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29. Die Symphonie der Steppe und des Urwaldes.

Der deutsche Weidmann kennt den geheimnisvollen Zauber, der zu dem Horchenden spricht, wenn im Frühlingswalde die Waldschnepfe murkst, die Balz der Waldhühner ertönt und wenn im Herbst der Brunfthirsch schreit. –

Das müssen zähe und uralte Einflüsse sein, denen der Lauschende da untertan wird, Einflüsse, die aus grauer Urzeit stammen und mit zwingender Macht plötzlich wieder lebendig werden und wirken.

Wer diesen Zauber versteht, der folge mir in die äquatoriale Wildnis zu dem Singen und Klingen, das ich dort vernahm. Wir wollen dies Singen und Klingen die Sprache der Nyika nennen. Sie tönt dort allenthalben in ursprünglicher Mannigfaltigkeit bei Tag und Nacht. Freilich, um diese Sprache ganz zu verstehen, müßte man König Salomos Zauberring besitzen, der seinen Träger der Sprache der Natur kundig machte, oder müßte gleich Siegfried die Hand im Blute des Lindwurmes genetzt haben, um vogelstimmenkundig zu werden ...

So viel ist gewiß: in afrikanischen Wildnissen klingt noch jene Ursprache. In heimischen Revieren sind Auerochs, Wisent, Steinbock, Bär, Luchs und Wolf völlig verstummt und auch viele andere Stimmen ureingesessenen Wildes so gut wie verklungen. Wer kann sich ihrer Stimmen, ihrer Sprache entsinnen? – Ich habe gewiß nur wenige Worte der Sprache der afrikanischen Steppe verstehen können, wenn ich auch vieltausendfaches Tönen vernahm. Aber von diesem Tonbilde möchte ich wenigstens berichten, so gut ich es vermag ...

Wie groß und gewaltig wirkt diese Welt der Töne zu manchen Tages- und Nachtstunden auf den Wanderer ein! Jede Gegend, jede Formation des Geländes hat ihr eigenes typisches Konzert. Es ertönt nicht immer, – hängt vielmehr von Jahres- und Tageszeiten ab, von der wechselnden Gunst und Ungunst der Witterung und vielem mehr! Wem diese verschiedenen Stimmen auch nur teilweise vertraut und geläufig geworden sind, der genießt dieses Tönen, diese Tonsprache der Nyika mit hohem Genuß und stets wachsendem Verständnis. Zuweilen ist es unbeschreiblich schwierig, die Namen einzelner der Mitwirkenden zu erfahren. Sie verhalten sich manchmal ziemlich still, geben gleichsam nur Gastrollen, tauchen plötzlich auf und verschwinden wieder auf lange Zeit, ohne sich mehr bemerkbar zu machen. Da kann der Forschende oft lange vergeblich nach dem spurlos verschwundenen Sänger Umhör halten! Aber nicht nur der Genuß, den die Solisten in diesem gewaltigen Naturkonzerte uns bieten, ist von so großem und fremdartigem Reize. Auch die Gesamtwirkung all der zu einer gewaltig eindrucksvollen Symphonie vereinigten Naturstimmen hat auf mich einen so unvergeßlichen Eindruck gemacht, daß ich versuchen will, ihn dem Leser mit schwachen Kräften zu schildern. Diese Tonsprache der Steppe ist an sich schon gewaltig, reich und eindrucksvoll, wird es aber in verstärktem Maße noch für den, der mit den Augen des Sehers die Dinge schaut und weiß, daß viele von den hier ertönenden Stimmen nicht mehr lange erschallen werden. Wie lange, lange Zeiten durch die Jahrhunderttausende, auch alltäglich und allnächtlich das Tongewirr vernehmbar war, bald werden diese Stimmen oder doch viele unter ihnen, Opfer der Zivilisation, für ewig schweigen. 5ie vergehen und mit ihnen auch viele der klangschönen Bezeichnungen der Stätten und Örtlichkeiten, mit der die Eingeborenen alle die Punkte bezeichnet haben, die der eindringende Europäer sich mehr oder minder häufig umzutaufen bemüßigt fühlt.

Es könnte scheinen, als wenn ich selbst dieser Sünde nicht frei wäre. Habe ich doch jene Insel, jenes vor zwanzig Jahren von mir aufgefundene Naturreservat des wahrscheinlich heute (1920) schon dort ausgerotteten Wildbüffels im Panganiflusse, Professor Ludwig Heck zu Ehren »Heckinsel« getauft. Aber die Eingeborenen hatten bis dahin der Insel keinen Namen gegeben! Traurig gemutet es, wenn wir bei einem Blick über die Karte Afrikas auf die vielen Verunglimpfungen althergebrachter Namen stoßen, die, in keiner Weise gerechtfertigt, Zeugen sind von einer überschnellen und gewaltsam hereinbrechenden Zivilisation. »Die Buren sind keine naturwissenschaftlich denkenden Leute,« sagte irgendwo ein Schriftsteller. Und tatsächlich, was ist beispielsweise unter ihren Händen aus den wohlklingenden Bezeichnungen der verschiedenen heute schon teilweise ausgestorbenen Wildarten Südafrikas geworden! Kurzerhand belegten sie das Wild mit heimischen Bezeichnungen So sehr der Verfasser die Buren in mancher Beziehung schätzt, so sehr muß er sich gegen gewisse burische Elemente wenden, die rücksichtslos Deutschostafrika durchschweifend, dort mörderisch und verheerend unter der Tierwelt gewütet haben und noch (um 1910) wüteten. – Bedauerlicherweise sind die lächerlichen, ungerechtfertigten und unschönen Namen Gemsbock, Hartebeest, Wildebeest u.a. allmählich allgemein adoptiert worden.<. So wurde aus der Oryxantilope ein Gemsbock, aus der Kuhantilope – weil sie zählebig und nicht leicht zu töten war – ein »Hartebeest«! Das Gnu wurde wegen seiner Wildheit »Wildebeest« getauft, die Trappe »Pauw«, die Hyäne »Wolf«, die Giraffe unglaublicherweise »Kamel«! Hand in Hand damit ging die Verunstaltung der Ortsbezeichnungen: wir lesen von »Hartebeests Fontain«, »Olifants River«, »Kameeldorn«, »Swartkopp« und finden auch noch eine Reihe weit häßlicherer, teilweise recht unästhetischer Namen, die unter Verdrängung der ursprünglichen wohllautenden Bezeichnung den einzelnen Örtlichkeiten beigelegt worden sind.

So verschwinden nicht nur die ursprünglichen Bewohner des Landes, sondern auch ihre Namen verwehen im Winde ...

Zahllos sind die Stimmen, die in der Tageszeit in der Nyika ertönen. Geheimnisvoller aber und wunderbarer noch für den, der ihnen lauscht, ihn noch inniger mit der Natur verkettend, reden die Stimmen der Nacht. Aus der Fülle dieser Stimmen greife ich eine einzige heraus.

