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Kopfleiste

10. Die Giraffe.

(Ein verschwindendes Wahrzeichen der Steppe.)

Zu den seltsamsten und eigentümlichsten Erscheinungen unter den großen, heute lebenden Säugetieren gehört wohl unstreitig die Giraffe, die in verschiedenen zoo-geographischen Arten weite Gebiete Afrikas bewohnt. Die Waswahili benennen sie: »Twigga«, die Masai nach Merker ol matit == die Gefleckte; mir ist auch die Masaibezeichnung: ol'-ō-ado-gérăgătă == »Der-wo-ist-lang-Schlafplatz« dort drüben bald geläufig gewesen.

Unsere heute lebenden Giraffenarten heimateten noch vor hundert, noch vor fünfzig Jahren zweifellos in vielköpfigen Herden in großen Teilen Afrikas, die das schöne Tier heute nicht mehr beherbergen. Einst mögen sie auch im Norden des Erdteils häufig gewesen sein, wie Abbildungen, die uns von den alten Ägyptern hinterlassen worden sind, vermuten lassen. Die erste Giraffe, von der uns Kunde geworden, erschien in der römischen Arena. Dann wieder wird uns berichtet, daß einige Exemplare vor etwa zweihundert Jahren nach Europa gebracht und bestaunt worden sind. Die nubischen Tierkarawanen brachten vor einigen Jahrzehnten noch eine erhebliche Anzahl der seltsamen Riesentiere in unsere zoologischen Gärten. Wer aber konnte und kann sich des Anblicks wild lebender Giraffen in ihren Heimatländern erfreuen? Als ich zuerst im Jahre 1896 die seltsamen Geschöpfe beobachten konnte, wurde es mir klar, daß alle unsere in Gefangenschaft gehaltenen Giraffen abgemagert und kränkelnd seien im Gegensatz zu den prächtigen, wohlgenährten Tieren der Freiheit. Der alte Forschungsreisende Le Vaillant berichtet in seinen Reiseberichten über das Kapland und einen Teil der Länder, die wir heute mit Deutsch-Südwestafrika bezeichnen, mit begeisterten Worten über die Eigenart und Schönheit dieser Tiere in Freiheit und erzählt uns, wie er nach mannigfacher Mühsal eine sorgsam präparierte Haut an die Küste und in sein Vaterland schaffte. Das war vor fast achtzig Jahren. Inzwischen ist mancher Europäer der immer schneller aussterbenden Riesentiere flüchtig auf weite Entfernung ansichtig geworden, aber wenig zuverlässige Kunde ist uns über sie geworden.

Die zoologische Wissenschaft spaltet neuerdings viele Arten aus dem heute noch lebenden Bestande der Giraffe ab; verschiedene Arten bewohnen, wie sich erweist, verschiedene zoo-geographische Regionen. In den von mir durchreisten Gebieten fand ich eine neue, bis dahin unbekannte Art.

Die auffällige Erscheinung der riesigen Tiere ragt gewissermaßen in die heutige Tierwelt hinein, wie Ruinen aus längst vergangenen Tagen, lebhaft gemahnend an eine verschwundene, unserer Anschauung nicht mehr geläufige Fauna.

Neben dem erst vor kaum drei Jahren in den Wäldern Zentralafrikas entdeckten höchst seltsamen Okapi ( Ocapia Johnstoni) dessen nächste Verwandte schon vor ungeheuren Zeitläuften ausgestorben sind, dürfte die Giraffe als die auffallendste heute lebende Erscheinung der doch so bunten und mannigfaltigen Fauna Afrikas zu bezeichnen sein.

»Im Lande Ererait wohnten die Herdennomaden El gamassia ... ... Gott nannten sie Em ba und machten sich Standbilder von ihm, welche eine Giraffe darstellten, deren Kopf keine Hörner trug«; so berichtet Hauptmann Merker aus den Urzeitüberlieferungen der Masai. Vielleicht deutet dies auf das Okapi hin, dessen Verbreitung einst viel mehr nach Norden gereicht haben mag, während der Tierkult der Ägypter die Masai zeitweise während ihrer Wanderungen durch das Niltal beeinflußt haben könnte. ...

Unwillkürlich prägt sich das Bild des Tieres jedem Beschauer ein, ob er es aus Abbildungen kennt, oder ob er es in der Gefangenschaft hat beobachten können. Aber wie ganz anders treten uns die Giraffen in der Wildnis, in ihrem Freileben, entgegen!

Zebra, Leopard und Giraffe scheinen so auffällig gefärbt, daß man unwillkürlich erwartet, sie auch in ihrer Heimat mit Leichtigkeit wahrnehmen zu können. Aber wie schon bemerkt, finden diese drei Tierarten gerade in ihrer Färbung einen vorzüglichen Schutz; sie passen sich so vollkommen ihrer Umgebung an, daß sie vollkommen in ihr verschwimmen und mit Leichtigkeit übersehen werden können. Hierbei muß stets berücksichtigt werden, daß man selbstredend die Tiere im allgemeinen nicht etwa auf wenige Meter Entfernung, wie im zoologischen Garten, vor Augen hat, sondern auf viel weitere Entfernung ausmachen muß. Je nach der Beleuchtung, je nach der Stellung der Sonne aber verschwimmen Zebra, Leopard und Giraffe so harmonisch in ihrer Umgebung, daß selbst auf nächste Entfernung das menschliche Auge getäuscht werden kann!

