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8

»Mißlungen also!« verkündete Agrippina verbissen der Schwester Livilla und reichte ihr eine Notiztafel, die soeben ein Bote aus dem Palatium gebracht hatte.

Livilla flüsterte einen leisen Dank den Göttern, dann warf sie einen flüchtigen Blick auf die in das rötliche Wachs eingeritzten Schriftzeichen.

»Du liest nicht?« fragte Agrippina schroff.

»Es genügt mir zu wissen, daß die Kaiserin lebt,« erwiderte Livilla mit einem Aufatmen der Befreiung. »Bedenke, welche Umwälzungen ein Mord an ihr, welche ungeheure Erregung er in Rom hervorgerufen hätte! Mir bangte vor den Folgen dieses Anschlages, und so sage ich freimütig: Dank den ewigen Göttern, daß er mißlungen ist!«

»So dankst du auch den Göttern, daß eine Unschuldige sterben mußte?« spottete Agrippina.

Jetzt erst las Livilla die Zeilen. Dann legte sie stumm die beiden Elfenbeintäfelchen aufeinander und gab sie der Schwester zurück.

»Wie dieses Unglück geschehen konnte, werden wir von Polybius hören. Er verspricht, seinem Boten auf dem Fuße zu folgen,« nahm Agrippina wieder das Wort. Sie ließ sich auf eine kleine Sella nieder und starrte vor sich hin. Endlich richtete sie den Blick auf Livilla.

»Das Sündenregister der Domitierin wächst ungeheuerlich an: Paris, Narzissus, Polybius – und nun der Weg zur Marsyassäule, dem Stelldichein der Buhldirnen – die Nacht in einem Lupanar. Es dürfte reichen! Ich habe jeden der schamlosen Schritte der Kaiserin aufgezeichnet. Jetzt soll Claudius alles erfahren.«

»Du fändest den Mut, ihn davon in Kenntnis zu setzen?«

Agrippina lachte bösartig. »Ich ...? Mir würde der brave Claudius nicht glauben. Er kennt mich zu lange. Es gibt aber einen Mund, zu dessen Worten er Vertrauen haben wird, wenn er nicht nur Anklagen erhebt, sondern ihm auch von Liebe flüstert.«

»Und wessen Mund ist das?«

»Der deine,« stieß Agrippina kurz heraus.

In ungläubigem Staunen starrte Livilla auf die Schwester. Sie öffnete die Lippen und beugte den Kopf vor, als wolle sie so besser hören. Durch eine fragende Gebärde forderte sie Wiederholung der Worte.

»Der deine!« rief Agrippina und deutete gebieterisch auf die Schwester. »Claudius ist locker geworden. Nicht nur Männer, auch Weiber umschmeicheln ihn. Und Julia Livilla ist verlockend genug, diesem Tropf von einem Cäsaren begehrenswert zu erscheinen. Umgarne ihn und gewinne sein Vertrauen!«

»Ich soll dem Kaiser Liebe heucheln?« schrie Livilla entsetzt auf, sich schüttelnd vor Abscheu.

Agrippina hob die Hände zu den Ohren.

»Schrei nicht so!« verwies sie herrisch. »Beherrsche dich. Der Ruhm unseres julischen Geschlechtes ist wohl eines so geringen Opfers wert. Zuneigung heucheln heißt nicht Wünsche erfüllen. Eine kluge Frau wird diesen Narren wohl am Narrenseile der Liebe zu gängeln verstehen.«

Ungestüm schüttelte die sonst so Gefügige den Kopf.

»Ich tue es nicht!« rief sie heftig, »Ich kann es nicht! Mir graut vor diesem Menschen. Ich hasse deine Ränke.«

Dicht trat Agrippina an die jüngere Schwester heran und flüsterte ihr erbost zu:

»Vergißt du die Mißachtung, mit der die Kaiserin dich sowohl wie mich behandelt?! Sie tut, als gehörten wir Julierinnen überhaupt nicht zum Hofhalte des Palatiums.«

»Würdest du denn anders handeln, wenn du an Messalinas Statt wärest?« versuchte Livilla weiteren Widerstand. »Würdest du anders handeln, wenn du in einer Frau, der du freundschaftlich entgegengekommen bist, die heimliche, erbitterte Feindin erkannt hättest?!«

»Wie ich handeln und was ich tun würde, steht hier nicht zur Erörterung,« erwiderte Agrippina hochmütig. »Wir sprechen von Messalina. Sie muß fallen. Du hast zu mir zu stehen, weiter nichts. Ich verlange deine Hilfe. Ich verlange, daß du tust, was in deinen Kräften steht. Ich verlange von dir, daß du den Weg zum Vertrauen des Kaisers suchst – und findest.«

»Ich kann es nicht,« stöhnte Livilla, sich zerquält unter der rücksichtslosen Gewalt windend, mit der die furchtbare Frau ihr den letzten Rest von Willen zu entreißen strebte.

