Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

2

Wagenrennen und kleinere Zirkusspiele waren beendet. Bis dahin hatte sich auf dem Sande der Arena nichts ereignet, was die verwöhnte Schaulust der Römer noch nicht gesehen hätte. Durch die Reihen der Sitze, die dem einfachen Volke dienten, lief ein vorsichtig leises Murren.

»Bietet Caligula uns nach diesen großen Verheißungen nicht mehr, als was er bis zur Stunde bot, so wollen wir lieber im Schatten des Sonnensegels ein Schläfchen halten,« sagte der Gerber Fufidius. Er sprach laut genug, auch von anderen verstanden zu werden.

»Schweig' doch, Unseliger,« warnte ihn sein Freund Verres und versetzte dem gelangweilt Gähnenden einen heftigen Rippenstoß. »Willst du für deine unvorsichtigen Redensarten zu einem neuen blutigen Spiele auf dem Sande da unten dienen?«

»Ich bin ein fröhlicher Mensch und tauge nicht zu solch traurigen Possen,« lehnte Fufidius lustig die Warnung ab. »Sieh doch hinüber nach dem Podium, Freund Verres. Sitzt nicht der Cäsar unter dem Baldachin seiner Tribüne, als langweile er sich noch viel mehr als wir?«

»Vielleicht sinnt er auf neue Teufeleien,« raunte Verres nach einem Blick auf den in den Zirkus vorspringenden Raum. Das Podium mit der kaiserlichen Tribüne lag erhöht und war mit einer Brustwehr umgeben, zum Schutz gegen allzu grimmige Sprünge der gereizten Raubkatzen – der Löwen und Tiger.

»Nun, wenn seine Teufeleien spannende Spiele bringen und anderen gelten, sollen sie willkommen sein,« versetzte der vorlaute Gerber. »Aber sieh doch, Verres, was dort drüben geschieht! Wahrhaftig, das sieht nach etwas Neuem aus. Also harren wir in Geduld!«

Er reckte und dehnte sich. Dann kramte er einen Beutel hervor, den er bisher zu Füßen seines Sitzplatzes aufbewahrt hatte. Große, gelbe Zitronen holte er aus dem Sacke. Zwei Früchte zerteilte er mit einem Scherben und gab die eine dem Gefährten. Laut schmatzend sog er den ätzenden, bittersauern, aber köstlich erfrischenden Saft.

Verres nahm dankbar die durstlöschende Frucht. Sich dieser Labung armer Zirkusbesucher genießerisch hingebend, beobachtete er, wie in der Arena, der kaiserlichen Tribüne gegenüber, Zimmerleute ein wunderliches Gerüst aufbauten.

Sie schleppten auch Rollen, Seile und schwere Steine herbei. Diese Steine sollten offenbar als Gegengewichte dienen für eine bewegliche Plattform. Denn kaum waren die vorbereiteten Holzteile des Gerüstes von einigen Hundert eiligen Händen zum Bau gefügt, als die Zimmerer Versuche anstellten mit einem auf- und niederschwebenden Mittelstück der Maschine.

»Das sieht vielversprechend aus,« urteilte Fufidius mit kritischer Vorfreude. Er schabte behaglich mit den Zähnen das Fruchtfleisch seiner Zitrone aus, wobei er rücksichtslos die Kerne auf die Köpfe der tiefer Sitzenden spuckte. »Und dort,« – der schwatzhafte Gerber zeigte mit der Schale hinaus in die Arena – »dort scheint noch etwas ganz Besonderes zu kommen. Aber was bedeutet das? Will man einem der Fechter oder einem Wagenlenker ein Denkmal setzen?«

Wirklich schleppten etwa hundert Zirkushandwerker eine ungeheure Säule herbei. Zwar sah man, daß sie nur ein hohler Zylinder aus Holz war. Doch hatte man durch Bemalung der Außenseite den Eindruck erweckt, der wohl dreißig Manneshöhen lange Säulenschaft sei aus ligurischem Marmor gemeißelt. Das Kapitäl war reich vergoldet. Das Postament in der Höhe bot kaum zum Stehen für einen Menschen oder eine lebensgroße Statue Platz.

Schnell war die gigantische Säule aufgerichtet. Nur wenige Minuten nachdem die Handwerker das riesige Gebäu herbeigeschafft hatten, ragte in der gleißenden Sonne der schwindelnd hohe Pfeiler in die Luft. Dann grenzte man den Platz noch durch hohe Barrieren ein. Sie reichten bis zu den Raubtierkäfigen, doch so, daß die Maschinerie und die Säule außerhalb der Einhegung blieben. Ohne Gefährdung durch die Bestien konnten die Zirkusarbeiter an die beiden Bauwerke herangelangen.

Neugierig und erwartungsvoll verfolgte das Publikum diese unverständlichen Vorbereitungen.

»Nennt man auch das Zirkusspiele?« spottete der Gerber. »Na – rasch genug ist es ja gegangen, so daß man wenigstens den Fleiß und die Geschicklichkeit der Leute bewundern konnte.«

»Mit dem Denkmal scheinst du recht zu behalten,« bemerkte Verres. »Sieh, auf der Säule ist ein Galgen mit einer Rolle, deren doppelter Strick bis zum Boden reicht. Daran soll vermutlich die Statue aufgezogen werden.«

»Nun schweigt endlich mal mit euerm Geplapper, ihr blöden Schwätzer!« gebot ärgerlich einer der Umsitzenden. »Ist mit den Vorbereitungen dort eine Überraschung für uns geplant, so greift dem Kaiser nicht vor durch euer törichtes Orakeln. Verderbt Klügeren, als ihr seid, nicht die Freude.«

Der frohsinnige, plauderlustige Gerber warf einen Blick der Geringschätzung auf den mürrischen Patron.