Nicht nur zur Zeit der großen Trockenheit, wenn vom fahlen Braun bis zum schreienden Gelb die Pflanzenwelt namentlich in allen den Farbennuancen vor uns liegt, wie sie die Giraffe in ihrem Haarkleid ihr eigen nennt, sondern eigentümlicherweise auch inmitten üppig dunkelgrüner Umgebung ist das riesige Tier bei weitem nicht in dem Maße von seiner Umgebung abstechend, wie man glauben sollte.

Wie sehr aber verschwimmen, je nach der Beleuchtung, Giraffen mit ihrer Umgebung namentlich auch innerhalb üppiger Vegetation zur Regenzeit! Nur wenn die turmgleichen Gestalten sich gegen den Horizont abheben, erscheinen sie deutlicher. Auf freier Steppe aber, vom ansteigenden Hintergrunde gedeckt, gleichen sie alten, trockenen Baumstämmen, auch dann mit ihrer Umgebung verschwimmend. Stehen Giraffen gar in der Nähe solch alter, abgestorbener Baumstämme, so sind sie kaum von diesen zu unterscheiden. Überhaupt, wenn um die Mittagzeit die Steppe von tausend Lichtwellen widerstrahlt, wenn alles weit umher von blendendem Licht übergossen erscheint, vermag auch das geübteste Auge die Konturen der einzelnen Erscheinungen aus dem Reiche der Natur kaum auseinanderzuhalten. Bei solcher Beleuchtung können die alten, unter einem Schattenbaume stehenden sandfarbigen Oryxantilopen, kann der hirschartig gefärbte Wasserbock kohlrabenschwarz erscheinen; Zebras werden von Unkundigen für wilde Esel – grau in grau – gehalten, in freier Steppe ruhende Nashörner für Termitenhügel. Giraffen aber verschwimmen in dieser Stunde mit dem umgebenden Mimosenwalde in einer Weise, daß man es gesehen haben muß, um diese Tatsache für möglich zu halten.

A. H. Neumann †, ein sehr erfahrener englischer Elefantenjäger, erwähnt mit Recht, daß irgendein Laut niemals von einer Giraffe vernommen worden; auch mir ist es nie gelungen, die Stimme, sei es auch nur ein Schnauben der Tiere, zu vernehmen. In der Tat scheint die Giraffe völlig stumm zu sein, eine Eigenschaft, die sie nicht mit allzuvielen Tieren, soweit mir bekannt, teilt.

Dr. Heinroth, dem Direktor des Aquariums im Berliner Zoologischen Garten, einem unserer ausgezeichnetsten Tierbeobachter, verdanke ich übrigens die Mitteilung, daß er von einem dort gepflegten Giraffenbullen zuweilen einen leisen, blökenden Ton vernommen hat; ich lasse dahingestellt, ob die Giraffe diesen Ton etwa nur in der Gefangenschaft oder in der ersten Jugend von sich gibt.

Die Färbung der Giraffen variiert übrigens auch innerhalb ein und desselben Rudels erheblich. Ich habe Rudel von bis zu 45 und mehr Stück angetroffen und auf nächste Entfernung die Wahrnehmung gemacht, daß ganz dunkel und ebenso sehr hellgefleckte Tiere sich darunter befanden. Alte Bullen sind indes stets mehr oder minder dunkel gefärbt. –

Giraffen bewohnen im besonderen die öden Steppengegenden Afrikas, an denen dieser Kontinent ja so überaus reich ist. Etwa sieben Zehntel Deutsch-Ostafrikas würde also ein Dorado für Giraffen darstellen. Hier finden sie alle ihnen zusagenden Lebensbedingungen. Sie entfernen sich oft weite Strecken vom Wasser, dessen sie zur Trockenzeit nur mit Unterbrechungen – unter Umständen von mehreren Tagen – bedürfen, während sie zur Regenzeit die notwendige Wasserzufuhr in der Hauptsache durch die nun saftstrotzende Blätternahrung erhalten. Die Nahrung der Giraffe besteht hauptsächlich in dem Laube und in den dünnen Zweigen der verschiedenen Akazienarten; jedoch werden auch, wie ich mit Bestimmtheit beobachtet habe, die Blätter und Äste verschiedener anderer Laubbäume aufgenommen.

Ich habe niemals bemerken können, daß das Tier Gras irgendwelcher Art freiwillig aufnimmt.

Die anatomischen Verhältnisse, der Körperbau der Giraffe würden einer solchen Nahrungsaufnahme wohl auch nicht im mindesten entsprechen.

In der Gefangenschaft ernährt man freilich, altem Gebrauche folgend, die Tiere mit Heu und frischen Gras- und Kleearten; das geschieht ja aber auch leider bei Elefanten, Nashörnern und anderen Tieren, für die Baumzweige und Laub in den von ihnen benötigten Massen eben schwer zu beschaffen sind.

