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Zweites Buch

1

Mutter Rubria kannte längst die Sänfte, die jedesmal vor dem Hause erschien, wenn der Schauspieler Paris sich in dem reichgeschmückten Gemache des Hintergebäudes einfand. Nie war es der neugierigen Alten gelungen zu ergründen, wer die Dame sei, die der Lektika entstieg und hastig, als fürchte sie trotz ihrer Verhüllungen erkannt zu werden, das Vestibulum des Gasthauses »Zum tanzenden Kranich« durcheilte. Die Sänftenträger machten stets ohne Aufenthalt kehrt und trabten mit der leeren Lektika von dannen. Zum Heimweg benutzte die Unbekannte eine Mietssänfte, die Paris vom Warteplatze vor dem Tempel der Juno am Clivus Suburanis herbeiholen ließ.

Einmal war den Trägern der vornehmen Lektika beim Niedersetzen der Bahre ein Riemen gerissen. Während sie rasch den Schaden ausbesserten, hatte Mutter Rubria versucht, den Obersklaven in ein Gespräch zu verwickeln. Doch der grimmig dreinsehende Mann – es war der getreue Isäus Fabullas – begriff sofort, daß die Wirtin ihn aushorchen wollte. Er knurrte sie an wie ein gereizter Wolf und umfaßte fester den langen Eisenstab, mit dem er, der Lektika voraufeilend, den Weg durch die Gassen bahnte.

»Solch ein Flegel!« zeterte die Alte dem Türhüter zu, als sie ins Haus flüchtete. »Aber man muß heutzutage solche Treue der Diener schätzen. Der hütet sein Schäfchen! Nur gut, daß er mich nicht gleich auffraß in seinem Mißtrauen.«

Von Stunde an blieb sie unsichtbar, sobald die Sänfte am Vestibulum hielt. Der vornehme Gast sollte, falls der Aufseher der Träger von dem Vorgang geschwatzt hatte, überzeugt sein, daß niemand ihr nachstellte und daß sie im »Tanzenden Kranich« vor jedem Verrat und jeder Überraschung geborgen sei.

Mutter Rubria war nicht wenig erstaunt, als am Tage nach der Ermordung Caligulas die Lektika in aller Frühe schon, dann am Nachmittage noch einmal und weitere drei Tage hintereinander zur gewohnten Zeit vor das Haus getragen wurde, ohne daß Paris sich zugleich einstellte, jedesmal fragte der Aufseher der Tragsklaven an, ob der Schauspieler Paris im Hause sei. Jedesmal mußte Mutter Rubria verneinen. Und jedesmal verriet das schmerzliche Zusammensinken der verhüllten Dame in der Sänfte ihre schwere Enttäuschung und das vergebliche Hoffen auf ein Wiedersehen mit dem Geliebten.

Nun war Mutter Rubria keineswegs die Frau, die lediglich ihre Verschwiegenheit zu Gelde machte. Sie nahm auch regen Anteil am Schicksale ihrer Gäste. Hinter den schweigenden Mauern des »Tanzenden Kranichs« hatte sich schon manche Herzenstragödie abgespielt.

Als am fünften Tage die Unbekannte abermals vergeblich anfragte, entschloß sich die Alte, aus ihrer Zurückhaltung herauszutreten und der Dame in ihrem unverkennbaren Kummer beizustehen.

Messalina kam dieser freundlichen Absicht zuvor. Sie schickte Isäus mit den Trägern fort und befahl die Rückkehr der Sänfte nach Sonnenuntergang. Dann betrat sie das Haus und erteilte dem Ostiarius den Auftrag, ihr Mutter Rubria zu senden.

In banger Erregung und schwindelnder Angst schritt sie in dem engen Cubiculum auf und nieder, in dem sie unvergeßliche trunkene Stunden mit Paris durchlebt hatte. Jetzt hetzte das Rätsel seines Verschwindens sie umher in dem Raume, von dessen Wänden noch seine Liebesschwüre widerhallten.

Auf einem Sockel ragte die Bronzegestalt eines Fauns, der mit ausgestrecktem Arm die an einer Kette schwebende Ampel hielt, als leuchte er mit dem flackernden Lichte der Lampe dreist hinein in die schwülen Geheimnisse des Liebesnestes. Oben, dicht unter der niedrigen Decke, sandte der helle Nachmittag ein sanftes Dämmern herein zu einem kleinen Fenster, das – selbst in der Weltstadt Rom eine Seltenheit – von einem Rahmen mit Glimmerglas verschlossen war. Zwei behagliche Lehnsessel vor einem bronzefüßigen Marmortische, ein mit buntgefleckten Pardelfellen bedecktes Ruhelager, die zierliche Statuette einer kyprischen Aphrodite, der aus der Wand rinnende, den Raum angenehm kühlende Brunnen, der seinen munter rieselnden Strahl in ein von Blattpflanzen umkränztes Becken aus syrischem Marmor sprudelte – alle diese Dinge verliehen dem Cubiculum eine behagliche, lauschige Heimlichkeit. Sie waren Zeugen gewesen letzter Seligkeit Messalinas, wie sie jetzt den Jammer sahen der ratlosen und verzweifelten Frau.