»Dann denke an Bajä!« zischte Agrippina aus blutleeren Lippen. »Denke an die freche Überhebung, mit der Messalina uns durch den Designator aus der Orchestra des Theaters holen und – mit dem Hinweis, wir wären bessere Plätze einzunehmen nicht berechtigt – uns nach den untersten Sitzen der Cavea weisen ließ, unter Bürger, Ritter und dergleichen Plebs. Denke an das kaum unterdrückte Gelächter, das uns folgte, als wir beschämt das Theater verließen.«

Plötzlich sprang sie auf die Schwester zu, packte sie an den Schultern und schrie ihr ins Gesicht: »Wenn du diese Schmach verwinden kannst, bist du keine echte Julierin. Dann bist du ein Bastard in unserem Hause!«

Als Livilla sich von dem harten Griffe der maßlosen Frau befreite, schlug der Admissional den Vorhang zurück und verkündigte, die Tragsänfte des Polybius lange soeben vor dem Vestibulum an. Wenige Minuten später erschien der Grieche im Tablinum und verneigte sich vor den beiden Schwestern. Er sah bleich und verstört aus.

»Bitte, ohne lange Vorrede!« nahm Agrippina unfreundlich sogleich das Gespräch auf. »Was hat sich ereignet, nachdem du mir gestern abend die Kunde brachtest, du hättest die Kaiserin bei der Marsyassäule erkannt, und mit der Absicht, unseren Plan durchzuführen, mein Haus verlassen hattest?«

»Es ist nicht viel zu erzählen, Domina,« gestand Polybius. Seine Stimme war heiser vor innerer Erregung. »Du weißt, die Mädchen an der Säule erzählten mir, die neue Hetäre habe sich mit dem Namen Lycisca bezeichnet. An dieser Lycisca hatte ich die Kaiserin erkannt. Sie war in Begleitung ihrer Vertrauten Fabulla und sprach lebhaft mit einer der Dirnen. Dann entfernten sich die Drei. Ich folgte ihnen und sah sie ein Haus in einer Sackgasse hinter dem Marstempel betreten.«

Ungeduldig schlug der Fuß Agrippinas den Boden. »Dann suchtest du mich auf, um mir dein Abenteuer zu erzählen. Wozu die Wiederholung? Ich will wissen, was geschah, nachdem du mich verlassen hattest.«

»Unserer Abrede gemäß holte ich mir auf der Präfektur einen Centurio und zwei Mann der Stadtkohorte,« berichtete Polybius, verstimmt über den unhöflichen Ton der Domina. »Wir begaben uns zu dem Lupanar, um die angebliche Lycisca zu verhaften. Ein alter Bursche und zwei bissige Hunde machten das Betreten des Hauses unmöglich. Doch schließlich brachte der Ostiarius die vermeintliche Hetäre vor die Tür. Sie folgte willig. Ich hatte dem Centurio selbstverständlich nicht gesagt, daß diese Hetäre – die Kaiserin sei. Ich hatte ihm nur angedeutet, es handle sich um eine staatsgefährliche Frauensperson, die aus Rücksicht auf das kaiserliche Haus am besten verschwände. Ein reichliches Geldgeschenk an den Centurio und seine Soldaten verlieh dieser Andeutung den nötigen Nachdruck. Sie wurde verstanden, und die Ausführung entsprach deiner Absicht, Domina. Ich fand die – ? die so plötzlich Verstorbene vor der Hintertreppe des Marstempels. Leider belehrte ein einziger Blick auf ihr Gesicht mich, daß sie nicht die Kaiserin war. Man hatte die falsche verhaftet. Bei meiner Rückkehr in den Palast begegnete ich Messalina. Unzweifelhaft kam sie mit ihrer Vertrauten aus dem Lupanar. In meiner Wut gab ich ihr zu verstehen, daß ich wüßte, wo sie während der Nacht gewesen, daß ich gewissermaßen glaubhafter Zeuge für das Unglaubliche sei.«

Polybius schwieg und wischte mit der Hand über die mit kaltem Schweiß bedeckte Stirn.

Agrippina betrachtete ihn mit unverhohlener Verachtung. Ein Zug der Erbarmungslosigkeit schnitt tiefe Falten um ihre Mundwinkel.