Nach meinen Beobachtungen – es ist dies bisher bestritten worden – leben die Giraffen durchaus nicht ausschließlich in der Steppe, sondern sie suchen, zu gewissen Jahreszeiten wenigstens, auch die Gebirgswälder bis zur Höhe von etwa 2000 Meter auf. Es geschieht dies namentlich mit Eintritt der Trockenzeit; der eigentliche Urwald, der kahle Gürtelwald, wird jedoch gemieden.

Zu meinen interessantesten Aufnahmen gehören ohne Zweifel die eines sehr alten Giraffenbullen in Gesellschaft von zwei uralten männlichen Elefanten. Wochenlang habe ich dieses Trio im Mischwalde des westlichen Kilimandscharo beobachten können, begierig des Augenblickes harrend, wo ein Sonnenstrahl mir eine teleskopische Aufnahme ermöglichen würde. Aber schwere Regenwolken pflegen um diese Jahreszeit – es handelt sich um den Monat Juni – die Westseite des Bergstockes vor den Sonnenstrahlen zu schützen. Nur zur Nachtzeit verflüchtigen sie sich; frühmorgens aber verhängen sie immer wieder die Berglandschaft. –

Noch andere Giraffen hatten um diese Zeit ihren Standort in dem schluchtendurchzogenen, dicht verwachsenen Mischwalde genommen. Auch diese Rudel hielten sich häufig stundenlang in unmittelbarer Nahe von Elefanten auf; jene drei Tiere jedoch bevorzugten stets wieder eine ganz bestimmte, mit so hohem Gras bewachsene Stelle des Waldes, daß ein Mensch sie dort fast nicht erreichen konnte. Ich habe später unter ähnlichen Umständen noch mehrfach Giraffenrudel angetroffen, ganz besonders aber einzelne alte Bullen – diese in einigen Fällen zusammen mit den hoch ins Gebirge aufsteigenden Elenantilopen –, so daß ich behaupten darf, daß die Giraffe nicht nur Steppenbewohnerin, sondern auch zuzeiten Waldbewohnerin ist.

Mit Bestimmtheit bin ich der Ansicht, daß die Tiere, namentlich alte, erfahrene Bullen, den Mischwald teils aus Schutzbedürfnis und Klugheit, dann aber auch aus dem Grunde aufsuchen, um den sie plagenden Stechfliegen, Tabaniden und anderen Schmarotzern zeitweise zu entgehen.

Es gehörte zu meinen genußreichsten in Afrika verlebten Stunden, als ich die schönen und eigenartigen Tiere zum ersten Male lebend in Freiheit erblicken durfte. Ich war berichtet worden, daß damals – im Jahre 1896 – infolge der Rinderpest auch die Giraffe fast verschwunden, und nur noch höchst selten an abgelegenen Örtlichkeiten zu finden sei. Erfreulicherweise ist dem nun nicht so.

Klopfenden Herzens sah ich die Giraffe, die der von mir entdeckten Art (Giraffa schillingsi Mtsch.) angehört, immer mehr und mehr dem Wasser und damit meinem Versteck sich nähern ...

Ich will nicht bestreiten – obwohl ich es nicht glaube –, daß auch die Giraffe durch die Rinderpest vermindert worden ist; sichere Beweise dafür fehlen indessen meines Wissens. Wäre es aber der Fall gewesen, so hätte ich 1896, also nur fünf Jahre nach dem Wüten der Rinderpest in den Masailändern, nicht so zahlreiche Giraffen beobachten können! Leider aber traten mit der größeren Erschließung Afrikas jene Faktoren dem Tiere gegenüber vernichtend in Tätigkeit, die ja auch vielen anderen seltenen und bemerkenswerten Wildarten ein baldiges Ziel setzen werden. Der Europäer richtete seine Schußwaffen auf das kaum zu fehlende Wild, besonders aber trat der in seinem Dienst befindliche Schwarze in die Fußtapfen seines Herrn, und manche Salve dezimierte die herrlichen Tiere! –

Je schwerer die Erlegung von Elefanten in Ostafrika sich erwies, je mehr Unglücksfälle die Nashornjagd mit sich brachte, um so ungefährlicher erschien die Jagd auf ein so leichte lebende Zielscheiben bietendes riesiges Wild. Wenn auch nur jeder der vielen Europäer ein oder mehrere Stücke erlegen wollte, und diesen Wunsch fand ich leider fast überall gehegt, wäre schon dies hinreichend, unter dem noch vorhandenen Bestande unersetzlichen Schaden anzurichten.

Streng gläubige Mohammedaner genießen das Fleisch des Tieres nicht, sonst hätten die Sudan-Askari höchstwahrscheinlich noch größere Vernichtungen unter den Giraffen angerichtet.

Eine der schwierigsten Präparationsarbeiten ist wohl die tadellose Konservierung von Giraffenhäuten. Meine in den Museen von Berlin, München, Karlsruhe u. a. O. befindlichen Giraffen erforderten wochenlange angestrengte Arbeit am Orte der Erlegung ...

Auch von den Eingeborenen wird das Tier gejagt. Die Giftpfeile führen auch hier zum Ziele, und insbesondere Fallgruben wirken verderblich. Gut verblendet, können sie von der Giraffe nicht leicht vermieden werden, da diese sich ja hauptsächlich auf ihr Auge, wenig aber auf den Geruchsinn verläßt.

