Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

2

Unter den Hunderten von Männern aus dem Süden und Norden, Osten und Westen des Weltreiches, die noch immer täglich die Flure des Palatiums füllten, dem neuen Cäsar ihre pflichtschuldige Aufwartung zu machen, unter den Galliern, Lusitaniern, Ägyptern, Griechen, Sarmaten und anderen Völkervertretern befand sich an einem Märztage auch Abalanda, der Sohn des nordischen Chattenfürsten Togodumues.

Doch wenn die andern als Gesandte, als Vertreter ihrer Fürsten, als Huldigende erschienen waren, nahte sich Abalanda dem Kaiser nur, weil er sich nach schwerem innerem Kampfe entschlossen hatte, von Claudius persönlich die Erlaubnis zur Rückkehr in die Heimat zu erbitten.

Die Absicht zur Heimkehr hatte Abalanda schon gefaßt, als die Verheiratung Messalinas ihm jede Hoffnung auf die junge Freundin raubte. Doch damals sah Caligula in dem Sohn des Togodumues einen Bürgen für das Wohlverhalten der kriegerischen Chattenstämme und hatte die Entlassung rundweg abgeschlagen.

Verbissen hielt Abalanda in Rom aus. Trotz aller Hoffnungslosigkeit hoffte sein törichtes, liebendes Herz noch immer. Er erwartete ein Wunder, eine Schicksalswendung, die ihm die Geliebte doch noch in die Arme legte. Er konnte es nicht ertragen, sie als Gattin des alten Tölpels Claudius zu sehen.

Da trat der Umschwung ein, der die Traumgestalt seiner Liebe zu unerreichbaren Höhen emportrug und sie ihm, dem Fremden, für immer nahm.

Lange Tage rang der schwerblütige Nordländer mit der vernichtenden Gewißheit. Die Art seines Aufenthaltes in Rom gestattete ihm nicht, sich formlos zu entfernen. Er bedurfte kaiserlicher Ausweise zur Heimkehr. Eine Flucht duldete sein Stolz nicht. Auch hätte er von Grenzwachen aufgegriffen und mit Gewalt als Gefangener nach Rom zurückgebracht werden können.

Claudius kannte ihn und wußte, daß der nordische Fürstensohn im elterlichen Hause der Kaiserin einige Monate als Gast geweilt hatte, als noch niemand ahnen konnte, das junge, heitere und eigenwillige Mädchen werde über eine von tyrannischer Willkür diktierte Ehe den Weg zum Throne der Welt finden.

Der neue Cäsar hatte seinen wundersamen Regierungsantritt auf Wunsch seiner griechischen Ratgeber und aus eigener Milde durch viele Gnadenakte geweiht. Er gewährte auch ohne Besinnen dem prinzlichen Vertreter eines unterworfenen Germanenvolkes freie und verbürgte Heimkehr. Er erwartete, daß der ehemalige Freund der Kaiserin sich auch von ihr verabschieden würde. Diese wohlwollende Erwartung durfte Abalanda nicht enttäuschen. Er mußte diese letzte Begegnung ertragen, so gern er auch ein Wiedersehen vermieden hätte.

Es war nicht mehr die freundliche Fabulla, die der Herrin den Besuch meldete. Vor den Gemächern der Kaiserin standen prätorianische Leibwachen. Ein Atriarch prüfte sorgsam Namen und Stand des Besuches, ehe er ihn einem Sklaven im Wartezimmer überwies, der ihn wieder einer beamteten Dienerin überlieferte, die ihn der Gebieterin zuführte.

Abalanda lächelte über diese Umständlichkeit des palatinischen Ceremoniales. Er gedachte, wie es noch vor kaum einem halben Jahre genügt hatte, vor Valeria Messalinas Zimmer zu rufen: »Darf man eintreten?« – wie dann Fabulla den Vorhang hob, den Namen sagte – Fabulla mit dem ewig heiteren Gesicht. Hier starrten fremde Mienen den Harrenden finster an, als argwöhnten sie in jedem Nahenden einen verkappten Meuchelmörder.