»Hm,« machte sie endlich. »Wenn auch nicht alles, so ist durch diese Begegnung wenigstens etwas erreicht.«

»Gewiß,« bestätigte der Freigelassene in selbstzerstörerischem Spotte. »Erreicht ist, daß die Kaiserin mich nun als den Mann kennt, der um eines ihrer schmählichsten Geheimnisse weiß. Ich hätte die Begegnung im Palaste vermeiden sollen. Seit gestern abend habe ich eine Dummheit nach der andern gemacht. Ich bin ein Narr – ein Tor – ein verlorener Mann!« Sein Unterkiefer zuckte.

»Fasse dich, Feigling!«

Er rang die Hände ineinander und gab stammelnd zu: »Ja – ich habe Angst – Todesangst! Laß dir erzählen. – Die Kaiserin muß im Lupanar von der Verhaftung jener Hetäre gehört haben. Da es sich um das Mädchen handelte, mit dem sie bei der Marsyassäule Freundschaft geschlossen hatte, unternahm sie gleich nach der Heimkehr Schritte zur Befreiung der Dirne. Dadurch wurde ihr Bescheid, man habe in einer auf der Straße gefundenen Toten die in Rom sehr beliebte Hetäre Lycisca festgestellt.«

»Ah, es gab also wirklich eine Lycisca?« staunte Agrippina.

»So ist es,« nickte Polybius. »Wer konnte das ahnen? Eine der Sklavinnen Messalinas, eine gewisse Colonia, steht in meinem Dienste, gut bezahlt. Ihr verdanke ich meine Nachrichten. Die Kaiserin ist äußerst erregt, verriet, daß sie mich bei der Marsyassäule erkannte, in mir den Urheber des Mordes an dem Mädchen ahnt und darin einen Anschlag auf ihr Leben errät. Da soll ich nicht für mein eigenes Leben zittern? Dazu erfuhr ich noch, daß Messalina den Kaiser zu einer dringlichen Unterredung zu sich bitten ließ. Daß dabei mein Name zur Sprache kommt, in Verbindung mit ihrem Verdachte, ist unschwer zu erraten. Ich sandte dir daher eilig schriftliche Nachricht über das Mißglücken deines Planes und machte mich, sobald ich unauffällig den Palast verlassen konnte, dann selbst auf den Weg.«

»Etwa, um bei mir Zuflucht zu suchen, Mann?« fuhr Agrippina auf. »Vergißt du, daß du dadurch auch mich in Verdacht bringst? Du wirst sofort das Haus verlassen!«

»Herrin!« flehte der Grieche.

Doch sie schnitt ihm die Rede ab. »Verbirg dich, wo du willst, nur nicht bei mir. Es stehen höhere Dinge auf dem Spiele als dein bißchen Leben. Ich habe mich zu erhalten.«

Polybius starrte wutentstellt auf die gnadenlose Frau, die nur an sich selbst und ihre Pläne dachte.

»Gut,« sagte er, sich ermannend. »Ich hätte mir, bevor ich mich mit dir einließ, sagen sollen, daß du nur Werkzeuge, nicht Menschen kennst. Du wirst von mir hören!«

Ohne sich zu verabschieden, verließ er das Tablinum, schickte seine Sänfte leer nach dem Palast zurück und schritt zu Fuße der Innenstadt zu.

Zur gleichen Zeit betrat Claudius die Gemächer der Kaiserin. Messalina empfing ihn mit einem verführerischen Lächeln und schmiegte sich hingebend an seine Brust. Wie immer zerschmolz er unter ihren Liebkosungen, ließ er sich überwältigen von dem Zauber ihres Wesens, ihrer betörenden, weichen Stimme, von dem verheißenden Gnadenblicke ihrer dunkeln Augen. Er vergaß seine hohen Pläne, seine Mätressen, sich selbst, wackelte mit dem grauen Kopfe und geiferte aus sinnlichem Munde.

»Wir sehen uns viel zu selten,« klagte er gerührt und betastete die sanften Formen der jungen Frau mit begehrlichen Händen.

»Ist es meine Schuld?« flüsterte sie, sich ihm entziehend, und verbarg den Widerwillen gegen seine täppische Berührung hinter gutgespielter Verschämtheit. »Doch nein,« fügte sie hinzu, seine schlaffen Wangen tätschelnd. »Deine hohe Würde und dein Staatsamt sind es, die dich mir fernhalten, Liebster. Soviel zu tun hat mein armer, geplagter Mann! Ich hörte von großen Plänen.«

Sogleich kam er ins Fahrwasser und begann in seiner weitschweifigen, wortreichen und umständlichen Art von den Projekten in Sublaqueum und Ostia zu erzählen.