Alte Erinnerungen tauchen da in mir auf! Es ist im Jahre 1896; ich bin eben gelandet und sitze an einer Meeresbucht bei Dar-es-Salaam auf nächtlichem Anstand. In das Summen der Moskitos mischt sich ein Konzert nächtlicher Vogelstimmen. Ein seltsames Rufen wird da immer wieder wahrnehmbar. Unendlich traurig und monoton klingt der eigentümliche Laut über die Wasser der Meeresbucht hinaus; in der Ferne wird ihm da und dort Antwort.

Ich habe damals nicht geahnt, daß ich fast ein Jahr brauchen würde, um untrüglich sicher zu sein, daß dieser Laut von einem freilich sehr scheuen und unsteten Kuckuck ausgestoßen wird. –

Auf mich hat dieses Tönen in afrikanischer Nacht später im Laufe der Jahre im Innern des schwarzen Kontinents in einsamer Öde stets den stärksten Eindruck gemacht, ist mir unvergeßlich geblieben! Alles, was man da hörte, aus der Nähe, aus meilenweiter Ferne, fand seinen Ursprung nicht aus Menschenkehle oder war von Menschenhand erzeugt, sondern mußte aus der vielfach unerforschten Tierwelt Reihen stammen. Da galt es zu deuten, zu vermuten, zu kombinieren. Oft traf man es richtig; oft genug aber auch war die angenommene Deutung falsch, und dann war die Neugierde doppelt groß, das Richtige zu erforschen. Ohne Mühe deutete ich mir das zum erstenmal vernommene Geschrei der vom Leoparden zur Nachtzeit geängstigten Affen, ein Schreien unvergeßlicher Art, voll unverkennbar höchster Angst. Das erstmalig vernommene Rufen des Zebrahengstes war schon schwieriger zu erkennen, und das Brüllen und Kollern des Straußes wirkte anfangs noch fremdartiger. – Als ich aber erst die Zebras einige Male hatte rufen hören, wurde es mir klar, daß das ausgestorbene Quagga Südafrikas seinen Namen von seinem Rufe haben müßte. Legt man den Ton bei dem Worte »Quagga« auf die zweite Silbe, und das g in weicher Aussprache tief in die Kehle, so hat man – oft wiederholt – eine erstaunlich gute, wundervolle Verdolmetschung auch des Rufes der von mir beobachteten Zebraarten.

Schade nur, daß sich das alles nicht in einem Apparat aufspeichern ließ, einem riesigen Phonographen! Aber von dieser Möglichkeit sind wir leider wohl noch weit entfernt.

Niemanden kann es wundern, wenn ich jenes unendlich melancholischen nächtlichen Kuckucksrufes besonders gedenke. Wie öde und leer wäre der deutsche Wald ohne Kuckuck und Kuckucksruf! Der afrikanische Urwald freilich vernimmt diesen uns so lieb gewordenen Ruf nicht. Unser in wenigen Tagen vom Norden zum Äquator wandernder Kuckuck hastet hier ruhelos durch Urwald und Steppe; aber er schweigt! Sein Ruf ertönt nur in der Heimat. Im ostafrikanischen Pori rufen aber unter vielen andern zwei dort heimische Kuckucksarten um die Wette: der Sichelkuckuck – Tipi-Tipi der Swahili – ein überall aus Busch, Ried und Schilf anscheinend mühselig aufflatternder rotbrauner Gesell, und der menschenscheue einsame Kuckuck (Cuculus solitarius Step.), dessen Ruf mich so lange irreführte. Jener auch nur einige Male gehörte, nie wieder vergeßbare, unendlich weiche Ruf des Sichelkuckucks – wie Dut-dút-dududu-dut-dút klingend, – am Tage wie auch in tiefer Nacht vernehmbar, kontrastiert aufs schärfste mit dem kräftig harten, deutlich betonten Ruf unseres europäischen Kuckucks. Diese Stimme scheint mir in ihrer dumpfen, matten, weichgedehnten Klangfarbe, im Gegensatz zu dem harten Rufe des nordischen Verwandten, so ganz angemessen seiner geheimnisvollen tropischen Heimat. Der Sichelkuckuck kennt denn auch ihre letzten Geheimnisse, denn kein zweiter Vogel streift so unermüdlich durch das verschlungenste Dickicht, die unzugänglichsten Gelände. Aus jedem noch so heimlichen, öden und vergessenen Winkel flatterte er, oft mich erschreckend, zu meinen Füßen auf.

Auch aus dem Kamerungebiet Westafrikas berichtet mir der ausgezeichnete Beobachter Professor Yngwe Sjöstedt von dem eigenartigen Rufe einer nah verwandten Kuckucksart.

So war es mir, als wolle der Vogel Kunde geben von neuentdeckten Geheimnissen, wenn sein Dut-dút-dududu-dut-dút bald hier, bald dort, weich, sanft und melodisch zu mir herüberklang, am Tage bei brütender Mittagshitze und ebenso um die Mitternachtsstunde.

Ihm sekundiert, wie schon erwähnt, auch zur Nachtzeit, sein scheuer Vetter mit immer wiederholten Ki-kü-kü – – Ki-kü-kü, das monoton in der Weite verklingt.

Ein seltsamer Reiz, immer wieder diese Stimme zu hören, ohne den Sänger zu kennen; ein Triumph, endlich diesen erkannt zu haben.

»In schlafloser Nacht,« sagt Richard Wagner, »trat ich einst auf den Balkon meines Fensters, am großen Kanal in Venedig; wie ein tiefer Traum lag die märchenhafte Lagunenstadt im Schatten vor mir ausgedehnt. Aus dem lautlosesten Schweigen erhob sich da der nächtliche rauhe Klageruf eines soeben auf seiner Barke erwachenden Gondoliers ... bis aus weitester Ferne der gleiche Ruf den nächtlichen Kanal entlang antwortete: Ich erkannte die uralte, schwermütige, melodische Phrase ... an sich gewiß so alt, als Venedigs Kanäle mit ihrer Bevölkerung. Nach feierlichen Pausen belebte sich endlich der weithin tönende Dialog, und er schien sich im Einklang zu verschmelzen, bis aus der Nähe wie aus der Ferne sanft das Tönen wieder im neu gewonnenen Schlummer erlosch. Was konnte mir das von der Sonne bestrahlte, bunt durchwimmelte Venedig des Tages von sich sagen, das jener tönende Nachttraum mir nicht unendlich tiefer, unmittelbarer zum Bewußtsein gebracht hätte.«

Schnell war das Lager aufgeschlagen, und mein Präparator Wilhelm Orgeich teilte Messer zum Präparieren an seine "Fundi" aus.


Meine alt gefangenen Marabus liefen frei im Lager umher und hielten mit den Geiern gute Freundschaft ... (Der im Vordergrunde befindliche Marabu befindet sich, auch heute – 1919 – noch, im Berliner Zoologischen Garten.)

