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26. Ein Abend im afrikanischen Sumpf.

Wunderbar ist ein solcher Abend, eine solche Nacht im äquatorial-afrikanischen Sumpfe! Immer wieder wird der Nordländer überrascht durch das schnelle, ihm ungewohnte dämmerungslose Verschwinden des Sonnenballes am Horizonte. Mit dem Eintritte der Dunkelheit tauchen Tausende van Leuchtkäfern – »Kimurri-múrri« der Küstenleute – auf, Zikaden vollführen eine auf die Dauer ohrenbetäubende Musik und mischen ihren Gesang mit dem für uns Europäer merkwürdig hölzern klingenden Gequak der Frösche. Letztere geben einen kurzen, schnell wiederholten, gleichförmigen Ton von sich – ins Unendliche wiederholt. – – – –

In diesen Chor der Tierwelt mischt sich das Gesumme der Moskitos, die in Myriaden hier ihre Wohnstätte haben und blutgierig aus dem Papyrusdickicht ausschwärmend ihre Opfer suchen. Ungeschützt gegen ihre Angriffe vermöchten wir unmöglich an unserem Standorte zu verharren. Die sorglich mitgenommenen Mückennetze gewähren auch nur bedingten Schutz, ermöglichen es uns aber immerhin, auf unserem Beobachtungsposten zu bleiben, wenn auch durch die unsere Kleidungsstücke durchdringenden Stiche aufs ärgste gepeinigt. – Lebhafter und geschäftiger wird das Treiben der Mücken, ihr Gesumme stets intensiver, sie selbst zudringlicher. Ihr Konzert vereinigt sich mit den Lauten jener Sumpfvögel, deren Haupttätigkeit sich erst zur Nachtzeit entfaltet. Ein merkwürdiges Glucksen und Kichern in schneller Reihenfolge trifft unser Ohr. Ein kleines, schwarzes Sumpfhühnchen ( Limnocorax niger Gm.) ist es, das so in den allgemeinen Chor einstimmt. Auch am Tage vernimmt man sein geheimnisvolles Gekicher, sein unbeschreibliches Murmeln und Summen. »Es unterhält sich mit den Fischen!« meint einer meiner Leute. »Ja, so ist es, Herr,« stimmen die andern bei. Dem ist nun nicht so, aber immerhin sind diese Vogellaute von höchster Charakteristik für den Sumpf. Der Umstand, daß ein dort lebender welsartiger Fisch, wenn gefangen, sehr ähnliche Laute von sich gibt, veranlaßt wohl die Eingeborenen zu dem Glauben an eine Unterhaltung zwischen Vogel und Fisch. – Ein Gewirr vieler Stimmen, vom rauhen Krächzen des früher auch in Europa nicht seltenen Nachtreihers ( Nycticorax leuconotus Wagl.) bis zum monotonen Geplärre der kleinen Rohrsänger und dem warnenden Rufe der Wasserhühner schließt sich alledem an.

Fern flackern meine Lagerfeuer auf, die matte Sichel des Mondes erhebt sich aus den Abendwolken – da ertönt anscheinend in unmittelbarer Nähe aus der Sumpfwildnis erschallend eine Stimme, deren schon die Bibel, – wie Brehm schreibt, – als einer der mächtigsten Tierstimmen alter Zeiten Erwähnung tut. »Und wenn Behemoth,« so nennt der Ebräer das Flußpferd, »seine Stimme erhebet« – – – – Ja, wenn »ol Makao« der Masai, »Kiboko« der Waswahili seine Stimme erhebt, so bebt tatsächlich der Erdboden! Es ist ein Laut von so gewaltiger Stärke, daß er auf den, der ihn zum ersten Male hört, ganz überraschend und erschreckend einwirkt.