Messalina ließ ihn gewähren. Sie kannte sein Wesen und wußte, daß er für alles zu haben war, wenn man ihn durch Bewunderung und Schmeichelei gewonnen hatte. Mit der klugen Einfühlung nicht geistvoller, doch schlauer Frauen warf sie hier und da eine treffende Bemerkung ein. Claudius war hochentzückt von der Einsicht seiner Gattin und stellte ihr übertriebenes Lob nur um so höher.

»Ich werde doch öfter kommen und über meine Pläne mit dir sprechen,« entschied er schließlich begeistert. »Deine Anschauungen müssen mir ja äußerst nützlich werden! Auch für meine historischen und philosophischen Werke.«

Sofort wollte er einen Sklaven beauftragen, ein Manuskript herbeizuholen.

»Es ist der Entwurf zu einer Geschichte meines Krieges und Sieges in Britannien,« erklärte er. »Auch führe ich auf Grund dieser endgültigen Eroberung des Nordens den Nachweis, daß Rom nun seine Blicke ostwärts wenden muß. Die Grenzen des Reiches müssen nach dieser Richtung hin erweitert werden.«

»Sende mir deine Schriften lieber später,« beugte Messalina einer langweiligen Stunde vor. »Ich werde sie voll größter Spannung lesen und dir meine Ansicht sagen. Gerade jetzt jedoch habe ich etwas anderes mit dir zu besprechen.«

Nur ungern verlieh Claudius das traute Thema.

»Ist es denn so wichtig?« fragte er und blickte, einmal aus der Bahn gelenkt, sogleich mit leeren Augen drein.

»Wichtig genug, dünkt mich. Es handelt sich um die Gefährdung deines Lebens!« erklärte Messalina in scharfem Tone, ihn aufzurütteln.

Das alte Gesicht des Cäsars wurde leichenfahl. Er lallte zusammenhanglose Worte der Angst und taumelte, als verliere er den Boden unter den Füßen. Er hatte das Entsetzen jener Mordnacht nie ganz überwunden.

»Schon seit einigen Tagen hatte ich Verdacht geschöpft,« erzählte Messalina. »Du weißt, daß ich mit deinem Freigelassenen Polybius engere Freundschaft geschlossen hatte?« Sie sah ihn heimlich prüfend an.

»Ja, ja – man – man hatte – hatte versucht, mir – mir diese – diese –«

»Man hatte versucht, dir von dieser – bleiben wir bei dem Worte! – Freundschaft ein Bild zu malen,« unterbrach sie sein haltloses Gestotter. »Und wer wagte das?«

»Agrippina,« murmelte der Kaiser jämmerlich. »Doch mein Vertrauen –«

»Du tatest gut, mir zu vertrauen und unzeitige Einmischung zu unterlassen. Sie hätte mein Vorhaben wahrscheinlich unmöglich gemacht,« fuhr sie fort. »Denn was du, mein Freund, mit deinem rechtlichen Sinne hättest aufhellen wollen, wäre doch dunkel und verborgen geblieben. Nur ich konnte hier helfen. Ich aber bin sehr empfindlich und schrecke in mich selbst zurück, wenn man mir nicht rückhaltlos glaubt.«

»Aber ich glaube dir ja,« versicherte er mit angstbebenden Lippen.

»Nur Freundschaft mit dem Verschwörer konnte zu den Wurzeln der Verschwörung vordringen. Und meine Sorge um dich trieb mich zu diesem kühnen Wagnis.«

»Wie danke ich dir!« flüsterte er und sah sich gequält um, als suche er auch körperlichen Schutz bei ihr.

»Hat man dir nicht erzählt, daß ich heute nacht in Rom gesehen wurde?« ging sie mutig auf ihr Ziel los. »Flüsterte man dir nicht zu, ich hätte diese Nacht in einem Lupanar zugebracht?«

»Freilich, freilich. Aber ich wies diese häßliche Verleumdung weit von mir. Lupanar – du! Vielleicht war es eine unglückselige Verwechslung.«

»Eine Verwechslung war es allerdings. Sogar eine sehr verhängnisvolle Verwechslung wurde begangen. Doch kostete sie auch das Leben eines schuldlosen, gütigen Mädchens, so rettete sie immerhin mein Leben und auch das deine.«

Schlotternd wankte der Alte zu einem Stuhle. Mit zitternden Knien und mummelndem Munde saß er dort und starrte Messalina aus furchtweiten Augen an. Sein angstirres Hirn vermochte kaum ihren Worten zu folgen.

Sie redete hastig weiter, halblaut sprechend.