»Ich würde auch dir eine Zitrone zur Erfrischung anbieten, Nachbar,« neckte er den Mann, »wäre dein Gesicht nicht ohnehin schon sauer genug.«

Die Zuhörer rings brachen in ein Gelächter aus. Fufidius frohlockte, die Lacher auf seiner Seite zu haben. Jetzt sog er mit demonstrativem Wohlbehagen die andere Hälfte der Zitrone aus. Dabei tat er, als käme sein greuliches Mienenspiel von der Säure des Saftes. In Wahrheit schnitt er dem Übellaunigen spottende Grimassen.

»Vielleicht bereust du es noch, mich gekränkt zu haben,« knurrte finster der Mann, indem er sich jäh erhob und rasch entfernte.

Sofort rückten alle ringsum von Fufidius und Verres ab. Ein tiefes Schweigen trat plötzlich ein. Man wollte mit den beiden nichts mehr zu schaffen haben. Ihre Nähe war mit einem Male vergiftet. Des Imperators Spione lauerten überall, nicht nur bei den Vornehmen und Reichen, die Caligula oft eines Verbrechens anklagen ließ, nur um sie zu töten und ihr Vermögen einziehen zu können. –

Der Prätor Proculejus Gillo erschien an den Stufen der kaiserlichen Tribüne und meldete dem Cäsar: die Aufstellung der von ihm befohlenen Maschinerie sei vollendet.

Caligula dankte durch eine lässige Handbewegung und verbarg ein Gähnen. Als der Prätor sich entfernen wollte, rief der Kaiser ihn zurück.

»Erweise mir den Gefallen –« hob der Cäsar an.

Gillo ward totenbleich bei dieser ungewöhnlich höflichen Anrede des Gefürchteten. Caligula bemerkte es und lächelte. Doch auch das Lächeln dieses Gorgonenantlitzes war eine Bedrohung.

»Erschrick nicht, mein Freund,« sprach er weiter. »Es handelt sich wirklich um eine Gefälligkeit, die du mir erweisen sollst. – Begib dich zu Messala Barbatus und sage dem Manne, ich ließe seine Tochter Valeria Messalina einladen, während des weiteren Verlaufes der Spiele an meiner Seite zu sitzen.«

Der Prätor verbeugte sich stumm und eilte, seinen Auftrag auszuführen. Doch bald kam er ohne das junge Mädchen zurück. Mit vor Furcht kalkweißem Gesicht und kaum seiner Stimme mächtig, berichtete er: »Herr, des Messala Tochter läßt dir für die hohe Auszeichnung danken –«

»Aber sie kommt nicht?« fiel ihm der Kaiser grimmig ins Wort.

»Sie fürchtet die Götter zu beleidigen, wenn allzuviel Glück sich an einem Tage auf sie niedersenkt. Denn dieser Tag hat ihr schon durch deinen eigenen Mund die Einladung zu deinem Gastmahle beschert.«

Caligula blickte sekundenlang mit unbeweglichen Augen vor sich hin. Dem Prätor schienen es Stunden.

Dann zog der Kaiser einen schweren Ring vom Zeigefinger. Ein schöner Sardonix zierte den Reif. Er reichte dem Prätor das Geschmeide.

»Du warst wirklich in Todesgefahr, Proculejus Gillo. Die kluge Ausrede der Kleinen hat dir das Leben gerettet. Nimm für die ausgestandene Angst den prächtigen Stein hin. Möge er dir das unverdiente Glück bringen, auch fernerhin dich meiner Gunst zu erfreuen.«

Dann lehnte er sich wohlgefällig im Sessel zurück, klatschte in die Hände und rief: »Los, los! Wer soll zuerst unsere neue Maschine erproben?«

»Es ist der Mann, der auf der Straße aufgegriffen wurde, als er dich beleidigte, Herr,« gab Gillo dienstbeflissen und furchterlöst Auskunft.

»Ah, ich entsinne mich! Beginnt!« Ein verschmitztes Lächeln war um seinen Mund. »Laß uns nicht warten, Prätor,« befahl er. »Und ihr, Freunde, gebet acht, was euer Kaiser ersinnt, euch eine heitere Unterhaltung zu bieten.«

»Heil dir, Cäsar!« riefen die Schmeichler.

Der gewaltige Zirkus nahm augenblicklich diesen Ruf auf. Fünfzigtausend Kehlen schrien den Segenswunsch für den blutrünstigen Herrscher Roms zum Himmel.

Auf der mit Statuen geschmückten Spina, einer die Arena in zwei Teile scheidenden Aufmauerung, erschienen nun Herolde und verkündeten dem Volke die Fortsetzung der Spiele. Das Rasseln der Ketten, mit denen die Gittertüren vor den Raubtierkäfigen aufgezogen wurden, vermischte sich mit dem Gebrüll der Bestien. Mit langen Stachelstöcken scheuchten die Wärter Löwen, Tiger, Panther und Leoparden auf. Die Tiere waren ausgehungert, ihre Wut und ihren Blutdurst zu erhöhen.

Aus der Dunkelheit ihrer Gefängnisse glitten in schmiegsamem, weichem Schleichen die majestätischen Katzen hervor in das grelle Tageslicht. Bald füllte sich der Raum zwischen den Einhegungen vor dem Pegma und der Säule mit den reißenden Großtieren Afrikas und Indiens. Rollend erscholl das Gebrüll zweier Löwen, die, sobald sie einander erblickten, zu einem Kampfe losbrachen. Das Geheul der durch Hunger und Helle aufs äußerste erzürnten anderen Tiere begleitete den Zweikampf der beiden Feinde.