Wer vermöchte mit gleich herrlichen Worten den Eindruck zu schildern, den das Tönen und Singen der nächtlichen Wildnis, ihre seltsam düstere und doch so herrliche Tonsprache in unserer Seele hervorzaubert. Da kann Fremdes, anfangs Beängstigendes nach und nach zur lieben Gewohnheit werden. – Wo sind sie heute, während ich dies niederschreibe, die seltsamen Töne und das Stimmengewirr der Steppe? Werde ich sie wieder einmal vernehmen können? Wer weiß es! Ich will daher versuchen, auszumalen, was ich so oft gehört; will versuchen, in kurzen Skizzen die Stimmen wiederzugeben. –

Jetzt sind wir plötzlich mitten im Urhochwald. Riesige Podocarpus- und Juniperusstämme streben zum Himmel an. – Es ist kühl und düster rings um uns her; wir atmen feuchte, nicht selten modrige Luft. Das Sonnenlicht umspielt nur die Kronen der Urwaldriesen, vermag jedoch nur spärlich, in zitternden tanzenden Lichtern an den Stämmen herabgleitend, den hier unten fast kahlen Erdboden zu erhellen. Hoch oben wölben sich diese Urwaldriesen, ein gewaltiges lebendes grünendes Dach bildend, ihre Wipfel verflechtend. Nur dort, wo Lichtungen den Baumbestand unterbrechen, flutet ein Meer von Lichtwellen herab zum Erdboden, Lichtwellen von solcher Stärke, daß unser an die Dämmerung, das geheimnisvolle Halbdunkel des Urwaldes gewöhntes Auge geblendet wird, daß wir uns unwillkürlich alter biblischer Gemälde erinnern, die eine ähnliche Fülle von Licht vom Himmel zur Erde niederstrahlen lassen. Ein Gewirr von Lianen, Bäumen und Strauchwerk, dazwischen umgestürzte, modernde Baumstämme; der Erdboden schwarz, nicht selten morastig; kein Weg und Steg weit und breit, nur hier und da die Wechsel und Pfade der Elefanten und Nashörner, die den Urwald seit uralter Zeit durchkreuzen. –

Tiefes Schweigen ringsumher. Wenn der Wanderer stille steht und den Atem anhält, lastet dieses Schweigen mit unheimlicher Wucht auf seiner Seele. Es ist in solchen Augenblicken, als ob irgend ein Unheil drohe, irgend etwas Böses und Gefährliches sich heranschleiche.

Plötzlich ein Quieken und Murksen! Schattengleich huscht es an den Stämmen herauf und herab, und wieder wird ein seltsames Fauchen und Murmeln vernehmbar. Umfing uns eben noch eine Stimmung, wie sie Böcklins unsagbar meisterhaft der Natur abgelauschtes »Schweigen des Waldes« darstellt; erwarteten wir jeden Augenblick, daß das mit genialster Kraft im Bilde festgehaltene Märchen hier Wirklichkeit werden solle, glaubten wir hier Nymphen und Dryaden belauschen zu können, – verschwunden schon ist der Zauber: die Gnomen des Urwaldes, die Baumschliefer, haben das Schweigen verscheucht. Wie wundersam! Zwerghafte Huftiere, die nächsten heute lebenden Verwandten der Nashörner, klettern hier wie Eichhörnchen an den uralten Baumstämmen auf und ab!

Von allen Seiten, Ecken und Enden ertönte eben noch das seltsame Rufen – und schon wieder schweigt es ringsumher. Hier, weit im Innern des Urwaldes, hat die Vogelwelt scheinbar keine Heimstätte mehr. Aber da! Ein seltsames Schwirren wird vernehmbar, und ich erblicke über mir auf einem kahlen Aste einen der farbenprächtigsten afrikanischen Vögel, den Bindentrogon (Heterotrogon vittatum Shell.), der, einen höchst eigentümlichen Laut ausstoßend, ein eigenartiges Spiel mit den herrlichen Flügeln schlagend vollführt.

Laut schallende, trompetenartige Töne lassen sich vernehmen! Wir hören ein Rauschen in der Luft, und große, gewaltig geschnäbelte Nashornvögel segeln, wie ich aus den Stimmen entnehmen kann, durch die Lüfte und lassen sich in der Krone eines der riesigen Juniperus procera nieder. Auch sie verschwinden nach einiger Zeit, ihr Trompeten verhallt in der Ferne und wieder schweigt es in der Runde. Diese Stimmen und die der färbenprächtigen Helmvögel verleihen dem afrikanischen Urwalde einen seltsam-eigenen Reiz.

Jetzt aber schallt plötzlich ein merkwürdig anschwellender und wieder abnehmender Ton an mein lauschendes Ohr, ein seltsames Getön von höchster Eigenart. Es ist das mit Worten nicht zu beschreibende Singen der Seidenaffen. Eine Gesellschaft dieser wundervollen Geschöpfe scheint gut gelaunt, denn ihr Gesang erschallt andauernd und in steigender Stärke im Chor zu mir herüber. Murúh-murúh-murúh-rrrrrrrmúh rrrrrrrmúh-murúh quoi-quo-quo-quo-rrrrr – tönt es bald stärker anschwellend, bald milder verklingend. Auch Todgeweihte sind es, die hier ihren uralten Gesang, der in unseren Tagen nur zu leicht ein Sterbegesang wird, vernehmen lassen; denn die Seidenaffen werden ihres schönen Felles wegen hart verfolgt, und ihr Singen verrät sie dem beutegierigen Jäger. Verlorene Giftpfeile, die ich zufällig finde, stricknadeldünn, einst vergeblich nach den großen seltsamen Affen verschossen, wissen davon zu erzählen. – – –

Und wiederum fand ich den lichteren Hochwald verklingend und widerhallend von unzähligen Vogelrufen, so wie einst in Nordamerika das Locken der Milliarden heute fast ausgerotteter Wandertauben erklang, und wie einst – das ist für mich kein Zweifel – das Gurren unserer Ringeltaube in den heimatlichen Buchen- und Eichenwäldern sich vernehmen ließ in tausendfältigem Widerhall, wenn die Baummast geraten war ...

Die heiligen Ibisse strichen dicht über mein Versteck.


Streichende Nilgänse.

