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6

Seit Monaten trug Kaiser Claudius sich mit neuen großen Gedanken. Er türmte riesige Projekte, Anregungen seiner griechischen Ratgeber. Fast unausführbar schienen die Pläne. Eine Wasserleitung sollte erbaut werden, ein Aquädukt, von Sublaqueum aus, Meile auf Meile die Campagna mit seinen gewaltigen Bogen überspannen und schließlich, in eine noch fünfunddreißig Meilen lange unterirdische Leitung übergehend, köstliches, gebirgsfrisches Wasser nach Rom führen.

Zugleich sollte der verwahrloste Hafen von Ostia der Versandung entrissen, durch gewaltige Molen geschützt, mit einem prunkhaften Kai geschmückt, mit einem riesigen Leuchtturme bewehrt werden.

Polybius war der Erfinder dieser Unternehmungen. In langen Beratungen hatte er seinen Freund Narzissus für den Gedanken gewonnen, durch zwei Großtaten dem Geiste Griechenlands im römischen Reiche ein unvergängliches Riesendenkmal zu setzen und in die Tafeln der Geschichte Roms die ewig währende Erinnerung einzugraben, daß Griechen es waren, die während des Principats des Kaisers Claudius nicht nur den Staat regierten, sondern dem Volke dieses Staates auch wahrhafte Wohltaten erwiesen.

Pallas und Callistus traten lebhaft dem überlegenen Willen ihrer Landsleute bei. Namentlich Pallas, das Finanzgenie, ereiferte sich heftig für diese Pläne. Denn er überblickte helläugig die günstige Konjunktur und erkannte sofort die glänzende Gelegenheit, für sich und seine Freunde durch kluge Spekulation reichen persönlichen Gewinn aus den Riesenbauten und Aufträgen zu ziehen.

Claudius war ohne weiteres zu überzeugen, ihm winke nie welkender Ruhm, wenn er seine Zustimmung zu den gewaltigen Entwürfen gäbe. Mit Begeisterung griff er die Anregung auf und vertiefte sich mit der ihm eigenen umständlichen Gründlichkeit und Pedanterie in das Studium der ihm vorgelegten Pläne. Er entwarf die Reden, die er im Senate halten wollte, um auch ihn für die Annahme der Projekte und für die Bewilligung der enormen, zu den Bauten erforderlichen Summen zu gewinnen. Die alte Geschichte Roms durchwühlte er, um sich zu vergewissern, daß es kein historisches Beispiel gebe, das sich mit den Entwürfen messen oder gar als Vorläufer des phantastischen Gedankens gelten könne. Er vergaß die wirkliche Welt – und er vergaß auch, daß in dieser Welt eine Messalina war.

Nur selten sahen die beiden Gatten einander im Palatium, und selbst dann war die Begegnung mehr Zufall als Wille und Absicht.

Messalina fühlte sich frei und ungebunden. Sie nutzte die Freiheit. Sie glitt immer tiefer. Ihre Gier wuchs im Genusse. Ihr Trieb ward zur Raserei. Kein Mann bot ihrer Brunst mehr Befriedigung. Das Blut der Domitier in ihr lechzte. Und doch war es im Grunde vielleicht nur das Suchen nach dem Einen, der sie erfüllte, ihre Sinne befriedigte und ihres Gemütes Sehnsucht stillte. Sie suchte in aller Erniedrigung – vielleicht doch nur – die Liebe.

Sie war jung – das Leben lockte – das aufgewühlte Geschlecht in ihr tobte. Ein Polybius ohne Herz, der sein Verhältnis zur Kaiserin nur ehrgeizigen Zielen nutzbar machte, ein Narzissus ohne Gemüt, der die linden Bande umschmiedete in Waffen, mit denen er die Kaiserin und durch sie den Kaiser beherrschte ... das waren nicht die Männer, die dem lebenshungrigen Geschöpfe geben konnten, was das Weib in ihr verdurstend begehrte.

Messalina zog einen Strich unter die Abenteuer mit Narzissus und Polybius. Sie kannte jetzt die Männer der höheren Kreise Roms. Was waren ihnen Liebe – Frauen?! Die nahm man in Rom als eine nichtige Beigabe zum Dasein. Ruhm, Pomp, Ansehen, Geld – das waren die angebeteten Götter der Männerwelt. Venus und Eros hätten trauern müssen, wären die Frauen Roms nicht ihre eigenen Wege der Liebe gewandelt. Die Damen der höchsten Gesellschaftsklassen Roms opferten diesen holden Göttern um so genießerischer, je ausschließlicher die Gatten alle Zeit und Kraft an den Götzen Mammon verschwendeten.