Die Hände ineinanderkrampfend, blieb sie vor der Aphrodite stehen. Die Augen, die entzündet waren vom Weinen, auf das Bildnis der Göttin gerichtet, stöhnte sie: »Wo ist er? Wo weilt er, du Lächlerin aus fühllosem Erz?!«

Doch die Kypris blieb stumm. Erschöpft von den Zweifeln und Ängsten, die seit fünf Tagen auf sie einstürmten, wankte Messalina zu dem Lager und sank nieder auf den weichen, fellbedeckten Pfühl. Rasch verhüllte sie ihr Gesicht, denn Mutter Rubria trat ein.

»Du hattest die Güte, mich zu dir zu entbieten, edle Domina,« begann die Alte und verneigte sich tief vor der verschleierten Gestalt. »Ich hätte mir heute selbst erlaubt, dir meine Hilfe anzubieten. Denn ich hatte erkannt, du Ärmste, wie schrecklich du enttäuscht bist. Kann ich dir helfen, dein Leid zu lindern?«

Diese schlichten, mitleidigen Worte überwältigten Messalina. Sie brach in fassungsloses Schluchzen aus. Der zurückgestaute Kummer rüttelte sie. In den Prunkräumen des kaiserlichen Palastes, in die ganz Rom sich täglich drängte, dem neuen Cäsar und seiner Gattin zu huldigen, mußte sie die huldvoll lächelnde Kaiserin spielen und mit dem Aufgebot ihrer letzten Kraft liebenswürdige Phrasen drechseln. Hier durfte sie endlich einmal Mensch und Weib sein. Sie stützte den Kopf in beide Hände und weinte bitterlich.

Mutter Rubria ließ sie gewähren. Sie hatte dergleichen oft gesehen.

»So ist's recht, mein Goldkind,« tröstete sie. »Nur immer erst das Herz frei gemacht. Schütte allen Schmerz aus der Brust heraus. So! So! Wenn du die Tränchen getrocknet hast, wollen wir beraten, was zu tun ist. Und dann, mein süßes Täubchen: es gibt ja nicht bloß den Einen.«

»Warum läßt er mich verzweifeln!« klagte Messalina mehr sich selbst als der gutmütig zudringlichen Frau.

»Aber, meine Kleine!« suchte Mutter Rubria zu beschwichtigen, »wer wird denn einem Komödianten nachweinen! Du hättest damit rechnen müssen, daß er aller Welt gehört. Mehr als vierzehn Tage Treue? Ach, du gütige Venus! Das darf man von dem Vielbegehrten nicht verlangen.« Vorsichtig fügt sie hinzu: »Vielleicht, mein Täubchen – sei mir nicht böse! – vielleicht hast du ihn zu gering entlohnt? Solch einer – na ja, du verstehst schon.« – Sie rieb den Daumen und den Zeigefinger aneinander.

Messalina, plötzlich angewidert von dem frech vertraulichen Tone, fuhr auf: »Was schwatzest du da, Unverschämte!«

»Nun, nun,« begütigte Mutter Rubria. »Jetzt weiß ich Bescheid. Verzeih, edle Domina, aber ich mußte herauszubringen suchen, mit wem ich es zu tun habe. Nur der Arzt, der seinen Patienten kennt, kann heilen. Nicht immer reden die Damen freiwillig. Dann muß ich schon zu starken Mitteln greifen. Sei meiner Ehrerbietung versichert.« Sie nahm würdig in dem einen Lehnsessel Platz: »Also die Sache war ernst – wenigstens von deiner Seite aus?«

»Von der seinen auch,« versicherte Messalina, von neuem aufschluchzend. »Wir waren so glücklich!«

»Nicht wieder weinen,« warnte die Alte treuherzig. »Erst wollen wir sehen, ob er deiner Tränen würdig ist.«

»Aber du kennst ihn doch!« rief Messalina erbittert. Mutter Rubria lächelte. »Es ist mein Amt, derlei Männer zu kennen.« Doch rasch fügte sie hinzu: »Allerdings, diesen Paris sah ich nie vordem in meinem Hause. Vielleicht ist er besser als sonst die Männer seines Schlages.«

»Er ist der beste und treueste Mann!« beharrte Messalina. »Kennst du seine Wohnung?« fragte sie plötzlich.

