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11

Die Leibwachen waren von ihrem neuen Befehlshaber Hylas Tereus aus alle Flure des Palatiums verteilt worden. An sämtlichen Eingängen zum Palaste hatte man die Posten verdoppelt. Mit finsteren Mienen versahen die Prätorianer ihren Dienst. Grimmig betrachteten sie jeden, der zur engeren Umgebung des Kaisers gehörte. Sie trauerten um Catonius Justus, konnten es nicht über sich gewinnen, an seinen Verrat zu glauben, waren aber durch neue Solderhöhung gefügig gemacht und zu sehr an Gehorsam gewöhnt, sich gegen das Todesurteil aufzulehnen, das über den beliebten Mann verhängt und bereits vollstreckt worden war.

Zahlreich waren die Besucher, die sich im Palatium einfanden, um – wie üblich – den Cäsar zur Errettung aus Gefahr zu beglückwünschen, nachdem die Gerüchte über die Hinrichtung des Catonius Justus sich wie ein Lauffeuer in Rom verbreitet hatten.

Doch viele kehrten an den Toren des Palastes um, als sie zu ihrem empörten Erstaunen sahen, wie ihre Vordermänner rücksichtslos von den rohen Fäusten der Garden nach versteckten Waffen durchsucht wurden. Dieser Rückzug der Gäste artete in panikähnliche Flucht aus, als man den greisen Prätor Flaccus Seriphus ohne weiteres zum Tode führte, weil man bei ihm einen zur Notiztafel gehörenden spitzen Schreibgriffel fand, den ein übereifriger Centurio der Leibwachen für eine dem Cäsar bestimmte Mordwaffe erklärte.

Claudius hatte eine Anzahl seiner Getreuen zur Besprechung zu sich gebeten.

Hylas Tereus, der neue Wachenkommandant, sowie der Stadtpräfekt Thyestes waren mit Narzissus, Pallas und Callistus erschienen.

Sie staunten nicht wenig, als Appius Silanus, ein vornehmer Römer, bald nach ihnen das Gemach betrat. Doch da er der Gatte der Domina Lepida, der Mutter der Kaiserin, war, nahmen sie an, er sei von Claudius berufen, der in seiner Angst vor Verrätern sich schutzsuchend mit neuen Männern umgab. Ungern sahen die Griechen den Römer in ihrer Mitte, grübelten neugierig, welchen Posten der Kaiser ihm zugedacht haben mochte, und trotzten in Eifersucht, weil der Cäsar nicht vorher ihren Rat eingeholt hatte.

So verhielten sie sich kühl abweisend und fremd gegen Silanus, der seinerseits nicht Miene machte, sich den Ratgebern seines Verwandten zu nähern. Mürrisch und unfreundlich stand er abseits und blickte als Freigeborener aus edelstem Geschlechte mit unverhohlenem Hochmute auf die griechischen Freigelassenen herab.

Endlich erschien Claudius und nahm sogleich das Wort. In ständig sich wiederholenden Redensarten, in seiner Angst wie ein altes Weib keifend, erging er sich in furchterpreßten Drohungen gegen alle Welt und in weitläufigen Klagen über die Unzuverlässigkeit seiner nächsten Umgebung.