Nur zu willig glitt Messalina hinein in den unbedenklichen, liebestollen Taumel der ihr befreundeten oder durch Rang nahestehenden Frauen. Man flüsterte ihr von wilden Abenteuern, man prahlte, man peitschte das Blut der Domitierin noch auf, dieses überhitzte, brausende Blut, das ein Claudius kaum erregt, ein Polybius gären, ein Narzissus schäumen gemacht hatte, doch ohne der feurigen Frau letzte Erfüllung zu bringen.

Jetzt trugen diese Männer sich mit Plänen, hinter deren Wuchtigkeit alles zurückstehen mußte, was Leben und was Liebe hieß ...

Ein langweiliger Tag ging zu Ende. Die Sonne stand tief und warf seltsam glühende Streifen und Kreise auf ein Wandgemälde im Gemache Messalinas. Das Bild trug auf lilafarbenem Hintergrunde eine schwebende Frauengestalt, von deren entblößtem, üppigem Körper sich hauchdünne Schleier im Fluge zu lösen schienen. Ein erwartungsvolles Lächeln um den wie eine Blüte geöffneten Mund – ausgebreitete Arme, die knospenden Brüste dem Beschauer entgegenboten, – geweitete Augen, die beglückt einem ersehnten Augenblicke entgegenleuchteten – gelöste Glieder, die in Hingabe bebten. – –

Messalinas Blicke musterten das Bild. Sie ruhte auf den Purpurpfühlen eines Lagers, das sich in eine verdämmernde Ecke des Gemaches schmiegte. Auf elfenbeinernen Füßen, zwischen denen sich ein aus Gold gehämmertes Gerank spann, trug das Bett die, die jetzt die schönste und begehrenswerteste der jungen Frauen Roms geworden war.

Sie lauschte dem halblauten Gesange einer griechischen Sklavin, die vor dem Lager auf dem Boden kauerte, mit einem Federkiel sanft die Saiten der Kythara strich und die Worte eines erotischen Sehnsuchtsliedes mit zärtlich schwingenden Tönen umwob. Mehr und mehr verglomm die Abendsonne, mehr und mehr verschwamm das Bildnis, dessen Glieder nun kalt und weißlich von der dunkeln Fläche leuchteten, als wäre alle erwartende Wonne dem begehrenden Körper der Frauengestalt entblutet.

»Rühre die Schale,« befahl Messalina plötzlich, der Griechin Schweigen gebietend.

Gehorsam erhob sich die Sklavin. Sie trat an einen Tisch, dessen kostbare Citrusplatte getragen wurde von drei Eroten, deren aus Elfenbein geschnitzte Gestalten sich mit hochgereckten Armen von goldenen Postamenten erhoben und kraftvoll das Rund des Tisches stützten. Eine schwere Silberschale stand auf der Platte. Als Relief herausgearbeitet, entfalteten sich Akanthusblätter um ihren Rand.

Die Griechin entnahm der Schale einen Silberball und ließ ihn aus vorsichtigen Fingern in das Gefäß zurückgleiten. Ein laut aufsummender Ton entrang sich der Schale, allmählich in ein lang anhaltendes, helles Klingen überschwimmend, das weithin durch die Räume der Kaiserin sang. Dann verneigte sich die Sklavin und verließ mit edlem Schritte das Gemach.

Fabulla, noch immer die vertraute Lieblingsdienerin Messalinas, betrat das Zimmer.

»Befiehlst du die Lampen, Herrin? Sie werden sogleich gebracht.«

Messalina richtete sich empor.

»Hättest du den Mut, mit mir einen nächtlichen Gang durch Rom zu wagen?« fragte sie, nachdem die Sklavin auf einen Wink nähergetreten war.

»Wie sollte mir der Mut fehlen, wenn du gebietest, geliebte Domina!« erwiderte Fabulla. »Doch du meinst gewiß einen Weg ohne Sänfte und ohne schützende Begleitung, wenn du von einem ›nächtlichen Gange‹ sprichst?«

»Man hat mir heute von einer Gegend Roms erzählt, in der man nur ohne Gepränge sicher ist,« erläuterte die Kaiserin.