Doch kaum hatte eine der in strotzenden roten Tuniken prangenden Sklavinnen kniend den Nordländer angemeldet, als drinnen ein halblauter Ausruf ertönte. Der Vorhang wurde zurückgeworfen. Die Kaiserin selbst erschien auf der Schwelle.

»Abalanda!« Mit ausgestreckten Armen stand sie dort, eilte dann auf den Jugendfreund zu, noch bevor er, der Etikette gemäß, das Knie vor der Herrscherin beugen konnte.

»Es bedarf dessen nicht, du lieber Freund,« wehrte sie. Dann wandte sie sich streng an die Dienerin. »Ich wünsche, daß jeder weiß: für den Gast meines Elternhauses bin ich stets zu sprechen!« Sie schritt ihm voran in das Innengemach und scheuchte die anwesenden zwei Sklavinnen vor die Tür.

»Wir sahen einander lange nicht,« eröffnete Messalina das Gespräch. Sie war hinter einen Sessel getreten, auf dessen hohe Rücklehne sie beide Arme legte, aus schmalen Augenspalten den stattlichen Germanen betrachtend. »Du hast dich verändert, Abalanda. Ernster noch siehst du aus als ehedem. Auch trägst du nicht mehr die römische Toga. Doch das einfachere und rauhere Gewand deiner Heimat kleidet dich besser.«

»Die Toga trug ich auf den Wunsch des Kaisers Caligula,« erwiderte Abalanda. Er senkte den Blick. Dann hob er langsam wieder die Augen und sagte mit hart beherrschter Stimme: »Er hatte seltsame Einfälle. Doch was mein Leid war, ward dein Heil, Fürstin.«

Sie wartete vergeblich auf beglückwünschende Worte, ehe sie herb sagte: »Du hast dich lange besonnen, Abalanda, mir deine Glückwünsche zu überbringen.«

Er schüttelte das blonde Haupt: »Es ist auch heute nicht der Zweck meines Kommens, hohe Gebieterin.«

»Laß die Phrasen,« unterbrach sie mit einer wegwerfenden, leichten Geste. »Ich bin nicht deine Gebieterin geworden. Ich blieb dir die Gefährtin aus heiteren, schönen Tagen. Aber gerade deshalb habe ich erwartet, dich unter den ersten Gratulanten zu sehen. Wenn du auch heute zu anderem Zwecke kommst, was führt dich herauf zum Palatin und zu mir?«

»Der Wunsch des Cäsars, daß ich der Kaiserin Lebewohl sage, ehe ich in die Heimat reise.«

Rasch kam sie hinter dem Sessel hervor und auf Abalanda zu. Ihr Gesicht war um einen Schein blasser geworden, ihre Augen brannten, als sie enttäuscht flüsterte: »Du verläßt Rom?«

Dann besann sie sich. Bog den Kopf mit einer geschmeidigen Bewegung in den Nacken, lachte leise auf und ließ sich in die goldbequasteten Polster des Lehnsessels nieder.

»Es bedarf also des Wunsches eines Kaisers, damit der Freund nicht feige ohne Abschied aus Rom verschwindet!«

Abalanda errötete. »Noch keiner hat gewagt, mich feige zu nennen,« entgegnete er, seine Bewegung meisternd. »Dennoch will ich gestehen, etwas hielt mich zurück, vor der Freundin und vor der Kaiserin zu erscheinen.«

»Ich weiß, du hast mich geliebt, Abalanda,« sagte sie leise mit geschlossenen Lidern. »Vielleicht ist meine Reue, mich nicht in dieser Liebe geborgen zu haben, tausendmal bitterer als dein Leid des Verzichtes.«

»Valeria Messalina,« brachte er mit erstickter Stimme hervor.