In langen Intervallen donnert so der alte Nilpferdbulle über sein Königreich, den weiten Sumpf, hin, und niemand wird sich dem eigenartigen Zauber entziehen können, – der durch die weite düstere Landschaft nur verstärkt wird. Er ist ein Zeichen, daß sich die Flußpferde nunmehr auf ihren glatt ausgetretenen, oft tunnelartig durchs Gebüsch führenden Pfaden und Wechseln aufs feste Land zur Äsung begeben werden. – –

Kurz vor Sonnenuntergang hat sich noch ein reizvolles, höchst bewegtes Bild unserem Auge geboten. In drängender Hast eilten pfeilschnellen Fluges Hunderttausende von finkenartigen Vögeln und Webervögeln scharenweise zum Sumpfe, um ihren Abendtrunk einzunehmen und dann im schützenden Papyrusdickichte ihr Nachtquartier in Sicherheit aufzuschlagen. – Hastigen Fluges, in langen, wellenartig sich hebenden und senkenden Massen sind sie herbeigeeilt, sich dem Niveau der Papyruswälder in Schlangenlinien genau anpassend und so ganz den Eindruck einer riesigen Schlange im ungewissen Dämmerlicht des Abends hervorrufend. Diese Flüge begleitet ein gewaltiges Brausen, so laut und stark, daß es unter Umständen nicht nur den Neuling zu erschrecken vermag. Mit genauester Einhaltung ganz bestimmter Flugrichtungen stellen sich diese Vogelmengen allabendlich ein.

War es mir schon bei früheren Gelegenheiten, bei Beobachtung schnell in dichtgedrängten Scharen fliegender Vögel aufgefallen, welch inniger Konnex zwischen den einzelnen Individuen herrscht, – hier wurde es mir fast zur Gewißheit, daß sich die Vögel mittelst Zeichen, die unsern menschlichen Sinnen nicht mehr wahrnehmbar sind, miteinander verständigen und so imstande sind, blitzschnell gleich Automaten alle Flugschwenkungen und Evolutionen auszuführen, die die Führer oder Leiter dieser Schwärme für nötig erachten.

Zugleich sind unzählige Tauben verschiedener Arten, scheu und vorsichtig hin und her flatternd, am Wasser erschienen; nach eingenommenem Trunke begeben auch sie sich in der Nähe des Sumpfes zur Nachtruhe. Die Luft ist erfüllt vom Geflatter der Tauben, in so großen Mengen erscheinen sie in verschiedenen Arten hier am Wasser! Ihnen schließen sich Perlhühner, fliegend und laufend oft aus weiter Entfernung herbeigeeilt, in großen Mengen an. Auf kahlen im Sumpfe stehenden Bäumen aufgebäumt, heben die einzelnen großen Vögel sich scharf vom rotvioletten Horizonte ab.

Aber schon wieder ein neues Bild! Schweren Fluges, gespensterhaft sich abzeichnend von dem nun in all den unsagbar schönen Tinten des äquatorialen Sonnenunterganges wechselnden, schon halb verdüsterten Abendhimmel, naht sich ein Trupp der wundervollen Kronenkraniche ( Balearica regulorum gibbericeps Rchw.), ihre sicheren Schlafplätze auf kleinen Inseln im Sumpfe aufzusuchen. Abend für Abend treffen diese prächtigen Vögel auf die Minute genau hier ein. Ein Knarren wie von ungeölten Wagenrädern begleitet ihren Flug, wohl eine der groteskesten mir bekannten Vogelstimmen. Merkwürdige Laute lassen die Flüge unseres scheuen und schönen Vogels öfters auch in klaren Mondnächten stundenlang vernehmen. Nunmehr haben sie sich auf ihren Schlafbäumen niedergelassen, und ihre mächtigen Silhouetten bilden ein prachtvolles Glied der ornithologischen Staffage. Tiefer senkt sich die Dunkelheit herab. Überraschend schnell vollzieht sich der äquatoriale Sonnenuntergang. Große Flüge von Gänsen und Enten erheben sich zum abendlichen »Strich« in die Lüfte, seltsame Laute im Sumpfe verraten fortdauernd die Anwesenheit vieler versteckten Sumpfbewohner aus der Vogelwelt, und das Spinnen der zahlreichen Ziegenmelker (Nachtschwalben) erreicht seinen Höhepunkt. ...

Ist uns die Stunde ausnahmsweise günstig, so trifft unser Ohr schon jetzt ein langgezogener, dröhnender, in dumpfen Intervallen dahinrollender, langsam ersterbender Laut. Der König der Tiere rüstet sich zum Beutezuge, und seine mächtige Stimme verleiht für kurze Minuten dem tropischen Abende seinen höchsten Zauber, seinen größten Reiz.