»Von meinem vermeintlichen Vergehen kann nur einer dir gesprochen haben – Polybius.«

Sie achtete kaum auf das bestätigende Kopfnicken des Kaisers. »Nur um mir über seine Absichten Gewißheit zu verschaffen, heuchelte ich ihm Freundschaft. Doch verriet er sich nie. Ich mußte zu schärferen Mitteln greifen. Mir war mitgeteilt worden, er verließe oft spät abends in verdächtiger Weise den Palast. Es galt diese verdächtigen, nächtlichen Wege aufzuspüren. In Begleitung meiner Vertrauten Fabulla folgte ich ihm heimlich heute nacht. Auf einem der schandbarsten Plätze in Rom – bei der Marsyassäule – entdeckten wir ihn endlich. Doch nicht die Hetären dort waren es, die ihn an diesen Platz lockten. Es war sein Stelldichein mit seinen Spießgesellen!«

Claudius sank kümmerlich in sich zusammen. Dann saß er lange ohne Bewegung. Endlich stieß er hervor:

»Wer hätte das von dem feinen, stillen Polybius gedacht! Nur für die Historie schien er begeistert wie ich!«

Messalina ließ ihn nicht zu rührseligen Erwägungen gelangen. Dann war er für jeden Entschluß verloren.

»Natürlich hielt man mich bei der Säule für eine Gefährtin der käuflichen Mädchen,« schilderte sie weiter. »Wollte ich mein Ziel erreichen und nicht als Kaiserin erkannt werden, so mußte ich auf diese Rolle eingehen. Daher legte ich mir den Namen einer in Rom bekannten Hetäre bei. Es fiel mir im Augenblick kein besserer ein. Der Zufall wollte jedoch, daß dieses Mädchen gerade anwesend war. Sie stellte mich zur Rede wegen des Mißbrauchs ihres Namens, und gerade in diesem Augenblick entdeckte und erkannte mich Polybius.«

»Ja, ganz genau so berichtete er mir,« nickte Claudius. »Er sagte, du hättest lachend und scherzend dich mit einem dieser Frauenzimmer unterhalten, als wärest du ihresgleichen. Doch ich bestritt diese Ungeheuerlichkeit, und endlich mußte er doch zugeben, er habe sich geirrt.«

»Er hatte allen Grund!« versicherte Messalina keck. »Von Lachen und Scherz war wahrhaftig bei meiner Unterredung mit dem Mädchen keine Rede. Sagte Polybius nicht auch, er hätte mich in der Morgenfrühe bei meiner Heimkehr in den Palast getroffen?«

»Das verschwieg er.«

»Auch dies mit gutem Gründe! Er war nämlich tödlich erschrocken, als er mich noch unter den Lebenden sah.«

»Ewige Götter!« lallte Claudius und hob erschauernd die Arme.

»Das Mädchen Lycisca beruhigte sich über den Mißbrauch ihres Namens und benahm sich später freundlich gegen mich. Ja sie beschützte mich sogar, weil eine anständige Frau an solchem Platze naturgemäß ebenso den Frechheiten der Männer wie den Gemeinheiten der Mädchen ausgesetzt ist. Daher vertraute ich ihr an, wer ich sei. Zum Glück war dies kein Fehler, nein, vielmehr ein rechtzeitiger kluger Entschluß. Lycisca wußte zwar nicht viel, doch immerhin etwas über die Quertreibereien des Polybius. Darum brachte sie mich in ein Haus, in dem ich für die Nacht sicherer war als im Palatium, sicherer auch, als wenn ich den Weg zum Palaste eingeschlagen hätte. Mir ahnte Gefahr, und ich hatte mich nicht geirrt. Denn gerade der mir erwiesene Dienst sollte der armen Lycisca zum Verhängnis werden, wie er auch mir selbst zum Verhängnis geworden wäre. Polybius muß meinen Aufenthalt irgendwie ausfindig gemacht haben. Er wollte mich durch Söldner der Stadtkohorte verhaften lassen. Diese Söldner aber waren bestochen. So fand man in der Morgenfrühe statt meiner die arme, unglückliche Hetäre ermordet auf der Straße liegen.«

Mühsam erhob sich Claudius, wankte gebrochen auf Messalina zu und streichelte mit irren Fingern ihren Arm.