»Mein Leben hängt ja nur an einem dünnen Fädchen, wenn ich nicht einmal mehr dem Kommandanten der Palastwachen trauen kann!« jammerte er. »Niemand, niemand, der sich darum bekümmert, von welchen Menschen ich umgeben bin! Nur die Kaiserin wacht über mich. Nur ihr verdanken wir auch diesmal die Aufdeckung eines Komplottes, das furchtbare Folgen hätte haben können. Ein hochstehender Militär als Haupt einer Verschwörung gegen mein Leben! Freunde, begreift ihr denn, was das bedeutet? Wer weiß, ob nicht das Gift bis in die Heere der Provinzen getragen wurde? Vielleicht wartet man dort nur auf die Nachricht von meiner Ermordung, um die Truppen in Bewegung zu setzen. In wenigen Tagen können sie die Grenzen überschreiten, gegen Rom anrücken unter einem Imperator, den sie erwählten. Bürgerkrieg, Brand, Mord! Es ist gar nicht auszudenken, was alles sich noch jetzt ereignen kann, wenn der Anschlag hier auch mißlungen ist. Man muß umfassende Gewaltmaßnahmen treffen. Niemand darf geschont werden. Ich habe alle Namen der Hinzurichtenden, überhaupt alles Nötige aufnotiert. Der Senat soll sich versammeln. Man muß mich in sicherer Begleitung nach dem Forum bringen. Und ich werde selbst meine Vorschläge machen und darauf dringen, daß jeder Verdächtige noch heute hinter Schloß und Riegel kommt und morgen stirbt.«

»Verzeihe, Herr,« fiel Appius Silanus hier dem Kaiser ins Wort. »Bevor du Entschlüsse fassest, die große Unruhe allerorten hervorrufen müßten, gestatte mir als deinem Verwandten einige Fragen.«

Claudius starrte den Mann an.

»Was wagst du mich zu unterbrechen, Silanus?« zeterte er. »Wie kommst du überhaupt hierher?«

»Steht dem Stiefvater der Kaiserin nicht das Recht zu, dich zu beglückwünschen, daß du einer Gefahr entronnen bist?« stellte Silanus die Gegenfrage.

Er war ein stolzer Mann in mittleren Jahren, dessen kluge Augen dem wässerigen Blick des Cäsars furchtlos begegneten.

»Daß ich hier in deinem Gemache bin, ist allerdings ein Zufall,« fuhr er fort. »Ich wartete darauf, vorgelassen zu werden, um als Haupt der Verwandtschaft deiner Gattin unsere Glückwünsche vorzubringen. Man wies mich hier herein.«

»Wieder ein Beweis, daß trotz der kaum überstandenen Gefahr noch immer keine Ordnung in den Maßnahmen zum Schutze meiner Person herrscht,« klagte Claudius.

Silanus lächelte. »Als Gemahl der Kaiserin-Mutter, zu dem du selbst mich ja bestimmt hast, stehe ich wohl außer Verdacht.«

»Nun gut, vielleicht,« zweifelte der Kaiser übellaunig. »Du bist einmal hier, und wenn du das einem Zufall verdankst, hättest du wenigstens schweigen können.«

»Schweigen?« versetzte Silanus schroff. Er blickte der Reihe nach auf Narzissus, Pallas und Callistus, dann auf den neuen Tribun der Leibwache Hylas Tereus und endlich auf den Stadtpräfekten Thyestes.

»Ich sehe dich nur von Griechen umgeben, die allerdings schweigen. Beim Jupiter, üble Ratgeber, wenn sie schweigend gutheißen, was ich vernommen habe. Ich bin ein Römer – Dank den Göttern! – und ich erachte es nicht nur als dein Verwandter, sondern auch als Römer für meine Pflicht, den Cäsar davor zu bewahren, aus Furcht zum Mörder Unschuldiger zu werden.«

Der Kaiser glotzte sprachlos den kühnen Mann an. Narzissus aber warf sich zu seinem Verteidiger auf.

»Wir müssen uns diesen Ton gegen unseren Herrn und Gebieter verbitten,« rief er heftig.

»Verbitte dir, was du willst, Freigelassener,« wies Silanus verächtlich seine Einmischung zurück. »Hier spricht ein freigeborener Mann edelsten römischen Blutes aus dem Geschlechts der Junier, dessen Beinamen Silanus aus alter Zeit her sich auch auf ihn vererbte. Ein solcher Mann spricht nicht mit ehemaligen Sklaven!«

Narzissus schwieg betroffen, blaß vor Zorn. Doch Pallas wagte eine Erwiderung.

