte ihr nicht mehr bedeutet als eine Zeitspanne lauernder Erwartung, die alten Pläne reifen zu lassen. Nun spielte sie bis zur körperlichen Erschöpfung die Rolle der in tiefster Demut Zurückkehrenden. Sie wollte dem Kaiser jede Möglichkeit zum Mißtrauen nehmen. Sie hatte nur das eine Ziel: die Freiheit, an die sie sich mit allen Kräften ihrer Zähigkeit eisern klammern würde, sobald Rom erreicht war.

»Nicht meine Vergangenheit schleppe ich in dieser Asche eines Ermordeten nach Rom, sondern nur die Schatten, die noch schwarz und düster auf meiner Zukunft lasten,« hatte sie beim Abschiede der Schwester Livilla gesagt, die schmerzlich in der Verbannung zurückblieb.

So beschaffen war die Frau, die nach Rom zurückkam mit dem Entschlusse, ihrem Sohne Nero die Kaiserkrone zu sichern.

Als sie in die Verbannung ging, hatte sie das dreijährige Kind ihrer Schwägerin Lepida, der Mutter Messalinas, in Obhut gegeben.

Sie kam nach Rom, das Herz voller Argwohn gegen die Nichte.

Was ging hier vor? Wie konnte dieses junge schöne Mädchen sich entschließen, den alternden, närrischen Claudius zu heiraten? Trug diese Domitierin sich mit hochfliegenden Plänen, die den ihren tödlich waren? Sollte unter dem Ansporn seines Weibes der harmlose Claudius zum Rivalen ihres Knaben werden?

Sie war gekommen, den verhaßten Bruder zu stürzen. Doch nicht zum Vorteil der Nichte. Nach Caligulas gewaltsamem Tode sollte Nero zum Kaiser, sie zu seiner Regentin ausgerufen werden.

Ihre Hoffnung beruhte auf kluger Berechnung und der Wahrscheinlichkeit.

Der blutbesudelte Tyrann mußte eines Tages zum Racheopfer werden aller jener, die er durch Mord an ihren Angehörigen zum äußersten getrieben, durch Vermögenseinziehung zu Bettlern gemacht, durch Erniedrigung gedemütigt, durch wahnwitzige Strafen zur Auflehnung gebracht hatte. Der größenwahnsinnige Übermut des Kaisers hatte das Wort geprägt: »Keiner ist      als ich!« Das Götterbild aber, zu dem er sich erhöht, thronte auf wankendem Fundamente.

Agrippina wollte in Rom sein, wenn es fiel.

Sie traute sich die Kraft zu, den Sturz zu beschleunigen.

Da traf ihr Argwohn auf Messalina!

Sie kannte die hohen Geistesgaben der Nichte. Doch sie kannte auch die Leidenschaftlichkeit und die Sinnenfreude der Domitier von ihrem Gatten her. Sie zweifelte nicht daran, daß dieses junge, von Lebenskraft sprühende Geschöpf an der Seite des alten Gatten darbte. Die kaum Sechzehnjährige und der greise Fünfziger Claudius! Es lag zuviel Unnatur in dem Altersunterschiede.

An Treue glaubte Agrippina nicht, sie, die selbst nichts achtete, was Treue hieß. Es war gewiß nicht sonderlich schwer, Messalina zur Untreue zu verführen. Schied sich Claudius dann von der Ehebrecherin, so war die Nichte als Verfemte unschädlich geworden.

Im Hirne ein Gespinst von Ränken ihres Ehrgeizes, suchte Agrippina, nachdem sie die Asche des Ämilius Lepidus in Rom beigesetzt hatte, Unterschlupf im Hause der verhaßten Gegnerin. Wie die lauernde Spinne wollte sie inmitten des Netzes hausen, in dem ihr Opfer sich verfangen sollte.

Außerdem baute sie mit schlauer List darauf, in der Zuflucht bei einem dem Kaiser ungefährlich scheinenden Tölpel selbst ungefährlich zu erscheinen. Was hatte Caligula zu fürchten von einem Weibe, das mit dem verachtetsten Gliede des Kaiserhauses und seiner blutjungen Gattin das Leben teilte! Diese Gemeinsamkeit tat deutlich kund, daß auch nicht der spärlichste Funke Ehrgeiz mehr glimme in der tief Gedemütigten, die in der erniedrigenden Bußwanderung ihre Unterwerfung bewiesen hatte.

Als Agrippina vor Messalina stand, sah sie die Arglose mit starren Augen an und verhüllte dann ihr Haupt, als wäre sie, wie vom Leuchten einer Gottheit, von ihrem Anblicke geblendet. Langsam ließ sie sich weinend zu den Füßen Messalinas nieder und duckte sich zu kniender Gestalt. Erschreckt von dieser Selbstdemütigung der ihr an Alter um zehn Jahre überlegenen Frau, wollte Messalina die Weinende erheben. Doch Agrippina weigerte sich, anders als auf den Knien mit der Divina – wie sie heuchlerisch das junge Geschöpf nannte – zu reden.