»Sprich nicht, o sprich nicht!« flehte sie unterdrückt. Zwei klare Tropfen perlten an ihren gesenkten Wimpern. Erst nach langer Zeit hatte sie die Fassung, weiter zu sprechen. Und jetzt klang ihre Stimme schneidend: »Es ist gut, daß du gehst. Die Valeria, die du liebtest, ist tot. Für die Messalina, die lebt, bist du zu schade!«

Auf das tiefste erschrocken, trat er näher an sie heran. Ihre auf der Armlehne des Sessels ruhende Hand beim Gelenk umspannend, fragte er stockend: »Valeria Messalina – in Rom – erzählt man – doch nein, das ist unmöglich –«

Er starrte sie beschwörend an.

Langsam erhob sie sich. »Was spricht man?« fragte sie hart.

Konnte er wissen, konnte Rom wissen von jener Stunde, in der das Cubiculum des Gasthauses »Zum tanzenden Kranich« der Grieche Narzissus betreten hatte?

Während sie mit angehaltenem Atem lauschte, begann er düster: »Es gibt in Rom wohl nur einen Menschen, der nichts weiß von deinem – Freunde Paris. Das ist der Cäsar. Obgleich die Zeiten der Spione eines Caligula vorüber sind, obgleich die Menschen sich wieder sicher fühlen, weil Kaiser Claudius die berüchtigten Lockspitzel verjagt hat, die zu tadelnden Äußerungen über den Cäsar verleiteten und dann gegen den Verleiteten als Zeugen auftraten, obgleich das freie Wort wieder eine Statt hat in Rom, wagt man dennoch nur im engsten Kreise zu flüstern über die Kaiserin Messalina. Es wird insgeheim gegen dich gewühlt und gehetzt. Hast du einen Feind, Valeria Messalina?«

Sie schüttelte den Kopf: »Ich habe niemand ein Leid zugefügt.«

»Es bedarf dessen in Rom nicht, um sich einen Feind zu schaffen,« bedachte Abalanda. »Der Kaiser Claudius gilt als ein gleich milder Mensch wie Monarch. Man erzählt, daß er mit Tränen in den Augen der Forderung des Senates nachgab, die beiden Militärtribunen Cassius Chärea und Cornelius Sabinus hinrichten zu lassen als Häupter der Verschwörung gegen Caligula. Man rechnet ihm dieses vergossene Blut der beiden Befreier des Volkes nicht an, denn seine Thronbesteigung blieb sonst frei von Blut. Man erkennt an, daß ein so grauenvolles Geschehnis wie ein Kaisermord nicht vollkommen ungesühnt bleiben durfte.«

Messalina richtete sich auf. »Ich kenne dich gut, Abalanda, und höre heraus, daß du mit diesen Erörterungen deine eigentliche Frage hinausschiebst. Nie hat dir der Mut gefehlt, wahr zu sein. Warum fehlt er dir jetzt?«

Er senkte das Haupt und gab zu: »Mein Glaube an dich ist erschüttert, Valeria Messalina, und ich schäme mich dessen. Deshalb mied ich dich. Du hast recht, der Mut zur Frage ist mir entsunken. Ich hätte dich nicht wiedersehen dürfen.«

»Um heimzukehren in dem Glauben, daß ein unerhörter Makel auf dem Andenken jener Frau lastet, die du liebtest!« rief Messalina heftig., »Ich wiederhole dir, ich habe niemand ein Leid zugefügt als mir selbst. Und das verantworte ich vor mir allein. Du weißt offenbar von Gerüchten, gegen die ich mich verteidigen kann. Muß dich die Freundin an deine Pflicht erinnern?«

Da fragte er freimütig, nachdem sein Auge forschend den offenen Ausdruck ihrer Züge betrachtet hatte: »Was war dir Paris?«

Die Frage traf sie wie ein Stich. Doch sie faßte sich rasch und gab klare Auskunft.