Stolz sich aufreckend, trat er vor und sagte:

»Du legst viel Betonung auf das Wort Freigelassener, Appius mit dem berühmten Beinamen Silanus. Wir alle, die wir griechischen Blutes hier stehen, sind Freigelassene. Du hast recht. Aber du scheinst die Bedeutung des Wortes zu verkennen. Darum gestatte mir eine Belehrung. In unserer griechischen Heimat waren auch wir freigeborene Männer wie du. Die Schmach ist wahrlich nicht auf unserer Seite, wenn man nach der Eroberung Griechenlands uns dem Heimatboden entriß und uns als Sklaven nach Rom schleppte. Doch es ist unser Verdienst, und es ehrt zugleich Rom, wenn man in Anerkennung unsrer Fähigkeiten uns später die Manumissio erteilte. So sind wir ebenso stolz auf unser Freigelassenentum, wie auch du stolz wärest, hätte dir ein widriges Geschick beschieden, als römischer Sklave nach Griechenland zu kommen, dort den leichterworbenen Adel deines Geschlechtes durch Können zu erweisen und ihn von neuem zu erringen.«

Silanus war ein zu gerechter Mensch, diese sachlich richtige und auch verdiente Zurechtweisung nicht hinzunehmen.

»Ich erkenne an, daß ich in meinem Zorne zu weit gegangen bin,« sagte er versöhnlich. »Mögt aber ihr auch anerkennen, daß mein Zorn an sich berechtigt ist. Ihr seid die Ratgeber des Kaisers und findet doch kein Wort der Erwiderung, geschweige denn der Abwehr, wenn der Cäsar, anstatt die Wogen zu glätten, den Sturm noch heftiger erregen will. Vielleicht war der unglückliche Catonius Justus nur scheinbar schuldig. Ich kannte ihn als einen ehrenwerten Mann. So gestehe ich denn offen, ich war entsetzt, als ich vernahm, daß die kurze Verhandlung, das Todesurteil des Kaisers und die Hinrichtung des Tribunen einander auf dem Fuße folgten. So wenig kostbar sollte ein in Ehren ergrautes Haupt denn doch nicht sein in Rom.«

Er wandte sich an den Kaiser, der hilflos der Auseinandersetzung gefolgt war.

»Waren die Beweise für die Schuld des Unglücklichen wirklich so belastend?!«

»Beweis übergenug, wenn die Kaiserin selbst die Anklage erhob,« antwortete Claudius mürrisch.

»Beweis – die Verdächtigung einer leichtfertigen Frau?!« rief Silanus empört.

»Hüte dich!« warnte Claudius und hob theatralisch den Zeigefinger. »Du tust das gleiche, was Catonius tat. Auch er lag mir ständig in den Ohren, die Kaiserin schände durch Leichtfertigkeit und schmählichen Lebenswandel mein Ansehen als Ehemann. Und was zeigte sich, als man einmal glaubte, mich überzeugen zu können? Das angebliche ›unerhörte Ereignis‹, ein Besuch bei der Marsyassäule und der Aufenthalt in einem Lupanar, erwies sich als Heldentum der Kaiserin, an dem ihr Verleumder euch alle ein Beispiel nehmen solltet, jawohl, Silanus. Die schwerste Lebensgefahr hatte die Kaiserin auf sich genommen, den Verschwörer Polybius zu entlarven. Das genügt mir, um ihr für alle Zukunft voll zu vertrauen. Und darum war ihr Verdacht mir Beweis genug, als sie mich auf die Treibereien des Befehlshabers meiner Palastwachen aufmerksam machte.«

»Hörtest du Zeugen?«

»Zeugen?« Claudius starrte verblüfft drein, als hätte Silanus eine äußerst dumme Frage gestellt. »Zeugen ...? Wer könnte Zeugnis ablegen wider das Zeugnis der höchsten Frau im Staate?«

»Entsetzlich,« flüsterte Silanus und forschte eindringlich weiter. »Wußte Messalina etwa, daß Catonius bei dir gegen sie sprach?«