»Du beinahe tot – du – du!« ächzte er. »Ich werde furchtbare Rache nehmen.«

»Das erwarte ich von dir!« bekannte Messalina fest. »Es besteht kein Zweifel: indem man mich zu beseitigen suchte, wollte man dich deiner treuesten Freundin berauben, die mit offenen, unbeirrbaren Augen und ohne allen Egoismus über deine Sicherheit wacht. Standest du dann erst allein und verlassen aus der Welt, umgeben nur von Kreaturen, die dich und deine Herzensgüte, deinen Glauben an den Wert des Menschen ausbeuteten, dann war es ein Leichtes, dir das furchtbare Schicksal des unseligen Caligula zu bereiten.«

Claudius weinte jetzt laut vor Aufregung und Angst. Zusammenhanglos zeternd, erhob er sich und umarmte Messalina, hilflosen Dankes voll. Er war nun so feig um sein Leben besorgt, daß er sich nicht ohne sichere Begleitung nach den von ihm bewohnten Gemächern im Palatium zurückwagte. Die Kaiserin mußte Soldaten der prätorianischen Leibwache rufen lassen. Dann verabschiedete er sich mit dem kläglichen Versprechen, niemals einer fremden Einflüsterung noch einer Verdächtigung Messalinas zu glauben, sondern sich stets bei ihr selbst Aufklärung zu holen.

Auf schriftlichem Wege unterrichtete Claudius den Senat von dem Anschlage gegen das Leben der Kaiserin, und von der Absicht des aus dem Palatium verschwundenen Freigelassenen Polybius, mit einem Morde an Messalina einen neuen Cäsarenmord einzuleiten.

Auf das eifrigste nahm der Senat sich der Sache an. Man machte den Centurio und die beiden Söldner der Stadtkohorte ausfindig. Die drei Männer bestätigten, die Weisungen des Griechen hätten keinen Zweifel darüber gelassen, daß die aus dem Lupanar zu holende Person zu beseitigen sei. Einhellig sagten sie aus, die als Lycisca bezeichnete Dirne wäre ihnen von Polybius als staatsgefährlich geschildert worden, und darum hätten sie nicht gesäumt, ihrer stillschweigenden Pflicht nachzukommen.

Diese Aussagen bekräftigten die geschickt ersonnene Aussage der Kaiserin.

Damit war das Todesurteil über Polybius gesprochen.

Doch man fand ihn nirgends in Rom.

Als Narzissus durch den Cäsar selbst von der Angelegenheit erfuhr, als er hörte, daß Messalinas Anklage den Freund so schwer verdächtigt hatte, ließ er sie sofort um eine Unterredung bitten. Er ahnte, daß die Kaiserin andere Beweggründe getrieben hatten, Polybius aus dem Wege zu räumen. Hatte sie den unbequem gewordenen Geliebten mundtot machen wollen? Er wußte, daß der sonst so kluge und vorsichtige Freund engeren Verkehr mit Agrippina gepflogen hatte. Eine andeutende Warnung hatte Polybius mit Stillschweigen hingenommen, sich aber seitdem von Pallas und Callistus, wie auch von ihm selbst zurückgezogen und so die bis dahin getreulich gepflegte und erprobte Freundschaft gelockert.

Die Unterredung mit Messalina verlief zunächst stürmisch, lenkte dann aber durch das gemessene Verhalten des Griechen in ruhigere Bahnen. Äußerst lebhaft verwahrte die Kaiserin sich gegen die Anschuldigung, sie hätte Polybius nur aus Rache verdächtigt, weil er die Beziehungen zu ihr gelöst habe. Sie blieb bei der Behauptung, sie habe die Spuren einer Verschwörung entdeckt. Selbst der durchtriebene Narzissus zweifelte zuletzt nicht mehr an der Wahrheit ihrer Versicherungen. Denn Messalina hielt ihm vor – was er natürlich selbst wußte, aber leugnete – daß der unselige Mensch sich mit der Ränkespinnerin Agrippina eingelassen hatte.

»Mit der Verurteilung des Meuchelmörders ist es nicht getan,« rief Messalina, erbittert durch seinen Widerstand. »Mit wem als mit dir, Narzissus, und deinen beiden Landsleuten hat er zusammengehalten? Seid nicht auch ihr verdächtig? Solltet ihr nicht um die Absicht eures Freundes gewußt haben? Verlaß dich darauf, ich werde nicht rasten, bis alles aufgehellt ist. Ihr kennt meinen Einfluß auf den Cäsar zur Genüge. Ihr habt allesamt euch oft genug dieses Einflusses bedient. Ich habe dem Kaiser bewiesen, wie treu ich zu ihm stehe. Es bedarf also nur eines Wortes, und auch eure Köpfe sitzen nicht mehr fest auf den Schultern.«

Narzissus gab sich geschlagen, wenn auch voll stillen Ingrimms. Er erkannte, daß er und die Gefährten das Spiel verloren hatten. Diese verbuhlte, lange gegängelte Frau war plötzlich eine lichterlohe Gefahr geworden. Eine Flamme, die der Obhut entronnen war.

