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15

Der Zuschauerraum im riesigen Theater des Pompejus war mit Menschenmassen gefüllt, als die Kaiserin – nur in Begleitung ihrer Vertrauten Fabulla – die Orchestra betrat, um auf diesem Ehrenplatze der Vorstellung beizuwohnen. Sie wurde zwar sogleich erkannt, doch nicht mit jenem Jubel begrüßt, der sich sonst erhob, wenn der kaiserliche Hofhalt vor der Bühne erschien. Nur vereinzelte Zurufe klangen hernieder von den vierzehn Cunei, in die zahlreiche Treppen den Zuschauerraum teilten. Jede dieser keilförmigen Abteilungen enthielt etwa tausend Sitzplätze.

In den am höchsten gelegenen Reihen des Amphitheaters saßen einige hübsche Frauenzimmer. Durch Kleidung und dickumschminkte Augenlider bekannten sie sich zu ihrem Berufe. Es waren käufliche Priesterinnen des Eros. Eine ältliche, dicke Frau, überladen von reichem, protzigem Schmucke, beaufsichtigte sie. Die lebhaften, pfiffigen Augen in dem gutmütigen Gesicht der Alten huschten eifrig über die plappernden und kichernden Mädchen. Sie sorgte dafür, daß ihre Schützlinge sich nicht allzu auffällig benahmen, damit der Designator, der Aufseher über die Sitzplätze, keine Gelegenheit fände, sie zum Verlassen des Theaters aufzufordern.

Im übrigen hatte der Designator ein reiches Geldgeschenk erhalten. So tat er sein möglichstes, rechts und links wie vor und hinter der dicken Frau und ihren Dirnen nur solchen Leuten Plätze anzuweisen, die an dieser Nachbarschaft keinen Anstoß nehmen, weit eher Gefallen an der Nähe der lockeren Vögel finden würden.

»Ist's wahr, Mutter Rubria, daß es die Kaiserin ist, die dort unten soeben eintrat?« erkundigte sich eines der Mädchen mit lauter Stimme.

Schnell huschte Mutter Rubria durch die Reihe zu der Fragerin hin. »Sprich leise, du Närrin!« zischte sie.

Erschrocken dämpfte das Mädchen die Stimme, flüsterte aber: »Sie ist es also! Ich habe sie sogleich wiedererkannt, obwohl sie blonde Haare hat, wenn sie bei uns im Hause erscheint.«

»Bei allen Göttern, wahre deine vorlaute Zunge!« drohte die Alte. »Ich kenne sie nicht, obwohl ich sie kenne.«

Die Dirnen lachten über die drollig unbedachten und widerspruchsvollen Worte. Und obwohl Mutter Rubria einen großen Aufwand an Beschwichtigungen und einschüchternden Gebärden verschwendete, die Mädchen zur Ruhe zu zwingen, erreichte sie nur, daß ihre Schützlinge sich in erregtem Flüstern über die unglaubliche Tatsache unterhielten, in der Kaiserin Messalina die mannstolle Lycisca entdeckt zu haben, die ihnen so manchen Freund wegschnappte, sobald sie in dem gastfreien Hause der Mutter Rubria erschien.

Ein Mädchen mit besonders frechem Gesichte rief jedoch ziemlich laut: »Sie sagte mir unlängst, sie würde lieber ein Auge verlieren als auf die Umarmung eines lendenkräftigen Mannes verzichten.«

Eine andere fügte hinzu: »Und als letzthin unser braver Dorillus im Morgendämmern das Haus von den Gästen räumen wollte und auch die nicht im Hause wohnenden Hetären verscheuchte, da bettelte diese Lycisca: ›Ach, nur den einen noch!‹ – Ihr müßt wissen, es stand ein ungewaschener Seemann vor der Tür und verlangte unter Drohungen nach einem recht lebhaften Mädchen.«

In ihrer zornigen Zurechtweisung wurde Mutter Rubria durch den Herold unterbrochen, der auf der sonnenbeleuchteten Bühne erschien und mit seinem weithin hallenden › Favete linguis!‹ den Zuschauern Schweigen gebot. Die Vorstellung begann.

Mit geringem Interesse folgte Messalina den Darbietungen. Sie wartete aus das Auftreten des Mimen Mnester, der plötzlich die Theatersensation Roms geworden war.