»Keine Silbe! Ihre Überraschung war überzeugend echt, als ich ihr davon erzählte. Das heißt, erst dann erzählte, als sie ihren Verdacht gegen Catonius ausgesprochen hatte.«

»Die hohe Frau ging sogar noch weiter,« warf Callistus dazwischen. »Sie bereute dann, eine Anklage gegen Catonius vorgebracht zu haben, weil sie fürchtete, es könne nun erscheinen, als habe sie sich heimlich an einem heimlichen Feinde gerächt.«

»Was sie aber nicht hinderte, den Anteil des Anklägers am eingezogenen Vermögen des Angeklagten anzunehmen,« bedeutete Silanus spöttisch.

Ein allgemeines Schweigen folgte diesen anschuldigenden Worten. Claudius bot ein Bild kindischer Hilflosigkeit.

»Sind wir eigentlich hier, über die Handlungen der Kaiserin zu richten?« erscholl endlich schneidend die Stimme des Narzissus. »Da Appius Silanus sich zu weisem Rate aufdrängt, so wären wir, deine Ratgeber, Cäsar, begierig zu hören, was er dir zu raten hat.«

Silanus maß den Griechen vom Kopf bis zu den goldenen Sandalen.

» Du hast guten Grund zu verhüten, daß Handlungen der Kaiserin hier erörtert werden!« schleuderte er ihm ins Gesicht. Dann kehrte er ihm den Rücken und wandte sich dem Kaiser zu.

»Ich dränge dir meinen Rat nicht auf, Gebieter. Doch da mich der Zufall nun einmal zum Zeugen eurer Verhandlungen gemacht hat, so will ich als freier Römer wenigstens meine Pflicht gegen Rom erfüllen. Ehrlich sage ich dir: es schwebt ein übler Hauch von Ungerechtigkeit und Unwahrhaftigkeit über dem Tode des Militärtribunen Catonius Justus. Man hat sich freilich seit Caligulas Herrschaft daran gewöhnt, die Gründe eines kaiserlichen Todesurteils nicht öffentlich nachzuprüfen. Vertraue dieser Gewohnheit nicht allzusehr! Gib nicht durch unbesonnene Gewaltmahnahmen, wie du sie planst, dem Volke und den Freunden des Toten Anlaß, sich eingehend mit diesem raschen Blutspruche zu beschäftigen! Laß die Trauernden trauern um einen – wenigstens ihrer Meinung nach – braven Mann. Das wird männlicher sein, als wenn du Furcht zeigst. Wenn du Staubwolken aufwirbelst, mußt du gewärtig sein, daß sich der Staub auf dein eigenes Haupt niedersenkt. Dies ist der Rat eines Römers. Mögen auch Griechen anders denken.«

Er verbeugte sich vor dem Kaiser und wollte das Gemach verlassen. Doch Narzissus vertrat ihm den Weg.

»Ein Wort noch, edler Appius Silanus,« wehrte er barsch. »Hier stehen fünf der Kaiserin ergebene Männer. Nicht über deine Stieftochter Messalina, sondern über die Gattin des Cäsars brachst du den Stab, als du von Leichtfertigkeit und ähnlichem sprachst und Vorwürfe gegen sie erhobst, weil sie den ihr gesetzlich zustehenden Anteil am Vermögen des von ihr überführten Verräters angenommen hat. Der Kaiser scheint diese Beleidigung verwandtschaftlich zu entschuldigen. Er hat ein Recht dazu. Nicht so wir! Wir sind Staatsbeamte. Für uns ist die Kaiserin die zweithöchste Persönlichkeit im Reiche. Auch findet hier nicht ein Privatgespräch statt, sondern eine staatsamtliche Handlung, in die du dich einmischtest. Danke also unsrer Nachsicht, wenn wir als die höchsten Diener des Staates dir zubilligen, du habest in gutem Glauben als Verwandter unsres kaiserlichen Herrn und seiner hohen Gemahlin gesprochen. Wir fordern von dir weiter nichts als eine Entschuldigung und einen Widerruf deiner Anklagen.«