Diese Frau war um so gefährlicher, als sie Geheimnisse zu hüten hatte und kein Mittel scheuen würde, sich gegen den Verrat dieser Geheimnisse zu schützen.

Er wollte schon den Freund preisgeben, indem er dessen Verkehr mit Agrippina zugab. Doch im letzten Augenblicke noch hielt er die ihm auf den Lippen schwebenden Worte zurück. Dieses raffinierte Geschöpf, diese unfehlbar kombinierende Kaiserin konnte ihm und seinen Gefährten einen Strick drehen aus dem Bekenntnis, daß er und die Freunde verschwiegen hatten, was im Hause der Verschwörerin Agrippina vorgegangen war. Rasch und gewandt griff er zu der Rolle des beleidigten Geliebten von einst.

»Daß du an meiner Treue zweifeln konntest, hohe Frau, betrübt mich schmerzlich!« bedauerte er im Tone tiefster Erschütterung über die Anklagen Messalinas. »Zwingt nicht die Tatsache, daß du mich einst liebtest, mich zum Schweigen wie zur Dankbarkeit? Meinst du, ich wüßte nicht, daß man die griechische Treue lästert? Leider muß ich zugeben, daß Polybius nun Anlaß gab, auch deinen Glauben an diese Treue schwankend zu machen. Was ihn zu seinem Tun bewog, bleibt wohl unerforschbares Rätsel. Eine Verirrung gewiß, die vielleicht durch die Überlastung seines Geistes mit den Ansprüchen seiner Ämter und seiner hochfliegenden Pläne zu entschuldigen wäre.«

Da sie beharrlich schwieg, fuhr er unsicherer fort:

»Du tust recht nachzuspüren, wohin die von ihm gesponnenen Fäden einer – wie du es nennst – Verschwörung führen. Deine Nachforschung wird dich zu der Überzeugung bringen, daß weder Callistus und Pallas noch auch ich von unsres mißleiteten Freundes Absichten wußten.«

Sie lächelte kalt und schwieg.

Da hielt er eine kleine Drohung für geboten.

»Vor allem, Herrin, aber wisse: was uns auch von dem bekannt ist, was du lieber verschwiegen haben möchtest – es ist bei Freunden aufbewahrt.«

Sie lächelte noch immer ein unheimliches undeutbares Sphinxlächeln.

Er unterdrückte seine Wut. Er fühlte sich gedemütigt unter diesem Lächeln.

»Natürlich«, gestand er zu, »schweigen wir auch, weil wir deiner bedürfen, den Kaiser zu lenken und durch ihn den römischen Staat zu regieren.«

Mit biederer Miene bot er ihr die Hand. »Nimm durch Handschlag die Bekräftigung eines Bundes zwischen dir und uns. Du bist klug genug, hohe Frau, einzusehen, daß wir die Treue wahren werden, weil wir – nein, weil Rom deiner bedarf.«

»Ich bin auch klug genug einzusehen, daß ich in euern Händen bin, wenn ich mich euch verbünde,« sagte Messalina endlich spöttisch. »Nicht Wohlwollen zwingt dich, mir die Hand zu bieten, sondern die Furcht vor mir.«

»Ich leugne es nicht!« nickte Narzissus. Er kannte den seltsamen und eigenwilligen Charakter dieser Frau und wußte, daß volle Offenheit tiefen Eindruck auf sie machen würde.

»Nachdem wir gesehen haben, daß du Polybius nicht schontest, dürfen auch wir keine Schonung erwarten, falls einer von uns dir Gelegenheit zum Zorne gibt. Es ist nicht der Ratgeber des Cäsars, es ist dein Freund Narzissus, der dir beratend eingesteht: Ja, wir fürchten dich! Aber gerade deshalb rate ich dir, dich uns zu verbünden. Denn müssen wir dich fürchten, müssen wir auch deine Feinde sein. Feinde aber sind immer eine Gefahr, Messalina! Immer!«

Er hob nachdrücklich warnend die Hand.

»Ist es daher nicht klüger, wir schließen einen Freundschaftspakt? Das würde uns Griechen zu offenem Spiele verpflichten – freilich auch dich.«

Messalina überlegte lange. Die Kunst der Überredung war eine der stärksten Gaben des schönen Mannes Narzissus. Seine tiefe, melodische Stimme nahm sie gefangen wie einst, als ihr eindrucksvoller Klang noch die trauten Zärtlichkeiten des Herzensfreundes süß zu raunen verstand. Auch schien einleuchtend, was er vorschlug. Sie sah ihn prüfend an, ihre klaren Augen durchforschten sein Antlitz. Es schien ihr, als begegne ihr Offenheit und Lauterkeit in seinen geistvollen Zügen.