»Darauf zu antworten, muß ich weiter ausholen.«

Sie trat in die Tageshelle einer kleinen Kolonnade, die das Solarium draußen von dem Innengemach abgrenzte. Sich an eine der Säulen lehnend, stand sie sonnenüberflossen dort, den Blick auf das Häusermeer der zu Füßen des Palatins ruhenden Millionenstadt geheftet. Dann sprach sie: »Man nennt meine Erhebung zur Kaiserin einen Aufstieg, weil man vergißt, daß in mir zwiefach das Blut des julischen Geschlechtes pulst. Ich bin nach meiner Herkunft tausendmal kaiserlicher als der Mann, der jetzt das Principat innehat. Er ist's, von dessen Aufstieg man reden müßte. Daß er ein guter Mensch ist, leugne ich nicht. Seine Güte schätze ich. Aber« – sie sah Abalanda mutig an – »ein Mann, dessen Blut zu meinem Blute, dessen Sinne zu meinen Sinnen sprächen, ist er nicht. Das war mir Paris.«

»Du liebtest ihn, Valeria Messalina?« Es klang wie ein Schmerzensschrei.

Sie zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht mehr. Vielleicht war alles nur ein Rausch. Mich dürstete – ich griff nach einem Becher.«

»Was trennte dich von Paris?«

»Ah, du verhörst mich, lieber Freund,« versetzte sie nach einem bitteren Auflachen. »Gut. Dem Scheidenden verschweige ich nichts. Ihr Nordländer seid Menschen des Verstandes – wir Menschen des sonnigen Südens des Gefühls. Was mich von Paris trennte? Du würdest vielleicht sagen, die Macht des Schicksals, das jede Schuld bestraft. Ich sage, die menschliche Gemeinheit.«

»Und das rächst du so blutig?!«

»Vielleicht hätte sich die Kaiserin gerächt, wenn der Feigling mich nicht aus sicherer Ferne getroffen hätte.«

Abalanda war mit einem hastigen Satze bei ihr. »Valeria Messalina,« rief er eindringlich, »ist das die Wahrheit?«

Er bebte vor Aufregung, als er hinzufügte: »Einmal schon – in jener Nacht, als ich deine Heimkunft aus dem Kaiserpalast erwartete – fühlte ich, daß du eines Beschützers bedurftest. Deine rasche Ehe mit Claudius Drusus verwehrte mir das Recht, dir zur Seite zu stehen. Ich liebe dich noch immer, Valeria Messalina, anders, als man in Rom liebt. Die düstere Wildnis meiner Heimat erzieht uns nicht zum Tändelspiel der Liebe und leichtem Vergessen.«

»Du treuer Mensch,« flüsterte sie, mit dem Schmerz um ewig Verlorenes ringend. »Nenne mich nicht mit den zwei Namen! Sie sind nur noch wehmütige Erinnerung.« Sie schritt in das Gemach zurück und ließ sich in einen Sessel nieder.

»Lassen wir das Vergangene vergangen sein, mein Freund. Wehmut liegt der Kaiserin Messalina nicht mehr – auch nicht der Geliebten eines Paris – noch weniger aber der Frau, die du zu kennen meinst, ohne sie wirklich zu kennen. – Also nun weiter.«

Er staunte über den leichtfertigen Ton, in dem sie plötzlich sprach. Dann fragte er von der Säule des Balkons aus: »Was ward aus Paris?«

Da sie nur eine Gebärde verachtender Gleichgültigkeit machte, forschte er dringlicher: »Du weißt wirklich nichts von dem Gerücht, das dich umschleicht?!«

Messalina lachte obenhin. »Wer im Lichtglanze auf goldenem Stuhle thront, wirft einen langen Schatten. Er muß gewärtig sein, daß die Menschen um so lieber auf diesen Schatten treten, wenn ihnen der Schattenwerfer selbst unerreichbar ist. Was meinem Schatten widerfährt, läßt mich kalt.«

»Kalt auch dann, Fürstin, wenn man behauptet, selbst aller Glanz der Kaiserin vermöchte nicht Blut zu vertuschen – das Blut eines Menschen, dessen du dich entledigt hättest, weil das Geheimnis, das diesen Menschen mit dir verband, der Kaiserin lästig geworden sei?«

Alle Farbe wich aus dem Antlitz Messalinas, als sie aufschrie: »Blut?! Sprichst du von einem Morde, Abalanda?«

Er zögerte mit der Antwort. Er fürchtete die Bestätigung aus ihrem Munde.