An den einsamen menschenleeren Westabhängen des höchsten deutschen Bergriesen, des Kilimandscharo, sind gewisse Waldfrüchte in Fülle gediehen. Da ertönt allenthalben ein starker wohllautender Taubenruf, ähnlich dem unserer Ringeltaube! Zu vielen, vielen hat sich da eine herrliche große Waldtaube (Columba aquatrix Tem.) versammelt. Das Klatschen der Flügel ihrer aufgehenden und einfallenden Schwärme mischt sich in ihr herrliches Locken und Rufen; nichts anderes vernimmt unser Ohr. Stimme, Gestalt und Betragen erinnern so sehr an unsere Ringeltaube, daß es nicht erst des allerdings nur in gewissen Höhenlagen so wenig tropischen, vielmehr nordischen Wesens des Kilimandscharo bedarf, um sich plötzlich in weite Ferne entrückt zu fühlen. Wie seltsam; dieser Vogelruf versetzt den Wanderer mit einem Schlage in die Heimat. Wahrlich, es liegt ein Zauber im Laut; mit geringen Hilfsmitteln, schwachem Rüstzeug weiß die schaffende Phantasie im Nu eine Brücke zur Heimat zu schlagen! Der hier allenthalben ertönende Lockruf der schönen Taube, das liebetrunkene Aufsteigen des Taubers hoch in die Luft über die Kronen der Urwaldriesen, setzt sich in Traumbilder um, läßt mich plötzlich Buchenduft atmen; ich bin im nordischen Frühlingswald, kühle und würzige nordische Luft umweht mich. Aber ach, Tausende von Meilen, Länder und Meere trennen mich von dort, und der kühl wägende Verstand rechnet nur mit der Möglichkeit, nicht aber mit der Gewißheit, die Heimat wieder zu schauen. –

Und dennoch wirkt diese schöne Einbildung stärkend und tröstend; sie verscheucht nagendes Heimweh – ein schlimmes Ding!

Manch andere Stimmen kann man noch im Urwald vernehmen. Die aber, die sich ganz gewiß fest in die Erinnerung einprägen, sind: der seltsame Ruf der Baumschliefer, die eigenartige Stimme der Nashornvögel, jener Taubenruf, der merkwürdige, über alle Beschreibung eigenartige Chorgesang der Mbega-Affen und – das Trompeten des Herrschers im Urwald, des Elefanten ...

Ein anderes Tongemälde, ein Frühmorgen am Wasserplatz in der Steppe. Es ist in der Nacht empfindlich kalt gewesen, aber die schnell wärmenden Sonnenstrahlen der Äquatorsonne haben bald reges Leben in die Tierwelt gebracht. Ein Rufen und Locken der Frankoline allenthalben. Aber den Hauptteil am Frühkonzert haben die Tausende, von allen Seiten zum Wasser eilenden Turteltauben. Ein Rucksen und Gurren allüberall, das der Masai so unübertrefflich mit dem Namen der Turteltaube in seiner Sprache: »Ndurguljú« wiederzugeben weiß. Dazu als Begleitung das Sausen und Flügelschlagen all der gefiederten Gäste am Wasser. Gegen Abend ist die Luft in der Nähe stark besuchter Trinkplätze tatsächlich von diesen schönen und fluggewandten Vögeln erfüllt; das Sausen und Flügelschlägen der eiligen Vögel bildet ein Konzert für sich allein: Lagerplätzen, die den Namen »Taubenwasser« oder »Taubenlager« führen, begegnete ich nicht selten. All die vielfältigen Stimmen der zahlreichen Taubenarten, die die Nyika beherbergt, klingen im Ohre des Wanderers noch nach Jahren wieder. Sei es die seltsame Stimme der Papageitaube, die mit dumpfem Krūh-Krūh und merkwürdigen darauffolgenden Tönen das Konzert einleitet, – sei es der melancholische Ruf der kleinen Stahlflecktaube, der aus dem Dickicht zu uns dringt, – oder das starke, kräftige Liebeswerben der bereits erwähnten, unserer Ringeltaube so ähnlichen Columba arquatrix Tem., – seien es vor allem die zutraulich sanften Stimmen der vielen kleinen Arten von Turteltauben – all diese Stimmen, das Schwirren, Flattern und Flügelklatschen, das belebte Flugbild all dieser schönen Vögel gehört unzertrennbar zum Wesen und Sein der Nyika. Wenn die Turteltauben mit sanftem Gurren den Morgen begrüßen, wird ihren Rufen aus der Ferne Antwort, in den eigenartig gutturalen Tönen schnell durch die Lüfte segelnder, wie gle-gle-lágak-glé-ága-ága rufender, ebenfalls zum Wasser hastender Steppenhühner. Ihnen hat Brehm in seinem »Leben der Vögel« schon ein poetisches Denkmal in schöner Strophe gesetzt. Ich aber könnte mir das Morgenkonzert der Vogelwelt in der Nyika nicht ohne den so seltsamen Laut der Sandhühner, nicht ohne das Gurren der Tauben denken, und das von keiner anderen mir bekannten Vogelart übertroffene eigentümliche Flügelklatschen der vom Ruheplatz aufstiebenden Steppenhühner prägt sich so fest und bestimmt dem Ohre ein, wie das Kláck-Kláck-Kláck der aufgehenden Waldschnepfe dem Ohre des deutschen Weidmannes.

Der Steppenhühner wundervoller Flug, ihr Locken und Rufen, Drängen und Hasten zog mich immer wieder von neuem an: es war mir stets, als wenn die weite Steppe liebevoll gehegte Schoßkinder als Sendboten hier erscheinen ließe, mit der Aufgabe, kund zu tun, daß auch jetzt, zur öden, trockenen Zeit, das Leben in der fernsten Wüste nicht erloschen sei ... So sehe und höre ich sie im Geiste wieder, schön, scheu und voll Lebenslust; so beleben sie die afrikanische Steppe wie die unendlichen asiatischen Tundren zu Millionen. –

Tiefe, langgezogene, glasglockenähnliche Töne klingen an mein Ohr; brütende Mittaghitze ringsum; die Sonne steht im Zenith, und fast kein Laut läßt sich sonst in der Runde vernehmen. Die Steppe liegt unter der heißen Sonnenglut wie erstorben vor meinen Blicken; meine müden Träger haben sich jetzt, wo ich, seit Stunden mit wenigen Leuten unterwegs, endlich raste, dem Halbschlummer hingegeben.

Vor mir eine grell von der Sonne bestrahlte Miniaturbergwelt. Eine schroff sich erhebende Felspartie, so charakteristisch für die Masainyika, in der Ferne sich verlierend. Die Kandelaber-Euphorbien strecken ihre seltsamen Formen dem Lichte entgegen, in bizarren Gruppen und vereinzelt dem Felsen vor mir entwachsen, und sein anorganisches Wesen und Sein gewissermaßen in ihrer Form, ihrem Wesen wiedergebend. –

Mitten aus dieser Steinwüste tönen mir die merkwürdigen Laute entgegen. Geheimnisvoll scheinen sie die Stimmen der Felsen und Steine zu sein. Nirgends entdeckt das Auge den erwartungsvoll gesuchten Sänger, der dies gongartige melodische Klingen von sich gibt. Und doch entstammen diese Töne Vogelkehlen. Es sind wieder Nashornvögel, die eigenartigen Sänger, die ihren Liebes- und Werbegesang in dieser Wildnis ertönen lassen. Ich habe ihnen stundenlang lauschen können, mich in Träumen verlierend, und vermag nicht zu sagen, warum gerade diese Vogelstimme von mir mit der Stimme der afrikanischen Sphinx identifiziert wurde, der sagenhaften Sphinx, die schon so manchem sang und manchen immer wieder lockte, bis er nicht mehr heimkehrte. So oder ähnlich mag das Klingen und die Stimme alter Heiligtümer Nordafrikas einst zustande gekommen sein. Immer wieder aber mußte ich, wenn ich sie vernahm, jener Männer gedenken, die mit brennender Sehnsucht im Herzen hinauszogen in den schwarzen Kontinent, um ihm die Geheimnisse seiner Fauna zu entreißen, dies Unterfangen aber mit ihrem Leben bezahlen mußten ...

