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Die Freundinnen

In einer Ortschaft lebten zwei alte Frauen mit Namen Buddhi und Siddhi, die waren Freundinnen und beide arm. Am Eingang des Ortes stand eine kleine Kapelle mit dem Bildnis eines Heiligen. Die alte Buddhi bezeigte diesem Heiligen dadurch ihre Verehrung, daß sie täglich sein Bethaus scheuerte. Eines Tages ließ der Heilige sie wissen: »Bitte dir eine Gnade aus!« Sie antwortete: »Gewähre mir so viel, daß ich sorgenlos leben kann.«

Seitdem fand die Alte täglich vor dem Heiligenbildnis einen Golddenar liegen, dadurch gelangte sie zu Reichtum. Galt ihr früher saure Reismilch, die sie leider niemals zu kosten bekam, als das köstlichste aller Gerichte, dann besaß sie bald ein Dutzend Rinder mit strotzenden Eutern. War sie bisher mit getrocknetem Kuhmist hausieren gegangen, dann konnte sie jetzt zwei Dienerinnen halten und Befehle erteilen. Ihre zerfallene Schilfhütte hatte sie mit einem zierlich getürmten Haus vertauscht.

Ihre Freundin Siddhi wußte sich ebensowenig wie alle anderen Bewohner der Ortschaft den wachsenden Wohlstand der alten Buddhi zu erklären. Eines Tages aber schmeichelte sie ihr das Geheimnis ab, und sie dachte bei sich: Ich werde diesem Heiligen noch größere Ehren erweisen. Sie ging hin, reinigte sein Standbild täglich mit Wasser, legte Blumen davor und fastete mehr, als ihre Dürftigkeit ihr ohnehin auferlegte. Daraufhin ließ der Heilige sie wissen: »Erbitte dir eine Gnade aus!« Siddhi antwortete: »Schenke mir das Doppelte von dem, was du meiner Freundin gewährst.« Dies wurde ihr gewährt, und so wurde die alte Siddhi noch wohlhabender als ihre Freundin Buddhi.

Seitdem verdoppelte Buddhi ihren Diensteifer in der Kapelle, und der Heilige spendete ihr dafür das Zwiefache von dem, was ihre Freundin Siddhi empfing. So übertrumpften sie fortgesetzt einander im Wettbewerb um die Gunst und die Gaben des Heiligen. Eines Tages sprach Siddhi zu sich selbst: »Ich mag anstellen, was ich nur will; meine Freundin Buddhi wird dennoch allemal das Doppelte erbitten.« Und es kam ihr plötzlich ein schlimmer Einfall.

Am anderen Tage bat sie den Heiligen, als sie wiederum sich eine Gnade ausbitten durfte: »Blende mich auf einem Auge!« Der Heilige willfahrte der Bitte. Als sie das Bethaus verließ, begegnete ihr draußen ihre Freundin, und dieser schien es, als ob das linke Auge der alten Siddhi schadenfroh blinzle, wie jene hocherhobenen Hauptes an ihr vorbeischritt.

Dies erregte ihre Mißgunst, und sie dachte bei sich: Zweifellos hat der Heilige der andern wiederum mehr gewährt, als ich das letztemal empfangen habe. Weil sie aber darauf schon vorbereitet war, so versah sie heute mit verdoppeltem Eifer ihren gewohnten Dienst. Als ihr hierauf von dem Heiligen abermals eine Gnade zugesagt wurde, sprach sie:» O Yaksa, gib mir das Doppelte von dem, was Siddhi empfangen hat!« Der Heilige willfahrte ihrer Bitte, und sie wurde auf beiden Augen blind; denn was ein Himmlischer sagt, das geschieht.

*

 


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