»Hispo! – Hispo!« hetzte jubelnd die Menge den riesigen Berberlöwen.

Hispo war ein Liebling der Zirkusbesucher, ein alter Wüstling der Arena. Er hatte sich über seine Mitgefangenen eine Art Herrschergewalt angemaßt, die er immer wieder siegreich verteidigte. Auch diesmal wurde er seines Widersachers Herr.

Ein Tierwärter war auf die Maschinerie geklettert. Von dort aus warf er kleine Fleischstücke unter die Bestien. Die Aufmerksamkeit der Tiere sollte auf den Ort gelenkt werden, von dem her sie die Befriedigung ihres Hungers zu erwarten hatten.

Rasch sammelte sich der schnaufende, knurrende Haufen vor dem Pegma und der Säule und balgte sich mit kurz aufbrüllendem Fauchen um die Brocken. Aufgeregt wartend, sprangen die Großkatzen gegen die Umhegung, bleckten Zunge und Rachen zu der Maschinerie empor, nachdem der Wärter die kärgliche, nur anreizende Fütterung eingestellt hatte.

Jetzt schleppten Männer den Alten herbei, der sich vergeblich gegen die ihm angetane Gewalt zu wehren suchte. Man zwang ihn auf die bis zum Boden herabgezogene Plattform der Maschinerie. Immer wieder sprang er herunter und warf sich lallend vor Todesangst seinen Henkern zu Füßen. Sie stießen ihn wieder auf die Bretter, bis er sich in sein Schicksal ergab, in die Knie brach und erstickt lallend sein Antlitz verhüllte.

Die Tiere witterten ihr Opfer. Sie wußten, durch Erfahrung belehrt, Menschen in der Arena bedeuteten baldige Stillung des nagenden Hungers. So standen sie, mit glühenden Augen und gähnend knurrend, die Szene bei dem Pegma belauernd.

Auf den Sitzen des Volkes murmelte Fufidius: »Ewige Götter, das ist doch der Stumme Volusius. Was tat der arme Mensch, daß man ihn verurteilte?«

Verres flüsterte zurück: »Er hat den Kaiser beleidigt, indem er ihm den Heilruf versagte. Ich war in der Menge, als man den Alten gefangennahm.«

»Ein Stummer – den Heilruf!« –

»Schweig!« zischte Verres. Er sah besorgt um sich. Dieser Fufidius war zu unvorsichtig! Ob nur keiner seine Kritik des kaiserlichen Urteils gehört hatte!

Er konnte beruhigt sein. Die Aufmerksamkeit der Zuschauer galt allein den Vorgängen bei der Maschinerie. Jetzt brach schmetternder Jubel los. Ein Handgriff des Werkmeisters hatte den Hebel gelöst – das ungeheure Gegengewicht der Steine riß die Plattform blitzschnell nach oben – ein Menschenkörper, der stumme Volusius, schnellte hoch empor, sauste gegen das knatternde Sonnensegel, prallte daran zurück, wirbelte durch die Luft und schlug inmitten der Raubtiere in den Sand der Arena. Die Bestien hatten den Flug der ihnen zugedachten Beute mit lauernden Blicken verfolgt. Als man sie endlich in ihre Gefängnisse zurückscheuchte, wurde ein armseliger Rest zermalmter blutiger Knochen auf den Kehricht des Zirkus geworfen. Alles, was von dem schuldlosen Volusius übriggeblieben war.

Während die Menge aus den Volkssitzen das Geschehene als etwas wirklich Neues eifrig lobend besprach, hatte der Gerber Fufidius die Ellbogen auf die Knie gestützt und drückte seine von der Lohe gebräunten Hände vors Gesicht. Er verbarg die Tränen des Mitleids, die ihm der schauerliche Tod des Stummen in die Augen trieb.

Auch auf der Tribüne Caligulas wagte es einer, sich des Schuldlosen anzunehmen. Der Kaiser hatte soeben das Lobgehudel seiner Kreaturen entgegengenommen.

»Nun, mein Abalanda, mein großartiger Einfall scheint nicht sehr tiefen Eindruck auf dich gemacht zu haben?« wandte der Cäsar sich an einen Fremden.

Es war ein Mann, der unfern stand und mit ernst zusammengezogenen Brauen in die Arena niederblickte, deren Sand geglättet und von den Blutspuren gereinigt wurde.

Ein hochgewachsener Recke von etwa dreißig Jahren, der Sohn eines angesehenen römertreuen Germanenfürsten. Obwohl Abalanda kein Römer war, hatte Caligula ihm die Gnade gewährt, sich in die Toga, das Ehrenkleid des römischen Bürgers, zu kleiden, die jedem anderen Fremden verwehrt war. Der Purpursaum am Staatskleide war ebenfalls eine Auszeichnung des jungen Germanen.

Doch trotz des Nationalgewandes erkannte man in Abalanda sofort den Nordländer an seinem hohen, stattlichen Wuchse und dem rötlich blonden Vollbarte. Die blonden Haare allerdings trug er, entgegen der Sitte seiner Heimat, verschnitten, da in Rom nur Stutzer oder Lustknaben sich das Haupthaar lang wachsen ließen.

Caligula fingerte ungeduldig an einer Kette, die aus seine Brust herabhing. Dieses Geschmeide bestand aus fingergliedlangen bläulichen Edelsteinen von glattem Schliffe, deren Enden in Goldkapseln gefaßt und durch seine goldene Kettchen miteinander verbunden waren. Leise klirrte der weibische Schmuck.

»Möchtest du dich herablassen, mir zu antworten, mein Freund?« knurrte endlich Caligula, heimlich drohende Blicke unter den gesenkten Lidern verbergend.