In Südafrika ist die Giraffe seit langen Jahren ausgerottet, und leicht war sie für einen auch nur mittelmäßig berittenen Mann nach kurzer Jagd erreichbar. Ihre Haut lieferte die so sehr begehrten langen Peitschen für die Ochsenfuhrwerke der Buren. Der eben erwähnte verstorbene englische Jäger Neumann meinte, wie ich es auch glaube, daß diese wundervollen Tierriesen nur deshalb noch in großer Anzahl in den Steppengebieten Ostafrikas existieren, weil sie dort aus klimatischen Gründen nicht durch berittene Jäger verfolgt werden können. Wie so viele Wildarten, sind sie jedoch durch berittene Verfolgung in Südafrika schnell vernichtet worden.

Die berittene Verfolgung wurde leider mittlerweile für alle Erdteile durch die Erfindung und stete Vervollkommnung der kleinkalibrigen Waffen in gewissem Sinne ersetzt.

Durch diese rauchlosen, weitreichenden, womöglich noch mit Zielfernrohren versehenen Büchsen ist es auch in die Hand eines mäßigen Schützen gegeben, das große Ziel, welches die Giraffe darbietet, auf weite Entfernung zu erreichen. Bringt die Kugel das Tier auch nicht sofort zur Strecke, so werden auf diese Weise doch eine große Menge zu Holz geschossen: inmitten der dornigen Akazienwälder, weitab von der Schußstelle, feiern anderen Tages die schmausenden Geier und Hyänen dann ein Fest!

Mr. H. A. Bryden berichtet, daß am Ngamisee in Südafrika vor etwa zehn Jahren eingeborene Jäger im Auftrage europäischer Händler in kurzer Zeit an dreihundert Giraffen hingeschlachtet haben. Wenn man hört, daß die Haut damals vier bis sechs Pfund Sterling wertete, um zu Ochsenpeitschen zerschnitten zu werden, wird man sich über diese rücksichtslose Verfolgung nicht wundern.

Diese Anzahl aber war, wie Mr. Bryden ausdrücklich erwähnt, nur ein sehr geringer Prozentsatz der südlich vom Zambesi damals hingeschlachteten Giraffen!

Leider sind in den letzten Jahren auch aus Deutsch-Ostafrika eine große Anzahl von in Streifen geschnittenen Giraffenhäuten nach Südafrika exportiert worden, wo sie hoch bezahlt werden. Die in Tanga erscheinende kleine Zeitung notierte längere Zeit den Marktpreis für diese seltsame Ware per Frasila (35 Pfund)!! So war es möglich, aus weiter Steppe die in Streifen geschnittenen Häute, die so dem Verderben nicht unterworfen waren, in passende Trägerlasten von sechzig Pfund die Last eingeteilt, zum Export an die Küste zu bringen. Soll die Giraffe völlig geschont werden, ist zu hoffen, daß dieser kaufmännischen Ausnutzung ein Riegel vorgeschoben werde angesichts der verhältnismäßig so geringen Anzahl noch existierender Giraffen. Allerdings werden die Zollbeamten leicht getäuscht werden können, wenn die Hautstreifen dünn geschnitten und andersartig deklariert werden sollten!

Wie bei allen Tieren, finden wir auch die Giraffe scheu oder zutraulich, je nach den von ihr mit den Menschen gemachten Erfahrungen. Weitab in menschenleerer Steppe fand ich sie manchmal außerordentlich wenig scheu, so daß ich mich den Tieren bis auf etwa 200 Schritte nähern konnte. Auch gelang es mir, sie im dichten, frisch grünenden Buschwalde unmittelbar nach der Regenzeit um die Mittagstunde bis auf nächste Entfernung anzupürschen; in der Regel aber vereitelt ihre Scheu und Vorsicht solche Bestrebungen vollkommen. Das weitsichtige Tier nimmt in den meisten Fällen den Menschen schon sehr frühzeitig wahr. Ein typisches, niemals unterbleibendes Wedeln des langbebuschten Schwanzes, ein Hervortreten des Leitbullen oder der Leitkuh um einige Schritte aus dem Bereiche des schattenspendenden Baumes, unter dem das Rudel in der Mittagstunde etwa sich eingestellt, ist das Zeichen baldiger Flucht. Diese geschieht in dem bekannten eigentümlichen Paßgange, der anscheinend außerordentlich plump und wenig fördernd, dennoch das Rudel für den nichtberittenen Jäger bald außer Sehweite zu bringen vermag. Nach vielen Bemühungen ist es mir geglückt, auch flüchtige Giraffen in der schnellsten Bewegung auf die Platte zu bringen. Im allgemeinen gehören begreiflicherweise solche photographische Aufnahmen von Giraffen zu den schwierigsten Problemen exotischer Tieraufnahmen, selbst wenn der Kamerajäger die neuen, lichtstärkeren Objektive anwendet.