»Und da die Langeweile dir wieder einmal unerträglich geworden ist,« warf Fabulla leise lachend ein, »willst du sie durch ein Abenteuer vertreiben. Gut, Herrin – ich folge dir bis in den Tartarus. Wohin wird uns der Weg führen?«

»Zur Bildsäule des Marsyas!« sagte Messalina kurz und scharf.

Die Sklavin blickte verdutzt auf. »Zur Säule des Marsyas?!«

Messalina nickte.

»Hm, Domina,« begann Fabulla zögernd, »man erzählt Wunderliches von dieser Säule. Männer, die das Glück des Eros nur erkaufen können, und Mädchen, die bezahlte Liebe feilhalten, sollen einander dort suchen und finden.«

»So berichtete man mir,« warf Messalina gleichgültig hin. »Wir wollen sehen, was Eros dort treibt.«

Fabulla stand mit offenem Munde und stotterte: »Die Kaiserin – inmitten der – der –«

»Nicht die Kaiserin,« verbesserte Messalina. »Ich gehe dorthin als ein Weib, das alle Tiefen und Abgründe der Leidenschaft erkennen will.«

Sie dehnte sich auf dem Lager und reckte die Arme über den Kopf hinaus, daß die Gelenke leise knackten. Die Fäuste waren wollüstig geballt.

Ein Schweigen stand zwischen den beiden, im Range einander so ungleichen Freundinnen. Die Sklavin hielt den Kopf gesenkt. Endlich suchte ihr ehrlicher, offener Blick die Augen der Kaiserin. Ihr derb-hübsches Gesicht hatte sich umdüstert.

»Gebieterin, dein Vorhaben ist ein Wagnis,« sagte sie leise. »Doch – es gibt eine Rechtfertigung für dein Tun.«

»Ich trage meine Rechtfertigung in mir,« rief Messalina stolz. »Doch du machst mich neugierig.«

»Ich muß Böses vom Kaiser sprechen,« zögerte Fabulla.

»Vom Kaiser?!«

»Ja – er betrügt dich.«

»Der Kaiser??!«

Wichtig nickte die Sklavin.

»Er hält zwei Mätressen im Palatium. Calpurnia und Cleopatra.«

Messalina starrte ungläubig drein. Claudius, dieser Schwächling, der sie liebte, zog ihr Mätressen vor! Unglaublich!

»Du täuschst dich sicherlich,« erwog sie.

»Der ganze Palast weiß es doch!« verteidigte Fabulla ihre Enthüllung.

Tatsächlich hatten die schlauen Griechen dem Kaiser zwei gefällige Damen der Gasse zugeführt. Sie wollten ihn in Schuld stürzen, die Kaiserin, ihre festeste Stütze am Hofe, zu schützen im Falle einer Entdeckung. Konnte der schuldige Kaiser gegen die schuldige Gattin wüten? Es war ein Leichtes gewesen, den schwachen Tölpel zu verführen. Er liebte Messalina, liebte sie grenzenlos. Doch ihre Gegenwart forderte Zusammenraffen, er mußte sich bei ihr in acht nehmen, durfte sich nicht rüpelhaft gehen lassen. Wie anders war es bei diesen Dirnen! Da konnte er sich benehmen wie einst in den gemeinen Garküchen, in denen er vor seiner Erhebung verkehrt und geschwelgt hatte. Sie war keine leichte Geliebte, seine angebetete Messalina! Sie forderte Haltung und Anstand. Nein, diese Dirnen waren im Grunde weit angenehmer und bequemer.

Messalina erhob sich und trat an eine Bronzebrüstung, die die Säulen vor dem Gemache miteinander verband. Der Garten des kleinen Peristyls hüllte sich schon in Dämmerung. Gespenstisch leuchtete das Weiß der Hermen aus Parosmarmor herüber. Zu der erfrischenden Kühle des zur Ruhe gehenden Tages dufteten die Blumenbeete stärker, über den Abendhimmel breiteten sich Schäfchenwolken, deren fernste Schar dem Westen zustrebte und dort ein letztes, verblassendes Rot der Sonne aufsog.