Wo auch das Auge hinblickt, schimmern gleich den Leuchten einer unsichtbaren Gnomenwelt, schaukelnd und auf und nieder schwebend, Hunderte von großen, lebhaftes Licht verbreitenden Leuchtkäfern über der allmählich in rabenschwarze Dunkelheit versunkenen Sumpflandschaft. Tiefe Stille wechselt mit den vielartigen Lauten aus zahlreichen tierischen Kehlen. –

Es ist Zeit, uns zum Lager zu begeben. Eine der nun schon rege gewordenen gefleckten Hyänen heult in der Richtung desselben. Sie hat sich schon früh auf ihren Beutezug begeben. ... Zwei Schakale antworten in der Nähe. Auf dem Heimwege wird dicht vor uns, fast zu unseren Füßen, in riesigen Fluchten ein Stück Wild rege, um, einen Augenblick verhoffend, im Ried zu verschwinden. Aus dem schnaubenden Schreckton können wir auf einen Riedbock (Cervicapra) schließen. Durch das gurgelnd zu unseren Füßen aufquellende seichte Sumpfgewässer führt uns nun unser pfadloser Weg aus Nacht, Sumpf und Wildnis zum sicheren Lager, dessen zahlreiche Feuer, in der Ferne aufflackernd, freundlich als Wegweiser dienen.

Eine jener zauberhaften afrikanischen Mondnächte hat sich auf mein Lager herabgesenkt, das abendliche Lärmen der Träger, ihr geschäftiges Treiben, ihr Hin und Her im Lager ist verstummt, meine Arbeiten sind erledigt, ich selbst aber sitze, meiner Gewohnheit gemäß, noch eine ganze Weile am flackernden Lagerfeuer. Dann wandere ich von Feuer zu Feuer, um mit den einzelnen Gruppen meiner Leute einige Worte zu wechseln, ihre Stimmung zu erkunden, ihre Wünsche kennen zu lernen und um manches, das ich gerne erfahren hätte, über Herkunft und Heimat, über Lebensschicksal und Erlebnisse der einzelnen Leute, zu erfragen. Um diese Stunde sind die Menschen auch in der Wildnis am mitteilsamsten. Wird nicht Ruhe geboten, so spinnt sich die Unterhaltung noch lange aus, in die Nacht hinein ...

Es ist etwas seltsam Schönes um diese Karawanennächte in der Wildnis. Da entsinne ich mich eines Lagers am Fuße des Geleï-Vulkans, in der Nähe einer malerischen, felsigen Schlucht. Steil sich erhebend, barg sie an ihrem Fuße eine, wenn auch zur heißen Jahreszeit nur in Tropfen rinnende Wasserader. Die Quelle befand sich inmitten eines ausgedehnten Akazienwaldes, der auf der einen Seite sich in die öde offene Boga verlor, auf der andern von dicht bebuschten, mit Eleléscho bestandenen und von dornigen, euphorbienbewachsenen Berghängen begrenzt wurde, die für Menschen beinahe undurchdringlich, dem Wild, selbst Elefanten erwünschte Aufenthaltsorte boten. Am Tage vorher hatte ich bei einem Streifzuge bemerkt, daß vor kurzem Masaikrieger in der Nähe gelagert, das auf einem Raubzuge erbeutete Rindvieh teilweise geschlachtet und dann wohl ihren Beutezug weiter fortgesetzt hatten. Ein Überfall durch schweifende junge Masaikrieger war also keinen Augenblick unwahrscheinlich und namentlich zur Nachtzeit möglich. Auf viele Tagereisen weit wohnen dort keine Menschen. Wochenlang würde man in den meisten Himmelsrichtungen keine menschliche Seele finden, außer vielleicht wenigen schweifenden Jagdnomaden. –