»Sprich doch!« drängte sie. Vergeblich blieb ihre Anstrengung, sich zu erheben. Die Angst lähmte sie.

Langsam, jedes Wort ihm eine Qual, sagte er: »An der tiberinischen Insel strandete der noch von frischen Dolchwunden blutende Leichnam des Tragöden Paris.«

»Wann?«

»Acht Tage nachdem die Gattin des Claudius Drusus im Lager der Prätorianer so beredt um die Imperatorenwürde für den Gatten warb.«

Nur wenige Minuten kämpfte Messalina. Dann hatte sie sich bezwungen und mit übermenschlicher Kraft die Nachricht vom Tode des einst fanatisch geliebten Mannes überwunden.

»Was gilt in Rom ein Menschenleben!« sprach sie mit einer Besonnenheit, vor der Abalanda graute. »Das Gespenst des Toten kann mich so wenig schrecken wie das Gerücht, das mich verdächtigt. Ich bin unschuldig an der Mordtat. Ich rächte mich nur an mir selbst.«

Sie wurde durch eine Sklavin unterbrochen, die eintrat und sich an der Schwelle auf die Knie niederließ.

»Verzeih mir, Erhabene,« bat die Dienerin mit angsterfülltem Gesicht. »Doch Narzissus besteht darauf, daß ich ihn dir melde.«

Messalinas Antlitz glühte auf vor Erschrecken. Doch auch vor Zorn. Mit einem Sprunge war sie aus dem Sessel und neben der Sklavin.

»Hinaus mit dir!« schrie sie. »Und sage dem Griechen, daß die Kaiserin noch immer zu bestimmen hat, ob sie gestört sein will, ob nicht.«

Während die Dienerin flüchtete, offenbar glücklich, daß der Auftritt nicht schlimmer abgelaufen war, wandte Messalina sich mit stürmendem Atem an Abalanda.

»Vergib, daß du mich im Zorn sehen mußtest. Du kamst, Lebewohl zu sagen. Guten Herzens ist der Cäsar. Er glaubte uns einen Liebesdienst zu erweisen, wenn er dir gebot, dich von mir zu verabschieden. Du siehst, ich bin nicht mehr Valeria Messalina. Es wäre besser gewesen, du würdest – wie du es gewollt – spurlos aus meinem Leben verschwunden sein.«

Plötzlich ganz Fürstin, sprach sie hoheitsvoll: »Die Götter mögen deinen Heimweg beschirmen. Grüße den finsteren Norden. Oft wird mein Gedenken dir dorthin folgen.« Sie reichte ihm die Hand.

Abalanda ergriff sie.

»Auch die freundschaftlichste Verabschiedung von der Kaiserin darf die angemessene Zeit nicht überschreiten,« sagte da hinter ihm eine tiefe, reine Stimme.

Als Abalanda sich umwandte, sah er einen hochgewachsenen Mann in kostbarer Kleidung an der Tür stehen. Narzissus hielt den Vorhang offen und trat mit einem undurchsichtigen Lächeln ein wenig zur Seite, mit einer Handbewegung zum Verlassen des Gemaches auffordernd. Zu stolz, sich in Gegenwart eines Fremden vertraulich von der Freundin zu verabschieden, verneigte sich der nordische Fürstensohn stumm vor der Kaiserin und ging, ohne von dem Freigelassenen Notiz zu nehmen.

