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Kopfleiste

4. Nachtphotographie unter schwierigen Umständen.

In der Phantasie und nach den Erzählungen oberflächlicher Berichterstatter gibt es bekanntlich Wildtränken, zu denen in der trockenen Jahreszeit das exotische Wild unbedingt und unter allen Umständen ziehen muß, um seinen Durst zu stillen.

Wäre dem so, gäbe es wirklich irgendein Wasserloch, eine Wassergelegenheit, an denen die durstigen Wildrudel unbedingt erscheinen müßten, so gäbe es wohl längst in jenen Gegenden kein Wild mehr. Der Giftpfeil des Eingeborenen, Raubtiere, die Erfindung des Pulvers hätten dann längst alles Tierleben vernichtet. Immerhin kann man unter Umständen in der trockensten Zeit mit einiger Sicherheit an gewissen Wasserstellen Wild erwarten. Dann aber spielen der Wind und andere Umstände immer noch eine genügend einflußreiche Rolle, um den Anstand zu erschweren oder erfolglos zu machen. Genügt doch beispielsweise das Erscheinen großer Raubtiere in der Nähe des Wassers, um die übrige Tierwelt eine Zeitlang von dort fernzuhalten!

Ich habe dann und wann, namentlich behufs Erlangung seltener Vögel, den Anstand am Wasser ausgeübt. Geschah dies aber aus anderen Gründen, so habe ich mich meist lediglich auf die Beobachtung des Tierlebens beschränkt. Der Ansitz beim Wasser behufs Erlegung von Wild hätte in der Tat nur dann einen Reiz für mich gehabt, wenn ich dort etwa sehr starke Elefantenbullen hätte erwarten können; alles übrige Wild stand mir ja in genügender Fülle ohnehin zu Gebot. Alte gewitzigte Elefanten aber schweifen in der Trockenzeit außerordentlich weit umher, weil sie die Gefahr kennen, die mit dem häufigen Besuch ein und derselben bestimmten Wasserstelle verknüpft ist. Ebenso verhalten sich die Rudel vieler anderer Wildarten.

Für den Eingeborenen freilich, für den Zeit keine Rolle spielt, bilden diese Wasserstellen zur Trockenzeit ganz besonders ergiebige Anstandgelegenheiten. Das liegt hauptsächlich daran, daß sich eine ganze Anzahl von Eingeborenen mit ihren Giftpfeilen über mehrere Wasserstellen verteilen und so die Aussichten auf ergiebige Jagd vervielfachen. Ich betone aber auch hier, daß ich diese Jagdart ebensowenig wie irgendeine andere der von Eingeborenen ohne Pulver und Blei ausgeübten Jagdarten für irgendwie bedenklich halte. Denn auf diese Weise haben die farbigen Menschen dort drüben seit Urzeiten gejagt und der Jetztzeit doch die Fülle tropischen Wildes überliefert, die unser Erstaunen und Entzücken überall da erregt, wo der Europäer seinen Fuß zuerst in ein unbekanntes Land setzt.

Während meiner letzten Reise lagerte ich zum zweiten Male am Fuße des in etwa zwei Tagereisen zu umkreisenden Donje-Erók-Gebirges, nordwestlich vom Kilimandscharo im jetzt britischen Ostafrika. Der Masai-Distrikt Donje Erók-la-Matumbáto war mir bereits seit dem Jahre 1899 wohlbekannt. Vor mir war nur die Forschungsexpedition des Grafen Teleki durch jene Gegend gezogen. Sein Begleiter, der wohlbekannte Geograph Ritter von Höhnel, hatte im Jahre 1890 das Gebirge auf der Karte in seinen Umrissen eingezeichnet. Niemand aber hatte noch sein Inneres betreten, und es bildete in seiner unberührten Ursprünglichkeit ein wundervolles Gebiet für den Jäger und Forscher. Der Donje-Erók entsendet einige kleine Bäche. In der Trockenzeit werden diese allerdings schon nach kurzem Laufe vom sonnendurchglühten Boden der durstenden Steppe aufgesogen, in der nassen Jahreszeit hingegen verlieren sie sich in längerem Laufe im Steppengebiet und bilden dann eine Kette von kleinen Sümpfen. Trocknen diese schnell aus, bestehen sie nur noch aus zähem schwarzen Schlamme, so erhalten sich darin häufig die Fährten und Fußtapfen der hindurch wechselnden Wildrudel, namentlich aber der Elefanten und Nashörner. Wie in Wachs geprägt liest dann das Auge des Kundigen über jedes der Riesengeschöpfe, die dort wandelten, einen von ihm in schweren, wuchtigen Runen in den Boden gedrückten Bericht!