»Dein Einfall hat sogar sehr tiefen Eindruck auf mich gemacht, hoher Herr,« nahm Abalanda das Wort.

»Du sagst das mit seltsamer Betonung. Der Eindruck scheint nicht allzu günstig gewesen zu sein.«

»Nein, Herr.«

Der Imperator wollte auffahren, beherrschte sich jedoch. Nur das Beben des Kinnes verriet seine Erregung. Doch seine Stimme klang klar und ruhig, eisig.

»Du sprichst nicht nur sehr rein und ausdrucksvoll unsre Sprache, Abalanda,« warf er hin. »Du sprichst in dieser Sprache auch mit kühner Aufrichtigkeit.«

»Ich bin dein Gast, Cäsar, und soweit mir bekannt, ist auch in deinem Rom der Gast heilig wie in meiner Heimat. Mein Vater sandte mich, deiner Einladung folgend, zu dir, damit ich eure Sitten kennenlerne und das Gute an ihnen in unsere armen, unwirtlichen Gaue heimbrächte.«

»Die Gründe deiner Sendung kenne ich hinlänglich, mein nordischer Prinz,« höhnte der Imperator. »Warum führst du sie mir so weitläufig auf?«

»Um dir zu erläutern, o Cäsar, weshalb ich mich – wie du es nennst – einer kühnen Aufrichtigkeit befleißige,« versetzte Abalanda unerschrocken. »Oder ist dem, den du einlädst, eure Sitten zu studieren, verboten, sich ein Urteil über eure Bräuche zu bilden? Ist dem verwehrt, auf deine Frage ohne Scheu zu sagen, was er denkt?«

»Keineswegs. Also heraus mit der Sprache! – Was mißfällt dir an meinem Einfall?«

Abalanda sah den Imperator fest an. Caligula liebte es nicht, scharf betrachtet zu werden, weil er sich seiner frühen Glatze schämte. Er fürchtete den Spott über seinen kahlen Kopf und sah in eingehend musternden Blicken oft eine todeswürdige Beleidigung.

Ungeduldig rief er dem nordischen Fürstensohne daher zu: »Wende dich ab, wenn du mit mir sprichst!«

»Die Jugend in meiner Heimat ist dahin erzogen, offenen Blickes gerade mit jenen zu sprechen, denen am meisten Achtung und Ehrerbietung gebührt,« widersprach Abalanda, mit seinen klaren blauen Augen dem feigen Basiliskenblick des Kaisers begegnend. »Und was ich nun an deinem Einfall auszusetzen habe, o Cäsar: du erwähntest bei Beginn des Schaustückes selbst, wir würden den sehr listig ersonnenen Tod eines Menschen zu schauen bekommen, eines Menschen, den du zu diesem Tode verurteiltest, weil er dir den Gruß versagte. Nun erzählt man aber im Zirkus, dieser arme Alte sei stumm und in seiner Stummheit gar nicht fähig gewesen, dir den gebotenen Gruß zu bieten. Nennt ihr Römer das Gerechtigkeit der Strafe?«

Haßerfüllt betrachtete Caligula lange den unverletzlichen, mutigen Widersacher. Endlich sagte er: »Bist du fertig?«

Erregt über den grausamen Tod des Alten, fuhr Abalanda fort:

»Der Arme büßte nicht seine Schuld, sondern ein Verschulden der Natur, die ihm Stimme und Sprache vorenthielt.« Er sprach in scharfem Tone.

»Ich sehe keine Ungerechtigkeit,« lächelte Caligula boshaft, »und sehe keinen Grund zu der Empörung, die in dir brennt und aus dir lodert. Wenn der Mann stumm war – es mag sein – warum auch nicht? – so habe ich in diesem Menschen nicht meinen Beleidiger bestraft, sondern ich bestrafte in ihm die Natur selbst, die durch diesen Menschen die Gottheit Caligula zu beleidigen wagte.«

Abalanda war des Gespräches müde. Es hatte keinen Sinn, mit diesem Wahnsinnigen zu rechten. Er grüßte den Imperator mit edelm Anstande und bat um Urlaub.

»Ich darf meinen Gastfreund Valerius Messala nicht vernachlässigen,« entschuldigte er sich.

»Ein Mann, der wie du auf seine Ehrlichkeit pocht, sollte nicht so dreist lügen,« höhnte Caligula. »Nicht Valerius Messala lockt dich von mir, sondern seine schöne Tochter.«

Und als dem Germanen unter diesen Worten das Blut heiß in die Stirn wallte – vor Zorn und weil der Kaiser roh vor allen das tiefste Geheimnis seines Herzens besudelt hatte – lachte Caligula rachefreudig aus, zeigte auf den Prinzen mit dem langen, dünnen Zeigefinger und rief:

»Seht – seht – wie er errötet – der Heuchler! Aber ich warne dich, junger Freund. Die Aënobarbi haben nicht nur Eisenbärte und Eisenköpfe, sie haben auch Herzen von Erz. Etwas davon wird auch den Weibern dieses Geschlechtes anhangen.«

Dann aber, als der Nordländer sich schroff entfernt hatte, sprang die bis aufs letzte und äußerste beherrschte Wut des Imperators hervor – wie vorher die zu Henkern des stummen Volusius erkorenen Raubtiere aus ihren Käfigen gebrochen waren. In den Mundwinkeln Caligulas stand weißer Speichelschaum. Die grünlichen Augen mit den nadelspitzen Pupillen hasteten gierig durch die kaiserliche Umgebung hin. War da auf keinem Gesichte zu lesen, daß einer dem Kaiser die frechen Beleidigungen aus dem Munde des Barbaren gönnte?