Brennende Sonnenglut, flimmerndes Licht in überwältigender Fülle, die öde Felswüste – in ihr jene tiefen, geisterhaften Metallklänge, die gewissermaßen als ureigenste Sprache der Wildnis unvermittelt auf den Wanderer einwirken! – Wie vermöchte ich das alles mit Worten zu schildern?

Um solche Augenblicke in der Wirkung noch zu steigern, muß obendrein die Stimme des gewaltigsten Vogels ertönen, den heute noch die Erde trägt. Ich meine den aus der Ferne erklingenden Ruf des Straußenhahnes, dem ich jetzt mit höchster Spannung lausche ...

Das seltsame Duett ist nun längst verklungen. Aber es entsteht mir häufig wieder im Getriebe der Kulturwelt und geleitet mich auf den Flügeln der Phantasie hinaus in die herrlich schöne Wildnis ...

Aber es bedarf nicht einmal jener ungeschlachten tropischen Sänger, um diese Stimmung heraufzubeschwören. Eine kleine unscheinbare Lerche, ganz allein, vermag mir den Reiz der einsamen Nyika wie mit einer Wünschelrute heraufzuzaubern.

Wie das zugeht, will ich dem Leser erzählen. Wir müssen eine weite Rundreise machen. Jetzt sind wir im Norden, in unserem Vaterlande, mitten im Frühling auf den weit sich dahinziehenden Feldmarken der deutschen Heimat. Der Gesang der Lerche erfüllt die Luft, ihr Trillern läßt unser Herz sich weiten. Wir versetzen uns auf öde Heide. Ein Trillern und Jubeln anderer Art, wehmütig von seltsamer Süße, vor allem in der Nacht: der Sang der Heidelerche. Ich muß es gestehen: der Lerchengesang auf deutscher Flur ist mir ans Herz gewachsen wie kaum eine zweite Vogelstimme, welche die deutsche Kultursteppe, die Feldmark, verschönt und belebt. Nun aber folge mir der Leser auf die kleine Insel Helgoland. In dem Lichte des Leuchtfeuers, das seine in diesem Falle verderbenbringenden Strahlen in die Weite sendet, schwirren und wogen unzählige Lerchen ratlos in finsterer Herbstnacht voll Angst und Bangen umher. Tausende verfallen in finsterer regnerischer Oktobernacht dem unterm Turme lauernden Tode durch Menschenhand. Ihre kleinen Schwingen haben sie sicher über den Ozean nach dem kleinen Eiland getragen. Aber da vernehmen wir keinen Jubelgesang. Nein, es klingt wie ein angstvoller Hilferuf, aus schwacher Kehle in höchster Todesnot! ...

Millionen von Lerchen fluten so alljährlich südwärts und nordwärts, dem geheimnisvollen Wandertrieb gehorchend, der sie in diese Bahnen lenkt. –

Das sind Lerchengesänge und Lerchenrufe ganz verschiedener Art. Dem Kundigen bedeuten sie ein Lied von Lenz und Seligkeit und wiederum Hilferuf in Todesnacht.

Wie kommt es, daß ich hier von dem Laut aus heimischen Vogelkehlen spreche, an ihn denken muß? Einfach, weil dort drüben die Phantasie sich oft und gerne den Zugvogel als Boten, als Vermittler von Gedanken an die Heimat vorstellte und mit seinem Erscheinen und Schwinden ihr Wünschen und Sehnen verknüpfte.

In wenigen Tagen und Nächten ziehen im Herbst die edelsten unserer nordischen Sänger bis zum innersten Herzen des schwarzen Kontinents, entschwinden sie diesem im Frühling, um in den Norden zurückzukehren, über Steppen und Wüsten, Sümpfe, Gebirge und Meere. Der Kuckuck, den vor wenigen Tagen noch eines nahestehenden Menschen Auge in nordischer Heimat geschaut, heute schon sehe ich ihn in afrikanischer Steppe als unsteten flüchtigen Gast. Da brachte er mir Grüße, wie unser Pirol sie mir gebracht, unsere Nachtigall und viele andere Kinder der Heimat.

Daß sich an sie alle und ihr Treiben in dieser Einsamkeit unser Denken knüpft, kann niemanden wundern. Um so weniger, als sie alle laut redende Zeugen jener erstaunlichen Tatsache sind, daß so schwache Geschöpfe auf so schwachen Schwingen zweimal jährlich Welten durcheilen und Meere besiegen ...

Der heimischen Lerchen und ihres Frühlingsliedes mußte ich denken, wenn wir mitten im wilden Afrika Lerchengesang vernehmen, der in der Steppe zum Wanderer so eindringlich spricht, als solle auch damit die herbe Eigenart der Nyika in einem Tongebilde meisterhaft wiedergegeben werden. Es ist ein Tönen ganz eigener Art. Wenn ich es vernehme, muß ich in der Nyika an die schwachen gebrechlichen heimatlichen Verwandten dieses Sängers denken, die zu dieser Stunde vielleicht, einem unbezwingbaren Drange folgend, auf der kleinen Insel im Nordmeere ihren Tod finden, demselben Drange gehorchend, der Myriaden ihrer Genossen immer wieder polwärts oder zum Äquator treibt. Denn wie der nordische Lerchengesang den milden elegischen Zauber lachender Fluren wachruft, so redet der herbe, aber geheimnisvolle und noch so wenig entschleierte Zauber der Nyika in der seltsamen Tonsprache dieser seltsamen kleinen Lerche ...

Klein und unscheinbar erhebt sie sich in die Lüfte. Das Auge bemerkt sie kaum, und bald verschwindet sie am Firmament. Da, plötzlich klingt deutlich vernehmbar, scharf akzentuiert und markant dicht vor uns, der jetzt schon oft vernommene fremdartige Ton. Ein scharfes rhythmisches Klappen von seltsamster Eigenart, als würden kleine Brettchen oder Fischbeinstäbe aufeinandergeschlagen. Er tönt vom Baume, dicht vor uns herab. Keine Täuschung scheint möglich. Aber vergeblich forscht das Auge nach dem Erzeuger dieser Töne!