Die Gestalt der Kaiserin verschwamm in der nun rasch sinkenden Dunkelheit zu einer zierlichen Silhouette. Endlich regte sich Messalina und kam in das Gemach zurück. Dunkel erfüllte den Raum, während das Zwielicht im Peristyl noch grau schimmerte.

»Wir wollen in mein Ankleidezimmer gehen,« sagte sie. »Es wird bald Zeit sein, daß wir uns auf den Weg machen.«

Dann tönte ihr helles Lachen.

»Als ich eben dort draußen stand, glaubte ich, ich könne Eifersucht empfinden,« sprach sie weiter. »Eifersucht auf meinen braven Claudius, Fabulla! Wie drollig! Er hätte wahrhaft mehr Grund, auf mich eifersüchtig zu sein. Aber er ahnt ja nicht, was seine besten Freunde Polybius und Narzissus mir waren. Soll ich ihm zürnen, wenn er sich Mätressen hält? Mich ärgert nur, daß auch ich so ahnungslos war und daß ich glaubte, der Kaiser vernachlässige mich über seinen großen Bauten.« Sie machte eine fortwerfende Bewegung. »Lassen wir ihm seine Freuden und suchen wir uns fröhlich die unsrigen! Ich –«

Sie brach ab, da zwei Dienerinnen mit brennenden Lampen den Säulengang des Peristyls heraufkamen.

»Vorwärts, Fabulla!« mahnte sie, den Sklavinnen entgegengehend. »Sie mögen uns mit ihren Lichtern zum Cubiculum geleiten.« Und leise fügte sie hinzu, unheimliches Leuchten in den Augen: »Schmücke mich, meine Freundin! Der Platz an der Marsyassäule – das Stelldichein der heiteren Priesterinnen der Libido – soll in mir nicht eine Kaiserin von Rom, sondern eine Königin der Liebe sehen!« – –

Nacht umhüllte den palatinischen Hügel, als die das Postikum des Palastes hütenden Wachen zwei vermummte weibliche Gestalten herankommen sahen.

»Steht!« rief der eine der Soldaten, den Speer zum Angriff fällend und vor den Torflügel der schmalen Hinterpforte tretend, während der andere Wächter sich bemühte, eine Wachsfackel anzufachen.

»Sage deinem Kameraden, wir finden den Ausgang auch ohne Licht,« rief Fabulla scherzend dem Krieger zu. Sie trat näher und hielt ihm beide Hände geöffnet entgegen. Auf jeder glitzerte eine blanke Münze.

»Eine für dich, eine für deinen braven Freund,« erbot sie. »Aber ihr müßt den reichen Lohn verdienen. Laßt uns hinaus und seid verschwiegen.«

Der Prätorianer gab flugs seine strenge Haltung auf. »Aber –« meinte er bedenklich, »es laufen so viele unechte Münzen um. Im Finstern ist ein Betrug nur allzu leicht.«

In diesem Augenblicke gelang es dem andern, die Flamme zu entzünden. Rasch zog Messalina die Kapuze ihrer Pänula vollends über die Augen. Schnell hielt Fabulla die Geldstücke in die Helle des Fackelscheins. Dann blies sie kurzentschlossen die Flamme aus.

»Nun, habt ihr euch von der Echtheit der Goldmünzen überzeugt?« fragte sie schnippisch. »Sechzig Sesterzien sind wohl eine mehr als reichliche Entlohnung für eine kleine, leicht zu erfüllende Gefälligkeit! Und nun entscheidet rasch, ob ihr sie verdienen wollt. Wenn nicht, dann kehren wir eben um. Der Palast hat noch andere Pforten.«

»Doch nicht so verschwiegene Pförtner wie diese hier,« versetzte der Soldat schlagfertig.

Er nahm die Goldmünzen und öffnete das Tor des Postikums, während der andere brummig den für ihn bestimmten Lohn forderte.

Die Kaiserin glitt eilig hinaus, doch Fabulla erkundigte sich fürsorglich:

»Wie oft wechseln die Wachen hier?«

»Zu Beginn jeder Vigilie,« lautete die bereitwillige Auskunft.