Auch in der trockenen Zeit wird der bald versiegende Bergquell, der dem südlichen Teile des Gebirges entströmt, von zahlreichem Wilde besucht. Das war das gegebene Feld für meine Versuche, in »Natur-Selbstabdrücken« die Tierwelt im Bilde festzuhalten.

Meine Karawane befand sich in einer »Qui vive-Stimmung«, als wir unser Lager endlich nach langem Marsche dort aufschlagen konnten. Wir hatten, wie ich schon früher berichtet, in der Nacht einen Überfall der Masaikrieger erlebt und glücklich abgeschlagen. So war es begreiflich, daß die Karawane sich mit einer gewissen Vorsicht in dem teilweise sehr unsichtigen Gelände vorwärtsbewegte. Aber stärker als diese Vorsicht und als die Angst vor einem neuen Überfall erwies sich doch die Ermüdung durch Strapazen, Durst und Hitze; waren doch einzelne Träger, unter ihrer Last erliegend, zurückgeblieben. Wir hatten aber freilich einen »Telekésa-Marsch« hinter uns; das heißt, die Karawane war nach möglichster Versorgung jedes Einzelnen mit Wasser vormittags aufgebrochen, bis zum Einbruch der Dunkelheit marschiert, hatte die Nacht wasserlos zugebracht und war am Morgen des folgenden Tages in der Dämmerung wieder aufgebrochen. Nun mußte das Wasser unter allen Umständen erreicht werden, und unter Dransetzung der letzten Kräfte jedes einzelnen gelang dies auch, aber erst kurz vor Einbruch der Dunkelheit. Dieser Marsch war begreiflicherweise um so ermüdender und abspannender gewesen, als uns alle vor dem Überfall nur etwa zwei Stunden Schlaf erquickt hatten. Die zurückgebliebenen Träger wurden mit ihren Lasten durch ihnen zu Hilfe gesandte Kameraden in später Stunde glücklich ins Lager gebracht.

Eine Erkundung der Umgebung am nächsten Morgen nach meiner Ankunft im neuen Lager, das durch Dornenhecken, eine sogenannte »Boma«, einigermaßen befestigt worden war, ließ uns in der Nähe, wie schon öfters, mehrere alte, stark verpalisadierte Lager eingeborener Elefantenjäger finden. Diese Lager sind kenntlich an den Überresten von Pulverfäßchen, vielleicht auch an einem in der Nähe errichteten Zauberfetisch oder ähnlichen Anzeichen. Einen Zauber konnten nur mit Feuerwaffen jagende Eingeborene errichtet haben; weder Wakámba, noch Wandorobbo pflegen meines Wissens ähnliche Künste auszuüben. Hier bestand der Zauber aus einer Anordnung mehrerer großer Schneckenschalen inmitten einer kleinen, quadratfußgroßen Umzäunung. Daß er seine Wirkung nicht verfehlt hatte, bewiesen mir die Schädel und Überreste von gegen zwanzig frisch erlegten Nashörnern. Ein solches war unter anderem offenbar aus dem palisadengesicherten Lager heraus auf eine Entfernung von nur wenigen Metern erlegt worden. – Genau in gleicher Weise hatte ich alles schon im Jahre 1900 hier gefunden. Diese konzessionierten Elefantenjäger, oder wie der gebräuchliche Ausdruck damals lautete, diese »vertrauenswürdigen Fundi« sind und bleiben eine wahre Pest. So muß der ums Jahr 1893 bis 1900 im Kilimandscharo-Gebiet mit seinen Banden tätig gewesene Elefanten-Konzessionär und politische Agent Schundi, der frühere Sklave eines Kavirondo-Häuptlings, als der Hauptvernichter des einst so reichen Elefantenbestandes am Kilimandscharo gelten.

Inmitten des Dickichts stießen wir plötzlich auf ein soeben verlassenes Lager eingeborener Jäger, die aber unter Mitnahme ihrer sämtlichen Habseligkeiten bereits das Weite gesucht hatten. Es waren offenbar keine Wandorobbo gewesen, sondern gewisse Anzeichen ließen mich darauf schließen, daß anderen Stämmen angehörige Eingeborene hier dem Wilde aufgelauert hatten. Neuerdings nämlich pflegen beispielsweise auch Masai unter Umständen in der Weise der Wandorobbo der Jagd obzuliegen. Wir schlossen das aus einigen im Lager gefundenen Gebrauchsgegenständen, wie sie von den Wandorobbo nicht benutzt zu werden pflegen. Mein Hauptfund jedoch in diesem Jagdlager waren einige vierzig frisch geschossene Zebrahäute und ebensoviel Gnuhäute neben einer Anzahl von Fellen und Häuten geringeren Wildes. Diese Häute waren größtenteils mit Pflöcken auf dem Boden zum Trocknen aufgespannt. Wahrscheinlich hatten die Jäger bei ihrer Flucht noch eine Anzahl weiterer Felle und Häute mitgenommen. Ich schloß aus dem Ganzen, daß es sich um eine Art von Jägern handelte, wie sie leider neuerdings nicht selten angetroffen werden, die im Auftrage indischer, griechischer oder anderer Händler Wild erlegen. Diese Händler machen, da sie den Eingeborenen für die Häute nur ein Geringes zahlen, ein sehr gutes Geschäft ...