Der Grieche ließ den Vorhang fallen. Sein schönes, kluges Gesicht verfinsterte sich, als er sagte: »Ein stattlicher Mensch, dieser Barbar. Man könnte eifersüchtig werden.«

Messalina blickte ihn voll empörter Verachtung an. »Du vergißt die Verabredung, Narzissus.«

»Man vergißt manches im Banne einer schönen Frau,« erwiderte er gelassen. »Sein Glück, daß der Nordländer Rom verläßt!«

Eine Liebkosung schroff abweisend, versicherte sie: »Er ist so ungefährlich, daß er ruhig bleiben könnte.«

Dann sah sie ihn durchdringend an und sagte: »Einen Tag nach meiner ersten Begegnung mit dir fischte man einen Ermordeten aus dem Tiber. – Narzissus, wußtest du davon?«

Der Grieche nickte ernst. »Ich weiß sogar, warum er büßte.«

Der entsetzt vor ihm Zurückweichenden nachgehend, streckte er seine reich mit Ringen geschmückten Hände aus. »Sie sind rein. Ich bin zu klug, mich aus Eifersucht zu einer Mordtat verleiten zu lassen. Da aber halb Rom zischelt, der Mime Paris sei der Kaiserin im Wege gewesen, hielt ich es für meine Pflicht, dem Gerüchte nachzuforschen. Ich liebe nicht nur – ich diene auch: meinem kaiserlichen Herrn und der Gebieterin.«

»Wer hat ihn getötet?«

Narzissus zuckte die Achseln.

»Mein Verdacht, edle Gebieterin, ist noch nicht so bestimmt, daß ich ihm Worte verleihen dürfte.«

Dann flüsterte er warnend: »Es ist auch unter einem mit milder Hand regierenden Cäsar Claudius gewagt, unbegründeten Verdacht zu äußern. Ich bin aus dem Dunkel in den Glanz des Thrones gestiegen, das könnte mir Feinde schaffen, denen meine Anwesenheit im Palatin nicht erwünscht ist. Ich bin aus einem leichtfertigen Leben in das Land der Liebe verschlagen. Aber ein Narzissus ist kein unvorsichtig verliebter Paris, auch wenn er noch so glühend liebt. Daran, Herrin, erinnere dich zu gegebener Zeit.«

Er verneigte sich und verließ plötzlich das Gemach.

Im Flur traf er auf seinen Freund Polybius, der ihn erwartet hatte. Eine Weile gingen die beiden Ratgeber des Kaisers schweigend nebeneinander her, dem vom Cäsar bewohnten Teile des Palastes zu. Sie schritten langsamer, als sie das Viridarium erreichten, einen mit Ziergärten geschmückten Innenhof. Hier blieben sie vor einem Springbrunnen stehen, als wären sie in das Spiel der rauschenden Fontäne vertieft. Doch das laute Brausen des hoch aufsteigenden und in prismatisch funkelnden Kristalltropfen zurückfallenden Wassers sollte nur ihr leises Gespräch übertönen. Obwohl im Viridarium nur einige Gärtnersklaven arbeiteten, waren die beiden Griechen zu vorsichtig, sich nicht gegen Lauscher zu schützen.

»Ich folgte deinem Rate, Polybius, sie ist gewarnt,« murmelte Narzissus.

»Zu deiner Sicherheit, glaube mir,« gab Polybius leise zurück. »Doch verdirb es nicht mit ihr. Claudius hat sich – ein seltener Fall in Rom – in die jugendliche Gattin verliebt. Er ist ihrem Einflüsse ungewöhnlich zugänglich. Wir bedürfen ihrer, wollen wir den Kaiser in der Hand behalten. Bildlich gesprochen: wollen wir den römischen Adler zähmen – obwohl Claudius alles andere eher als ein Adler ist – so müssen wir der Taube sicher sein.«

»Obwohl Messalina alles andere, nur keine Taube ist,« flocht Narzissus scherzend ein.

»Unser Wille muß regieren,« fuhr Polybius mit entschlossener Miene fort. »Das in der Furcht der Bestie Caligula verdummte Rom bedarf der Weisheit griechischen Geistes. Wir werden es sein, die säen und ernten zugleich.«

»Griechenland über Rom regierend – ein erlauchter Gedanke!« flüsterte Narzissus, und sein geistvolles Antlitz leuchtete.