»Aber gewiß doch,« versicherte die Alte. »Bei meinem Geschäfte muß man immer wissen, wo diese Herren zu finden sind. Paris tritt auf im marcellischen Theater an der Via tecta in der neunten Region. Er wohnt ganz in der Nähe der Bühne, in einem Mietshaus des Vicus Jugarius.«

»Ich danke dir,« sagte Messalina, sich erhebend und ihre Tränen trocknend.

»Bei den Uranionen, Domina!« rief die Wirtin. »Du wirst ihm doch nicht nachlaufen wollen?«

»Ich muß wissen, warum er nicht kommt – keine Botschaft sendet.« –

»Aber du kannst unmöglich selbst dorthin gehen. Bei hellichtem Tage! Vertraue dich mir an. Ich will dir doch gern helfen.«

Messalina ließ sich unentschlossen wieder nieder. »Du weißt, daß Caligula den Schuldlosen in den mamertinischen Kerker werfen ließ?«

»Kein Wort weiß ich!« fuhr Rubria erschrocken auf. »Aber wie kannst du ihn dann hier erwarten? Solche Wunder kann selbst die Liebe nicht bewirken!«

»Eine mächtige Hand befreite ihn am Tage nach dem Cäsarenmord.«

»Ah, deshalb kamst du damals so frühzeitig? Du glaubtest, sein erster Weg würde hierher führen, da er voraussetzen müßte, du würdest hier Beruhigung über sein Schicksal erwarten!«

»Ich täuschte mich.«

»Vielleicht weiß er nicht, daß du Kunde hast von seiner Befreiung!«

»Er weiß es.«

»Vielleicht ist er durch den Aufenthalt in dem schrecklichen Kerker erkrankt.«

Sie schüttelte den Kopf. »Er hat kaum zwei Tage dort zugebracht, war wohl und heiter, als er die Mauern verließ.«

Mutter Rubria schüttelte den Kopf, daß ihre schwergoldenen Ohrgehänge klirrten. »Dann allerdings ist sein Ausbleiben unerklärlich.« Plötzlich sah sie scharf auf. »Du weißt sehr genau Bescheid um dieses Mimen Befreiung. Hast du ihn befreit? Bist du so mächtig?«

Einen Augenblick zögerte die Kaiserin – dann schlug sie kühn die Kopfverhüllung zurück: »Kennst du mich?«

Die brave Alte staunte über die Schönheit und Jugend ihres Gastes, sagte aber ehrlich: »Du bist mir völlig fremd, edle Domina. Doch du bist noch sehr jung und nimmst daher dein Abenteuer zu tragisch. Es wird das klügste sein, du verzichtest auf einen Freund, der dich in Sorge weiß und doch deine Sorge nicht stillen kommt. Weiß er, wer du bist?«

Messalina nickte. Dann sprang sie jäh empor. »Wie konnte ich das vergessen!« rief sie. »Oh, wie danke ich dir für diese Frage zur rechten Zeit.« Sie wischte die letzten Tränenspuren von der Wange und legte befreit lächelnd die Hand aus Mutter Rubrias Schulter. »Du Gute – ja, du hast recht! Wohl weiß er, wer ich war, aber er weiß auch, wer ich nun bin. Und deshalb wagt er nicht mehr den Weg zu mir!«

Abermals schüttelte die Alte ihr weises Haupt. »Du sprichst in Rätseln, Herrin. Aber wir müssen zu einem Entschlusse kommen. Soll ich einen Boten zu deinem Freunde senden?«

»Ja – ja – auf der Stelle,« bat Messalina zwischen Lachen und Tränen. »Wie konnte ich an seiner Liebe und Treue zweifeln! Nun ist alles gut, alles gut.« Sie warf die Pänula ab, als wäre sie schon bereit, den Geliebten zu empfangen. »Laß ihm durch den Boten sagen: ›Augé harre in tausend Schmerzen des Verschollenen.‹ Diese Worte werden ihn überzeugen, daß ich es bin, die ihn ruft.«

Mutter Rubria erwiderte nichts mehr. Wohl war sie gewöhnt, daß Frauen von Stand sich ihrer Verschwiegenheit bedienten. Aber diese da ...? Diese kostbare Stola mit der reichen Zier gehämmerter Goldblättchen am Falbelrande! Das war kein Schmuck für den Geliebten. Das war die alltägliche Tracht der jungen Domina, über die sie in einem unbeobachteten Augenblicke den Mantel rasch übergeworfen hatte, um aus dem Hause zu schlüpfen. Die mit großen Edelsteinen besetzten Socci, die vergoldeten Sandalen, das Halsgeschmeide, eine Kette aus haselnußgroßen Diamanten und unbezahlbaren schwarzen Perlen, die Goldnadeln im Haar, an deren Köpfen Berylle und Smaragde schimmerten ...