»Die ärmste Frau in Rom huldigt dir,« schluchzte sie. »Mein Bruder nahm mir alles, was ich besaß. Er ließ mir nichts, als was ich trage, meine Blöße zu bedecken. Unwissentlich aber ließ er mir noch eines: dein gütiges Herz, Messalina! Und dieses Herz rufe ich um Obdach an, um Zuflucht. Sei's auch nur für die Zeit, bis meine von dem Bußwege blutenden Sohlen heilen.«

Auf das tiefste erschüttert, bebend vor Teilnahme, tränenüberströmt, kniete Messalina bei der schwergestraften Frau, in wortlosem Mitleide sie umarmend.

Claudius empfing die Nichte kühl und mit ängstlicher Zurückhaltung. Er war nicht sehr erbaut, zu hören, daß Messalina einer dem Cäsar verhaßten Person gastfreundlich das Haus geöffnet hatte. Wenn er auch nicht die Energie besaß, die Verfügung seiner jungen Gattin aufzuheben, so bezeichnete er ihre Handlungsweise doch als äußerst voreilig.

»Niemand in Rom ist von einer freundlichen Gesinnung des Kaisers abhängiger als du und ich,« betonte er erregt immer wieder und erging sich breit in Lamentationen und sorgenvollen Hinweisen, welches Unheil die Beherbergung Agrippinas auf sein schuldloses Haupt herabziehen könne.

»Ich kenne zudem meine Nichte besser als du,« klagte er. »Mögen die Götter verhüten, daß du einen bösen Geist in unser Haus gebannt hast!«

Messalina blieb stumm bei diesen angsterfüllten Vorwürfen. Wenn sie sich auch mit ihrer Ehe abgefunden hatte, ganz hingegeben dem Verlangen, nach der Sturmnacht im Palast in Stille und Geborgenheit zu verschwinden, bis der Tag ihrer Rache kam, so verachtete sie, gerade wegen ihrer geheimen Pläne des Hasses, bitter des Gatten Feigheit und Furcht vor dem kaiserlichen Neffen.

So kam es, daß sie rasch enge Freundschaft mit Agrippina schloß. Sie fühlte die kraftgestählte Seele dieser Frau, die schon wenige Tage nach ihrem bemitleidenswerten Einzuge in das Haus der Verwandten sich wieder aufzurichten begann. Agrippina gewann mühelos das Vertrauen der jüngeren und hatte ihr sehr bald das Geheimnis ihrer Begegnung mit Caligula entlockt. Sie empfing mit lauten Worten des Zornes das Geständnis des blutgierigen Hasses gegen den brutalen Schänder ihres jungfräulichen Körpers und tat nun, als hätte diese Offenheit auch ihr die Seele erschlossen.

»Wir beide sind beklagenswerte Frauen,« jammerte sie unter talentvoll erheuchelten Tränen. »Mir nahm er den einzigen Menschen, den ich liebte – dir gab er den Menschen, den du nicht lieben kannst. So vernichtet der Tyrann Glück um Glück.«

Wirklich fand dieser echte Ton des Leides und des ingrimmigen Hasses dankbaren Widerhall in Messalinas wundem Gemüte. Jetzt hatte sie einen Menschen gefunden, dem sie sich rückhaltlos offenbaren durfte. Mehr und mehr enthüllte sie ihre innersten Regungen vor der Frau, die sie voll List umgarnte und gierig aushorchte.

»Ich bin eine Domitierin,« bekannte Messalina eines Tages voll Stolz. »Wir sind ein das heiße Leben liebendes Geschlecht. Und das fühle auch ich! Claudius ist gut zu mir, das werde ich niemals verkennen. Ich muß ihn nehmen, wie er ist. Immer soll ihm unvergessen bleiben, daß ich mich zu ihm retten durfte, als ich von den Meinen erbarmungslos verraten und preisgegeben war und keine Zuflucht hatte auf der weiten Welt. Und ich will dankbar dem Schicksal sein, das mir in dir eine treue Freundin gegeben hat.«

Agrippina verbarg ein verräterisches Lächeln, als sie erwiderte: »Aber dann hätte der Kaiser dir ja nicht ein Glück zerstört, sondern dir ein Glück verliehen, als sein Machtspruch dich an Claudius verkuppelte.«

Messalina errötete tief und schwieg.

Sie liebte seit Tagen. Liebte den Schauspieler Paris, den ersten und schönsten Mimen Roms. Hatte ihn auf der Bühne gesehen. Ihre Sinne waren aufgeflammt, dieses heiße Temperament der Domitier lohte empor, das der Kaiser in jener Unglücksnacht aufgescheucht, aufgerüttelt, aufgepeitscht hatte, und das nun im Hause des alten Gatten vergeblich und ratlos auf Erfüllung und Erlösung harrte.

Jeden Tag ließ sie sich in das Theater tragen, in dem Paris ganz Rom begeisterte. Jeden Tag saß sie dort in Verlangen und Sehnsucht nach diesem schönsten Manne der Weltstadt.

Es war ein Zufall, daß sie gerade ihn begehrte. Er war der einzige Mann, der in ihren Bannkreis getreten war. Denn Claudius zählte nicht, wenn von Männern die Rede war.

Ahnungslos stand der Mime auf der Bühne und wußte nicht, daß auf der Tribüne unter den ersten Frauen Roms eine junge, wilde Flamme ihm entgegenlohte.


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