Stets wieder kann und wird man der Täuschung unterliegen. Wer sollte auch darauf kommen, daß dieser kleine ferne Vogel dort, dies kaum wahrnehmbare Pünktchen am Horizont, diese seltsame Musik hervorbringt. Knáck! Knáck! Knáck! klingt es laut und scharf nun wieder zu uns herüber, und immer wieder: unsere kleine unscheinbare Sängerin wird nicht müde, ihren eigenartigen irreführenden Gesang von sich zu geben. Es ist eine Art Balzgesang der Lerchenart, die, von Fischer Dr. Fischer, ein verdienstvoller Ornithologe, erlag leider frühzeitig dem afrikanischen Klima. vor etwa fünfzehn Jahren entdeckt, den Namen des längst Verewigten trägt: » Mirafra fischeri RchwVgl. Prof. Dr. A. Reichenow, Die Vögel Afrikas. ist ihr wissenschaftlicher Name. Ihr Knacken und Schnarren gehört unstreitbar zu den Reizen einer Wanderung durch gewisse Gegenden der Masai-Nyika.

Selbst im Zelte, im relativ starken Lärm des Lagergetriebes meiner vielköpfigen Karawane, vernahm ich das Klappern und Schnarren dieser Lerche. Viele hundert Meter entfernt, stieg sie nach Art unserer Feldlerche gen Himmel und durchschwebte die Lüfte, so laut und deutlich knarrend, daß ich sie, ohne Kunde ihrer Eigenart und Gewohnheiten, stets dicht vor meinem Zelte suchte. Dieser Täuschung ist schwer Herr zu werden. Stets glaubt man den Vogelruf aus unmittelbarster Nähe zu vernehmen, diesen Klang, der wohl in ähnlicher Weise entsteht, wie das Meckern der Bekassinen. – – –

Noch ein zweiter seltsamer Lerchenruf tönt mir im Ohr: ein melancholisch klagender, zarter und feiner Ruf, der mir, wie so viele andere, bisher unbekannt war. Allnächtlich ertönte dies Rufen und Locken rings um mein Lager. Niemals hätte ich geglaubt, daß es Lerchen seien ( Mirafra intercedens Rchw.), die so zur Nachtzeit sich vernehmen ließen, ähnlich wie in den heimatlichen Mondnächten unsere Heidelerche. Den Ursprung dieser Stimmen zu ergründen, erforderte angestrengtes Nachforschen.

Untrennbar von der Erinnerung an die ostafrikanische Steppe ist ferner die seltsame Stimme eines andern Vogels. Die Xerophytenflora, die weit ausgedehnten dornigen Mimosenwälder beherbergen ein eigenartiges Schoßkind aus dem Reiche der Ornis, ein Schoßkind, das sie in ihren Kronen und ihren stacheligen Zweigen getreu vor allen Gefahren schützen. Ich spreche von einer eigenartigen, graugefärbten, grüngeschnäbelten, langgeschwänzten und mit einer Haube gezierten Musophagidenart. Rastlos schweift dieser seltsame Gesell umher, ein Vogel von etwa Hähergröße, den Wanderer durch seine Stimme auf die seltsamste Weise täuschend. Chizaerhis leucogastra Rüpp. nennt ihn die Wissenschaft, die deutsche Sprache hat ihn Lärmvogel getauft.

Er trägt seinen Namen mit vollem Recht. Bis zur völligen Täuschung ertönt in unserer Nähe bald das Bellen und Knurren eines jungen Hundes, bald das Blöken von Schafen. Spähen wir, dem Rufe folgend, nach dem Urheber, so finden wir unseren Vogel, der, geschickt in den Kronen der Dornen und Akazien umherhüpfend, die spitzen Dornen seiner Wohnbäume nicht im geringsten zu scheuen scheint. Mit einer ans Wunderbare grenzenden Gewandtheit weiß er seinen Weg zu finden, geschützt vor den Angriffen von Raubvögeln und Raubtieren und, im Bewußtsein der Sicherheit seines Aufenthalts, gewissermaßen aller Feinde spottend. So täuschend ist sein Ruf, daß ich anfänglich, namentlich in der Nähe von Ansiedlungen Eingeborener, stets nach Schafen und ihren Hirten Umschau hielt. – – –

Noch manch andere typische Vogelstimme wird in meiner Erinnerung wach. Ich höre die eigentümlich klagende, so recht der Einöde angepaßte Stimme der großen Kormorane, die an den einsamen Salzseen der Steppe ihr Fischerhandwerk betreiben. Das geheimnisvolle Schwirren und Schnattern des kleinen Sumpfhühnchens dringt aus Lagunen und vom Ufergesträuch stiller Urwaldströme an mein Ohr, eine so seltsame Vogelsprache, daß die Eingeborenen glauben, der Vogel unterhalte sich mit den Fischen des Flusses.

Ich höre das Schnattern der klugen Nilgänse, die stets in Unterhaltung begriffen scheinen, und deren treu verbundene Ehepaare sich warnend und mahnend auch im Fluge allerlei zuzurufen haben. Wo ihr Ruf ertönt, vernimmt man häufig auch den des wundervollen Trauerkiebitzes; klagend und melancholisch legt er sich auf die Seele des Horchenden. Ganz anders wirkt das lärmende Geschrei seines buntgefärbten, die trockene Steppe bewohnenden Vetters (Stephanibyx coronatus Bodd.) auf uns ein. Schrill und gellend ertönt dieser Vogelruf, ein Alarm- und Wachruf zur Tages- wie zur Nachtzeit, wenn er in klaren Mondnächten scharenweise mit schrillem Lärm über das Lager streicht. Schwärme dieser aufmerksamen Vögel, dieser Steppenpolizei im Federkleide, umkreisen den Nahenden. Sie verderben ihm die Pürsche auf Wild, und der gellende Schrei, auf den alle anderen Tiere achten, verfolgt den Wanderer noch lange, wie auch das Locken und Rufen des groß- und gelbäugigen Triel, eines Bewohners der einsamsten Öden. Die flachen Ufer afrikanischer Seen aber und die Meeresküste sind mir undenkbar ohne den Lockruf weit gewanderter, im fernen Norden beheimateter Strandläufer. Im Winter ertönt ihr leiser, klagender Ruf bei Schritt und Tritt; aber auch im Sommer vernimmt ihn das geübte Ohr hier und da; einzelne dieser nordischen Irrgäste findet man so das ganze Jahr über in der Fremde, während ihre Stammesgenossen glücklich den Weg in die Polarländer zurückgefunden haben, ihre eigentliche Heimat.

Der Ruf der zierlichen Avocette (Recurvirostra avocetta L.), einer der lieblichsten uns bekannten Erscheinungen aus der Vogelwelt, hoch über meinem Haupte, versetzt mich mit Zaubergewalt an die entlegenen, kleinen, so unendlich melancholischen Steppenseen des Masailandes. Was die Zwergtrappen (Otis gindiana Oust.) sich zurufen mit ihrem immer wieder wiederholten Rágga-ga-rágga ist nicht zu ergründen. Aber ihr die Phantasie der Eingeborenen von alters her beschäftigender Ruf gehört so untrennbar zu den mit Hochgras bestandenen Steppengegenden, wie das Locken und Rufen der Sandhühner, Frankoline und vor allem das knarrende Geschrei der Perlhühner zur Steppe überhaupt. Alle die vielfältigen Stimmen der Tauben, der Kuckucke, Papageien, der Nashornvögel, Bienenfresser, Würger, Pirole und Stare, der Finken, Weber, Sylvien u.v.a., sie sind lockend, jubelnd, jauchzend, warnend und klagend mir verwoben mit der Erinnerung an schöne und schwere Tage.