Die Wirtin des Gasthauses »Zum tanzenden Kranich« kannte den Luxus und die Verschwendungssucht römischer Frauen, oft weit über die Vermögenslage des Gatten hinaus. Doch was sie hier sah, war fürstlich. Nichts, was dieses üppige, vielgesuchte Liebesnest je gesehen hatte, konnte sich vergleichen lassen mit dem, was sich den schätzenden Blicken der verstummten Rubria hier bot. Sie war nicht eigennütziger als andere ihres Schlages, die wackere Beschützerin der käuflichen und verstohlenen Liebe. Aber sie sagte sich doch hoffnungsfreudig, daß dieser goldene Zaubervogel da noch manches köstliche Federchen abwerfen würde, wenn man ihm klug und getreulich diente.

»Hohe Gebieterin,« begann sie endlich, einen möglichst edeln Titel dranwagend, »daß Augé des Verschollenen harrt – nicht wahr, so sagtest du doch? – das werde ich keinem Boten anvertrauen. Ich kann um diese Zeit noch das Haus ohne Sorge verlassen. Ich selbst werde dir diesen Schlingel Paris herbeischaffen.«

»Und wenn er nicht daheim ist?« fragte Messalina, schon wieder verzagt.

»Dann wird er irgendwo in den vierzehn Regionen des Stadtkreises aufzutreiben sein. Beim Herkules! ... Ich kehre nicht ohne ihn zurück.«

Mit diesem Schwur kugelte Mutter Rubria ihre Rundlichkeit aus dem Cubiculum, an der Tür sich noch einmal tief verneigend, so weit ihre Fülle das gestattete.

Tief und erlöst aufatmend, warf Messalina sich auf das Lager. Sie bedeckte sich mit ihrem Mantel, schmiegte die Wange auf das seidige, weiche Pardelfell des Kopfpfühles und träumte dem Wiedersehen entgegen.

Der Wandbrunnen rieselte und rauschte, als flüstere er zuversichtlich tröstende Worte von Glück und Wiederkehr und dem Ende der Qual der letzten Tage. Mählich verglomm die Helle des Nachmittags vor dem Glimmerglase des Fensters, das die Farben des Opales annahm, irgendwo im Hause erklangen lachende Mädchenstimmen. Die Saiten einer Kithara klimperten, und eine helle Stimme sang dazu. Dann ward es wieder still. Nur der Wandbrunnen raunte sein tröstliches Gemurmel.

Zermürbt von der aufreibenden Marter, im Palatium die glückumstrahlte Herrin der Welt zu heucheln und dabei in verzweifelter Sehnsucht und Angst um den Geliebten zu bangen, fiel Messalina in Schlummer.

Inzwischen war die Sänfte der Mutter Rubria am Fuße des kapitolinischen Hügels angelangt und folgte der Krümmung des Vicus Jugarius. Dicht neben der noch heilig gehaltenen Ruinenstätte des vor Jahren abgebrannten Tempels der Felicitas, vor dem einstmals die Achse am Triumphwagen dos großen Cäsar gebrochen war, ragte ein gut gebautes vornehmes Mietshaus. Mutter Rubria gebot ihren Trägern vor dem Vestibulum Halt. Der Ostiarius erschien sogleich, seines Amtes zu walten. Doch als er die zweifelhafte Dame erkannte, verzog er geringschätzig das Gesicht.

»Hier wohnt niemand, dem du Schutz zu gewähren brauchtest, Alte,« brummte er grob und wollte ins Haus zurückkehren.

»Besänftige deine Unfreundlichkeit durch diesen Denar,« rief Mutter Rubria ihm nach, das Geldstück zur Lektika hinausreichend.

Mürrisch nahm der Türhüter das reichliche Trinkgeld hin. »Wen suchst du?«

»Den Tragöden Paris, du Abglanz aller Liebenswürdigkeit,« scherzte sie. »Er wohnt doch hier?«

»Den Weg und den Denar hättest du dir sparen können,« murrte der Mann. »Er wohnt nicht mehr hier.«

»Nicht mehr, du knurrender Molosser? Das heißt also anderswo. Und wo wäre das?«

»Was weiß ich!« schnauzte der Alte, empört, daß er mit einem Jagdhund verglichen wurde.

»Laß diesen zweiten Denar dich gesprächiger machen.«

Er nahm auch diese Münze, sagte aber: »Auch das ist Geldverschwendung, obwohl du anscheinend deine Brocken leicht genug verdienst. Ich kann dir nämlich nur diese Auskunft geben: vor etwa einer Woche holten den Paris Soldaten der Stadtkohorte von der Bühne herunter. Es geschah auf den Befehl des Cäsars, den hoffentlich die Furien jetzt in der Unterwelt peitschen. Seitdem blieb der Tragöde – er war übrigens ein hochanständiger Mann, der des Nachts niemals das Torgeld vergaß – spurlos verschwunden. Erst vor einigen Tagen kam ein fremder Sklave und bestellte mir, Paris lasse dem Hausbewahrer sagen, daß er Rom verlassen hätte – der mamertinische Kerker sei ihm zu feucht und zu dunkel – er danke für solche Gastfreundschaft der Stadt am Tiberstrom – in seiner griechischen Heimat sei ihm behaglicher.«

»Entsetzlich,« warf Rubria ein, ihres reichen Gastes gedenkend.