Die große Öde der Wildnis, die damals in der trockenen Jahreszeit fast keinen grünen Baum, kein grünes Blatt zeigte, ausgenommen die der staubigen Steppe so trefflich angepaßten immergrünen Hungerpflanzen, – mein malerisches und romantisch gelegenes Lager, eine herrliche, nur zeitweise durch drohende, die bald herannahende Regenzeit ankündende Wolkenbänke verdunkelte Vollmondnacht, – die Unsicherheit der Lage, – alles das vereinte sich zu einer nächtlichen Lagerszenerie von stimmungsvollstem Reiz. Tiefschwarz, schweigend und geheimnisvoll war die Nacht hereingebrochen. Die nicht rastende Einbildungskraft wünschte aus dem lastenden Dunkel, aus der großen Stille, dem ahnungsschweren Schweigen heraus beinahe eigensinnig ein plötzliches Ereignis, eine Unterbrechung des unheimlich großen, schweren, die Seele bedrückenden und umstrickenden Schweigens. Diese fast unnatürliche Ruhe erscheint wie die Stille vor dem Sturme, als ob jeden Augenblick mit elementarster Gewalt etwas unheimlich Gewaltiges, feindlich Drohendes losbrechen wollte. Jedes Knistern, jedes Rascheln wird dem lauschenden Ohre vernehmbar, Stimmen, die am Tage schweigen, sprechen jetzt laut. Die Welt der Kleinen tritt in ihr Recht; überall raschelt und knistert es im Grase, im Ried und Gezweig. Sind es Käfer, sind es Mäuse oder ist es der Schritt eines schleichenden Feindes? Selbst in meinem Zelte wird es nun lebendig. Ratten treiben ihr verwegenes Spiel, dem meine Fallen hier und da ein Ziel setzen. Ein merkwürdiges Getriebe kleinen Tierlebens umgibt mich so auch zur Nachtzeit. Auch Emin Pascha berichtete Ähnliches, wie nämlich kleine Siebenschläfer, die auf den schönen Sterkulien an seinem Lager hausten, ganz vergnügt an seiner Zeltleinwand nächtlicherweile auf und ab kletterten: da mögen sie denn, wie das auch mir geschah, mit ihren großen, schwarzen Augen erstaunt den seltsamen weißen Mann betrachtet haben. Zuweilen aber schweigen auch die Stimmen der Tierwelt! Die gesamte gewaltige Natur ringsumher scheint nun wieder in geheimnisvolles Brüten versunken. Doch der Sang der Nachtschwalben raunt und klingt jetzt wieder ringsumher; leisen, unhörbar-gespenstischen Fluges, flatternd und schwebend, durchschneidet der Vogel die Luft und den Feuerschein des Lagers; von allen Seiten erklingt nun wiederum sein melancholisch-einförmig Lied.

Über den Glutschein aber des Lagerfeuers hinaus versagt unser Auge; keine Umschau ist möglich. Das erhöht das spannende Gefühl der Ungewißheit über das, was sich, selbst in unserer unmittelbaren Nähe, außerhalb des Lagers ereignet. Das Gefühl der Unsicherheit ist um so größer, als ich sehr wohl weiß, mit welcher Schnelligkeit, wie unerwartet die großen Katzen oft ihre Überfälle bewerkstelligen! So erklären sich die vielfachen Verluste an Menschenleben durch Löwen und Leoparden. Man muß hören, wie höchstwahrscheinlich ein und derselbe Leopard am ersten Abend den kleinen Hund zu den Füßen seines Herrn, am nächsten eine junge farbige Frau aus dem Lager raubte, – beides, ohne daß die zahlreichen Lagerinsassen es verhindern konnten – um zu begreifen, mit welcher unheimlichen Geschwindigkeit diese gewandten Raubtiere ihre Überfälle ausführen. Habe ich doch selbst erlebt, daß in unmittelbarer Nähe meines Lagers Eingeborene auf diese Weise von Löwen zur Nachtzeit geraubt worden sind. – –

Ein paar alte Bäume unweit meines Zeltes sind reich mit Lianen bewachsen; jetzt scheint es mir, als ob deren lang herabhängende Zweige sich geheimnisvoll regen. Es ist, als ob die Bäume, als ob die Lianen erhöhtes Leben gewönnen. Die Gestalten der uralten Stämme verschwimmen im phantastischen Schein der Flammen und werfen gespenstische Schatten. Nur der leise Schritt der Wache ruft uns ins prosaische Dasein zurück. Jetzt entschleiert sich der Mond, und mit einem Schlage ergießt sich sein blendendes Licht weit über die Steppe. Es ist, als sei ein schwerer Mantel von uns fortgezogen. Mit den Silberstrahlen des Mondlichtes wandern die Gedanken weit hinaus in die Steppe, suchen auch jetzt ihr nächtliches Geheimnis zu ergründen und verlieren sich endlich in der Weite. Sie wandern hinaus zu der silbernen Scheibe des Mondes, zum nächsten prächtig schimmernden Sternbilde, und flattern von dort aus über Länder und Meere, dem Zugvogel gleich in die Heimat.