Traulichen, doch auch traurigen Erinnerungen an das längst versunkene Erlebnis mit dem ermordeten Schauspieler Paris hingegeben, ließ sie die bunten Bilder auf der Bühne vorübergleiten, nur hin und wieder aufmerkend, wenn das Dargestellte eine erotische Wendung zu nehmen schien. Doch man sparte heute mit liebestollen Vorführungen. Den Höhepunkt der Vorstellung sollte Mnesters berühmte Szene »Eros und die Verführung der Ais« bilden, die auch Paris einst gespielt hatte.

Endlich war die Sonne weit westwärts gewandert. Ein leichter Dunst verhüllte dort den Himmel. Blaurot sank der Sonnenball. Ein sanfter Hauch von Purpur webte die Bühne in ein zart verdämmerndes rötliches Leuchten. Das harte Blinken der zahllosen Vergoldungen an der Bühnenrückwand, an Säulen und Pfeilern, an den Göttergestalten in den zahllosen Nischen ging allmählich in ein warmes Glühen über.

So erzeugte die Natur selbst jene verträumte Stimmung gedämpfter Erwartung, die Mnester für seine Darstellungen brauchte. Der klug berechnende Künstler trat niemals in seiner großen Eros-Szene auf, wenn Wetter und Himmel nicht die Vorbedingungen an Beleuchtung und verhaltenem Zwielicht boten.

Die Zuschauer kannten schon diese Laune des gefeierten Pantomimen. Als dann der rechte Teil der Bühne bereits im tiefen Schatten des Proszeniums lag, links aber übergossen war von einer rosengoldenen Flut scheidenden Sonnenlichtes, wurden in der Pause zunächst einzelne Rufe nach Mnester laut. Dann aber dröhnte der Name durch den ungeheuren Raum des Theaters, brausend, in einmütigem Gleichtakte, gerufen von der erwartungsvollen Menge. Wie auf ein gegebenes Zeichen brach der Lärm urplötzlich ab. Trotz der ekstatischen Beliebtheit Mnesters unterbrach kein begrüßender Applaus die unvermittelt eintretende Stille, als seine Gestalt in dem Halbdunkel der rechten Bühnenseite erschien.

Langsam schritt Mnester der linken Seite der Bühne zu. Dann stand er dort in dem rötlichen Lichte, nur mit einer Tunika aus dünner, fast durchsichtiger Seide bekleidet. Aus sattem Rubinrot schimmerten die edelgeformten, vielleicht etwas zu gepflegt, zu weibisch wirkenden Glieder des Künstlers. Leise Musik eines aus Doppelflöten und Sambuken gebildeten kleinen Orchesters erklang wie ferne unweltliche Sphärentöne durch ein Portal in der Bühnenmitte.

Regungslos stand der Schauspieler, als bade er sich in den wohlig kosenden Lauten dieser Harmonien.

Dann begann er sich in leisen, vereinzelten Bewegungen zu regen, die, so einfach sie gehalten waren, in ihrer hohen künstlerischen Vollendung überzeugend die Menschwerdung des Gottes Eros aus Licht und Schatten mimisch gestalteten. Bis schließlich aus der mystischen Erscheinung ein halbnackter Mann geworden war, der sich des neugegebenen Lebens freute.

Messalina sah mit weitgeöffneten Augen. Ihre Lippen schimmerten feucht, ihre Nasenflügel zitterten, ihren Körper durchbebte ein leises Vibrieren, die vorempfindende Ahnung eines nie gekosteten Genusses.

Vielleicht war es nur ein Zufall, daß Mnesters Blick jetzt zu ihr hinschweifte. Vielleicht auch hatte ihr, in unbeherrschter Erregung glimmender Blick den seinen magnetisch an sich gezogen. Als Mnesters Auge sie traf, lehnte sie sich tief in ihren Sitz zurück und harrte unter atemloser Spannung, ob der Zufall sich wiederholen würde. Es blieb kein Zufall.

Mehr und mehr überkam sie die Überzeugung, daß Mnester nur für sie spiele. Zugleich hätte sie eine Welt darum gegeben zu wissen, ob der Künstler der Kaiserin eine Aufmerksamkeit erwies oder ob der Mann dem Weibe huldigte.