Neuere Nachrichten aus dem Westen Afrikas und aus andern Gegenden unserer und fremder Kolonien bestätigen in überraschender, aber auch höchst bedauerlicher Weise die Richtigkeit der von mir gehegten Ansicht, wie unsagbar schädigend der mit dem Feuergewehr jagende Eingeborene in den Bestand der Tierwelt eingreift. Wann wird man endlich dieser Vernichtung großer Werte ein Ziel setzen, die politische Gefahr der Bewaffnung der Eingeborenen mit Gewehren richtig einschätzen?

Nunmehr hatte ich etwa eine Woche lang zu tun, um die besten Gelegenheiten zu photographischen Nachtaufnahmen auszuspähen. Nach recht anstrengender Arbeit, nach zahllosen vergeblichen Versuchen durfte ich mir endlich sagen, daß meine noch brauchbaren Apparate bei einigem Glück etwas Erfreuliches ergeben könnten. Zunächst hatte ich jedoch noch die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Der Bachlauf bot dem Wilde an vielen hundert Stellen erwünschte Tränkgelegenheit, und bei so reicher Wahl wußten die Rudel mit großer Beharrlichkeit meine Apparate zu vermeiden.

Eine sehr »erfreuliche« Überraschung aber wurde mir wenige Tage später. Ein Askari hatte, wie gewöhnlich bei Tagesanbruch, eine von mir aufgestellte Schakalfalle nachgesehen. Plötzlich ertönten in der Richtung der Falle, etwa zwanzig Minuten vom Lager entfernt, Schüsse. Da sie auf Wild nicht abgegeben sein konnten, denn ich handhabte in dieser Beziehung eine eiserne, unerbittliche Disziplin, so war nach meiner und meiner Leute Annahme nur ein Zusammenstoß mit Eingeborenen denkbar. Im Nu waren die Anordnungen getroffen. Meine wenigen Bewaffneten teilend, stürmte ich mit einigen Mann in der Richtung des verschwundenen Askari fort; mein Präparator jedoch übernahm mit dem Rest die unter Umständen notwendige Verteidigung des Lagers.

Und was hatte sich ereignet? Es war die alte Geschichte, jedem erfahrenen Reisenden wohlbekannt, die Geschichte, wie leicht man in Kämpfe verwickelt werden kann, und wie leicht sich diese vermeiden lassen, wenn man sich richtig verhält. Mein Askari, ein sonst ruhiger und zuverlässiger Mann, ein früherer Regierungsaskari, hatte bei seinem Gange plötzlich und unmittelbar vor sich in dieser völlig menschenleeren Gegend eine große Menge speerbewaffneter Masaikrieger aus den Dornen auftauchen sehen! Die Elmoran hatten ihre Speere erhoben, wahrscheinlich unwillkürlich, erschreckt über den Anblick des Bewaffneten. Mein Askari dagegen und seine beiden unbewaffneten Begleiter glaubten in einer recht begreiflichen Ideenverbindung, daß es sich um dieselben Masai handle, die uns vor kurzem überfallen hatten, und kurz entschlossen feuerte er! Im Nu waren die Masai nach allen Windrichtungen verschwunden.

Die Sache war nicht unbedenklich. Vor kurzer Zeit hatten in der Nähe meines Lagers Kämpfe zwischen Bewohnern der Landschaft Useri und Masaikriegern stattgefunden; die Gebeine gefallener Krieger bewiesen mir, daß meine Führer mich nicht falsch berichtet hatten. Auch war es noch nicht lange her, daß einige europäische Viehhändler, etwa zwei Tagereisen weiter, zur Nachtzeit von Masai ermordet worden waren. Das alles, in Verbindung mit dem nächtlichen Überfall, ließ Vorsicht notwendig erscheinen.