»Also alle drei Stunden. So saget den Wachen der zweiten Vigilie Bescheid. Sie sollen unsrer Heimkunft gewärtig sein. Der Lohn für den Einlaß ist nicht geringer als der eure.«

»Wählt lieber die dritte oder noch besser die vierte Vigilie für die Rückkehr,« riet der Soldat gutmütig. »In der zweiten Wache nämlich versehen hier Lusitanier den Dienst. Die sind grobe, unbestechliche Gesellen und einer immer unfreundlicher als der andere. Die lassen euch bestimmt nicht ein. Auch ist es viel leichter, aus dem Palaste zu gelangen als hinein. Ihr wißt ja, wie ängstlich der Kaiser ist und daß er dauernd um sein Leben bangt. Selbst Frauenzimmer sind nicht ausgenommen von der scharfen Musterung und Durchsuchung.«

»Wir werden deinen Rat befolgen,« dankte Fabulla.

»Und wohin soll's gehen?« forschte der gesprächige Wächter.

»Wohin die Laune uns treibt, jedenfalls aber dorthin, wo fröhliche Laune sprudelt.«

Der Prätorianer schnippte mit den Fingern. »Dann geht zur Porta Querquetulana, Mädchen. Wenn ihr an dem Brunnen gleich links neben dem Tor steht, so ist gegenüber ein Haus, das von außen recht erbärmlich aussieht. Laßt euch nicht beirren dadurch. Klopft an die Tür – erst drei, dann zwei Schläge und etwas später noch einen einzelnen Schlag. Man wird euch öffnen. Und wenn ihr sagt, der Soldat Gurges habe euch geschickt, so werdet ihr aufgenommen werden, als käme die Kaiserin in eigener Person.«

Schweigend entfernten sich die beiden Gestalten, als die Pforte des Postikums knirschend sich hinter ihnen schloß.

Vorsichtig schritten sie in der Finsternis einen steil abwärts führenden Fußpfad hinab, der sich zwischen dichten Büschen und Bäumen dahinschlängelte. Geröll bedeckte den üblen Weg. Die Kaiserin, des Gehens über Steine ungewohnt, stieß manchen unterdrückten Schmerzenslaut aus, wenn ihre dünnen Sandalen auf Felssplitter traten.

Doch endlich war die Via Sacra erreicht. Sich nach links wendend, eilten sie über das Forum Romanum, huschten an den Mauern des mamertinischen Kerkers entlang und bogen ein in die Via lata, in der sie ein Stück hügelaufwärts schritten. Durch eine enge Seitengasse drang Stimmengewirr, und rotes Fackellicht übergoß das Ende dieses Pfades.

»Wir sind am Ziele,« rief Fabulla. Ihr Herz pochte.

Es war das erste Wort, das auf der langen Wanderung durch die nachtschwarzen Gassen Roms zwischen den beiden Frauen fiel.

Messalina antwortete nicht. Sie schlug die Kapuze ihres Mantels etwas zurück und strebte eilenden Schrittes der Fackelhelle entgegen.

Zwischen zwei dicht aneinandergedrängten Häusern hervor betraten sie einen freien Platz, in dessen Mitte sich ein sonderbares Standbild erhob, umglutet von schwelenden Fackeln. Auf plumper Säule eine Menschengestalt, die sich in Schmerzen krümmte. – Der Satyr Marsyas, der im musikalischen Wettstreite dem Apollo unterlag und als Strafe für die Keckheit der Herausforderung des Gottes seine Haut opfern mußte.

Im grellen Gegensatze zu diesem grausigen Bildnis stand das Leben und Treiben zu Füßen des schmerzgepeinigten geschundenen Faunes. Schmelzender Klang der Flöten stieg empor über das ihn begleitende Saitengeklimper der Sambuken. Hell und schrill schwirrte das Klirren der Timpani dazwischen. Schwatzend und lachend wirbelte ein Strudel weiblicher Gestalten einher und wich mit gellem Kreischen gegen die Seiten des Weges, wenn ein Polizist der Stadtkohorte den Verkehr regelte. Den käuflichen Venuspriesterinnen war nur gestattet, sich längs des Wandelganges aufzustellen. Die Mitte des Weges blieb den beutelustigen Männern vorbehalten.

In Gegenwart des Polizisten hielten die Dirnen diese Ordnung auch inne. Kaum aber war er außer Sicht, so drängten sie sich wieder zwischen die Männer, öffneten die Gewänder, ihren Wuchs zu zeigen, und priesen laut und aufdringlich ihre geheimen Liebeskünste an.