Inmitten der einsamen, mehr oder weniger hochstämmigen Akazienwälder, die im ostäquatorialen Afrika oft ungeheure Strecken einnehmen, kann es sich ereignen, daß man um die Mittagstunde einzelner oder mehrerer – unter freilich nur dürftigen Schattenbäumen – eingestellter Giraffen ansichtig wird, die sich dort ihrer Siesta hingeben. Ich erinnere mich besonders einer Gelegenheit, in der Nähe des Geleï-Vulkans, bei der ich auf höchstens einhundertundzwanzig Schritt im Akazienwalde urplötzlich die säulengleichen Unterkörper mehrerer riesiger Giraffen erblickte. Der Wind war günstig; die Köpfe der Tiere waren in den Kronen der Mimosen verborgen. So konnte ich, die Tiere anlaufend, wenige Augenblicke später im Sinne des Wortes inmitten des Giraffenrudels sein! Jetzt freilich dröhnte der Boden, und die breiten, stahlharten Hufe dröhnten klappernd über den rissigen, von den Sonnenstrahlen ausgedörrten, tennenartig harten Boden dahin. Krachend prasselten die langgehälsten Tiere, aufs heftigste mit den langbebuschten Schwänzen wedelnd, durch das verschlungene Astwerk der nächststehenden Mimosengruppen hindurch. So leicht eine Erlegung eines oder einiger Tiere mir gewesen wäre, so unmöglich war eine photographische Aufnahme. – Glücklicher war ich beim Anpirschen einzelner Tiere. Unter sorgfältiger Beobachtung aller Vorsichtsmaßregeln schob ich mich katzenartig schnell – selbstverständlich allein, meine Leute zurücklassend – den erkundeten Tieren näher, brachte Bäume oder Baumgruppen zwischen sie und mich und gelangte so in einigen Fällen, immer in den glutvollen Mittagstunden, tatsächlich bis auf zwanzig Schritte an die Giraffen heran. Um das Buschwerk oder den Baum herumspringend, hinter dem sie sich befanden, gelang es mir, einigemal von den Davonpolternden brauchbare Bilder zu erzielen. Freilich bedurfte dies ganz besonderer Vorsichtsmaßregeln. Ich hatte nicht nur den Standort der Tiere, sondern auch die Stellung der Sonne auf das sorgfältigste zu berücksichtigen. Die Möglichkeit, unter solchen Umständen gelungene Augenblicksbilder der sich schnell bewegenden und in größter Eile davonpolternden Giraffen mittels des lichtschwachen Teleapparates zu erzielen, war freilich sehr beschränkt. Solche seltenen Gelegenheiten wären durch die geschickte Benutzung der heutigen verbesserten Apparate vorteilhafter auszunutzen.

Immerhin gelang es mir auf diese Weise, auch die Art der Fortbewegung hochflüchtiger Giraffen photographisch einigermaßen festzulegen. Zugleich bildet mein Verfahren und meine unmittelbare Annäherung an das furchtsame Wild einen Beweis für die relative Leichtigkeit der Giraffenjagd durch eingeborene Jäger mit Giftpfeilen! Dreimal habe ich eingeborene Giftpfeiljäger im Besitz frisch erlegten Giraffenwildbrets angetroffen. So wurde es mir auch verständlich, wie Eingeborene sich in Afrika und Indien unter Umständen an Elefanten sehr nahe heranzuschleichen vermögen.

In den allermeisten Fällen also verhindern Büsche und Buschwerk photographische Aufnahmen, namentlich größerer Rudel. Das kann dann oft ein sich in der weiten Steppe abspielendes Schachspiel zwischen dem photographierenden Jäger und den buntgefleckten Riesentieren werden. Stundenlang bin ich ihnen nachgefolgt, mit schußbereiter Kamera: immer wußten die Weitsichtigen meine Absicht zu vereiteln.

Stehen die Giraffen auf freien Flächen, so müssen die Lichtverhältnisse außerordentlich günstige sein; der Photograph muß sich ganz besonders den Tieren nähern können, wenn eine Aufnahme des Rudels gelingen soll. Inmitten von Deckung aber wird er in den allermeisten Fällen begreiflicherweise nur einzelne Tiere des zerstreut äsenden Rudels auf die Platte bringen können; so war ich von größter Freude erfüllt, als mir endlich nach vielen vergeblichen Versuchen gute Aufnahmen mehrerer Giraffen auf einmal gelangen! Ich bin der Ansicht, daß auch in den Photographien die Schutzfärbung ganz besonders sprechend hervortritt, denn nur wenig heben sich die Tiere von ihrer Umgebung auf dem Bilde ab.

Dies ist namentlich der Fall mit bezug auf die Giraffenart, welche ich so glücklich war, entdecken zu dürfen. Die Giraffa schillingsi Mtsch. trägt ein in der Färbung außerordentlich verschwommenes Haarkleid und eignet sich so zum Festhalten durch die photographische Platte weit weniger als die in ihrer Färbung außerordentlich scharf prononzierte, bei weitem auffallender gefärbte nördliche, in den Somaliländern heimatende Art.