Als ich atemlos auf dem »Kriegsschauplatze« anlangte, stellte es sich heraus, daß eine große Menge von Masai in Begleitung ihrer Weiber am Abend oder in der Nacht vorher am Bache eingetroffen waren und sich hinter den Dornenwällen eines alten vermodernden Kraals niedergelegt hatten. In diesem Versteck noch zum Schlummer hingestreckt, waren die Masai von meinem Askari gestört worden. Als sie dann plötzlich, wie aus dem Boden gewachsen, vor meinen Leuten auftauchten, erschreckten sie diese begreiflicherweise lebhaft. Auf dem Boden ausgebreitet waren eine Anzahl während der wilden Flucht verlorener Gegenstände, die ich zunächst sorgfältig aufsammeln ließ. Aus ihrem Inhalte war zu schließen, daß die Masai auf einer Wanderschaft nach einem ziemlich fernen Punkte begriffen sein mußten; es schien mir also irgendeine Gefahr nicht vorhanden. So begab ich mich nach kurzer Zeit zum Lager zurück, um meine Leute zu beruhigen, sandte aber von dort mehrere meiner Masaifreunde, die mich schon lange Zeit begleiteten, aus, um die Flüchtlinge zurückzurufen. Das war das einzige Mittel, um ein Verständnis zu erzielen, da andere Boten wohl ohne jeden Erfolg zurückgekehrt wären.

Und ich hatte richtig gerechnet. Denn gegen Mittag erschienen meine Masai in Gesellschaft von gegen dreißig speerbewaffneten Kriegern und vielen Weibern in meinem Lager. Ich gab ihnen ihr Hab und Gut zurück und fügte als Entgelt für den ausgestandenen Schreck noch ein Geschenk hinzu, welches gleichmütig, in der Art aller Eingeborenen, aufgenommen wurde. Dann zogen die Söhne der Steppe davon, und das Mißverständnis war erfreulicherweise ohne jedes Blutvergießen aufgeklärt.

Durch einen sehr seltsamen Zufall – in Anbetracht der großen Einsamkeit dieser Gegend zur damaligen Zeit – hatte kurze Zeit später mein Präparator Orgeich ein ähnlich unangenehmes Zusammentreffen mit Masaikriegern. Er hatte gegen Abend einen kleinen Ausflug in die Umgebung des Lagers gemacht und kehrte in der Dunkelheit zurück, einem ausgetretenen Wildwechsel folgend. Als er sich bis auf etwa eine Viertelstunde dem Lager genähert hatte, klirrte es plötzlich dicht vor ihm, und er erblickte im ungewissen Schimmer des Mondes eine ganze Anzahl Masaikrieger, die ihrerseits auf dem Sprunge zu liegen schienen. Seine Büchse herunterreißen, um unter dem Eindruck des kürzlich überstandenen nächtlichen Überfalles – um ein Haar – loszufeuern, war das Werk eines Augenblicks! Glücklicherweise vermochte sich der alte gediente Soldat zu beherrschen, und auch in diesem Falle hat sich nichts Schlimmes ereignet; er versichert aber heute noch hoch und teuer, alles habe an einem Haar gehangen!

Man ersieht, wie unendlich leicht bei solchen Gelegenheiten Mißverständnisse von schwerwiegenden Folgen entstehen können.

Unter solchen Umständen entstanden einige meiner schönsten »Natururkunden«! Ob man nun solche selbst im dornenverschanzten Versteck zu gewinnen trachtet oder den Versuch macht, sie automatisch zu gewinnen, derartige tropische photographische Arbeit ist nicht so ganz einfach geleistet!!

Endlich mußte ich dennoch böse Erfahrungen mit den Eingeborenen machen. Unglücklicherweise war ein Trupp schweifender Jäger, vielleicht die aus dem »Zebralager« entwichenen und nun zurückgekehrten, auf einen meiner aufgestellten Nachtapparate gestoßen. Sie hatten alle für sie brauchbaren Bestandteile gestohlen, so daß er für mich keinen Wert mehr besaß. Leider hatten sie alsdann noch einen weiteren Apparat aufgefunden und ihn ebenfalls unbrauchbar gemacht. Ich muß aber dabei bemerken, daß sie daran nicht etwa eine blinde Zerstörungswut ausgelassen hatten, und dies ist sehr bemerkenswert! Europäer hätten sich im gleichen Falle vielleicht weniger vernünftig benommen. Die Steppenjäger hatten ausschließlich das ihnen brauchbar Erscheinende, Metallteile usw., mitgenommen, alles andere jedoch unbeschädigt zurückgelassen. Das war eine wenig erfreuliche Überraschung. Ich sah mich nunmehr gezwungen, an den einzelnen Apparaten Doppelposten aufzustellen, die, sich ablösend, die Apparate den ganzen Tag über bewachten.

In der fernen Wildnis gibt es keinen Ersatz für abhanden gekommene Dinge.

 


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