Nachdem Mnester die Metamorphose des Eros dargestellt hatte, entschwebte er in das Dunkel des Proszeniums zurück. Mit der ihm eigenen Begabung, ganz allein verschiedene Gestalten einer Szene zu verkörpern mit einer Charakterisierungskraft, daß der Zuschauer nie im Zweifel blieb, welche der Personen der Pantomime gerade handelte, schilderte der Künstler nun den Eintritt der unschuldsvollen Ais in einen Lorbeerhain. Vollendet brachte er zur Darstellung, wie das Mädchen, das Liebe ahnt, doch noch nicht kennt, an der dem Eros geweihten Quelle des Haines in holder Keuschheit ein sehnsüchtiges Blumenopfer bringt.

Dann wieder war er Eros, den die unschuldsvolle Anbetung der Ais rührt, so daß er beschließt, ihr in der Gestalt eines Hirten dankbar zu erscheinen. Doch wie er nun in Menschengestalt aus den Lorbeerbüschen tritt, kann er nicht anders als menschlich fühlen. Er entzückt sich an dem körperlichen Liebreiz der unberührten Ais und entflammt sich an der Vorstellung der Vereinigung mit den reinen Gliedern des Mädchens.

Den schlanken, weiß schimmernden Körper unter dem durchsichtigen Rubinrot leichtfüßig über die Marmorfliesen der Bühne tragend, malte Mnester in ebenso graziösen wie wollüstigen Gebärden die irdischen Gefühle des Eros.

Auch jetzt wieder schien er nur für Messalina zu spielen, sich nur an sie zu wenden, als bedürfe seine Gestaltungskraft der Inspiration durch eine belebte, belebende Wirklichkeit.

Messalina saß wie verzaubert, geschüttelt von Lüsten, die sie bis dahin nicht gekannt. Alles, was sie an Liebe genossen, erschien ihr plötzlich schal und roh. Nie war um sie so zartsinnig geworben worden, wie Eros-Mnester um die junge Ais warb. Nie hatte sie solch künstlerisch gezügelte, auswühlende Erotik gesehen, wie dieser Mime sie den Tausenden von Blicken bot.

Wie gern wäre sie Ais gewesen, der Eros jetzt, von stürmischem Begehren erfüllt, befahl, sich zu enthüllen, damit ihm keine der tausend Wonnen ihres Leibes verborgen bliebe.

Mit fast unwahrscheinlicher Gewandtheit hielt der Künstler die beiden Gestalten seiner Szene auseinander, täuschte vollkommen darüber hinweg, daß nur ein einzelner Mensch hier handelte. Bald war er Ais, die sich in zaghafter Scham immer weiter entblößte, bald der in irrer Liebesraserei entflammte Eros, der die Zügellosigkeit seiner Leidenschaft kaum noch zu bändigen vermag, je mehr der Hüllen vom Körper des Mädchen sinken. Bis sie vollkommen nackt vor ihm steht und seine tastenden Hände in schamvollem Erröten, doch auch mit dem keusch-leidenschaftlichen Wunsche duldet, ihre Sehnsucht erfüllt und ihre mädchenhaft unbewußten Triebe gestillt zu fühlen in seiner Umarmung.

Als Mnester jetzt Ais darstellte, die sich auf das Geheiß des Eros in blühenden Blumen bettete, als er dann den Mensch gewordenen Gott gestaltete, der sich in einer Wolke von Glut und Brunst über den hingegebenen Leib der Verführten niedersenkte, ertrug Messalina die furchtbare Spannung nicht länger. Mit einem tiefen, fast tierischen Aufstöhnen erhob sie sich und verließ rasch die Orchestra.

Fabulla folgte ihr, während die Zuschauer, erlöst von dem sie erstickenden Banne, in einer Raserei von Beifall die aus vollendeter Kunst in krassester Realistik endende Szene Mnesters bejubelten.

Schreie aufs äußerste erregter Weiber mischten sich in das Wetterbrausen prasselnden Händeklatschens.

Fast besinnungslos taumelte Messalina ihrer Sänfte zu und warf sich mit aufgelösten Gliedern in die Seidenpolster. Tropfen perlten auf ihrer Stirn.

Sie riß den kostbarsten ihrer Ringe vom Finger und drängte ihn Fabulla auf.