Messalina und Fabulla blieben verwirrt und benommen am Wege stehen. Da löste sich aus einer Gruppe von Mädchen eine zierlich gewachsene Blondine mit hübschem, aber frechem und welkem Gesicht. Sie hatte ihren nackten Körper mit einem langen Streifen dünner Halbseide so kunstvoll umwickelt, daß dieser zwar die Haut bedeckte, doch nichts verbarg von den Reizen der Schönen.

»Euch sah ich noch nicht hier,« sprach die Hetäre die fremden Genossinnen ihres Gewerbes an. Sie prüfte Fabullas Züge und urteilte: »Auf vornehme Männer hast du wenig Aussicht, wenn dein draller Wuchs sie nicht verlockt. Du müßtest die Pänula öffnen, damit man sieht, was sie verbirgt.«

»Ich danke dir für deinen uneigennützigen Rat,« lächelte Fabulla, auf das Gespräch eingehend. Sie stellte sich vor die Kaiserin, sie vor der drohenden Ansprache der Dirne zu bewahren.

»Wie nennst du dich?« fragte das Mädchen weiter.

»Es ist doch wohl Brauch, daß zuerst seinen Namen nennt, wer diese Frage stellt,« belehrte Fabulla keck.

»Du hast recht,« gab die Blondine gelassen zurück, reckte sich voll Stolz und sprach:

»Es gibt in Rom wenige, die nicht die Hetäre Lycisca kennen. Die aber bin ich!«

Und ohne auf die Beantwortung ihrer Frage zu warten, drängte sie Fabulla beiseite und trat auf Messalina zu. Mit einem geschickten, raschen Griffe streifte sie deren Kapuze völlig zurück und rief:

»Wenn du dein Gesicht so versteckst, wird dich gewiß kein Mann ansprechen.« Dann bewegte sie witternd die schmal und fein geschnittenen Nasenflügel.

»Hm, du Neue, du duftest aber gut! Höre, du mußt einen sehr reichen Liebhaber erwischt haben, der dir solche köstlichen Salben und Wohlgerüche kaufen kann.«

»Laß sie in Ruhe, sie ist ein wenig schüchtern,« wehrte Fabulla, sich abermals vor die Herrin drängend.

Lycisca versetzte ihr einen freundschaftlichen Stoß.

»Fort mit dir! Wer sich zum erstenmal bei der Marsyassäule einfindet, muß sich unsere Neugier schon gefallen lassen. Wir wollen doch wenigstens wissen, wer uns die Kundschaft wegschnappt.«

Sie wandte sich wieder an Messalina.

»Du hast nun meinen Namen gehört – wie nennst du dich, du feine Schüchterne?«

»Ich heiße wie du: Lycisca,« gab die Kaiserin zur Antwort. In der Bedrängnis fiel ihr kein anderer unverdächtiger Name ein.

Die Hetäre trat ein wenig zurück und staunte verblüfft das Antlitz und die Gestalt Messalinas an. Lange sahen die beiden Frauen einander in die Augen. Ein wehmütiger Zug huschte über das von Ausschweifung gezeichnete, immer noch schöne Gesicht der Hetäre.

»Eine neue Lycisca also,« flüsterte sie vor sich hin. Ein trauriger Blick aus ihren mit Stibium dick umschminkten Augen umtastete die Kaiserin. »Eine neue Lycisca,« wiederholte sie. »Vielleicht bist du mir ein Mahnen, daß meine Zeit vorüber ist. Man braucht dich nicht zu fragen, ob du besserer Herkunft bist. Der Duft deiner Wohlgerüche, dein feines Gesicht, Gewand und Haltung verraten dich.«

Sie seufzte tief auf. »So war einst auch ich – fein, jung, vornehm und begehrt. Doch was treibst du hier an dem verruchtesten Platze in Rom, bei der Marsyassäule?! Bei der Venus, du hast es nicht nötig, dich hier feilzubieten. Warte damit bis später. Hier enden wir einmal alle.« Sie nickte tragisch vor sich hin.

Mittlerweile hatten sich Männer und Mädchen neugierig um die Gruppe geschart. Man hatte Kampf erwartet. Neulinge waren an der Marsyassäule wenig willkommen, statt dessen war die Führerin im Abwehrstreite, Lycisca, weich und sentimental geworden!