»Ganz gewiß,« brummte der Ostiarius. »Um so entsetzlicher, als er auch die Miete schuldig blieb für die von ihm bewohnten drei Räume. Und Wertvolles hat er nicht zurückgelassen. Dagegen vertraute der Sklave mir einen Brief an. Den sollte ich abgeben, wenn eine junge Domina nach dem Mimen fragte.« Er schnaufte durch die Nase: »Beim Cerberus! ... Nun kein Wort mehr. Ich habe so viel gesprochen, daß es wohl noch einen dritten Denar wert wäre.«

»Du sollst ihn haben, wenn du mir den Brief gibst,« versprach die Wirtin.

Der Türhüter grinste: »Die erste Tugend hast du zwar hinter dir, Alte. Gleichwohl will ich dir die Botschaft übergeben. Drei Denare gibt mir dafür doch keine Junge.«

Er schlürfte seinem Hüterloche zu und kam alsbald mit einem kleinen Päckchen zurück. Erst hielt er die geöffnete Hand hin und nahm die Münze entgegen, dann warf er den Brief in Mutter Rubrias Schoß und entfernte sich ohne Gruß. Die Wirtin winkte ihren Trägern zum Aufbruch.

Mit schwerem Herzen betrat die gutmütige Frau eine Weile später das Cubiculum. Traurig blickte sie auf die schlummernde Frau, stand ratlos da und konnte sich nicht entschließen, diesen lächelnd verklärten Schlaf zu stören. Doch was war damit geholfen, daß sie das schmerzhafte Erwachen hinausschob? Einmal mußte es schließlich doch sein! Langsam trat sie an das Lager und berührte sacht die Schulter der Ruhenden. Messalina war augenblicklich munter.

»Kommt er?« Sie schnellte empor.

Verlegen drehte Mutter Rubria das gelbliche Pergamentpäckchen in den Fingern und zupfte an der die Botschaft umspannenden Schnur aus goldversponnener Seide, deren Enden ein Wachssiegel zusammenhielt. Stumm hielt sie der Dame die Nachricht hin.

»Er schreibt bloß?« fragte Messalina, enttäuscht erbleichend. »Ist er doch krank?«

»Hoffentlich ist der Brief wenigstens an dich gerichtet,« sagte Mutter Rubria stockend.

»Wie?! Wer übergab ihn dir?«

»Der Ostiarius des Hauses – und diesem wieder hat ihn ein Sklave gebracht – und dieser Sklave sagte dem Türhüter, daß –«

»Bei den Göttern, was geht hier vor?« rief Messalina, leidenschaftlich aufspringend, als die Alte in beinahe echte Tränen ausbrach.

Doch Weinen war nicht Sache der munteren Wirtin des »Tanzenden Kranichs«, der dem Frohsinn und der Lust geweiht war. Sie trocknete rasch die erpreßten Tränen, die ja auch sicherlich nur der dickaufgetragenen Schminke ihres gealterten Gesichtes schadeten. Dann erzählte sie ihr Gespräch mit dem Türhüter, voll Staunen über die versteinte Ruhe, mit der die Domina die Nachricht von der Flucht des Geliebten aufnahm.

»Der Brief kann nur für mich sein,« sagte Messalina endlich mit bebenden Lippen. Die Stimme hatte ihre Klangfarbe verloren. In ihrem fahl gewordenen Gesicht zuckte und arbeitete es. Aber ihre seltsam verdunkelten Augen blieben tränenlos. Sie hatten allen Schmelz verloren und waren starr wie die einer Sterbenden.

»So lies doch, du arme Seele,« erinnerte Mutter Rubria mitleidig. »Gewiß teilt er dir mit, wo du ihn finden kannst.«

Messalina hielt den Brief steif in der Hand. Leblos schüttelte sie den Kopf. Es war ein Abschied, das wußte sie plötzlich, ein Abschied für immer. Automatisch brach sie das Wachssiegel und wickelte langsam die vielfach umwindende Schnur von dem Pergament. Dann bog sie das knisternde Blatt auseinander und las Wort für Wort den Inhalt.