Höchst eigentümlich ist der Anblick eines flüchtigen Giraffenrudels. Ihre Flucht pflegt in schrägen Reihen vor sich zu gehen, auf dürrem, hartem Steppenboden unter vernehmlichem Poltern. Das ganze ungeheure Gebäude des Tieres schwankt beträchtlich hin und her; der Anblick mehrerer flüchtiger Giraffen erinnert an schwankende Masten auf bewegter Wasserfläche. Wieder in Schritt verfallend, verhofft das Tier von Zeit zu Zeit, den mächtigen Kopf hin und her wendend, und langsam, Schritt für Schritt, ein Bein vors andere, in eigentümlich ziehender, charakteristischer Weise setzend. Unfehlbar findet ein heftiges Hin- und Herwedeln der Schwänze statt, wenn die Giraffe flüchtig wird oder ihr Argwohn erwacht. Auf einen Schuß pflegt die ganze Gesellschaft für kurze Augenblicke in ein außerordentlich schnelles Tempo zu verfallen, immer aufs lebhafteste mit den Schwänzen schlagend.

Auch auf weitere Entfernung glaubt der kundige Beschauer den eigentümlichen Eindruck zu empfinden, den die so außerordentlich sprechenden, ausdrucksvollen Augen auf nahe Entfernung auf ihn machen. Man empfindet unwillkürlich, daß das Tier sich hauptsächlich auf seine hervorragenden Sehwerkzeuge als seine beste Verteidigungswaffe verläßt.

Dr. Zell folgert aus dem Umstände, daß gefangene Giraffen das künstliche Laub von den Hüten sie besichtigender Damen fressen wollen, daß ihnen jeder Geruchssinn abgeht. Wer aber, wie ich, oft erfahren, daß die Tiere sofort flüchtig werden, wenn man sie mit schlechtem Winde anpürschen will, kann dieser absoluten Negation irgendwelchen Geruchssinnes nicht beitreten. Nehmen doch auch Hirsche in Gefangenschaft begierig Papier und andere Stoffe an, und das Verlangen nach dem künstlichen Laub der Damenhüte kann sich sehr gut mit einem Heißhunger der in der Gefangenschaft ja völlig unnatürlich ernährten Giraffen nach irgendwelchen andern Futterstoffen erklären lassen.

In der Nähe des "Großen Natronsees" fand ich die von mir entdeckte Giraffe (Giraffa schillingsi Mtsch.) besonders häufig in den Mimosenwäldern und konnte die ersten Fernaufnahmen der herrlichen Geschöpfe machen ...

Dieses Ausdrucksvolle in der Haltung des Kopfes wird noch unterstützt durch eine dem Tierkundigen unschwer verständliche sehr verschiedenartige Stellung des ganzen gewaltigen Körpers. In Augenblicken der Neugier drückt sich diese höchst verständlich aus durch eine, ich möchte sagen verzerrte, in jeder Muskelanspannung größte Erwartung ausdrückende Pose. Dies im höchsten Grade groteske Tierbild tritt besonders dann sprechend in Erscheinung, wenn die Giraffe sich für den Beschauer gegen den Horizont scharf umrandet abhebt, nicht unähnlich einem hohen, völlig kahlen, dürren Baumstamme.

Mit großer Vorsicht suchen die Giraffen, meist gegen Abend oder zur Nachtzeit, das Wasser auf, das sie jedoch, wie schon erwähnt, auch mehrere Tage zu entbehren imstande sind.

Ich war erstaunt, von Löwen gerissene Giraffen zu finden; jedoch bin ich der Ansicht, daß nur rudelweise oder zu zweien jagende Löwen sich an Giraffen heranwagen. Der furchtbare Schlag der langen Läufe, namentlich der Bullen, dürfte auch einen Löwen in Schach halten. Am Gileï-Vulkan erlegte ich einen Giraffenbullen, der deutliche tiefe Kratzwunden von Löwen aufwies, und dem die Schwanzquaste frisch abgebissen war. Es folgt hieraus, daß die Überfälle des Raubtieres unter Umständen vergeblich bleiben. Giraffen halten sich im allgemeinen in Gegenden auf, in denen es auch sonst von Wild aller Art wimmelt: so mögen sie von Löwen nicht allzuoft angegriffen werden. Ist aber das Wild erst einmal in einer bestimmten Gegend erheblich durch Menschenhand dezimiert, so traf dieses Schicksal wohl zuerst die Giraffe.

Trotz alledem ist ein »Löwenritt«, wie ihn ein deutscher Dichter erdacht, denkbar. Freilich würde er nur kurze Sekunden dauern – bis die gewaltigen Zähne der königlichen Riesenkatze mit furchtbarem Biß die obersten Halswirbel ihres Opfers zermalmt haben.

Dafür, daß dies hier und da geschieht, kann ich mich verbürgen. In zwei Fällen fand ich frisch von Löwen gerissene starke Giraffenbullen in der Steppe.

Hunderte von Geiern führten mich zu den Stätten, wo sich Dramen abgespielt hatten, wert, von eines gottbegnadeten Künstlers Hand verewigt zu werden. –

Die rotschnäbligen Madenhacker, jene getreuen kleinen Freunde der Nashörner, beobachtete ich auch in Gesellschaft von Giraffen, denen sie dieselben Liebesdienste leisteten, wie jenen Dickhäutern.