»Rasch, rasch – beeile dich! Bring das Geschenk dem Mnester und bestelle ihm, daß die Kaiserin ihn in das Haus der Mutter Rubria befiehlt. Sollte er nicht wissen, wo es ist, so warte auf ihn und geleite ihn zu mir. Er wird kommen, denn er spielte nur für mich!«

Sie riß die seidenen Vorhänge zusammen und überließ der Vertrauten, den Trägersklaven den Weg zu beschreiben. Dann löste sich die überstandene sinnliche Aufpeitschung in ein unbeherrschtes Schluchzen.

Bald darauf schritt Messalina wartend in demselben Gemache auf und ab, dessen teppichbekleidete Wände einst das große erste Glück, das ihr Paris bereitet, vor einer Welt verborgen hatten. Noch immer ragte aus dem Sockel die Bronzegestalt des Fauns, der mit ausgestrecktem Arme die an der Kette schwebende Ampel hielt, als leuchte er mit dem flackernden Dochte der Lampe dreist hinein in die Geheimnisse des Liebesnestes. Noch immer gleiste in dem verdämmernden Schimmer der schwachen Beleuchtung der goldbronzene Leib der Statuette jener bezaubernden Gestalt einer kyprischen Aphrodite. Dort stand noch das mit Pardelfellen bedeckte Pulvinarium. Noch raunte der luftkühlend aus der Wand fließende Born und ließ den glitzernden, dünnen Strahl in das Becken aus syrischem Marmor sprudeln ...

Es war die Stätte, die nicht nur das Glück der zur Liebe erweckten jugendlichen Frau des gealterten Claudius, nein, auch den Jammer der durch das Verschwinden des Paris in Ratlosigkeit und Verzweiflung gestürzten neuen Kaiserin gesehen hatte. Es war die Stätte, an der nach Paris ein überraschter Narzissus der erste Glückliche war, dem sich das verratene, verirrte junge Weib selbstschänderisch bis zur letzten Nacktheit enthüllte. Und unzählige andere noch hatten in diesem verschwiegenen Raume Tribut gezahlt an die sengende Gier der nimmersatten Lycisca, ohne zu ahnen, daß sie in der vermeintlichen Kurtisane für kurze Augenblicke eine Frau beherrschten, in deren liebesgeübten Händen in Wahrheit die Herrschaft des römischen Reiches ruhte.

Nun abermals erwartete sie hier einen Schauspieler zum Stelldichein. Damals war es ein Anfang. Lag in der Wiederholung des Erlebnisses vielleicht ein Ende?

Allein mit sich selbst, begann die Kaiserin zu überlegen.

Es stieg aus vergangenen Zeiten auf. Es war wieder Valeria Messalina, die ihren Gedanken nachhing. Valeria Messalina, in der die Roheit Caligulas die erste entsetzensvolle Erkenntnis erweckte, daß Liebe nichts sei als das Unterliegen der Schwäche des Weibes unter der brutalen Kraft des Mannes. Sie hatte sich gegen diese erste erschütternde Erfahrung aufgebäumt. Immer wieder hatte sie geglaubt, es müsse noch ein anderes Glück der Liebe geben. Paris? – Ihn zählte sie nur noch zu den Toten. Aber Narzissus, Pallas und Polybius – und die vielen anderen. Keiner war der Mann gewesen, den sie wahrhaft liebte oder von dem sie wahrhaft geliebt wurde. Nichts weiter als ein Austoben ihres domitischen Blutes. Nichts weiter als Gier nach ihrem Leibe bei allen diesen Männern oder schlimmer noch, politischer Ehrgeiz. Lebenshunger, Angst vor der Schalheit des Daseins hatte sie von Arm zu Arm gehetzt.

Jetzt, als sie auf Mnester harrte, allein in dem Gemache, in dem kein Laut war als der rieselnde Wandbrunnen – jetzt verblaßte nach und nach die Erotik der Erwartung. Eine alte, längst begrabene Sehnsucht rang sich aus dem Chaos der Verderbnis in ihrem Gemüt empor.

Hatte Mnester nicht für sie, allein für sie, gespielt? Seine Blicke bewiesen es doch! Er hatte aber nur zu ihr hinaufgeblickt, meinte sie, wenn er die zartesten, nicht die erotischen Augenblicke seiner Darstellung bot. Liebte er sie? Sie bejahte sich diese Frage, ohne sich über diese Zuversicht Rechenschaft abzulegen.