»Ich ahnte, daß der Brief nichts Gutes enthalten kann. Das freilich, was hier steht, habe ich nicht vermutet,« sagte sie mit vollkommen klarer und ruhiger Stimme. »Ein Schurke mehr in meinem Leben!«

Sie ließ sich auf das Lager nieder und überflog nochmals die Zeilen. Kopfschüttelnd, als begriffe sie doch noch nicht recht, reichte sie der Wirtin das kleine Pergament.

»Vielleicht narrt mich die Schrift. Lies mir vor. Ich lohne dir mit einem Vermögen, wenn du andere Worte herauszufinden vermagst als ich.«

Mutter Rubria ward die vereiste Ruhe des jungen Weibes unheimlich, das vor kaum einer Stunde noch wie ein schwachnerviges kleines Mädchen dem säumigen Liebsten nachgeweint hatte.

»Domina, du mußt aus sehr edlem Blute sein,« bewunderte sie scheu. »Es ist wahrlich nicht das erstemal, daß ich Zeugin eines Treubruches bin. Aber die andern Damen verloren sogleich den Kopf, tobten, rasten in Tränen, schrien nach dem Arzt, der ihnen die Pulsadern öffnen sollte.«

»Lies!« unterbrach Messalina hart und richtete sich herrisch auf. Ihre Augen waren stahlhart. Die Kaiserin gebot.

»Paris entbietet der ihm unerreichbar Gewordenen den letzten Gruß,« hob Mutter Rubria mit den Eingangsworten an. »Da siehst du, edle Herrin,« unterbrach sie sofort, »er war der Meinung, du wärest nicht zu erreichen.«

»Vielleicht erfährst du später den Sinn dieser Worte,« warf Messalina erbittert hin. »Doch – weiter, weiter!«

Die Alte entfaltete wieder das Blatt:

»Eine geheime Gönnerin meiner Kunst hat mich befreit. Sie hat mir deine Tücke verraten. Großmütig und edel hat sie mich in dein falsches Herz blicken lassen. Jetzt weiß ich, daß die zur höchsten Würde gelangte Buhlerin mich aus dem Wege räumen wollte aus Furcht, ein simpler Komödiant könnte sich rühmen, besessen zu haben, was jetzt den Frauen Roms als leuchtendes Vorbild der Reinheit zu gelten hat.«

»Pfui – pfui!« flüsterte Messalina.

Mutter Rubria las in ahnendem Verständnis weiter vor: »Du hast die Weissagung gräßlich wahr gemacht, von der du mir erzähltest. Noch hallt deine Stimme im Lager der blutbespritzten Prätorianer wider. Doch dem Blutfrevel, den du auch mir zugedacht hast, entziehe ich mich durch die Flucht. Glaube nicht, daß ich dich jemals liebte. Du warst mir, was ich dir war. Werkzeug der Lust. Mehr nicht. Wir sind quitt. Ich durchschaue dich ganz. Meine Retterin lügt nicht. Der Tote sollte dir noch den erbärmlichen Henkersdienst leisten, ehe er selbst dem Henker verfiel. Du hast ihn auf mich gehetzt. Doch, wohl aus einem Versehen, fiel dein Opfer zu früh, um mich seinen Weg ins Dunkel voraufzusenden.«

»Wie unbeschreiblich gemein,« sprach Messalina leise vor sich hin. »Nur weiter, du edle Beschützerin der Liebe eines Schuftes.«

»Ich bin zu Ende,« stammelte Mutter Rubria, bestürzt über diesen ungerechten Vorwurf und wirr über die grauenvollen Verdächtigungen, denen sie Worte verliehen hatte.

»Zu Ende!« stieß Messalina hervor und federte von dem Pfühle empor. »Ein bitteres, aber erlösendes Wort.« Sie trat zu der Alten und packte sie an den Schultern.

»Ja, zu Ende! Zum zweiten Male zertreten!« Sie lachte gellend auf. »Liebe – Glück – Frauentum! Jetzt bleibt nur eins.«

In ihren Augen glomm ein Funke, vor dem der Alten angst wurde.

»Ich verstehe deine Worte nicht, Domina,« stieß sie beklommen hervor, schmerzhaft das Gesicht verziehend unter dem harten Griff der jungen Frau, deren Fingernägel sich in ihre fettgepolsterten Achseln gruben. »Wenn deine Worte aber bedeuten sollen, Gebieterin, daß du in deiner Trauer verzweifeln willst, so antworte ich dir: Nimmermehr! Diesem Burschen würde ich keine Träne nachweinen!«

»Weinen ...?« lachte Messalina grell auf, die alte Frau freigebend. »Nie wieder werde ich weinen, solange ich lebe.«