Silanus fand zunächst über diese Zumutung kein Wort der Erwiderung. Endlich versetzte er:

»Ich höre in deinen Worten nur die unverfrorene Dreistigkeit eines frechen Emporkömmlings, der sich im Schutze seiner Kumpane sicher genug fühlt, einem Manne meines Standes Vorschriften zu machen. Aus dem Wege, Millionenerschleicher!«

Narzissus ward bleich wie ein Toter. Er wollte sich auf den Beleidiger stürzen. Doch Claudius warf sich mit einem weinerlichen Aufschrei zwischen die beiden Männer.

»Ist euch die Person des gefahrbedrohten Kaisers nicht einmal mehr heilig, daß ihr wagt, mich zum Zeugen persönlicher Raufhändel zu machen?« jammerte er. Flehend rief er dem Verwandten zu: »Silanus, deine Warnungen verhallten ja nicht ohne Eindruck! Sag mir doch, was ich tun soll!«

»Tu nichts, sondern unterlasse alles,« antwortete Silanus. »Denn was du auch tätest, würde den Toten nicht wieder zum Leben erwecken. Wahrscheinlich sank mit Catonius das Vertrauen ins Grab, das die Römer in deine Gerechtigkeit setzten. Du würdest nur Spuk heraufbeschwören. Also laß den Toten ruhen und betrauere, daß du gerichtet hast, ohne zu prüfen. Und dann rate ich dir noch eines: wahre deine Gattenehre!«

Mit kurzer Verneigung grüßte er den Cäsar und ging. –

Wenige Tage später zählte auch er zu den Toten, die gerichtet waren, ohne daß man über sie gerechtet hatte.

Claudius war allen Einflüsterungen zugänglich geworden. Narzissus verzieh nicht. Noch weniger Messalina. Ihr hatte der Kaiser selbst Kunde gegeben von den Verdächtigungen ihres Stiefvaters.

Domina Lepida schwieg in Furcht, Haß und Trauer. Sie hatte den späten, letzten Gatten innig geliebt. Sie war der Tochter seit langem ferngeblieben. Von nun an blieb sie für den Hof eine Verschollene.

Auch Callistus hatte der Kaiserin von jener Szene berichtet. Sie fügte sich seinen Vorstellungen über die Gefährlichkeit des Appius Silanus und handelte, wie der Grieche und seine Freunde es forderten.

Im übrigen nahm sie die Angelegenheit nicht weiter tragisch. Sie hatte den Stiefvater kaum gekannt. Die Mutter war ihr längst entfremdet.

Sie verfügte nun über Geld und sah das Leben sonnig. Doch die Leichtigkeit, mit der ihr sechs Millionen Sesterzien zugefallen waren, berauschte völlig das noch pochende Gewissen der verschwenderischen Frau. Sie war der ersten bösen Gelegenheit erlegen. Trotz der warnenden Stimmen in ihrer Brust. Trotz der Gemeinheit, deren sie sich bewußt war, trotz der Verachtung, die sie vor Narzissus empfunden hatte, als er als Versucher vor sie trat.

Die Lockung war zu groß, impulsiv hatte sie gehandelt unter dem vergewaltigenden Drucke ihrer Schulden. Sie wußte, daß sie eine blutige Abscheulichkeit beging. Doch ihr sittliches Gefühl war schon morsch und zermürbt. Es trug nicht mehr die Belastung der Versuchung. Es brach.

Und dann sauste sie die schiefe Ebene hinab, die sie einmal frevelnd betreten hatte.

Jetzt umschmeichelte der zynisch gewissenlose Callistus die Kaiserin. Und als er ihr Vertrauen gewonnen hatte, gestand er, daß er es gewesen sei, der ihr die Schreibtafel mit dem Namen des Catonius Justus zugespielt hatte.