Messalina wollte auf die freundliche Anrede der Dirne erwidern. Da entdeckte sie einen Mann, der sie scharf beobachtete. Er hatte den Zipfel der Toga über den Kopf gezogen und lugte vorsichtig aus diesem Versteck hervor. Er schien sich jedoch nicht klar, ob das flackernde, dürftige Leuchten der Fackel an einer unfernen Säule ihn täuschte. Sein Gesicht konnte sie unter dem beschattenden Tuche der Toga nicht erkennen. Doch jetzt schob er, um besser zu sehen, den Stoff ein wenig zurück und zwängte sich näher heran durch den Kreis der Umstehenden.

Zu ihrem lähmenden Schrecken erkannte Messalina Polybius, den Freund mancher schwülen Nacht. Doch nein – er hatte sie nicht erkannt. Sie hatte ihr Gesicht ja auch verändernd geschminkt. Nein, sie sah es ihm an, er war seiner Entdeckung nicht sicher.

Hastig zog Messalina die Kapuze über den Kopf und gebot Fabulla, ein gleiches zu tun. Zum Glück wurde Polybius jetzt von einem Mädchen angehalten, das sich ihm anbot.

Messalina wagte nicht zu flüchten. Denn wenn der Freigelassene sie nicht erkannt hatte, mußte die Flucht nur seinen aufkeimenden Verdacht bestärken. Ungestüm wendete sie sich an Lycisca.

»Ich bitte dich, Freundin,« stieß sie erregt hervor. »Sieh dort den Mann, der sich die Toga über den Kopf gezogen hat – ich kenne ihn und will nichts mit ihm zu tun haben. Halte ihn mir fern.«

Lycisca blickte vorsichtig aus. »Das ist einer aus dem Palatium,« sagte sie. »Früher, als er noch arm war, trieb er sich viel des Nachts hier herum und suchte nach Mädchen, die ihn freihielten. Und jetzt, obwohl er nun ein reicher Mann ist, feilscht er noch manchmal um einen schäbigen Denar. Sei ohne Sorge, er soll dir nicht nahekommen.«

Sie wandte sich mit wenigen Worten an eines der umstehenden Mädchen. Gleich daraus umringte eine Anzahl Dirnen den Griechen, der, um sich ihrer Zudringlichkeit zu erwehren, Messalina aus den Augen lassen mußte. Rasch zog Lycisca die beiden Frauen in den Schatten der Säulen eines nahen Portikus.

»Folgt mir,« forderte sie auf und schritt in die Dunkelheit hinein. Erst als der Säulengang an einem kleinen Platze endete, wo unter zwei hohen Ulmen ein niedergelegter Säulenschaft einen Sitz bot, machte sie halt. Sie ließ sich auf den Marmor nieder und nahm sogleich das Wort.

»Wir wollen uns hier ein wenig ausruhen. Du aber, du Feine, wenn du den Polybius kennst, so weiß ich genug. Du bist eine Vornehme, und die da ist deine Sklavin.«

»Sklavin?« versuchte Messalina zu leugnen. »Du irrst –«

Lycisca fiel ihr ins Wort. »Laß,« wehrte sie, »versuche nicht, mich zu täuschen. Sei froh, daß du mir gefielst und ich mich deiner annahm. Ich hätte ebenso gut die Dirnen der Marsyassäule auf dich hetzen können. Sie lieben es nicht, daß abenteuernde vornehme Frauen sich unter sie mischen. Das beraubt sie der Kundschaft. Ich will nicht forschen, wer du bist. Aber wissen möchte ich doch, was dich gerade an diesen Schandort treibt. Es gibt doch Stätten der Lust genug in Rom.«

»Nenn es Neugier,« erwiderte Messalina.

Lycisca gab sich zufrieden.

»Und was wollt ihr nun beginnen? Zu der Säule könnt ihr nicht zurückkehren, wenn ihr Polybius meiden wollt.«

»Man riet uns,« mischte sich hier Fabulla ins Gespräch, »ein Haus bei der Porta Querquetulana aufzusuchen, gegenüber dem Brunnen neben der Porta.«

Lycisca lachte hell auf. »Ein übler Rat! Dort an der alten Stadtmauer befinden sich die gemeinsten Lupanarien. Nur nach Schweiß stinkende Soldaten frönen da der billigsten Liebe. Ihr hättet euch ohne Lebensgefahr nicht einmal einem der Kerle versagen dürfen.«

Sie beugte sich vornüber und baumelte in nachdenklichem Spiele mit den bloßen, nur durch schmucke, dünne Halbsandalen geschützten Füßen.