So klingt noch in mein Ohr der Dreischaller des bis zum Überdruß gleich unserem Sperling allgegenwärtigen gelbgrauen Büllbüll (Pycnonotus layardi Gurn.). Das wundervolle, höchst merkwürdige freundschaftliche Spiel, das ein herrlich gefärbter Glanzstar (Spreo superbus Rüpp.) mit einem Starweber (Dinemellia dinemelli [Hart.] Rüpp.) in schmetterlingsartigem Fluge vollführt, tritt mir um so leibhaftiger vor die Seele, je deutlicher ich mich der eigenartigen Töne entsinne, die diese beiden so eng befreundeten, so großen Gefallen aneinander findenden und doch nur wenig verwandten Vögel äußern. Das merkwürdige Zwitschern des Honiganzeigers (Indicator indicator Gm.), der die ihm folgenden Menschen häufig zu einem Nest wilder Bienen geleitet, prägt sich ebenfalls dem Ohr des Reisenden leicht für die Dauer ein. –

Noch manch andere Vogelstimme erfreut den klangfrohen Menschen in reizvollster Weise. Doch nur wenige der markantesten Tonbilder, die in der Nyika zum Wanderer reden, kann ich hier erwähnen. Noch aber muß ich einiger Sänger gedenken, die mir einen ganz besonders starken Eindruck gemacht haben. Wenn silbernes Mondlicht sich über das Lager ergießt, schnurren und spinnen überall in der Steppe die Nachtschwalben (vornehmlich Caprimulgus fossei [Verr] Hartl.) ein merkwürdiges Lied. Wo in noch so öder abgelegener Wildnis der Reisende sein Haupt zur Ruhe niederlegt, lassen die Ziegenmelker sich vernehmen, wirkt ihr Ruf schon in der Heimat in einsamem Walde stark auf uns ein, so noch mehr in der fernen äquatorialen Steppe. Mit unhörbarem leisem Flügelschlag gleitet der Vogel über uns hin; fast berühren uns seine Schwingen. Wenn er sein Lied spann, sein einförmig einschläferndes Lied, konnte ich ihm stundenlang zuhören. Am Tage geht er da und dort plötzlich vor dem Wanderer vom Erdboden auf, und läßt dabei einen unbeschreiblich weichen, nicht wiederzugebenden Laut hören; im nächsten Augenblick verschwindet er wie ein großer Nachtfalter, und selbst das schärfste Auge vermag ihn zwischen dürrem Geäst und Laub oder auch an den Felsboden angeschmiegt, nicht zu erkennen. Der Sang der Nachtschwalbe ist eine meiner ausgeprägtesten Erinnerungen an afrikanische Vogelstimmen.

In der Nähe des Wassers aber, wo es auch sei, und im dichten Gestrüpp, soweit die ostafrikanische Wildnis sich erstreckt, rufen und locken seltsame Vogelstimmen. Metallisch und sonor erklingt ein tiefer Doppelpfiff durch die Stille, sich dem Ohre unvergeßlich einprägend. Das ist der Ruf des prächtigen Orgelwürgers (Laniarius aethiopicus Gm.). Die in innig verbundener Ehe lebenden Würger lassen diesen Ruf stets in so naher Reihenfolge ertönen, daß man anfangs glaubt, nur einen einzigen Vogel zu vernehmen. Wo diese schöne Vogelstimme auch erklingt, deutet sie auf die Nähe von Wasser und gewinnt deshalb in jenem Lande eine ganz besondere Bedeutung.

Keines Lautes aus Vogelkehlen endlich aber entsinne ich mich so deutlich und immerwährend, wie des Gesanges unseres nordischen Sprossers (Aedon philomela [Bchst.]). In manchen Gegenden des Kilimandscharo vernahm ich in unseren Wintermonaten diesen herrlichen Nachtigallgesang sehr häufig; als ich ihn einst zum ersten Male unerwartet vernahm, hat er mich auf das tiefste ergriffen. Vor einem Jahrzehnt erklang er mir während eines Tagemarsches in den Waldschluchten des Riesenvulkanes so andauernd, laut, voll und schön, wie ich in den Tropen diese nordische Vogelstimme niemals erwartet hätte.

Als ich später in beträchtlicher Höhe im Kilimandscharo-Urwald lagerte, begrüßte mich das Locken nordischer Zugvögel, die den Berg umkreisend seine ewigen Schneefelder zu überfliegen schienen. Das war ein seltsames Zusammentreffen in jenen Weihnachtstagen: Nordischer Nachtigallengesang und nordische Wandervögel unterm Äquator! Bemerkenswert ist es, daß diese Stimme des Sprossers der einzige echt nordische Vogelgesang war, den ich jemals in Afrika vernahm. Daß auch dort unserer Nachtigall die Ehefreuden nicht mangeln, beweist die Auffindung ihres Nestes durch den verewigten Dr. Fischer. Nach ihm war ich der erste, der den heimischen Sprosser in Ostafrika auffand. Das Geheimnis der von Fischer beobachteten mit ihrer nordischen Schwester so außerordentlich übereinstimmenden Nachtigall muß noch gelöst werden, doch glaubt mein verehrter Freund Professor Reichenow, daß es sich hier um die in Persien heimatende, den Winter in Ostafrika verbringende Nachtigall handelt.

Doch auch noch andere Sänger, andere Stimmen läßt die ostafrikanische Steppe in Legionen zu Wort kommen! Blütenbedeckte Büsche haben eine Unzahl von großen brummenden Käfern angezogen; schwerfälligen Fluges eilen sie herbei. Auf dem Boden betreiben Skarabäen in Menge ihr so eigenartiges Handwerk. Die unendlich feinen Stimmchen der Zikaden singen ihr ewiges Lied. Durch alle Nüancen setzt es sich fort, dies millionenfältige Schwirren und Summen der niederen Tierwelt. Dazu erklingen die vieltausendfältigen Stimmen der Ornis, erdröhnen die gewaltigen Stimmen der großen Sänger durch Steppe und Busch, durch Sumpf und Urwald, Täler und Höhen. Schweigt das Konzert der gefiederten Sänger urplötzlich, vielleicht weil der rauhe Schrei des Leoparden ertönt, weil das mächtige dumpfgrollende Brüllen des Königs der Wüste über den Erdboden donnert, weil die trompetenartigen Rufe des Elefanten durch den Wald zittern, weil rauher Kriegsruf aus Menschenkehlen, Schlachtgesänge ursprünglicher Menschen sich vernehmen lassen: – unbekümmert erklingen auch in diesen Augenblicken Tag und Nacht die feinen Stimmen all der Myriaden von Kleinen unter den Tieren. Das pfeift und singt um uns her, in nie ermüdendem Getön, schweigt nirgends und ist stets vernehmbar. Aber empfängliche Sinne muß der haben, der in die Wildnis dringt, um ihre volle Schönheit zu begreifen; für ihn erklingt eine Symphonie überall, wo die ursprüngliche Tierwelt ihr Wesen treibt.