Vielleicht war Mnester die Erfüllung ihrer alten jungen Sehnsucht, lieben und geliebt zu werden, so groß und so schön, daß innigste Neigung des Herzens und feurigstes Blühen der Sinne zu einer Harmonie der Seelen und der Körper zusammenklang, die nur die höchste Huld der Götter verleihen konnte. Der Götter! War es nicht ein Zeichen ihrer Gnade: der Erste ein Schauspieler – Paris! – Der Letzte auf einer Laufbahn, vor der sie jetzt erschreckend erschauerte, wiederum ein Schauspieler! Sie fühlte sich plötzlich frei, erlöst und glücklich. Sie sollte lieben, sollte geliebt werden ...

In diesem Augenblicke betrat Mnester das Gemach.

Ohne das durchsichtige Gewand der Bühne war er nicht mehr der Mann, der vor einer Stunde ihr Blut zu unerträglicher Siedeglut erhitzt hatte. Um so besser! Das Kleid der Lust war abgeglitten von ihm, von ihr.

Ein schöner Mensch! Er schien ein wenig weichlich, wenn nicht gar weibisch, als er mit schwebenden Schritten hereinkam und mit der gleichen Kunst, mit der er seine Bewegungen auf der Bühne beherrschte, sich in mehr gespielter als empfundener Ehrerbietung vor der Kaiserin verneigte.

Messalina fühlte wider Willen ein Erkalten ihrer eben noch götterwärts steigenden Gedanken. Doch sie wehrte sich mit aller Macht gegen die aufkeimende Ernüchterung. Vergeblich. Dieser Künstler war ja nicht einmal der Paris ihres verschollenen Glückes. Doch sie zwang sich in die Stimmung zurück, in der sie auf diesen Mann gewartet hatte. Es gelang ihr nicht völlig. Mit geheimem Grauen erkannte sie, daß auch jetzt ihre lebhafte Einbildungskraft den Gedanken umtastete, der jedem Manne gegenüber sofort in ihr pochte: wie mag seine Umarmung sein?

»Du befahlst, erhabene Domina, und ich gehorchte,« unterbrach in geziertem Griechisch Mnester die verzweifelte Abwehr der ringenden Frau.

Er sprach die wenigen, inhaltsarmen Worte, wie er sie wahrscheinlich auch in einem Theaterstück, etwa in einer atellanischen Komödie gesprochen hätte.

Messalina betrachtete ihn mit dem sonderbar entblößenden und zugleich verhüllenden Schimmern ihrer Augen, die ein Plautius Lateranus als dunkel, doch nicht tief bezeichnet hatte.

»Machen wir in diesem freien Hause keinen Unterschied zwischen der Kaiserin und dem Künstler,« schlug sie vor. Sie lächelte ein wenig spöttisch. »Seien wir bloß Weib und Mann, die einander nur an solch einem Orte begegnen dürfen, weil – weil er – verborgen genug liegt, um vielleicht ein Glück zu verbergen.«

»Ich bin dein Sklave,« versicherte Mnester pathetisch. Auch dies ein Urlaut seiner Bühnenroutine.

»Nicht doch!« rief sie ungeduldig. »Laß den Mimen! Ich liebe es, einen Mann zu sehen.«

»Das ist für Rom kein Geheimnis,« glaubte der Mime scherzen zu dürfen, da er in seiner Beschränktheit den Sinn ihrer Worte nicht erfaßte.

Brennende Röte lohte über ihr Antlitz. Ihre Enttäuschung wurde schmerzhaft.

»Da dies also kein Geheimnis ist, kamst du wohl um so lieber zu mir?« forschte sie mit heiserer Stimme. »Doch ich meinte es anders, mein Freund. Wenn ich den Mann betonte, so zielte ich diesmal auf den Charakter, nicht auf das Geschlecht.«

Der Schauspieler sah beleidigt drein. »Nun,« sagte er putzig eitel, »ich glaube meinen Mann zu stehen, wenn ich nicht gerade – Mädchen darstelle.«

Messalina konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.