»Herrin, sag das nicht! Es ist Frevel!« warnte die lebenserfahrene Frau. »Trotz aller Wahrsager und Sterndeuter werden wir nie wissen, was die Götter über uns verhängen. Aber du siehst, ich hatte recht, als ich dir sagte, erwarte von einem Komödianten nicht zuviel. Ich kenne die Welt. An meinem Hause wirft sie die Maske ab und zeigt ihr wahres Gesicht. Ein Schauspieler! Er mimt nicht nur auf der Bühne, er spielt eitel auch vor sich selbst und den Nächsten seine Rolle und bleibt ein Komödiant in allem, was er denkt und treibt. So mußt du diesen Paris sehen – nicht anders. Wie sagte ich? Es gibt der Liebhaber mehr als genug.«

Messalina hörte nicht das Schwatzen der Alten. Ihre Gedanken stoben. Wer war das Weib, das Paris gerettet hatte? Ihm vorgelogen hatte, daß sie ihn gerettet habe? Wer war dieses Weib?! Eine Nebenbuhlerin? Eine tückische Nebenbuhlerin?

Ihre Gedanken stoben. Ihr tief gedemütigtes Gemüt empörte sich in selbstzerstörerischem Trotze.

Der Erste hatte sie vergewaltigt, der Zweite sie betrogen und durch seinen feigen Verdacht entehrt. Das waren die Männer! Was war sie ihnen gewesen? Ein Nichts! Eine Dirne, die man nimmt – – und fortwirft, wenn man sie genossen hat. Was war Liebe? Ein lächerlicher Hohn! Ein alberner Traum! Fort damit! Die Wildheit ihres Geschlechtes barst in der geschändeten Frau empor. Eine Dirne war sie ihren beiden Geliebten gewesen – mehr nicht! Weiter nichts! Eine Dirne wollte sie sein und bleiben. Sonst nichts! Genießen, Wollust schlürfen, sich von Taumel zu Taumel werfen. Weiter nichts! Leben wie Rom, die große Metze, lebte! Sonst nichts!

Plötzlich schrie sie die Alte fanatisch an: »Verschaffe mir einen Liebhaber!«

Rubria starrte benommen.

»Hörst du nicht?! Einen Mann will ich, der mich nimmt und fortwirft!«

»Ich will sehen, was sich tun läßt, Kind. Doch überlege erst, ob –« Sie hob die Hände. Sie zitterten.

»Ich habe nichts zu überlegen!« rief Messalina ekstatisch. »Ich will genießen – ich will brennen wie eine Flamme, wie eine heiße, verzehrende giftige Flamme! Fackel will ich sein – Fackel der Lust, die die Männer verzehrt. Feuer der Rache auf dem Altare der Venus. Rufe einen Mann – er soll zufrieden sein.«

»Ewige Götter – Domina!« rief Rubria entsetzt.

»Kupplerin, schreckt dich dein Gewerbe?« schrie Messalina in ausbrechender, verzweifelter Raserei. »Soll Rom erleben, daß ich einen der Schandstühle draußen vor deinem Hause besteige und mit entblößten Brüsten die vorübergehenden Männer anrufe, mir zu Willen zu sein?«

Sie riß sich die Stola vom Leibe und stand da in einer flammenfarbigen Multicia, deren Florstoff fast nichts von dem herrlichen Körper verhüllte.

»Bisher hat man mir meinen Körper gestohlen. Jetzt will ich ihn freiwillig jedem schenken, der ehrlich bekennt, nichts zu begehren als meinen Leib. Der nicht eine Sekunde an meine Seele und mein Herz verliert. Hinaus, Kupplerin – verkaufe mich, wem du magst!«

Mutter Rubria war bis zur Tür zurückgewichen. Die Tobende sah gefährlich aus, als sie jetzt die Haare löste und eine lange Goldnadel mit tückisch grün schimmerndem Smaragdkopf in der Faust hielt.

»Ich lehne jede Verantwortung ab,« rief die Verängstigte.

»Laß die Götter und mich mein Geschick verantworten,« höhnte Messalina. Sie warf die kostbare Nadel vor die Füße der Wirtin. »Da – mach dich damit bezahlt, wenn du um deinen Lohn bangst!«

So töricht war Mutter Rubria nun doch nicht, das erste Federchen des Goldvogels zu verschmähen. Sie bückte sich flugs, hob die Nadel auf. Mit raschem Blicke schätzte sie das Kleinod auf etliche hundert Denare.

»Ich bin deine Dienerin, Domina,« versicherte sie und brachte sich und ihre Beute schleunigst außer Gefahr.

Draußen blieb sie aufatmend stehen und überlegte. Was war nun zu tun? Hatte die enttäuschte Dame vor Leid den Verstand verloren? War es nicht das beste, einen Soldaten der Stadtkohorte herbeizuholen? Doch nein! Wer wußte denn, aus welchem hohen Hause diese zorn- und lustrasende Person stammte! Sie ahnte Unglaubliches. Am Ende brachte es dem »Tanzenden Kranich« selbst Gefahr, wenn man den behördlichen Schnüfflern Gelegenheit bot, in seine Geheimnisse zu blicken. Nicht immer konnte es genau nach den Gesetzen zugehen hinter den verschwiegenen Mauern eines solchen Hauses.