Jetzt abermals ein geheimnisvolles Tönen!

Als sich die Brise gegen Abend mehr und mehr hebt, beginnt in meiner unmittelbaren Nähe ein mir vertrautes, seltsam schönes Konzert. Der Hügel, von dem aus ich Umschau halte, ist bis zu seinem Gipfel mit dürftigen Flötenakazien bestanden. Wie nun der Wind immer stärker über die durchlöcherten Gallen, die jene Bäume tragen, streicht, ertönt dort oben durch die einsame Stille ein seltsames Klingen, eine seltsame Tonsprache, die nur der Klang von Äolsharfen ein wenig versinnlichen könnte.

Jene Gallen der Akazien sind durchlöchert und werden in vielen Fällen von kleinen Ameisen bewohnt; stört man diese, etwa durch Klopfen an ihrer eigenartigen Behausung, so schwärmen sie aus, um den Störenfried zu bekriegen! Nicht allzu häufig stört sie ein menschliches Wesen in ihrem Tun und Treiben; doch heute geschieht dies! Der spähende Beobachter freut sich nicht nur am Klange jener seltsamen Musikinstrumente, sondern auch an dem Gedanken, daß sie einen Mikrokosmos beherbergen, einen eigenartig organisierten kleinen Staat lebender Wesen, ebenso wie die große unendliche Steppe zu seinen Füßen einen Staat des mannigfaltigen Großwildes! – – –

Herrlich und schön auch ist die Sprache der Natur, wenn sie selbst ihre ursprünglichste, an kein wahrnehmbares Leben gebundene Stimme erhebt. Das sind die Stunden gewaltiger nächtlicher Gewitter, wenn in Steppe und Urwald und über den Berghalden am kleinen Lagerplatze der Donner erdröhnt, wenn die krachenden Blitze im Zickzack niederfahren. Dann redet der grollende Donner, das Rauschen der Wasserfluten, das Brausen des Sturmwindes in einer über alle Beschreibung eindrucksvollen Weise. Dann, in ihrer Todesstunde, gewinnen auch die Riesen des Urwaldes, die gewaltigen uralten Baumstämme, plötzlich eine laut vernehmbare Sprache. Sie stöhnen in der Umarmung der Windsbraut und krachen unter ihrer Wucht donnernd zu Boden, wenn dann die Erde und das Gestein unter unseren Füßen zu beben scheint, wenn alle Gewalten der Naturkraft entfesselt sind, wenn das schwache Menschlein im kleinen Zelt inmitten all dieser Gewalten einsam und verlassen ihre Sprache vernimmt, einsam und verlassen wie der Seefahrer auf schwacher Planke inmitten des tobenden Ozeans, dann singt die Wildnis ihr großes, erhabenes, wundervolles Lied. Wie aber erst, wenn sich alle die Stimmen zu einer gewaltigen Symphonie vermählen: das Grollen des Donners mit dem markerschütternden Drommetenton der Elefanten, mit dem Brüllen des Löwen und all den zahllosen anderen Naturstimmen der Wildnis! –

Immer wieder mag der Wanderer in die afrikanische Steppe hinausziehen; – er wird stets von neuem die Tonwelt der »Kleinen« unter den afrikanischen Tieren vernehmen. Die Zikaden werden ihn in Schlummer lullen und die Moskitos werden ihn daran hindern. Ihr Zirpen und Summen wird Zeugnis davon ablegen, daß diese Lebenswelle unbekümmert und unbeschädigt um die eindringende Zivilisation fortbesteht. Manch andere Stimmen aber werden seltener werden. Das Trompeten der Elefanten, die Stimme des Löwen, das Brüllen der Flußpferde, das schon die Bibel erwähnt, wird in absehbarer Zeit nicht mehr zu vernehmen sein.

Noch aber kann man all das Tönen vernehmen, dem unsere Ururvorfahren alltäglich und allnächtlich lauschten, als in Europa noch eine sehr ähnliche tertiäre Fauna lebte, wie wir sie heute absterbend in Ostafrika finden. Da tönen am Tage und in der Nacht manche bekannte und manche geheimnisvolle Tierstimmen in Baum und Busch, Sumpf und Ried. Das Vogellied begleiten die Frösche mit monoton betäubendem Chor. Selbst im Zelte des Wanderers zirpen die Grillen, und die Nachtschwalbe spinnt und spinnt und erzählt und raunt vom nächtlichen Tun und Treiben der Tierwelt in einförmig geheimnisvollem Sang.

Wenn der Abendstern leuchtet, hält ein Schakal Zwiesprache mit ihm. In dunkler Nacht läßt sich der tiefe Baß der Hyäne vernehmen; dann wieder lacht sie auf, unheimlich und grell in schreiendem Diskant. Dieses selten ausgestoßene, aber markerschütternde Lachen ist nicht zu vergessen; es quält uns in fieberhaften Nächten noch in der Erinnerung. Niemand soll darüber spotten, der es nicht selbst gehört hat. Wer es vernimmt, begreift, daß die Araber Hyänen für verzauberte Bösewichte halten Es ist bezeichnend für die Tatsache, welch unkundige Schriftsteller über die Tierwelt berichten, daß in allerletzter Zeit erst wieder die Behauptung aufgestellt wurde, dies Lachen der Hyäne gehöre in das Reich der Phantasie. Es wäre besser, wenn Tierunkundige lieber die Tierwelt literarisch in Frieden lassen wollten. (In seinem ausgezeichneten, 1910 erschienenen Buche »Afrikanische Wanderungen«, berichtet dagegen zu meiner Genugtuung u. a. auch Theodore Roosevelt, daß er in einer Nacht das unheimliche Lachen der Hyänen vernommen habe.).

Erhebt nun endlich der Löwe seine gebietende Stimme, so fehlt dem ganzen nächtlichen Zauber nur noch eins: das polternde Getrappel zahlreicher scheuer und geängstigter Zebraherden und anderer Wildrudel. Klingt aber der im Sonnenbrand gehärtete Boden der Steppe wieder vom dröhnenden Hufschlag der Tigerpferde, versagt in der Dunkelheit das Auge, und empfindet nur unser Ohr in den zahlreichen Tönen die mächtig flutende, uns umbrandende Lebenswelle, dann erst kommt es dem Lauschenden voll zum Bewußtsein, wie reich noch die Tiersprache der ostafrikanischen Nyika ist ... Nirgendswo mehr in der Welt von heute erklingen all die Stimmen einer uralten – einer aussterbenden – Tierwelt so eindrucksvoll und stark, und wer dieser Sprache lauscht, kann sich geheimnisvollem Zauber nicht entziehen: dem Zauber des Eleléscho!


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