Da rief er gekränkt, »Sind denn alle deine Freunde so viel männlicher als ich?!«

»Nicht alle,« spottete Messalina. »Doch sicher zwei von ihnen waren wirkliche Männer. Den einen sah ich heute morgen erst!«

Hier flackerte ihr Blick düster auf, um dann zu erlöschen in der Erinnerung an bitter Versäumtes, unwiederbringlich Verlorenes. Sie dachte an Abalanda, als sie seufzend hinzufügte: »Den andern traf ich vor langer, langer Zeit.«

»Waren es Römer?« fragte Mnester mit einem törichten Lächeln des Zweifels.

Sie starrte flüchtig auf dieses Lächeln. Es war süßlich, gezwungen, überheblich wie das Lächeln, mit dem er sich vor dem Beifall der Menge aufgeblasen vor Ruhmsucht zu verneigen pflegte.

Dann trat sie dicht an ihn heran und fragte ihrerseits: »Du bist ein Grieche, nicht wahr?«

Nachdem er, sich in die Brust werfend, bejaht hatte, fuhr sie fort: »Das habe ich nicht bedacht, als ich dich zu mir kommen ließ.«

Sie versank in tiefes Sinnen. Wie erwachend, sprach sie dann weiter. »Der eine Mann war ein Römer und enttäuschte mich eben, weil er ein Mann und ein Römer war. Heute aber ertrage ich Enttäuschungen nicht mehr. Hüte dich!«

Sie funkelte ihn aufflammend an.

Mnester wurde blaß. Er wußte, wie weit die Macht der Kaiserin reichte, auch, daß sie noch nie gezögert hatte, von ihrer Macht Gebrauch zu machen.

In seiner Hilflosigkeit fragte er: »Und der andere?«

»Er war ein Nordländer,« antwortete sie in raschem Umschwung des Gefühls in leiser Wehmut. »Doch ich verstand ihn nicht. Denn als ich ihn wirklich kennenlernte, war es zu spät. Er liebte mich in der kühlen, klaren, begehrenslosen Weise seiner Rasse, in jener Weise, die erst erstrebt, bevor sie erringt. In diesen Tagen erhielt ich dunkle Kunde, er sei im Norden seines Landes gesehen worden in der Begleitung eines griechischen Mannes und eines Mädchens. Was böte ich dafür zu wissen, ob er um dieses Mädchens willen ohne Abschied von mir ging!«

Sie hatte diese Erzählung mehr wie in einem Selbstgespräch vor sich hingehaucht. Nun besann sie sich.

»Was hast du vermutet, als man dich hierher bestellte?« drang sie plötzlich in den Mimen.

Er spitzte die Lippen und sog leise die Luft ein, bevor er herablassend antwortete:

»Unsereiner vermutet doch nur eine Absicht, wenn vornehme Frauen Roms glauben, einem Künstler eine Ehre zu erweisen, indem sie ihn zum Stelldichein laden.«

Dann schloß er ein Lid und sah sie mit dem anderen Auge prüfend an: »Du giltst für leidenschaftlich, hohe Fürstin, und wenn du dich herabläßt –«

Barsch unterbrach sie seine selbstgefälligen, leeren Redensarten.

»Kann Liebe Herablassung sein? Die Liebe gleicht Standesunterschiede aus, einerlei wer von zwei Liebenden im weltlichen Range höher steht.« Dann beherrschte sie sich: »Du sagtest, ich sei leidenschaftlich. Nun gut, ich leugne es nicht. Es gibt Zeiten, in denen mein Begehren mich rüttelt, als wäre ich die vom Erdbeben geschüttelte Mutter Gäa. Dann bricht auch wohl die Leidenschaft aus mir hervor wie glühende Lava aus dem Vesuvius.«

Diesmal war das Lächeln Mnesters nicht mehr eitel, sondern furchtsam, als er erwiderte: »Domina, ich fürchte, du täuschest dich in mir. Man erzählt sich ein Wort von dir, und nach dem, was du mir sagst, scheint dieses Wort doch nicht nur Erfindung zu sein.«

»Und – ??«

»Man sagt, du hättest behauptet, der Sieg eines Feldherrn sei nichts gegen den Sieg einer Frau, die es fertig brächte, sich zwanzigmal am Tage besiegen zu lassen.«

Messalina lachte bitter auf. »Zwar ist diese Anekdote nur Erfindung. Aber sie beleidigt mich nicht, weil sie meine Ansicht von der Liebe ziemlich richtig wiedergibt,« sagte sie zynisch.