In gewissem Sinne sind ja aber Giraffen auch sehr »dickhäutig«. Die Haut alter Bullen hat an manchen Stellen eine solche Dicke, daß sie allen Künsten der Präparation Widerstand leistet. Es gehört zu den schwierigsten Aufgaben, ohne Anwendung von Salz und Alaunbädern die Haut eines solchen Bullen in den Tropen gut zu konservieren, so daß sie in einem heimischer Museum ausgestopft werden kann.

So wenig europäische Museen einen riesigen afrikanischen Bullelefanten, namentlich einen solchen aus deutschen Kolonien, ausgestopft besitzen, so wenig ist dies der Fall mit einem ganz alten riesenhaften Giraffenbullen. In zahlreichen Fällen habe ich mich bestrebt, die Häute der wunderschönen Tiere zu taxidermistischen Zwecken zu retten. Es gelang mir auch mit mehreren jüngeren und namentlich weiblichen Exemplaren; jedoch ist es mir nicht gelungen, die ganz tadellose Haut eines sehr alten Bullen zu präparieren. Die Gründe hierfür liegen in der Unmöglichkeit, große Gefäße zum Einlegen der Häute und das nötige Quantum von Salz und Alaun in die Wildnis mitzunehmen. Nur so ist die Konservierung solch dicker Tierhäute möglich; das aber übersteigt die Mittel, die mir zur Verfügung standen.

Bald sah ich das Vergebliche solcher Bemühungen ein, und nachdem mir drei Häute verdorben waren, habe ich die alten Bullen ungestört gelassen und mit blutendem Herzen verzichtet, die so sehr begehrten Objekte zu konservieren. Doppelt schwer wurde mir das, da ich weiß, wie bald es heißen wird: Zu spät! Rein Gold der Erde vermag dann das seltsame Geschöpf nochmals herbeizuschaffen! Die in den Museen in Stuttgart, München, Karlsruhe und andern Orten aufgestellten, unter den Händen taxidermistischer Meister wiederum zum Leben erwachten weiblichen Giraffen beweisen erfreulicherweise, daß es mir gelungen ist, wenigstens diese in bester Beschaffenheit nach Europa zu bringen und so der Nachwelt zu erhalten.

Es ist im höchsten Grade bedauerlich, daß sachkundigen Männern nicht Mittel zur Verfügung gestellt werden, welche es ermöglichen, heute, wo es noch Zeit ist, diese schönsten, größten Naturdenkmäler aus der Reihe gewaltiger Säugetiere für unsere Museen zu retten. Das wäre angebrachter, als die Giraffenhäute, wie es beispielsweise um 1909 leider von neuem geschah, als Handelsartikel in Streifen geschnitten nach Südafrika exportieren zu lassen, damit sie dort zu Ochsenpeitschen Verwendung finden können ...

Die Stunde der Giraffe hat geschlagen. Undenkbar lange Zeiten ist sie mit dem Bestehen der unermeßlichen Mimosenwälder des schwarzen Kontinents verknüpft, hat sie in ihren verschiedenen Arten jene Wälder durchwandert, wie einst in längst vergangenen Epochen unserer Erde ähnliche gewaltige Erscheinungen in großen Gebieten auch unseres Kontinents ihr Wesen trieben. Giraffenähnliche Tiere waren tatsächlich damals auch Europa nicht fremd; heute aber sterben die letzten ihres Geschlechts selbst innerhalb ihrer menschenentrückten letzten Zufluchtsstätte des äquatorialen Afrika aus. Was nützt ihre Schutzfärbung gegen die neuen weittragenden Gewehre? Was ihre absolute Unschädlichkeit für den Menschen? So auffallende gewaltige Erscheinungen sind eben heutzutage der Vernichtung verfallen! Der Zufall hat es gewollt, daß eine nicht allzu entfernt verwandte Erscheinung, das erst in wenigen Exemplaren bekannte giraffenverwandte Okapi der zentralafrikanischen Urwälder erst in unseren Tagen entdeckt worden ist. Man kann mit Sicherheit voraussagen, daß nach dem völligen Verschwinden der wirklichen Giraffen dies eigenartige Tier noch lange Zeit fortleben wird. Giraffenarten, die im Norden und Süden des afrikanischen Kontinents heimisch waren, sind schon seit vielen Jahren bis auf das letzte Stück vernichtet worden.

Wenn ich der wild lebenden Giraffe gedenke, tauchen mir wie Schatten die seltsam hin und her wogenden Riesengestalten unseres Tieres im dornigen Pori auf, im sonnendurchglühten Buschwalde oder auf freier Boga weit hinten am Horizonte. Sie verschwinden zwischen Bäumen und Buschwerk oder gehen vollkommen in ihrer Umgebung auf. Sie schwanken über die busch- und baumlosen Ebenen dahin und scheinen wie so manches unerreichbar.