»Es wird gelingen, wenn du dich von deiner Liebe zu Messalina nicht verblenden läßt.«

»Ich liebe sie nur mit den Sinnen, nicht mit der Seele,« versicherte der Freigelassene mit einem kühlen Lächeln. »Hierin begegnen wir uns, die Kaiserin und ich.«

»Dann bin ich beruhigt,« nickte Polybius, den stattlichen und schönen Freund wohlgefällig betrachtend. »Um mit Seneca zu sprechen: wir betreiben die Geschäfte der Nachwelt.«

»Du hast dir wahrlich ein großes Ziel gesetzt,« sagte Narzissus bewundernd.

»Nicht nur mir,« verbesserte der gelehrte Grieche mit gedankenvollem Sinnen. »Auch dir – und ich gedenke noch unsere Freunde Pallas und Callistus heranzuziehen, damit wir einen unzerbrechlichen Ring um Claudius schließen, der durch keine Weiberintrige zu sprengen ist.«

»Wen fürchtest du? Doch nicht etwa Messalina, die nicht die geringste Lust zur Einmischung in die Staatsgeschäfte verspürt!«

»Agrippina,« erwiderte Polybius bedeutsam. »Wir hätten nicht dulden sollen, daß die Kaiserin, bewogen durch ihre blinde Vorliebe für diese gefährliche Intrigantin, den Claudius bestimmte, das Verbannungsedikt gegen die beiden Schwestern Caligulas endgültig aufzuheben. Livilla ist nicht weniger gefährlich als Agrippina. Beide stehen, wie ich zuverlässig weiß, mit dem uns nicht freundlich gesinnten Seneca in Verbindung.«

»Wir müssen wachsam sein, du hast recht,« gab Narzissus zu. »Livilla und Agrippina wieder festen Fußes in Rom – zwei Weiber zuviel, die der Kaiserin an Geist überlegen sind – beide wieder im Besitze ihrer Vermögen, die ihnen der ehrliche Claudius zurückgab. –

»Wenigstens eine von den beiden Frauen muß fort – und Seneca mit,« knurrte Polybius düster.

»Es wird schwer sein, Gründe zu finden.«

Polybius rieb das stark vorspringende Kinn und suchte mit stechenden Augen die Gedanken seines Schützlings zu lesen. »Läßt du mir vollkommen freie Hand?« fragte er unvermittelt.

Narzissus neigte zustimmend das Haupt.

»Livilla ist schön, begehrenswert, gewissenlos genug, um glaubhaft zu machen, daß sie der Kaiserin Grund zur Eifersucht gäbe,« spann der Grieche seinen Plan weiter. »Würdest du –«

»Halt ein!« gebot Narzissus, schwer die Hand auf des Freundes Arm legend. »Verlange nichts von mir. was meiner Liebe zur Harmonie des Lebens zuwiderläuft. So getreulich ich zu deinem Willen stehe, der Regierung des Kaisers durch unsere vereinte Klugheit die Bahn zu weisen, so wenig bin ich geneigt, aus meinem Privatleben und meinen Neigungen Staatsgeschäfte zu machen. Auch stehen wir erst am Anfange unserer Pläne. Baue daher nicht gleich in die Wolken, Polybius. Laß dir einstweilen an dem Entwurf genügen.«

Um das Gespräch abzubrechen, nahm Narzissus den Weg durch das Viridarium wieder auf, in dessen Gartenlieblichkeit die Türen der Arbeitsräume des Kaisers mündeten.

Polybius folgte dem klugen Landsmanns schweigend, ein wenig verstimmt und unwillig. Er liebte es nicht, wenn er in seiner Gewohnheit gestört wurde. Und diese Gewohnheit war, eine einmal gefaßte Absicht so lange fortzuentwickeln, bis das Gewirr der verwickelten Fäden sich zu einem Netz klar übersehbarer Maschen herausgebildet hatte.


 << zurück weiter >>