Ist es nicht seltsam, daß die Gedanken heimwärts wandern wollen, hier inmitten all dieser wunderbaren Schönheit und Einsamkeit der Nacht? Aber nirgend empfindet man den Zwiespalt der menschlichen Natur stärker, als im Augenblicke des hohen und lange Jahre vielleicht erwünschten Genusses. Doch niemand wird ganz sich diesem großen, herrlichen und doch mit so einfachen Mitteln wirkenden Zauber verschließen können; man muß sich nur ihm hingeben und hingeben wollen. Wen meine Schilderung lockt, sich noch mehr in ihn zu versenken, der greife zu meines verewigten Freundes Richard Kandt, des Entdeckers der Nilquellen, herrlichem Werke »Caput Nili«. Da findet er Naturschilderungen, künstlerische Stimmungsmalerei von fast unübertrefflicher, unmittelbar packender Eigenart. Man ahnt, welch ein wundervoller Zauber in der Einsamkeit immer und immer wieder zu diesem Manne sprach, der sowohl eines der gewaltigsten geographischen Probleme der Welt, das Jahrtausend alte Problem der Nilquellen, erfolgreich lösen, als auch in so schönen und poetischen Worten die Stimmung der afrikanischen Wildnis wiedergeben konnte. Diese Schilderungen sind ein Kunstwerk. Für den mit der Natur noch auf vertrautem Fuße stehenden Menschen ist es im allgemeinen leichter, sich ihrer heimlichen Reize zu erfreuen, ihre stets wechselnde Stimmung zu empfinden, als in Worten auch nur andeutungsweise die mächtigen Eindrücke auszumalen, die dem einsamen Wanderer werden. Das erfordert tiefes künstlerisches Empfinden, künstlerische Gestaltungskraft.

Ja, wunderbar schön sind diese hell leuchtenden afrikanischen Lagernächte! Ihr Glanz und Schimmer hat sich mir unvergeßlich eingeprägt. Das ist ein Schimmern, ein Flimmern, ein Leuchten von Reflexen, ein Spielen und Weben der ungewiß hin und her huschenden Lichter! Wie arm und dürftig sind im Gegensatz zu diesen Nächten die Mondnächte in unseren Breiten!

Mit kühnem Wagemut schafft sich die webende Einbildungskraft herrlich schimmernde Bilder, impressionistische Zaubergemälde. Sie wachsen an, entund verwickeln sich und werden dann plötzlich jäh von der rauhen Wirklichkeit wieder zerstört. Man lebt in einer fernen, selbst geschaffenen Welt. Eine einzige dieser Mondnächte erscheint mir in der Erinnerung wie eine Schatzkammer, aus der ich immer von neuem Schönes und Begeisterndes zu schöpfen vermag, deren reine, keusche Schönheit, deren großer, milder Zauber sich unvergeßlich in die Seele niedersenkte. Jetzt ist das Firmament plötzlich von Licht übergossen: eine Feuerkugel, wie ich sie nie wieder erschaut, flammt im Südosten am Himmelszelte auf und erlischt über unsern Häuptern ... Wer vermag zu sagen, welch kosmisches Ereignis diesen Schein verursachte, ob er nicht das Aufflammen eines zerstörten Weltkörpers war, das ich so erschaute ...

Durch das nachtschlafende Lager aber, dessen zahlreiche Feuer glimmend und schwelend in ersterbender Glut aufleuchten, wandelt fast unhörbaren Schrittes der wachthabende Askari, ein alter, oft von mir erprobter Mann. Schon vor Jahren hat er sich verschworen, nicht wieder mit einer »Safari« (einer Karawane) in die Wildnis hinauszuziehen. Und jedesmal, wenn ich den schwarzen Erdteil wieder betrat, lockte auch ihn der Zauber des wilden Lebens, der Zauber der Steppe wieder hinaus, jener Zauber, der im flimmernden Mondlicht heute nacht über den uns umgebenden endlosen Eleléscho-Hainen sein Wesen treibt ...

Jetzt kommt der alte Soldat zu mir und meldet, wie so oft: »Herr, hörst du die Löwen dort in der Ferne?« Dann geht er zum großen Lagerfeuer in der Mitte des Lagers und wirft neue Scheite in die Glut. Die Flammen lodern auf, und ihr unsicherer Schein vermählt sich mit den Strahlen dieser herrlichen, wundervollen Mondnacht im einsamen afrikanischen Lager ...


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