Plötzlich schnellte Caligula von seinem Elfenbeinsessel empor. Dicht trat er vor einen Edeln hin. Sein Blick schillerte. Seine behaarten Hände zerrten an der klirrenden Geschmeidekette, in deren Edelsteinen die Sonne in fluoreszierenden Funken flirrte, als sprühe des Kaisers Wut sichtbar von seiner Gestalt.

»Ich hoffe, die Spiele gefallen dir besser als diesem Bärenhäuter, Menalippus?« zischte er den vornehmen, noch jungen Mann an. »Oder täusche ich mich, wenn ich meine, in deiner Miene strahle nicht übermäßiges Vergnügen?!«

Menalippus hätte nicht Römer sein, den Caligula nicht kennen und nicht Zeuge sein müssen der Unterredung mit Abalanda, um nicht sofort zu begreifen, um was es ging. Der ergrimmte Imperator suchte nach einem Opfer, an dem er seinen heißen Zorn kühlen konnte. Wie aller reichen Römer in der Umgebung des Kaisers spielte auch des Menalippus Dasein sich ab in einem Hinundherpendeln zwischen atemloser Jagd nach Lebensgenuß und dem Vorbereitetsein auf den plötzlichen Tod als Folge einer Laune des despotisch zürnenden oder vermögensgierigen Herrschers.

Menalippus wußte, seine Stunde hatte geschlagen, als Caligula ihn gerade jetzt anredete. Er war entschlossen, seinen Tod zu rächen, das Scheusal wenigstens in diesem letzten Augenblicke bis ins tiefste innere zu treffen.

»Du hast dich nicht getäuscht, Herr, wenn du Unfreude in meinen Mienen sahst,« sagte er nach einem starkem Atemzuge und verbarg weder seinen Ekel noch seine haßerfüllte Verachtung.

Caligula prallte förmlich zurück vor dieser Kühnheit.

»Willst du dem nordischen Sklaven nachahmen, diesem verlogenen Heuchler, dem ich in einer Anwandlung von Gnade die römische Toga zu tragen erlaubte?« stieß er hervor.

»Es ist keine Ehre mehr, unter deiner Regierung sich durch das Gewand des Römers zu kennzeichnen,« höhnte Menalippus. »Dieser Fürstensohn sprach wie ein Mann. Es ist besser, einem Manne nachzuahmen, als einem wahnwitzigen Schurken, der längst vergessen oder nie gewußt hat, was ein Mann ist. Und was die Gnade anlangt, die du dir zuschreibst: Gnade ist der Adel des Menschentums. Du aber stehst so tief, daß du kaum ahnen kannst, was Mensch und Menschenwürde ist.«

Dieser Mut hätte dem Frevler fast das Leben gerettet. Denn der Beherrscher der Welt war im Grunde seiner Seele ein jammervoller Feigling. Er wich weit zurück, in der Furcht, von Menalippus augenblicklich mit einem verborgen gehaltenen Dolche durchbohrt zu werden. Die Blässe seines Gesichtes hatte sich in ein fahles Grün verwandelt. Er zitterte mehr vor Angst als vor Empörung und war schon bereit zu einem Abbruch des Gespräches. Das Weitere würde sich später in aller Stille und Sicherheit finden.

Doch da fuhr Menalippus zu seinem Unheile fort:

»Du willst ein Gott sein! Du! Ein Narr bist du! Ein lächerlicher, aufgeblasener Narr, über den alle lachen, sobald er den Rücken wendet. Ich aber lache dir in dein fratzenhaftes, widerliches Tölpelgesicht. Denn lachte man nicht über dich, hätte man in deiner Umgebung das Lachen verlernt.«

Während des erzwungenen, aber schallenden Gelächters des dem Tode Geweihten gelang es dem Imperator, sich zu fassen. Er nahm beruhigt seinen Thronsessel wieder ein. Dieser Tor war ungefährlich – er dachte nicht an Meuchelmord.

»Mein Menalippus, du hörtest gewiß von dem Athener Dädalus?« begann Caligula ruhig mit erheuchelter Freundlichkeit.

»Er lebte in einer glücklicheren Zeit als der unsrigen,« antwortete Menalippus, dessen Züge nun erschlafften. Er hatte seinen Haß in Worten von der Seele geschleudert. Jetzt war er leer und fertig.

»Sprich endlich dein Urteil, Mörder!« rief er barsch. »Nur die Feigheit eines zahnlosen Katers ergötzt sich am erbärmlichen Katz- und Mausspiele.«

Caligula ließ sich nicht mehr beirren.

»Des Dädalus Sohn Ikarus flog der Sonne zu nah, die das Wachs seines künstlichen Gefieders schmolz,« fuhr er lehrhaft fort. »Nun wohl, mein Menalippus, auch du warst allzu kühn und kamst in deiner Verwegenheit der Sonne Caligula zu nahe. Wir wollen sehen, ob der Flug dir trotzdem besser glückt als dem Sohne des Dädalus. Begib dich in die Arena. Dort wird man dir Flügel verleihen. Man ist auf meine Wünsche vorbereitet. Fraglich war nur, wem dieser mythologische Flug vergönnt sein würde. Du hast dich wacker um diese Gunst beworben.«

Menalippus verabschiedete sich schweigend von seinen schweigenden Freunden. Dann trat er dicht an den Elfenbeinstuhl des Kaisers.

»Ein Verdammter mehr grüßt dich, Cäsar,« sprach er so laut, daß alle auf dem Podium ihn vernehmen konnten. »Der Gruß der Verdammten aber, die dir vor ihrem Tode fluchten – wird dir Verdammnis bringen. Vale!«

Menalippus verhüllte sein Haupt mit der Toga, denn er war ein Sterbender. So verließ er die Tribüne. Caligula lachte auf. Daß die kommende Vergeltung zum erstenmal offen ihr Haupt erhob, bemerkte Caligula nicht.