»Ich freute mich, Gebieterin, wie wunderbar du den Hinweis verstandest, nachdem Narzissus, der sich rühmte, dein bester Freund zu sein, dich im Stiche gelassen hatte. Und wie klug und geschickt hast du alles in die Tat umgesetzt!«

Listig fügte er hinzu: »Du bist nun reich und kannst sorglos mit deinem Gelde schalten und walten.«

»Reich?« entgegnete Messalina verächtlich. »Was sind sechs Millionen Sesterzien gegen die unermeßlichen Schätze der Julierin Agrippina! Solange ich nicht über dauernde Einnahmen verfüge, werde ich stets eine arme, bedürftige Frau sein.«

Callistus, der wohlvorbereitet gekommen war, tat, als überlege er scharf.

»Du solltest doch um die Freundschaft des Pallas werben, hohe Frau,« schlug er vor, wie wenn er nach einem Auswege suche, ihr Geld zu verschaffen. »Er ist in Finanzangelegenheiten geradezu ein Genie und würde dir bestimmt raten können.«

»Nenne diesen Namen nicht!« schalt Messalina zornig. »Er, der mir mühelos hätte beispringen können, verschanzte sich hinter der Gewissenhaftigkeit, mit der er über Staatsgelder Rechenschaft ablegen müsse. Er hat mich im Grunde zu dieser Tat getrieben.«

»Du tust ihm unrecht,« versicherte Callistus lebhaft. »Glaube mir, ich spreche nicht für den Freund. «Ich urteile wirklich rein sachlich. Gelder aus dem Staatsschätze darf nur der Kaiser in Anspruch nehmen. Hierin ist das Gesetz unumstößlich. Selbst die weitgehende Rechtsgewalt des Princeps kann daran nichts ändern.«

»Euer Gesetz duldet es also, daß die Kaiserin zum Gespött aller Reichen wird?!« höhnte Messalina.

Äußerst vorsichtig holte Callistus aus.

»Das Gesetz enthält andrerseits aber auch keinerlei Bestimmungen, die der Kaiserin verwehren, sich Einnahmen zu verschaffen auf Wegen, die jedem Bürger Roms offen stehen.«

Jetzt merkte Messalina, daß der Grieche um irgendeinen Vorschlag herumschlich. Sie wollte ihn ihres Vertrauens versichern und Offenheit fordern, als er wieder das Wort nahm.

»Sehr begehrt ist zur Zeit die Aufnahme in die Bürgerliste,« fing er behutsam an. »Die Anzahl der Fremdländischen in Rom wächst von Tag zu Tag. Und der eingeborene Römer muß befürchten, daß ein rechtlicher Wirrwarr entsteht, der ihn seiner Vorrechte beraubt. Es war der kluge Polybius, der hier Ordnung schaffen wollte und Vertrauen in die kaiserliche Regierung. Leider raubte uns eine Anklage – lassen wir dahingestellt, ob sie gerecht war oder ungerecht – den klugen Mann.«

Er beobachtete heimlich das Gesicht der Kaiserin, als er den Namen des durch ihre Schuld Verurteilten nannte. Doch das lebhafte Antlitz blieb unbeweglich. Mit innerer Zufriedenheit erkannte er, daß Messalina die Grenzen der Hemmungen längst überschritten hatte.

»Es darf natürlich nicht, wie im Falle des Catonius, stets um ein Menschenleben gehen,« fügte er nun freier hinzu. »Und auch nicht immer ist jemand so leicht zu verdächtigen wie der Tribun.«

Auch bei dieser Anspielung blieben die Züge der Kaiserin vollkommen ruhig. Sie lauschte nur gespannt den erwarteten Eröffnungen entgegen.

