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Die Rose von Schiras

Der Emir von Chorassan trauerte sehr. Seine jugendliche Gemahlin war gestorben, nachdem sie ein totes Knäblein geboren hatte. Die Verstorbene war über alle Maßen schön gewesen; ihre helle Hautfarbe und ihr goldfarbiges Haar hatte sie vor allen morgenländischen Frauen ausgezeichnet.

Als drei Monate verflossen waren und der Emir sich immer noch nicht über den erlittenen Verlust trösten konnte, sprachen seine Diener unter sich: »Wir müssen unserm Herrn Ersatz suchen für die Tote, die er nicht vergessen kann, da er sonst schwermütig wird.« Sie schickten Späher aus, die auskundschaften sollten, wo irgendwo eine schöne Jungfrau von heller Hautfarbe und goldfarbigem Haar aufzufinden sei. Die Boten kehrten zurück; aber keiner führte ein Weib bei sich, an dem der mächtige Fürst sein Wohlgefallen gefunden hätte.

Da meldete sich eines Tages ein graubärtiger Jude an der Pforte des Palastes. Der führte eine verschleierte Frau bei sich und bat, sie vor dem Emir entschleiern zu dürfen. Unmutig hörte der Fürst sein Begehr und war schon im Begriff, ihn kurz abzuweisen, als ein kaum hörbarer Seufzer des tiefverschleierten Weibes seine Neugier weckte. Er hieß alle sich entfernen, trat dann auf die Unbekannte zu und gebot ihr, sich zu enthüllen.

Wie dann zwei schneeweiße, schmale Frauenhände den Schleier zurückschlugen, erblickte der Fürst eine goldhaarige Jungfrau von ungewöhnlichem Liebreiz. Ein Augenpaar, wie er schöner es niemals gesehen, blickte ihn sekundenlang scheu und erschrocken an, um sich dann beharrlich zu senken. Der Emir entbot ihr den Selam, und eine kindlich zarte Stimme erwiderte leise den Friedensgruß.

»Wie heißt du?« fragte der Fürst.

»Ferida«, antwortete sie leise. Auf alle weiteren Fragen schwieg sie hartnäckig. Dies kränkte den Emir, der ein gütiger Herr, aber auch ein stolzer Fürst war. Er ließ den Juden hereinrufen. Der warf sich ihm zu Füßen und küßte die Erde.

»Sind die Eltern gewillt, mir diese Blume des Ostens zu überlassen?«

»Sie werden sich preisen, wenn sie dein Leben verschönt. Gott soll mich strafen, wenn ich die Unwahrheit sage.«

»So kannst du es beschwören«, fragte der Emir weiter.

»Der Gott meiner Väter sei mein Zeuge!« beteuerte der Israelit.

»Woher stammt die Jungfrau?«

»Aus der Rosenstadt Schiras, Herr. Ihre Mutter stammt aus jenem Land nördlich an dem großen Wasser, wo so viele goldhaarige Menschen wohnen.«

»So will ich sie Rose von Schiras heißen«, sprach der Emir. Er rief seinen Kämmerer herein und befahl, dem Juden zehntausend Denare auszuhändigen, davon fünftausend für die Eltern des Mädchens. Draußen fragte der Kämmerer den Juden: »Sage mir, warum blickt das Mägdlein so traurig drein,« (er hatte nämlich hinter dem Vorhang gestanden) »und warum sind ihre Wangen so weiß und so schmal, da ihr doch ein so herrliches Leben bevorsteht?«

Der Jude strich seinen langen Bart und sagte dann halblaut: »Sie hat Heimweh und Liebesweh dazu, und beharrlich verschmähte sie auf der Reise Speise und Trank. Möge der hochherzige Emir sie von beiden Übeln befreien!«

* * *

Der Emir ließ die Dienerinnen seiner verstorbenen Gemahlin hereinrufen und übergab die Jungfrau ihrer Obhut.

»Sie heißt Ferida, und ich nenne sie Rose von Schiras«, sprach er. »Sie soll mein Leben verschönen gleich jener, deren Haar sie trägt. Schmückt sie mit kostbaren Gewändern und behängt sie mit Goldmünzen, Edelsteinen und Perlenketten, und erheitert ihr Gemüt; denn ich möchte ihre schönen Augen lächeln sehen.«

Als der Emir am Abend desselben Tages die ambraduftenden Frauengemächer betreten wollte, trat ihm die älteste der Dienerinnen entgegen und sprach: »Hoher Gebieter, wir haben Ferida mit seidenen Gewändern und edlem Geschmeide geschmückt, wie du uns aufgetragen hast. Nun liegt sie auf dem blumigen Ruhebett und schlummert. Sie mag wohl erschöpft sein von der langen Fahrt. Möchtest du in deiner vielgepriesenen Güte sie nicht schlafen lassen, bis ihre ermatteten Lebensgeister sich gekräftigt haben?«

Der Emir zögerte. Er schätzte die treue Dienerin hoch. Deshalb sagte er nach einigem Besinnen: »Es sei.« Am andern Mittag, als er die Frauengemächer betreten wollte, kam ihm jene Dienerin wiederum entgegen und sprach: »Ach, Herr, zürne nicht; sie schläft noch immer, die du die Rose von Schiras nennst.«

Der Emir blickte zunächst unwillig; dann lächelte er gelassen.