Unfern saßen die Tribunen Cornelius Sabinus und Cassius Chärea auf ihren gepolsterten Sitzen. Der alte Cassius flüsterte seinem Verbündeten Cornelius zu: »Die Stunde der Bestie ist abermals nähergerückt.«

»Schweig!« murmelte Cornelius mit kaum bewegten Lippen zurück.

Bald darauf sah das Volk, wie man einen geflügelten Menschen zu der schwindelnd hohen Säule führte. An dem Seile zogen die Knechte den Menalippus so hastig empor, daß es aussah, als flöge er gen Himmel. Toller Jubel der Menge durchbrauste den Zirkus. Man applaudierte dem Cäsar für diesen hübschen Einfall.

Ein Sonnenstreif umspielte das goldgleißende Kapitäl der Säule, auf dem der Verurteilte nun aufrecht stand. Er schloß die Augen, nicht schwindlig zu werden, und lehnte sich an den Galgen, der die Rolle trug.

Das Volk hatte den Zweck der gewaltigen, aus den Schwungfedern von Gänsen gefertigten Schwingen begriffen. Lachend, lärmend, mit schlechten Witzen und Anspornungen forderten die Schreier den Mann auf zum Sprung in die Tiefe. Und da Menalippus zögerte, wirbelten schmutzigste Schimpfreden zu ihm hinauf.

In einem langen Blicke trank der Unselige noch einmal den Sonnenzauber dieses Tages in sich hinein, die Farbenfreude des menschenwimmelnden Zirkus, alle Buntheit des Lebens, die ihn zum letztenmal grüßte vor der grauen Ode des Todes. Und Menalippus grüßte zurück. Dann aber – vielleicht in einer heimlichen Hoffnung, daß die Schwingen ihn doch tragen könnten – breitete er die mit den gewaltigen und gewaltig schweren Fittichen beschnallten Arme. Kopfüber sprang er von der Säule. Das Gewicht der Flügel riß ihn abwärts. An hörbarem, dumpfem Aufprall schmetterte der Körper zu Boden und brach das Genick.

Die weißen Federn färbten sich blutig. Sofort liefen zwei Knechte herbei; sie schlugen dem Leichnam einen Eisenhaken unter dem Kinn in den Kopf und schleiften den Toten hinaus. Andere Knechte gingen hinterdrein, die Blutspur mit frischem Sande zu verdecken und die triefende, breite Furche zu glätten.

Aber schon drang von einer andern Stelle der Arena her jauchzendes Geschrei von Weiberstimmen. Ein neues, fröhlicheres Schaustück hob an. Der kaiserlichen Tribüne gegenüber sammelte sich ein Gewimmel vollkommen nackter Frauen und Mädchen. Mit schamlosen Gebärden belustigten sie die Menschenmenge, während die Ordner des Spieles sich mühten, einzelne Gruppen abzuteilen.

Es sollte ein Wettrennen werden, dem dann ein Rennen zwischen den Siegerinnen der Einzelgruppen folgte. Fünfzig gänzlich entblößte, in der Sonne marmorn weiß leuchtende Leiber schoben sich durcheinander. Helles Kreischen und unzüchtige Redensarten schollen bis zu den Sitzplätzen hinauf. Kaum gelang es den Ordnern, sich der Zudringlichkeiten dieser entfesselten Mänaden zu erwehren und sie in bestimmte Gruppen zu bringen. Jede von ihnen wollte bevorzugt sein.

»Habe ich mir darum mit Harzpflastern und glühenden Nußschalen alle Haare vom Körper entfernen lassen, daß du mich nun so zurückstellst?« schrie eine in ganz Rom als ungeheuerlich ausschweifend bekannte Frau mit Namen Catulla den Ordner an. Dabei hob sie die Arme und zeigte ihre entblößten Achselhöhlen.

Cervia aber, eine sehr begehrte Hetäre, hing sich dem Ordner an den Hals und suchte ihn mit heißen Versprechungen zu gewinnen, auf daß er sie in die erste Gruppe nähme.

»Ich werde Siegerin sein in dieser Gruppe, und dann bleibt mir Zeit zum Ausruhen, damit ich auch im Endkampf der Siegerinnen siege,« flüsterte sie dem Manne zu. »Sei klug, Varillus! Dann sollst du mich einen Monat lang täglich besuchen dürfen und auch nicht die kleinste Münze, noch nicht ein As bezahlen für alle Freuden, die ich dir bereite.«

Ein hochgewachsenes, schönes Mädchen namens Polita löste sich aus dem Trubel. Sie trat näher an das Podium heran, zeigte ihren herrlichen Körper von allen Seiten und gab sich durch obszöne Stellungen allen Augen preis. Endlich die Hände unter die schneeigen Brüste legend, stand sie still und schrie zu Caligula hinauf:

»Achte auf mich besonders, Herr! Siehe diese Kugeln aus Marmor. Du wirst deine Freude haben, wie sie gleich weißen Lämmern vor mir herhüpfen, wenn ich renne.«

Der Kaiser lachte Tränen über diesen ihn köstlich dünkenden Witz. Zur Belohnung streifte er einen der Ringe ab, mit denen seine Finger über und über bedeckt waren. Er warf die Kostbarkeit der Polita zu. Doch das Mädchen verfehlte im Fange den funkelnden Ring. So verschwand er im Sande.