Mnester plapperte weiter: »Eine Erfindung – eine Anekdote nur? Wirklich? Man will doch aber wissen, du hättest solch einen Wettkampf mit einer Dirne hier im Hause ausgefochten und wärest gleichsam der siegende Feldherr geblieben.«

Sie überging die Antwort auf diese Beschuldigung und spottete: »Du aber scheinst mir kein – Feldherr zu sein, der mich zu besiegen vermöchte. Ich rate dir, iß das nächste Mal Euruken, ehe du die Einladung einer Frau annimmst, die nicht wie du Wasser, sondern heißes Blut in den Adern hat.«

»Ich verstehe diesen verletzenden Rat sehr wohl, erhabene Domina,« entgegnete er beleidigt. »Du vergißt jedoch, daß ich ein Künstler bin.«

»Das bist du allerdings!« rief sie mit ätzendem Hohne. »Deine Kunst ist ungewöhnlich. Nämlich die Kunst, über den blutlosen Menschen Mnester so zu täuschen, als wäre der Künstler Mnester ein brodelnder Vulkan der Leidenschaft. Ich sah dich heute auf der Bühne. Und ich glaubte, du schüfest durch deine Kunst der Liebe ein Denkmal. Du aber schändest sie nur. Denn deine Schlaffheit parodiert, was Blutmenschen im Taumel der Liebe fühlen.«

»Du mißverstehst mich, hohe Frau,« widersprach er kühn. »Der Künstler lebt von Idealen. Ich, der ich auf der Bühne des Scheines am liebsten edle Menschen spiele, verspüre wenig Lust, auf dem öffentlichen Theater, zu dem du deinen Körper geweiht hast, eine Rolle zu übernehmen.«

Diese maßlose Beleidigung traf die Frau wie ein Hammerschlag aufs Haupt. Zugleich fiel ihr ein, daß an diesem verhängnisvollen Tage zum zweitenmal ein Mann sie zu verschmähen wagte ...

Diese Erkenntnis vereiste ihr Blut. Doch die unverschämte Kränkung, die Scham über die Zurückweisung, die Schmach, von diesem erbärmlichen Bühnenlaffen beschimpft und verworfen zu sein, jagte ihr sofort wieder einen heißen Blutschwall zu Kopfe und färbte die erblichenen Züge purpurrot.

War denn ihr Leben nichts als Erniedrigung, die ihr, dem Weibe – von Caligula angefangen bis zu diesem jämmerlichen Mimen – von Männern zugefügt wurde, sobald sie sich herabließ und bat, statt als Kaiserin zu gebieten?!

Sie faßte den angstbebenden Komödianten derb an den Schultern.

»Bin ich nicht begehrenswert?« fauchte sie ihm ins Gesicht.

»Nur für den, der dich begehrt,« schrie er, sich unter ihrem Griffe krümmend.

»Und wenn ich dir drohe, dich durch die Folter gefügig zu machen?« gellte sie, außer sich vor Zorn.

Er gab standhaft zurück: »Dann werden nicht meine Wonnen, sondern meine Schmerzen mich zu dir aufs Lotterbett werfen.«

»Also verschmähst du mich wirklich?«

»Man betet lieber in Tempeln, die nicht vom Schmutz des Pöbels entweiht sind. Ich bin ein Grieche und ein Künstler. Die lieben nur das Edle, Schöne und Reine.«

Sie gab ihm einen Stoß, der den schwächlichen Mann gegen die Wand schleuderte, raffte ihre Pänula an sich und verließ das Gemach.

Draußen rief sie mit erstickter Stimme nach Mutter Rubria.

In gefälliger Hast erschien die Alte vor der Kaiserin.

»Du bürgst mit deinem Leben dafür, daß Mnester dein Haus nicht verläßt, bis er von Prätorianern abgeholt wird,« befahl sie keuchend.

Erschöpft lag sie in den Kissen ihrer Sänfte, während der Aufseher, dem Befehle der Herrin zufolge, die Träger mit pfeifenden Hieben zur äußersten Eile anspornte. Messalina vernahm die klatschenden Peitschenschläge, die zischend auf die nackte Haut der stöhnenden Sklaven niedersausten. Sie berauschte sich an der Vorstellung, daß bald auch Mnester so gezüchtigt werden würde.


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