Immer sicherer, führte Callistus weiter aus:

»Da böte der Verkauf von Bürgerbriefen an reiche Ausländer beachtenswerte Einkünfte. Die einzige kleine Mühe dabei wäre, den Kaiser zu bestimmen, die nachgesuchten Bewilligungen zu genehmigen. Und – wie ich erwähnte – die Zahl der Zuwandernden, die sich mit ihrem Reichtum im Glanze Roms sonnen und zugleich die Vorrechte eines römischen Bürgers genießen wollen, ist größer als die Zahl der reichen Quiriten, die sich durch Erwerb eines ihre alten Rechte bestätigenden Bürgerbriefes gegen die Fremden zu sichern suchen.«

»Das sind doch aber Angelegenheiten, die meinem Wissen und Können völlig fernliegen,« bedachte Messalina.

Callistus lächelte geringschätzig.

»Das bißchen Kenntnis und Wissen ist rasch erworben,« verhieß er eifrig. »Willst du es mir überlassen, dir beizustehen?«

Zweifelnd betrachtete sie des Griechen schlaues Fuchsgesicht. Sie durchschaute klug die Harmlosigkeit, mit der er ihr den Handel mit Bürgerbriefen schmackhaft zu machen suchte.

»Meine ja nicht, daß ich nicht fühle, wie du und deine Freunde mich immer fester im Netze umstricken,« sagte sie drohend. »Narzissus und Polybius knüpften die ersten Maschen – – als meine Freunde,« fügte sie bitter hinzu. »Pallas vervollständigte das Werk, indem er mich in Geldverlegenheiten trieb. Jetzt kommst du –«

»Domina!« unterbrach er sie mit ausgezeichnet gespieltem Schmerze. »Betrachte unsre Unterredung als nie gewesen. Wenn du auch nur die leiseste Spur eines Mißtrauens gegen mich fühlst, gelobe ich dir bei den Göttern Schweigen über diese Stunde. Und nun gestatte deinem treuen Diener, sich zurückzuziehen.«

Doch Messalina fuhr fort: »Gewiß bin ich vollkommen in eurer Hand, wenn ich mich auf deinen Vorschlag einlasse. Doch ihr seid auch in der meinen. An Polybius bewies ich, was ich vermag. Also sprich weiter. Was habe ich zu tun?«

Er tat, als fiele es ihm außerordentlich schwer, zu seinen Worten zu stehen.

»Ich erbot mich, dir zu helfen,« setzte er in gekünstelt wehem Tone die Unterredung fort. »Tagtäglich habe ich in meinem Amte als Ordner der an den Kaiser gerichteten Bittschriften unzählige Gesuche zu lesen und zu entscheiden, ob sie der Beachtung und Bewilligung würdig sind. Der eine sucht um eine Befehlshaberstelle nach, der andere um einen – natürlich stets einträglichen – Posten in der Verwaltung der Provinzen. Dieser möchte Statthalter, jener Tribun werden, der dritte das Bürgerrecht erringen, ein vierter sich die Konzession zum Handel mit Sklaven, Stoffen, Waren und was weiß ich alles sichern. Jeder stellt seinen Fall als besonders dringlich dar. Ich brauche allen diesen Leuten nur zu sagen: die Bewilligung durch den Kaiser kann – vorausgesetzt, sie wird überhaupt erwogen – sich Wochen und Monate lang hinziehen. Sucht die Fürsprache der Kaiserin. Sie ist die einzige, in deren Macht es liegt, die Angelegenheit rasch und mit Erfolg zur Entscheidung zu bringen. – So könnte ich sagen! – Meinst du, hohe Frau, man werde dich persönlich zu behelligen wagen? Das dürften nur ganz Dumme versuchen, und die halte ich dir fern. Wer deine Gnade in Anspruch nehmen will, bedarf meines Mundes. Und ich werde – beim Styx! – nicht billig sein! Übervorteilung durch mich brauchst du nicht zu befürchten. Erstens liegt mir die Absicht fern, auch habe ich andere Einnahmequellen genug. Diese sprudelnde Goldfontäne soll dir allein steigen.«

»Und wenn der Kaiser einmal nicht unterschreibt – wenn du dich irrst in meiner Macht über ihn?«

Callistus lachte leise und häßlich.