»Bist du ehrlich in diesem Augenblicke, Narzissus?« fragte sie verhalten.

»Nicht nur in diesem Augenblicke, Messalina,« gab er zurück und beugte sich auf ihre Hand.

Ein kurzes, leidenschaftliches Aufwallen schlug in der Kaiserin hoch, als sie die heißen Lippen des Mannes auf ihren Fingern spürte. Sie strich sanft über seine dunkeln Haare und seufzte, die Augen schließend und erschauernd in der Erinnerung an die Stunden, in denen er ihr ein Glück gewesen war, ein Glück, in dem es kein Besinnen gab, nichts als Jauchzen heißen Blutes. Blick brannte in Blick, dann Mund auf Mund, und aufgescheuchtes Verlangen flammte zusammen.

Als Narzissus die Gemächer der Kaiserin verließ, nahm er zum zweiten Male das Bewußtsein mit, daß die Kaiserin weit mehr in seiner Hand war als er in der ihren. Eine Stunde gegenseitigen Angehörens hatte das Bündnis unlöslicher bekräftigt als Wort und Handschlag.

Ja, diese Frau war ein schäumender Trank, der berauschen mußte, weil man ihn nicht Schluck für Schluck, nein, nur in bacchischem Hinabstürzen genießen konnte.

Er betrat das Arbeitsgemach des Cäsars – und fand den braven Claudius in läppischem Getändel mit seinen Freundinnen Calpurnia und Cleopatra. Bei diesen freundlichen Mädchen ohne Ansprüche vergaß der alte Herr seine Angst vor der Verschwörung gegen sein Leben und gegen das Principat.

Mit kindischem Scherze scheuchte der Kaiser die beiden Freundinnen aus dem Raume.

»Du solltest dich doch lieber jedesmal überzeugen, ob du mich nicht störst,« belehrte er mit listigem Blinzeln Narzissus, der mit unbeweglicher Miene vor ihm stand.

»Ich komme von der Kaiserin,« sagte der Grieche, ohne auf die Ermahnung einzugehen.

»Nun – und –?« Die Angst packte ihn jählings wieder.

»Wir haben ihr viel zu danken. An der Schuld des ungetreuen Polybius kann leider kein Zweifel sein.«

Der Kaiser wurde käsig-grün.

»Schicke mir Catonius Justus, den Befehlshaber meiner Leibwache,« bat er mit röchelnder Stimme. »Oder besser, triff du selbst die Anordnung, daß man die Wachen um mich verstärkt.«

»Sei ohne Sorge, Gebieter,« entgegnete Narzissus. »Die Prätorianer sind dir treu und stehen wie Mauern von Erz um dich. Außerdem gab mir die Unterredung mit der Kaiserin die Gewißheit, daß keinerlei Verschwörung – sei sie welcher Art auch immer – bis in den Palast vordrang. Ja sie dürfte nicht einmal bis zu den Toren des Palatiums reichen.«

»Und der Senat?« forschte der Kaiser eindringlich.

Narzissus machte eine weit ablehnende Gebärde.

»Der Senat ehrt dich wie einen Gott, ihm darfst du ohne Bedenken trauen. Einmütig ist er der Überzeugung, du wärest das Glück Roms.«

»Dann kann ich endlich aufatmen,« seufzte Claudius ein wenig beruhigt. »Du und die Kaiserin, Ihr seid mein Halt und mein Hort. Besprich nur alles mit ihr. Ich werde ihr raten, dich zu jeder Stunde zu empfangen.«

»Es wird der hohen Frau erwünscht sein – nicht weniger mir,« versicherte Narzissus in tiefem Ernste. Es fiel ihm nicht leicht, das zweideutige Lächeln zu unterdrücken.

»Und sonst liegt nichts Erörternswertes vor?«

Als der Grieche verneint hatte, bat Claudius:

»Dann sende mir Calpurnia und Cleopatra wieder herein! Ich war so in Sorge – sie haben ein bewunderungswürdiges Talent, mich aufzuheitern.«

Narzissus verneigte sich und ging. Er kam diesem Auftrage nur zu gern nach. Solange der Kaiser Bücher schrieb, Historie und Recht studierte und sich mit Mätressen vergnügte, war Messalina die vernachlässigte, trostbedürftige Frau. Und vor allem: so lange überließ der würdige Princeps es seinen Ratgebern, an seiner Statt den Geist Griechenlands über Rom walten zu lassen. –


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