»Was hat sie inzwischen geredet?« forschte er. Da schaute die alte Dienerin bekümmerter drein als vorher, da sie einen Zornesausbruch erwartet hatte.

»Ach, Herr, sie liegt mit geschlossenen Augen auf dem blumigen Lager und antwortet auf keine Frage. Wohl aber flüstert sie mitunter kaum hörbar im Schlaf mit jemand, den sie wohl liebt.«

»Und was flüstert sie?« fragte der Emir gespannt.

»Immer dasselbe: ich bleibe dir treu bis in den Tod.«

Als er solches hörte, wurde der Fürst verstimmt, und weil er dies schwer zu verbergen vermochte, wandte er sich zum Gehen. Seine Laune war sichtlich getrübt.

»Gebt ihr die herrlichsten Speisen von meiner Tafel; erfüllt ihre kleinsten Wünsche und jede ihrer Launen«, sagte er im Weggehen. Und streng fügte er hinzu: »Sorgt, daß sie fröhlichen Sinnes wird; ich gebe ihr und dir drei Tage Frist. Dann ist meine Nachsicht zu Ende.«

Beklommen blickte die alte Dienerin ihm nach.

»Wenn er wüßte, daß sie jegliche Nahrung verweigert, würde er sich über die trotzige Fremde noch heftiger erzürnen«, raunte sie.

* * *

Der Emir war die beiden nächsten Tage innerlich erregt wie nie zuvor. Daß ein Weib um eines gewöhnlichen Liebhabers willen die Gunst eines reichen und mächtigen Fürsten verschmähte, konnte er nicht fassen. Heftig kämpften Stolz und Leidenschaft in seiner gekränkten Brust. Sehnsüchtig erwartete er den dritten Tag. Kaum hatte dieser gedämmert, da rief das Geschrei der dienenden Frauen ihn in die Frauengemächer. Als er bestürzt hineilte, warf die älteste der Dienerinnen sich weinend ihm zu Füßen und flehte um Erbarmen.

»Sie ist soeben gestorben, o Herr!« Mehr brachte sie nicht hervor. Der Emir stieß sie mit dem Fuß beiseite und stürmte in das ambraduftende dämmerige Gemach. Auf dem blumigen Ruhebett lag, von dem gedämpften Licht der matten Silberampeln umflutet, die Rose von Schiras – eingehüllt in seidene Gewänder, geschmückt mit Goldmünzen, Edelsteinen und Perlenketten, regungslos der zarte Mädchenkörper und das Antlitz weiß wie frischgefallener Schnee.

Der Emir warf sich vor der Leblosen nieder. Zitternd beobachteten ihn die Dienerinnen.

»Wie ist dies gekommen?« fragte er dann tonlos, und die Sprecherin berichtete, daß die Fremde freiwillig Hungers gestorben sei, ohne Zweifel aus Heimweh oder Liebesweh über den Geliebten, von dem sie in wirren Worten geredet habe. Dies erschütterte den Emir noch heftiger. Aufs neue beugte er sich über das Lager.

»Ferida,« rief er klagend, »das Leben einer Fürstin von Chorassan verschmähtest du um der Liebe willen zu dem Mann, der daheim dich liebt. Oh, lebtest du noch, du wärest frei. Ferida! Ferida!«

Und siehe, der laute Schrei ihres Namens rief die nahezu erloschenen Lebensgeister des standhaften Mädchens zurück. Sie öffnete langsam die Augen und blickte den Fürsten wortlos an. Der jubelte nochmals ihren Namen und verlangte eilends Stärkungsmittel.

»Beim Gott der Lebendigen, o Rose von Schiras, du sollst wieder in deine Heimat zurück zu dem Jüngling, den du liebst«, rief der Fürst in tiefster Ergriffenheit. »Allah sei Dank, der dich dem Glücklichen erhalten hat, dem du die Treue bewahren wolltest bis in den freiwilligen Tod!«

Da begannen in den schönen Augen Feridas Freudentränen zu fließen. Erschöpft vermochte sie nur zu flüstern: »Gott möge dich segnen, du Edelster der Edlen!«

Einige Tage später führten drei reichbeladene Kamele Ferida, begleitet von den Segenswünschen des Emirs, in ihre Heimat zurück.

*

 


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