»Claudius nicht unterschreiben? Domina, wenn du daran zweifelst, kennst du ihn nicht. Der Kaiser unterschreibt, was immer man ihm zur Unterschrift vorlegt. Sogar Todesurteile! Und da ihn sein Gedächtnis beständig im Stiche läßt, weiß er oft nicht mehr, wen er zum Tode verurteilt hat. Auf Veranlassung des Präfekten unterschrieb er letzthin das Todesurteil gegen eine keusche Frau, die sich dem Präfekten versagt hatte. Gestern traf der Kaiser ihren Ehemann und fragte freundlich, warum man ihn jetzt so selten in Begleitung der Gattin sehe.«

Messalina schwankte noch. Schweigend schritt sie auf und nieder. Ihre Klugheit riet ihr, das gefährliche Bündnis abzulehnen. Sie fühlte, wie die spähenden Augen des Griechen ihr folgten. Ein Seitenblick auf sein verschlagenes Raubtiergesicht belehrte sie, daß er überzeugt war, sie werde zusagen. Sie wollte ihm die Tür weisen. –

Da trat Fabulla ein.

»Erhabene Freundin,« redete sie die Kaiserin an, denn als einer Freigelassenen mit den Rechten einer Freigeborenen durfte sie sich jetzt der vertraulichen Anrede bedienen, »der Juwelenhändler Arymenos begehrt dich zu sprechen. Er läßt sich nicht abweisen. Er droht, beim Kaiser selbst vorstellig zu werden, falls du ihn nicht anhörst.«

Ein rasches Aufleuchten – wie ein Blitz – zuckte durch die Augen des lauernden Callistus, als er Messalina tief erröten sah. Rasch trat er vor.

»Überlasse mir, Gebieterin, den unverschämten Patron abzufertigen,« bat er halblaut.

»Er hat eine berechtigte Forderung, auf deren Zahlung er schon lange mit Geduld wartet,« flüsterte Messalina verlegen.

Callistus trat ganz nahe an sie heran.

»Verzeihe, Domina, wenn ich dir verrate, daß diese Forderung mir nicht unbekannt ist. Es handelt sich um Geschenke, die sich ein jugendlicher Primipilar der Armee von dir machen ließ – ein Leichtfuß, der sehr häufig in einem Lupanar verkehrt, das dir einmal als Zuflucht diente in jener Nacht –«

»Schweig!« schrie Messalina entsetzt leise auf.

Doch der Grieche fuhr unbeirrt fort:

»Natürlich gedenkt Arymenos dich gründlich zu übervorteilen, da er das Geheimnis dieser Geschenke kennt. Erlaube mir, seine Forderung zu regeln. Er ist mein Landsmann. Ich werde schon mit ihm einig werden. Er läßt mit sich reden.«

»Tue das, ich bitte dich darum,« flehte sie mit irrenden Blicken.

»Vielleicht dient es dir auch zu wissen, daß Agrippina, deine Feindin und Neiderin, es war, die mir Kundschaft gab von dieser Angelegenheit,« sagte er betonend. »Nicht daß du dächtest, ich spürte dergleichen Dingen nach.«

Sie wußte nichts mehr zu sagen und reichte ihm die Hand. Es gab kein Zurück mehr.

Callistus verbeugte sich tief und demütig.

Kaum hatte er das Gemach verlassen, erscholl laut und hochmütig seine Stimme durch den Türvorhang, als er draußen mit heftigen Worten und Vorwürfen über den Juwelenhändler herfiel.

Fabulla sah die Herrin traurig an.

»Du hast dich gewiß einfangen lassen, Domina!«

»Ich mußte,« seufzte die Kaiserin. »Diesem Arymenos schulde ich zwei Millionen Sesterzien.«

Nur wenige Schritte von der Tür entfernt, flüsterte der Grieche seinem Landsmanne zu: »Beim Herkules, nicht um eine Minute hättest du dich noch verspäten dürfen. Sei in Zukunft pünktlicher, wenn ich dich bestelle. Die Kaiserin war im Begriff, mich abzuweisen!«


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