Rubria schritt ins Atrium, die Besucher ihrer Spelunke zu prüfen.

Nur wenige Mädchen fand sie im Empfangsraume. Einige folgten dem halblauten Vortrag einer griechischen Harfensängerin, andere plauderten munter mit einigen jungen Leuten, die um diese Stunde oberflächliche geistige Zerstreuung bei Mutter Rubria suchten.

Ein hochgewachsener Grieche lehnte an der Säule, neben der die Sängerin kauerte. Er hielt den hübschen Kopf geneigt und lauschte dem ionischen Liede, das ihn wehmütig an die Heimat erinnerte.

Als die Wirtin das Atrium betrat, hob er das edelgeschnittene Antlitz, das seine vornehme Abstammung verriet, und nickte der Alten mit der Vertraulichkeit eines guten Bekannten zu.

»Willkommen,« erwiderte sie den Gruß. »Dies um so mehr, als du gelegen kommst.«

»Wie soll ich das verstehen?« forschte er, die klugen, dunkeln Augen unter der geistvoll geräumigen Stirn erstaunt auf Rubria heftend.

Sie zog ihn beiseite: »Würdest du mir die Gefälligkeit erweisen, eine vornehme Dame zu unterhalten?«

Lachend erwiderte er: »Du edle Oberpriesterin des Eros, wenn sie jung und schön ist, will ich dir diese Zumutung verzeihen. Sonst aber – bei der Göttin von Kypros! – mache dich auf meinen Zorn gefaßt.«

Mutter Rubria war freigeboren, der Grieche aber – wie sie wußte – ein freigelassener Sklave. Mit dem Hochmute, den der freigeborene Römer auch dem vornehmsten Freigelassenen gegenüber fühlte, antwortete sie daher: »Du kannst es dir zur Ehre rechnen, Narzissus, wenn ich dich zum Genossen dieser Dame wähle, die wahrlich der kyprischen Aphrodite selbst nicht nachsteht!«

»Du machst mich neugierig,« bekannte Narzissus. »Verfüge über mich! Was habe ich zu tun?«

Sie zuckte die Achseln.

»Wahrscheinlich nicht mehr, als durch geistreiches Geplauder eine Verschmähte zu beruhigen und zur Vernunft zu bringen. Ihr Liebhaber hat sie verlassen. Einstweilen rast sie.«

»Rasende Mänaden sind nie schön, auch wenn sie noch so wohlgebildet sind,« zögerte Narzissus. »Ich liebe Gleichmaß und Harmonie. Kann ich sie wenigstens vorher unbemerkt sehen?«

Sie nickte. »Komm! Du wirst staunen.«

Narzissus folgte ihr durch den langen, dunkeln Gang, der zu den verborgenen Räumen des Rückgebäudes führte. Nahe der Tür des Cubiculums ermahnte Mutter Rubria ihn zur Vorsicht. Er beugte sich zu einer Stelle nieder, an der der Vorhang um Fingersbreite vom Türrahmen abstand, und – – prallte zurück. Hastig zog er die Wirtin in den Flur.

»Du hast recht. Ich staune aufs höchste,« flüsterte er. »Weißt du, wen du beherbergst?«

»Ich kenne sie nicht und darf sie auch nicht kennen,« gab die Alte zurück. »Ich ahne nur.«

»Bleibe bei dieser Klugheit, rate ich dir dringlich. Denn wenn du wüßtest, wer dort drinnen wartet, könntest du leicht deine Tage im Tullianum des mamertinischen Kerkers beschließen. Nun geh und melde mich. Bei dieser Frau tritt man nicht ein, wie ein Schifferknecht in die Taberne.«

Mutter Rubria gehorchte. Wenige Minuten später stand der Grieche vor der hochaufgereckten, herrlichen Frau, die über das Florgewand wieder die Lacerna geworfen hatte. Messalina musterte schweigend die edle Erscheinung des Mannes. Dann griff sie langsam nach dem Mantel, sich zu enthüllen.

Narzissus machte eine Bewegung leichten Erschreckens. »Warte noch, edle Gebieterin! Vernimm zuvor, daß ich weiß, wer du bist.«

Sie blickte ihn stolz an und erwiderte: »Meinst du, der Purpur schütze die Frau vor dem Dirnentume? Hier steht nur das Weib, nicht die Fürstin.«

Dann warf sie den Mantel ab und bedeckte mit beiden Händen das starr verzerrte Gesicht und litt, daß Narzissus ihr zu Füßen sank und aufflammend ihre Knie umfaßte.


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