»Du möchtest in dieser Nacht das Rom der Liebe sehen?« fragte sie schließlich.

»Und erleben,« bejahte Messalina.

»Das ist nur möglich, wenn ihr euch allem anpaßt, was auf solchen Wegen erforderlich ist.«

»Es soll geschehen.«

»Verstehe mich recht – ich sagte: allem!« ermahnte Lycisca.

»Ich bin dazu entschlossen,« rief Messalina, ungeduldig aufflammend, und preßte die Hände, die kalt waren von Erwartung und der Nachtluft, an die in Lebensgier glühenden Wangen.

»Dann will ich euch führen,« erbot sich Lycisca und stand auf. »Deine Sklavin mag sich die Haare aufbinden, daß sie einen Bausch über der Stirn bilden. Das kennzeichnet sie als eine, die nicht käuflich ist. Ich werde sie im Vestibulum des Hauses, zu dem ich euch begleite, frisieren.«

»Vielen Dank,« lehnte Fabulla erbittert ab. »Du bist ja sehr um mich besorgt. Aber auch eine Sklavin ist schließlich von Fleisch und Bein.«

Lycisca lachte. »Du gefällst mir, kleine, kecke Dicke. Nur vergißt du, daß es Sklavinnen streng verboten ist –«

Fabulla fiel ihr ins Wort und wandte sich resolut an die Kaiserin.

»Wenn du mich nicht darben lassen willst, Herrin, wird dir nichts übrigbleiben, als mich zu deiner Freigelassenen zu erklären.«

Messalina reichte ihr die Hand. »Du Treue, die du die Treue selbst bist – sei frei! Morgen werde ich dir eine feierliche Manumissio bereiten, die dich auch in alle Rechte einer Freigeborenen einsetzen soll.«

»Nein, nein!« wehrte Fabulla erschrocken dieser Großmut. »Wie könntest du deine beste Dienerin entbehren?«

»Treu dient, wer freiwillig dient,« sagte die Kaiserin bewegt und umarmte die brave Seele.

Lycisca hatte gleichmütig dieser plötzlichen sonderbaren Freilassung beigewohnt. Sie hatte in einem bewegten Leben allzuviel gesehen. Sie hatte das Staunen verlernt.

»Ich beglückwünsche dich,« sagte sie und reichte Fabulla die Hand. »Aber nun vorwärts, Freundinnen!« drängte sie. »Der Weg ist nicht sehr weit. Wir müssen nach dem Forum Augusti. Dort gleich hinter dem Marstempel ist ein kleiner Angiportus, und in dieser Sackgasse liegt das Haus, zu dem ich euch führen werde.«

Arm in Arm schreitend, geleitet von der ortskundigen Hetäre, nahmen sie den Weg auf und wanderten in heiterem Gespräche weiter durch das Dunkel. Lycisca gab witzige Aufklärung über die Gebräuche in einem Lupanar. Die beiden Abenteuerinnen hörten aufmerksam zu. Es war gut, wenigstens so weit eingeweiht zu sein, daß sie bei den Kundigen des Hauses nicht Anstoß und Verdacht erregten.

Nur selten begegnete ein später Gassentreter der fröhlichen Gruppe. Hin und wieder auch riefen die Kutscher der Fuhrwerke, die nur bei Nacht die Straßen Roms benutzen durften, dem Trio derbe Scherzworte zu. Und als einmal ein Mann die lustigen Drei anhielt und ihnen das laute Plaudern verbieten wollte, wies Lycisca den Spießbürger so kräftig zurecht, daß der verdutzte Quirit schleunig Reißaus nahm vor dem geläufigen Mundwerke seiner Gegnerin.

Eines aber bemerkten die drei Nachtvögel nicht. Daß eine schattenhafte Gestalt ihnen folgte und um die Ecke des Angiportus spähte, als sie das Lupanar betraten.

Dann rannte der Vermummte eilig dem Stadtinnern zu.


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