Wie riesige Bäume am Horizont aufragend, in Herden den Buschwald oder das dornige Pori durchpolternd, vielleicht neugierig und in ungeschlachten Bewegungen sich in Herden dem Lager nähernd, umspielt von der wundersamen Äquatorsonne, schemenhaft in der sonnendurchfluteten Steppe weit am Horizont verschwindend, unerwartet und plötzlich mitten im Mischwalde in einzelnen alten, einsiedlerisch lebenden Bullen auftauchend: – stets werden auf solche Weise dem afrikanischen Jäger unvergeßliche Eindrücke zuteil. –

Vor zweihundert Jahren noch, in den Abbildungen jener Zeit, waren Giraffen mehr oder minder geheimnisvolle Fabelwesen; aus Fabeln und Sagen bestand die damalige Kenntnis des schönen Geschöpfes. Zieht man hinaus in unbekannte Länder, die eine fremdartige Tierwelt beherbergen, so gestaltet unsere Einbildungskraft die Erscheinung ihrer hauptsächlichsten Vertreter unwillkürlich um, ganz anders erwartet man sie vielfach zu sehen als die Wirklichkeit sie uns dann zeigt. Welch spannende Augenblicke, wenn man, meist höchst überraschend, eine neue Erscheinung der Tierwelt zum ersten Male frei in der freien Wildnis sieht, und nun gar erst so seltsame Geschöpfe wie Giraffen!

Die Giraffe in ihrer heimischen Landschaft gemahnt zweifellos den tierverständigen Menschen an eine längst vergangene Zeit, in der tatsächlich seltsame Wesen aller Art, in unschätzbarer Zahl, Ebenen und Wälder belebten, inmitten einer ebenso seltsamen, heute untergegangenen Pflanzenwelt. Wie ein Mahnzeichen, ein Überbleibsel aus alter Zeit ragt der Giraffe gewaltige Erscheinung in unsere Tage hinein; ihr Anblick in der Wildnis ist schon aus diesem Grunde von eigenartigstem Reiz.

Niemanden schädigt die Giraffe, niemanden fügt sie ein Leid zu! Nicht als ob die Giraffe wehrlos wäre: ein einziges Ausholen ihrer gewaltigen Läufe, auch ein seitwärts gerichteter Schlag des langgehälsten Hauptes eines alten Bullen würde ein schwaches Menschlein leicht töten! Aber unser Riesentier, das ein dem mordlustigen Tiger, dem Leoparden und Jaguar so ähnliches Haarkleid trägt, würde niemals angreifen und nur zur Verteidigung von seinen Kräften Gebrauch machen. Gerade darum ist es zu beklagen, daß ein so gewaltiges Tier, das anspruchslos, keinen Menschen schädigend, in den entlegensten Einöden sein Wesen treibt und seit Urzeiten trieb, jetzt so plötzlich und schnell verschwindet. Mittlerweile sucht man vielerorten in Afrika, so namentlich in englischen Besitztümern, vom Giraffenbestande zu retten und zu schützen, was zu schützen und zu retten ist. Aber solch gewaltige Erscheinungen tierischen Lebens in freier Steppe sind eben auf die Dauer nicht zu erhalten! Wir wollen hoffen, daß ein reichliches Material an Beobachtungen, an Abbildungen und Exemplaren für unsere Museen gerettet wird, ehe es zu spät ist. So kann das riesige Tier wenigstens in dieser Art noch lange Zeit heranwachsenden Geschlechtern zur Freude und Belehrung dienen und wird nicht das Schicksal manch anderer seltsamer Geschöpfe teilen, die kein Gold der Welt – selbst in keiner Abbildung – mehr herbeischaffen kann, die unerwartet schnell aus der Liste der Lebendigen vollkommen ausgestrichen worden sind.

Mit seltsam melancholischem, wundervollem Auge schauen die Giraffen in die heutige Welt, in der für sie kein Platz mehr zu sein scheint. Wer den Ausdruck dieser schönen Augen geschaut, einen Ausdruck, der die orientalischen Dichter seit Jahrtausenden begeistert hat, der in Sage und Lied verewigt ist – wird ihn nicht leicht vergessen, so wenig wie derjenige den großen Eindruck vergessen kann, der ihm wurde, als er in der Wildnis die »serafa« der Araber schauen durfte.

Die Stunde kann nicht mehr fern sein, in der sich die schönen Augen der letzten »Twigga«, wie sie die Waswahili nennen, in der Einöde schließen. Das kann keine menschliche Klugheit verhindern, trotz aller Fortschritte menschlichen Wissens und menschlicher Technik, das vermag kein menschlicher Wille zu vereiteln. Aber hinausschieben läßt sich zweifelsohne der Vernichtungsprozeß und verlangsamen! Freilich, dazu gehört Liebe und Verständnis für die Schönheit der Natur!

»Als Menschen und Tiere vom Baume ›Omumborombongo‹ einst ihren Ursprung nahmen, war alles dunkel. Da machte ein Damara Feuer an, und Zebra, Gnu und Giraffe sprangen erschreckt weg, während Ochse, Schaf und Hund sich furchtlos sammelten.« So berichtete mein verehrter Freund Professor Fritsch, unser deutscher Veteran der Afrikaforschung, vor fünfzig Jahren aus den Urmythen der Ova-Herero, jener heute unter deutscher Herrschaft stehenden südwestafrikanischen Stämme.

In den kleinen Kreis der Haustiere wird die Giraffe niemals eintreten; folglich muß sie verschwinden. Vielleicht schließen sich ihre Augen inmitten eines Eleléscho-Hains, dessen Zauber damit wieder um vieles sich vermindert, – als ein untergehendes Wahrzeichen alter Zeit. –

 


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