Einige der Gefährtinnen hatten den Vorgang verfolgt. Nun sprangen sie herbei, sich der kaiserlichen Gabe zum Nachteil der Polita zu bemächtigen. Kaum gewahrten die übrigen Rennerinnen, um was es sich handle, als auch sie die Ordner beiseitestießen und sich am Kampf um den Ring beteiligten.

So balgte sich unter schrillem Jauchzen und Lachen ein Gewirbel von nackten Weibern vor dem Podium, rollte in toller Lebensfreude auf dem Sande und stellte alle Geheimnisse entkleideter Glieder zur Schau.

Caligula vergaß den voraufgegangenen Ärger. Er selbst gab das Zeichen zu einem Beifall, wie er an diesem Tage im Zirkus noch nicht gehört worden war. Der Kaiser strahlte. Die Zufallsszene da unten in der Arena bedeutete einen großen Moment, die Krönung der Zirkusvorstellung. Die Stimmung des Volkes loderte auf gleich einem Freudenfeuer. Die Gunst der Massen war wieder einmal gewonnen.

Abalanda sah mit verfinstertem Gesicht auf diese Orgie der Leiber. Zwischen den Eltern hatte Valeria Messalina ihren Platz. Zu seinem Staunen gewahrte Abalanda, daß das junge Mädchen ohne jede Scham oder Scheu auf die Szene fesselloser Nacktheit blickte.

Valeria Messalinas dunkle Augen hafteten staunend, eindringlich die Einzelheiten verfolgend, auf dem Strudel der Lebenslust, an dessen Oberfläche blankes Fleisch und bloße Haut zusammenschäumte zu einem Wust schillernder Leiber, bald auseinander sprühte in Flocken einzelner wirbelnder Körper, um immer wieder zurückzuwellen zum jauchzend verknäulten Durcheinander nackter Glieder. Sie war zum ersten Male im Zirkus. Eine fatale Absicht der Eltern hatte ihr diesen ungewohnten Besuch gestattet. Den blühenden Mund zu einem unbewußten Lächeln geöffnet, atmete Valeria Messalina wollüstig unbewußt den Duft von Balsam und Wohlgerüchen ein, der durch die Erhitzung der Katzbalgerei sich von den parfümierten Körpern der Frauen dort unten löste. Zwischen der Elfenbeinreihe der schönen Zähne des Mädchens erschien hin und wieder die feuchte Zungenspitze, als genieße sie einen köstlichen Leckerbissen. Die Nüstern der edelgeschnittenen Nase blähten sich und bebten, als wolle der hastig gehende Atem das aufsaugen, was dem Sinne der Augen entging.

Betroffen senkte Abalanda das Haupt. Er war tief enttäuscht. Nicht Abscheu, wie er erwartet, sondern ein genußfreudiges Begehren durchzitterte das Mädchen, das er in der stillen, sich gern verbergenden Liebe verehrte, die den Männern seiner nordischen Heimat eigen war. Dort warb man um das Weib und mußte sich den Besitz erkämpfen. In diesem brünstigen Rom aber raste die Liebe nackt vor den Augen alles Volkes und warf sich jedem an den Hals, der ihrer, wenn auch nur flüchtig, begehrte.

Messala hatte den jungen Mann beobachtet. Er kannte das Leben genau, war zu sehr Menschenkenner, als daß er nicht längst bemerkt hätte, wie es um das Herz seines Gastfreundes stand. Der Aënobarbus strich sich über den rötlichen Bart, der sich seit Lucius Domitius den meisten Männern der Familie vererbte.

Man erzählte: zwei göttliche Jünglinge hätten vor Zeiten durch Berührung das dunkle Haupthaar und den Bart des Lucius zu rot schimmernder Erzfarbe verwandelt, um so ihre olympische Herkunft zu erweisen.

Nachdenklich seinen »Erzbart« krauend, beugte Messala sich vor und musterte das stille Antlitz Abalandas. Er sann. Gewiß war es besser, den Kaiser zu bitten, den jungen Nordländer einem andern Hause in Rom als Gast zu überweisen. Caligula hatte durch die Einladung Valeria Messalinas zum Gastmahle dargetan, welchen Gefallen er an ihr fand. Noch immer war die Gunst der Cäsaren ungesucht den Aënobarbi zugefallen. Nur Caligula hatte bis jetzt gezögert. Aber jetzt, da der Imperator das unüberlegte, jugendlich abweisende Verhalten des Mädchens nicht übelgenommen, ja auch die ungehorsame Weigerung, an seiner Seite den Zirkusspielen beizuwohnen, weder sonderlich beachtet noch geahndet hatte, blühte neues ungeahntes Heil der Familie. Er, der Vater, würde Messalina schon lehren, ihr Glück zu begreifen. Zwar war ihr starker Selbstwille – der ererbte »Eisenkopf« als Familieneigentümlichkeit – nicht leicht zu brechen. Offenbar gefiel ihr auch die in Rom nicht bräuchliche und als fremdartig um so anziehendere stumme Verehrung des Gastes aus Germanien. Ehe aber hieraus ernstere Zuneigung sich entwickelte, mußte ein Riegel vorgeschoben werden. Eine Römerin und ein Barbar – unmöglich! ...

Glücklicherweise gab Caligula gerade jetzt das Zeichen zum vorzeitigen Aufbruch. Er hatte sich satt gesehen an dem mänadischen Gebaren der Weiber in der Arena und versprach sich vom Wettrennen der nackten Schar nun keine gesteigerte Belustigung. Bevor er die Tribüne verließ, verharrte er noch einen Augenblick neben seinem Elfenbeinstuhle. Er suchte mit den Augen die Reihen der ihn grüßenden Vornehmen ab, einen Blick auf Valeria Messalina zu erhaschen.

Messala trat rasch neben seine Tochter. »Dränge dich vor und grüße den Kaiser besonders zuvorkommend!« befahl er.

Das Mädchen, noch im Banne des Erlebten befangen, gehorchte, fast ohne zu wissen, was sie tat. Auch die Mutter Lepida schob sie an den Schultern vorwärts. So hob Valeria Messalina beide Arme und winkte in kindlicher Gebärde, noch im Rausche der Erregung über die ungewohnten starken Eindrücke auf ihr junges, kaum erwecktes Gemüt.

Befriedigt gewahrte der Vater, daß Caligula huldreich den Gruß erwiderte. Der Kaiser nickte mehrmals zu der Reihe hinauf und rief dann den Prätor zu sich, dem er eindringlich einen Auftrag erteilte. Unter den begeisterten Zurufen der Menge verließ er sodann den Zirkus.

Wenig später kam Proculejus Gillo und sprach den Messala an.

»Der Kaiser läßt dir sagen, du mögest es nicht als Ungnade auffassen, wenn er dich ersuchen läßt, statt dem von ihm gegebenen Gastmahle dem Gastmahle seines Günstlings Protogenes beizuwohnen,« bestellte der Prätor.

»Ich fasse es durchaus als eine Gunstbezeigung auf,« versicherte Messala Barbatus klüglich mit erhobener Stimme. Denn er erfaßte sofort den Grund dieser Ausladung. Caligula wollte Valeria Messalina zum Gaste, allein, ohne Gegenwart der Eltern. Die Wahl des neuen Gastgebers freilich war eine Kränkung. Denn der Grieche Protogenes galt in Rom als der widerwärtigste Speichellecker des Kaisers und als des Imperators Gehilfe im Ersinnen so mancher Greueltat.

»Der Kaiser läßt dir ferner danken, daß du mit den Deinen so vergnügt die heute von ihm dem Volke gebotenen Zirkusspiele verfolgt hast,« setzte Proculejus hinzu.

»Triffst du den Kaiser noch?« erkundigte sich Messala hocherfreut.

»Selbstverständlich, da ich ihn zum Palatin zurückgeleite.«

»So bitte ich dich, dem Kaiser folgendes zu sagen: ich hätte ihm gern selbst erzählt, daß ich mit meiner Tochter einen harten Auftritt hatte wegen ihres ungezogenen Auflehnens gegen seine geheiligte Person und Gnade. Valeria Messalina ist noch zu unerfahren, die Fülle dieser Gunst voll zu würdigen. Sie ist von uns, ihren Eltern, nunmehr belehrt und zurechtgewiesen und freut sich der ihr zuteil gewordenen Bevorzugung. Sie wird dem Kaiser Abbitte leisten. Und ich selbst, ich kann dem Kaiser meine Ergebenheit nicht besser beweisen, als daß ich Valeria Messalina gestatte, unbeaufsichtigt einem Gastmahle im kaiserlichen Palast beizuwohnen.«

Der Prätor lächelte verbindlich und meinte, die Stimme dämpfend: »Ich kenne dich als einen klugen Mann, Valerius Messala. Sei versichert, daß ich dem Kaiser getreulich deine Worte berichten werde. Doch ich nannte dich einen klugen Mann. Es wird dir also recht sein, wenn ich dem Kaiser vorenthalte, daß du besondere Betonung legst auf das ›Unbeaufsichtigtbleiben‹ deiner Tochter.«

Proculejus Gillo grüßte und eilte dem Kaiser nach.

In der Arena begann der Wettlauf der Weiber. Ihrem Jauchzen nach war ihnen jetzt, nach dem Scheiden des Kaisers, weniger um einen ehrbringenden Kampf zu tun als um eine eigene Belustigung und um Zurschaustellen ihrer körperlichen Vorzüge und ihrer geheimsten Reize.

Abalanda sprach finster zu seines Gastgebers Tochter: »Du hörtest, Valeria Messalina, was dein Vater sagte und was er von dir verlangt?«

Sogleich unterbrach sie ihn ärgerlich: »Du bist hier, um unsere Bräuche zu erlernen. Dann merke dir auch, mein Freund, daß es gegen römische Sitte verstößt, andere in ihrem Vergnügen zu stören.«

»Dir gefällt dieses tolle Gebaren?« wunderte er sich kopfschüttelnd.

»Du bist doch ein Mann,« erwiderte sie mit heißen Wangen. »Ich begreife nicht, daß es dir nicht Freude bereitet, diesem hübschen Spiele des Dahinstürmens schöner Glieder und weiblicher Formen zu folgen.«

»Du bist anders, als du noch gestern warst, Valeria Messalina,« raunte er vorwurfsvoll.

»Vielleicht bin ich so, wie ich fortan sein werde,« gab sie geheimnisvoll achselzuckend zurück.

»Auch wenn mich das sehr traurig stimmt?« fragte er verzagt.

»Wir haben in Rom nicht Zeit, traurig zu sein. So lehrte man mich.«

Damit wandte sie sich der Arena wieder zu, um sich nichts von dem aufwühlenden Bilde des Wettlaufes entgehen zu lassen. Schweigend harrte Abalanda neben ihr aus.

Er dachte, es gäbe für römische Gesinnung und Gesittung kein besseres Symbol als dieses Rennen dort unten auf dem Sande, den die Septembersonne in sprühendes Silber verzauberte. Was war dieses blinkende Dahinstürmen der nackten Frauenleiber mit dem bacchischen Jubelrufe der Lust aus den Lippen anderes als ein Abbild des von allem Höheren des Daseins gelösten tierischen Triebes nach einem vergänglichen, kurzen Glücke des Augenblickes?


 << zurück weiter >>